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BGH, Urteile vom 16.07.2024, VI ZR 188/22, VI ZR 205/23, VI ZR 239/23, VI ZR 243/23
Schätzung des merkantilen Minderwerts nach dem Nettoverkaufspreis
a) Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts ist ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs. Dabei ist von Netto-, nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen.
b) Wurde davon abweichend der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem “Umsatzsteueranteil” entsprechender Betrag abgezogen wird.
Der BGH überrascht mal wieder alle mit einer ganz neuen Herangehensweise! Der merkantile Minderwert ist (und bleibt) steuerneutral. Aber ermittelt werden muss der Minderwert immer anhand des Netto-Verkaufsbetrages.
Und Hintergrund ist folgende Überlegung:
Wenn der merkantile Minderwert geschätzt wird, geht es ja um den hypothetischen Verkauf des Fahrzeugs. Und dann muss aber die Mehrwertsteuer außen vor bleiben… was in der Konsequenz bedeutet: immer schön “fiktiv” denken und rechnen.
LG Ingolstadt, Urteil vom 14.6.2024 – 72 O 516/23 V
Keine Haftung der Eltern für radelndes Grundschulkind
Hat ein siebenjähriges, allein radelndes Grundschulkind an einer „Rechts-vor-links“-Kreuzung einen Unfall verursacht, haften seine Eltern nicht aus einer Verletzung ihrer Aufsichtspflicht, wenn sie ihr Kind über die Verkehrsregeln belehrt hatten und das Kind im Fahrradfahren geübt sowie mit der Strecke vertraut war. Das gilt auch dann, wenn das Kind trotz Gehwegs auf der Straße gefahren ist, sofern die Benutzung des Gehwegs unzumutbar war (hier bejaht, da der Gehweg nur sehr schmal war).
Quelle: Beck-Verlag / FD-StrVR 2024, 818966
OLG Nürnberg, Urteil vom 24.10.2023 – 6 U 2212/22
Zu den Sorgfaltspflichten beim Überholen eines stehenden LKW
1. Der sich im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte darf, sofern nicht Anzeichen für eine bestehende Verletzung seines Vorrangs sprechen, darauf vertrauen, dass der Einfahrende sein Vorrecht beachten wird.
2. Ein vorfahrtberechtigter Fahrer Beklagte muss nicht hinter einem in zweiter Reihe stehenden Lkw mit einfahrenden Fahrzeugen rechnen.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / LSK 2023, 42446
OLG Celle, Urteil vom 13.09.2023, 14 U 19/23
Mietwagenkosten; Notreparatur; Schadensminderungspflicht; Verjährung
Mietwagenkosten sind unverhältnismäßig, wenn sie jeden Maßstab einer wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung sprengen. Im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht obliegt es einem verständigen Geschädigten, der diese wirtschaftliche Unverhältnismäßigkeit erkennt, einen Gebrauchtwagen als Interimsfahrzeug anzuschaffen oder zunächst eine Notreparatur vorzunehmen.
Für den Eintritt einer Verjährungshemmung gem. § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG ist weder eine konkrete Bezifferung des Schadens noch eine lückenlose Aufzählung der einzelnen erlittenen Schäden erforderlich.
Die Entscheidung ist zur Lektüre sehr zu empfehlen, weil hier sehr exakte Hinweise zur Frage von Unverhältnismäßigkeit von Mietwagenkosten (ca. 6.000 EUR bei Reparaturkosten von knapp 8.000 EUR und einem geschätzten Investitionsaufwand für ein Interimsfahrzeug von 30.000 EUR) und zur Zumutbarkeit einer Notreparatur bzw. einer Interimsbeschaffung gemacht werden (und eben auch zur Frage des Aufwands einer Interimsbeschaffung).
Im vorliegenden lag weder eine Unverhältnismäßigkeit vor noch war eine Notreparatur zumutbar (wobei es hier auch um die Frage der Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten und seines Privatgutachters ging).
Quelle → DIREKTLINK zum VOLLTEXT
Und weil es immer wieder auch im Zusammenhang mit der Erstattung der Nebenkosteneiner Unfallersatz-Anmietung Ärger mit den Versicherungen gibt, hier aus Anlass eines aktuellen Falls eine kurze Darstellung zur Lage bei der CDW (Haftungsreduzierung / Haftungsfreistellung):
OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.2017, 4 U 143/17
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann aber der durch einen fremdverschuldeten Unfall Geschädigte bei Inanspruchnahme eines Mietwagens die Aufwendungen für eine der Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung entsprechende Haftungsfreistellung grundsätzlich insoweit ersetzt verlangen, als er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt war (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05, NJW 2006, 360 Rn. 12 mwN).
Ein solches erhöhtes Risiko besteht regelmäßig – und so auch im Streitfall – schon wegen des mit der Benutzung eines kurzfristig angemieteten Ersatzfahrzeugs verbundenen Schadensrisikos und ergibt sich darüber hinaus auch daraus, dass der Geschädigte im Falle einer unfallbedingten Beschädigung des Mietfahrzeugs stets die Kosten einer vollständigen fachgerechten Reparatur zu tragen hat, während er im Falle einer Unfallbeschädigung des eigenen Fahrzeugs in der Regel darüber disponieren kann, ob und inwieweit er sein Fahrzeug reparieren lässt.
Das wirtschaftliche Risiko des Geschädigten wird nicht durch die in den Erhebungen von Schwacke und Fraunhofer berücksichtigte geringere Haftungsreduzierung kompensiert. Denn für den Geschädigten fallen die Kosten für eine Selbstbeteiligung auch in den vergleichsweise häufig auftretenden Fällen eines bloßen Blechschadens an, während er bei einer solchen Beschädigung seines eigenen Fahrzeugs von einer Reparatur typischerweise ganz absehen oder die Reparaturausführung – ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit – auf eine nicht fachgerechte Instandsetzung beschränken kann (so zutreffend OLG Frankfurt, Urteil vom 3. März 2016 – 4 U 164/15, juris Rn. 24).“
AG Köln, Urteil vom 17.12.2019, 268 C 153/19:
Der Geschädigte darf die Herabsetzung der Selbstbeteiligung in der Vollkasko sogar bis auf Null für erforderlich halten, um sein Herstellungsinteresse zu befriedigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das beschädigte Fahrzeug entsprechend versichert war. Zwar führt die Haftungsreduzierung auf einen geringeren Selbstbehalt bei dem Geschädigten möglicherweise zu einer Besserstellung gegenüber dem “Normalzustand” mit eigenem PKW, weil er mit seinem eigenen PKW ggf. mit einer höheren Selbstbeteiligung versichert ist. Diese mögliche Besserstellung ist jedoch deshalb zu gewähren, weil er als Geschädigter eines Verkehrsunfalls keine zusätzlichen Risiken in Kauf nehmen muss.
AG Bautzen, Urteil vom 11.4.2019 – 21 C 250/17
Denn ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für einen Vollkaskoschutz besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das Fahrzeug des Geschädigten in gleicher Weise versichert war, wenn er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 74/04, zitiert nach juris).
Aber an sich genügt hier auch der Blick zum schon zitierten BGH, nämlich:
BGH, Urteil vom 25.10.2005 – VI ZR 9/05
Demgegenüber weist die Revision mit Recht darauf hin, dass Kosten einer für ein Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Vollkaskoversicherung auch dann ersatz-fähig sein können, wenn das eigene Fahrzeug des Geschädigten zum Unfallzeitpunkt nicht vollkaskoversichert war. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der durch einen fremdverschuldeten Unfall Geschädigte bei Inanspruchnahme eines Mietwagens die Aufwendungen für eine der Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung entsprechende Haftungsfreistellung grundsätzlich insoweit ersetzt verlangen, als er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt war (vgl. Senatsurteile BGHZ 61, 325, 331 ff.; vom 19. März 1974 – VI ZR 216/72 – VersR 1974, 657 und vom 15. Februar 2005 – VI ZR 74/04 – aaO).
gleichlautend u.a. auch
BGH, Urteil vom 15.02.2005 – VI ZR 74/04
LG Hagen, Urteil vom 31.05.2023, 1 O 44/22
Warnblinkanlage am Stauende?
Aus den Gründen:
Eine solche Verpflichtung ergibt sich aus § 1 Abs. 2 StVO nämlich nicht bei jedem sich bildenden Stau, sondern nur dann, wenn sich aufgrund des Staus eine Gefährdungslage für den nachfolgenden Verkehr ergibt.
Aus der erweiterten Zulässigkeit der Verwendung des Warnblinklichts kann sich mittelbar eine Verpflichtung zu seiner Verwendung ergeben. Wie hinsichtlich der Warnzeichen nach § 16 Abs. 1 StVO ist Grundlage dafür § 1 Abs. 2 StVO. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Gefährlichkeit der Situation und deren Erkennbarkeit für den nachfolgenden Verkehr an. Für die Annäherung an einen Stau auf der Autobahn ist eine solche Verpflichtung vor der Änderung von § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO abgelehnt worden; nach der geltenden Rechtslage, nach der für diesen Fall die Verwendung der Warnblinkanlage ausdrücklich erlaubt ist, kommt dies im Einzelfall durchaus in Betracht (Feskorn in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 16 StVO (Stand: 18.11.2022), Rn. 12). Die Einschaltung des Warnblinklichts bleibt aber grundsätzlich unzulässig, wenn keine Gefährdung, sondern nur eine Behinderung des Verkehrs vorliegt (Feskorn in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 16 StVO (Stand: 18.04.2023), Rn. 11).
Wegen des Sichtfahrgebots muss ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich auch auf Bundesautobahnen mit der Gefahr rechnen, seine Geschwindigkeit unter Umständen plötzlich bis hin zum Stillstand abbremsen zu müssen. Kommt es – wie auf vielbefahrenen Strecken häufig – regelmäßig aus dem stockenden bis zähfließenden Verkehr heraus zu Stau oder wie vorliegend zu einem Rückstau an einer Autobahnausfahrt, bedarf es in der Regel keiner besonderen Warnung. Eine Warnung kann allerdings dort angebracht sein, wo das Stauende nicht gut zu erkennen ist (z.B. hinter einer Kurve oder Kuppe) und wo mit hohen Geschwindigkeitsdifferenzen zu rechnen ist.
Volltext → Direktlink JUSTIZ NRW
BGH, Urteil vom 26.5.2023 – VI ZR 274/22
Eigenreparatur eines werkstatteigenen KFZ – Abzug um den Unternehmensgewinn? Das ist eine Frage der Werkstattauslastung.
1. Wird bei einem Verkehrsunfall ein Kfz beschädigt, hat der Geschädigte, der einen auf Gewinnerzielung ausgerichteten Reparaturbetrieb führt, grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Kosten einer Fremdreparatur einschließlich des Gewinnanteils.
2. Allerdings muss sich der Geschädigte in diesem Fall unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 Satz letzter Halbsatz BGB auf eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit in seiner eigenen Werkstatt verweisen lassen, wenn sein Betrieb nicht ausgelastet und es ihm zumutbar ist, ansonsten ungenutzte Kapazitäten für die notwendige Reparatur zu nutzen. Dies gilt sowohl bei der konkreten als auch bei der fiktiven Schadensabrechnung.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 16830
AG Schwandorf, Urteil vom 19.04.2023 – 2 C 263/22
Kein Abzug neu für alt bei Ersatz von Brillengläsern (ohne Fassung).
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BGH, Urteil vom 04.04.2023 – VI ZR 11/21
Zur Reichweite des Vertrauensgrundsatzes hinsichtlich des verkehrsgerechten Verhaltens eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn
führt der BGH aus:
.. muss ein Kraftfahrer am Fahrbahnrand befindliche oder vor ihm die Fahrbahn überquerende Fußgänger im Auge behalten und in seiner Fahrweise erkennbaren Gefährdungen Rechnung tragen … Er braucht aber weder damit zu rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten, noch darauf gefasst zu sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen werde, solange er bei verständiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass hat, an dem verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln …
OLG Koblenz, Beschluss vom 25.04.2023, 12 W 118/23
Prüfungsfrist eines KFZ-Haftpflichtversicherers
In Übereinstimmung mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung nimmt der Senat in ständiger Rechtsprechung an, dass dem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen im Regelfall eine Prüfungsfrist von vier bis sechs Wochen zuzubilligen ist, vor deren Ablauf eine Klage nicht veranlasst ist.
Nach des Überzeugung Senat beginnt die Prüfungsfrist bereits ab Geltendmachung des Schadensersatzanspruches gegenüber dem unstreitig passiv legitimierten Büro Grüne Karte (Beklagter) zu laufen. Jedes andere Ergebnis könnte für den Geschädigten unter Umständen zu nicht hinnehmbaren zeitlichen Verzögerungen führen.
LG Saarbrücken, Urteil vom 23.03.2023, 10 O 15/21
Unfallursächlichkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung besteht auch bei sonst deutlich geringeren Unfallfolgen
1. Die Unfallursächlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes ist auch dann zu bejahen, wenn der Unfall bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit zwar nicht vermieden, die Unfallfolgen aber wesentlich geringer ausgefallen wären.
2. In einem solchen Fall ist die zurechenbare Erhöhung der Betriebsgefahr im Wege der Erhöhung der Haftungsquote am Gesamtschaden zu berücksichtigen ohne dass aufgeklärt werden muss, wie der Schaden bei verkehrsgerechtem Verhalten konkret ausgefallen wäre.
3. Eine Mahnung gegenüber dem Haftpflichtversicherer setzt auch den Haftpflichtversicherten in Verzug. Dies gilt auch für die der Mahnung gleichstehende Erhebung der Klage auf Leistung.
Quelle → VOLLTEXT unter diesem DIREKTLINK
LG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.2023 – 13 S 60/22
“Unfallgegner” mit Hupe gewarnt und doch mitgehaftet
Wer in einem verkehrsberuhigten Bereich frühzeitig erkennt, dass ein Fahrzeug mit Personen besetzt ist und sich anschickt, rückwärts aus einer Garageneinfahrt in die Fahrbahn einzufahren, und deshalb hupt, darf nicht darauf vertrauen, dass dies den anderen Fahrzeugführer davon abhalten wird, das Rückwärtsfahrmanöver zu beginnen. Er darf seine Fahrt daher nur unter besonderer Vorsicht und jederzeitiger Bremsbereitschaft fortsetzen.
Ergebnis: Rückwärtsfahrer haftet zu 80 %
AG Geilenkirchen, Urteil vom 05.01.2023 – 10 C 114/21
Ein Verkehrsunfallvideo, das mittels einer permanent aufzeichnenden, an einem privaten Haus installierten Überwachungskamera angefertigt wurde, ist im Zivilprozess nicht verwertbar.
Quelle (Leitsatz): Beck-Verlag / FD-StrVR 2023, 458892
Volltext → DIREKTLINK JUSTIZ NRW
OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.10.2022 – 4 U 111/21
Verwertbarkeit der Aufzeichnungen einer Webcam im Verkehrsunfallprozess
Im Verkehrsunfallprozess sind die Aufzeichnungen einer Webcam, die ein unbeteiligter Dritter zur Verfügung stellt, als Beweismittel zur Aufklärung des Unfallhergangs nicht grundsätzlich unverwertbar; dies gilt insbesondere dann, wenn ein Unfallbeteiligter zwar der Verwertung widerspricht, sich dabei aber nicht auf höher zu gewichtende Persönlichkeitsrechte beruft.
Aus den Gründen:
Das Landgericht hat zutreffend die vom Bundesgerichtshof für Dash-Cam-Aufnahmen des Beweisführers selbst aufgestellten Grundsätze herangezogen und darauf abgestellt, dass der Geschäftsführer der Klägerin lediglich in seiner Sozialsphäre betroffen sei, weil das Geschehen sich im öffentlichen Straßenraum abspiele, in den er sich freiwillig begeben habe; zu berücksichtigen sei auch die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldete besondere Beweisnot des Unfallgegners.
Quelle → VOLLTEXT / DIREKTLINK
OLG Schleswig, Urteil vom 20.09.2022 – 7 U 201/21
Derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten.
Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Ampel für den Linksabbieger die Anlage ausfällt.
Ein Idealfahrer hätte aus dem mit dem Ampelausfall einhergehenden Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Ein unabwendbares Ereignis liegt deshalb nicht vor.
AG München, Urteil vom 27.07.2022, 341 C 920/22
Ein Versicherer kann einen Großkundenrabatt nur abziehen, wenn ein solcher überhaupt gewährt wird.
AG Salzwedel, Urteil vom 07.07.2022, 31 C 12/22
EU-Auslandsunfall und die Erstattung der inländischen Gutachterkosten
Bei einem Unfall im EU-Ausland sind auch die Kosten eines deutschen Sachverständigen für die Erstellung eines Schadengutachtens zu ersetzen.
Dies folgt, so das AG Salzwedel, aus dem Auslegungsgrund 34 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, die da lautet:
(34) Derjenige, der in einem anderen Staat als seinem Wohnsitzstaat bei einem Kraftfahrzeug-Verkehrsunfall im Sinne dieser Richtlinie einen Sach- oder Personenschaden erleidet, sollte seinen Schadenersatzanspruch in seinem Wohnsitzmitgliedstaat gegenüber einem dort bestellten Schadenregulierungsbeauftragten des Versicherungsunternehmens der haftpflichtigen Partei geltend machen können. Diese Lösung würde es ermöglichen, dass ein Schaden, der außerhalb des Wohnsitzmitgliedstaats des Geschädigten eintritt, in einer Weise abgewickelt wird, die dem Geschädigten vertraut ist.
Hinweis: Inwieweit das Ergebnis und die Herleitung “richtig” sind, wäre eine endgültige Entscheidung des EuGH abzuwarten. Aber als Argumentationshilfe im Falle auch eines Prozesses erscheint diese Entscheidung sehr hilfreich.
OLG Nürnberg, Urteil v. 29.03.2022 – 3 U 4188/21
Einlassung in Schriftform am Unfallort / Beweiswert und -würdigung / “Schuldanerkenntnis”
Eine schriftliche Einlassung am Unfallort mit detaillierten Ausführungen zum Unfallhergang, aufgrund welcher der Erklärungsempfänger auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet, führt im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig dazu, dass das Gericht die darin anerkannten Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde legen kann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit seiner Erklärung nicht gelingt.
Aus den Gründen:
Einer schriftlichen Einlassung am Unfallort kommt als nicht rechtsgeschäftliches Anerkenntnis im Rahmen der Beweiswürdigung Bedeutung zu (BGH, NJW 1976, 1259; BGH, NJW 1984, 799; OLG Bamberg, VersR 1987, 1246; OLG Saarbrücken, NJW 2011, 1820). Rückt der Anerkennende später von seiner Erklärung ab, so wird er, falls nicht auch das übrige Beweisergebnis gegen seine Schuld spricht, dem Richter plausibel machen müssen, weshalb er sich zu dem objektiv falschen Anerkenntnis hat bewegen lassen. Dies wird ihm umso schwerer fallen, je konkreter seine Erklärung war (Greger, in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, § 16 Rn. 16.56). Im Rahmen der Beweiswürdigung ist auch zu berücksichtigen, ob das Anerkenntnis zu einer Beeinträchtigung der Beweismöglichkeiten des Gegners geführt hat, z.B. weil er im Hinblick hierauf auf die Zuziehung der Polizei verzichtete (Greger, a.a.O. § 16 Rn. 16.56).
BGH, Urteil vom 8. März 2022 – VI ZR 47/21
Fahrbahnverengung beiderseitig / Zeichen 120
Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrenzeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO). Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen be-steht nicht.
LG Hamburg, Urteil vom 18.02.2022, 306 O 471/20
Keine Rettungsgasse im innerstädtischen Verkehr
Eine „Rettungsgasse“ ist nach § 11 Abs. 2 StVO auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung zu bilden. Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für den innerstädtischen Verkehr. Hier gelten – je nach Einzelfallsituation – andere Maßstäbe.
Zum Sachverhalt:
Ein PKW-Fahrer wollte vor einem von hinten mit Sonderrechten herannahenden Einsatzfahrzeug „freie Bahn“ verschaffen. Das war ihm indes nicht gelungen, sondern vielmehr hatte er aufgrund einer Fehleinschätzung des Fahrweges des Einsatzfahrzeuges durch sein Ausscheren nach links ein plötzliches Hindernis für das Einsatzfahrzeug gebildet. Der Pkw-Fahrer wandte ein, er habe eine Rettungsgasse bilden wollen. Das LG Hamburg verwies aber nun darauf, dass eine solche innerorts nicht zu bilden sei. Hier gelten – je nach Einzelfallsituation – andere Maßstäbe. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls kam das LG hier zu einer Mithaftung des Pkw-Fahrers von 60 %.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2022, 3593
LG Saarbrücken, Urteil vom 11.02.2022, 13 S 135/21
1. Die Sorgfaltspflichten beim Ein- und Aussteigen richten sich In einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325.1 und 2) nach § 1 StVO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 StVO.
2. Kommt es beim Aussteigen eines Taxi-Fahrgastes zu einer Kollision mit einem Fahrzeug, das die zulässige Geschwindigkeit erheblich überschreitet, tritt die Betriebsgefahr des vorbeifahrenden Fahrzeugs nicht zurück.
Hinweis aus den Urteilsgründen:
Ein Geschwindigkeitsverstoß darf bei der Haftungsabwägung aber nur Berücksichtigung finden, wenn er sich unfallursächlich ausgewirkt hat (vgl. -, juris). Dies bleibt hier aber nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens – wie auch die Berufung einräumt – gerade offen. Auch ein etwaiger Anscheinsbeweis (vgl. , Urteil vom 28. April 2016 – 4 U 106/15 -, juris) ist hier erschüttert, da nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen die ernsthafte Möglichkeit verbleibt, dass die Kollision durch eine (weitere) Türöffnung während der Vorbeifahrt verursacht wurde. , Urteil vom 28. August 2012 – 3 O 250/10
Ergebnis: Vorbeifahrendes Fahrzeug haftet mit 25 % mit.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2022, 2038
OLG Hamm, Urteil vom 25.01.2022 – 9 U 46/21
Vorschaden / Darlegungslast und Beweislast / Anspruchsausschluss über § 242 BGB ?
Wird das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut, deckungsgleich beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist.
Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und ggf. nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind.
Bei der Bemessung der klägerischen Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darf nicht verletzt werden.
Das Verschweigen von Vorschäden führt nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB. Die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche ist in dem gesetzlichen Regime des materiellen Bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen.
Quelle → VOLLTEXT / OLG HAMM / 25.01.2022 / 9 U 46/21
OLG Celle, Urteil vom 01.12.2021, 14 U 83/21
1. Einem Kfz-Haftpflichtversicherer steht kein genereller Anspruch auf eigene Fahrzeugbesichtigung des Unfallgeschädigten zu. Ein solcher ergibt sich nicht aus § 119 Abs. 3 VVG.
Etwas anderes kann sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aus dem zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 VVG zustande gekommenen gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben. Dem Geschädigten sind in Grenzen Pflichten zur Rücksichtnahme auf den Haftpflichtversicherer bei der Schadenfeststellung auferlegt, aus denen sich ausnahmsweise ein Recht des Haftpflichtversicherers auf eigene Fahrzeugnachbesichtigung ergeben kann (Anschluss an BGH, Urt. v. 11.10.1983 – VI ZR 251/81).
2. Steht dem beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer weder generell noch ausnahmsweise im konkreten Fall ein Anspruch gegen den Geschädigten auf Fahrzeugnachbesichtigung zu und hat er zudem nicht einmal eine eigene Besichtigung begehrt, kann ihm nicht umgekehrt eine Obliegenheit zur Erteilung einer vom Geschädigten begehrten Reparaturfreigabe mit der Folge auferlegt werden, dass ihm bis zur Erteilung einer solchen Reparaturfreigabe ein verzögerter Zeitraum bis zum tatsächlichen Reparaturauftrag angelastet wird. Vielmehr hat der Geschädigte etwaige Schäden, die ihm in einem solchen Fall durch Verzögerungen wegen Abwartens der Reparaturfreigabe des gegnerischen Haftpflichtversicherers entstanden sind, selbst zu tragen.
3. Etwas anders kann nur dann gelten, wenn der Haftpflichtversicherer gegenüber dem Geschädigten seinen Wunsch auf Nachbesichtigung kundtut, dem Geschädigten das Einräumen der Nachbesichtigung tatsächlich (noch) möglich und zumutbar ist und er dem Versicherer diese Möglichkeit – ob nun kraft gesetzlichen Schuldverhältnisses verpflichtet oder freiwillig – auch einräumt. Denn erst dann erwächst ein Vertrauenstatbestand für den Geschädigten dahingehend, dass er keine Nachteile dadurch erleiden soll, dass er dem Versicherer die Nachbesichtigung ermöglicht und aus diesem Grund auf dessen Reparaturfreigabe wartet.
LG Hamburg, Urteil vom 19.11.2021 – 331 S 33/20
Aus der Zahlung eines Verwarnungsgeldes kann nicht auf eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit für einen Schadenfall geschlossen werden.
Quelle: SVR 2022, 187
OLG Celle, Urteil vom 10.11.2021, 14 U 96/21
Anscheinsbeweis für ein Verschulden gem. § 10 StVO und das Vorrecht für Omnibusse gem. § 20 Abs. 5 StVO
Das Vorrecht von Omnibussen des Linienverkehrs und Schulbussen gem. § 20 Abs. 5 StVO besteht nur unter den Voraussetzungen einer rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Anzeige gegenüber dem ansonsten fortbestehenden Vorrang des fließenden Verkehrs.
Die Beweislast für die Inanspruchnahme eines Vorrechts der Straßenverkehrsordnung trägt derjenige, der sich auf es beruft. Erst wenn der Fahrer eines an einer Haltestelle haltenden Linienbusses bewiesen hat, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme seines Vorrechts vorgelegen haben, entfällt der Vorrang des fließenden Verkehrs und mit ihm der Anscheinsbeweis, der auf einen Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltsanforderungen schließen lässt (entgegen KG Berlin in den Entscheidungen vom 24. Juli 2008 – 12 U 142/07 – und vom 1.11.2018 – 22 U 128/17, juris; sowie LG Saarbrücken, Urteil vom 05. April 2012 – 13 S 209/11, Rn. 13, juris).
Haftungsverteilung (hier):
75 % zu 25 % zulasten des anfahrenden Omnibusses
Aus den Gründen:
Bis zu der Ankündigung, die die Absicht in den fließenden Verkehr einzufahren mittels Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig anzeigt, bleibt auch in Bezug auf einen Linienbus das Vorrecht des fließenden Verkehrs bestehen.
Erst wenn der Fahrer des Linienbusses sichergestellt hat, dass den Anforderungen des § 10 Satz 2 StVO Genüge getan ist, also der Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig zuvor gesetzt war und nach Rückschau nicht anzunehmen ist, dass andere Verkehrsteilnehmer mehr als nur mittelstark bremsen müssten, entsteht sein Vorrecht gem. § 20 Abs. 5 StVO.
Bei einer vorzunehmenden Abwägung verbleibt auf Seiten des (vorbeifahrenden = Anmerkung von uns) Klägers eine erhöhte Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeuges, die mit 25% zu bemessen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die allgemeine Betriebsgefahr durch besondere Umstände erhöht sein, was bei der Schadensteilung mit zu berücksichtigen ist … Dies war vorliegend der Fall. Bereits aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 StVO folgt, dass an haltenden Linienomnibussen nur vorsichtig vorbeizufahren ist. Dies intendiert die gesetzgeberische Wertung, welche beinhaltet, dass es sich dabei um ein Fahrmanöver handelt, aus welchem eine abstrakt erhöhte Gefährlichkeit erwächst. Zu der dem Kraftfahrzeug ohnehin innewohnenden Betriebsgefahr von 20 % (st. Rspr. u.a. des Senats, vgl. etwa Urteil vom 15.05.2018 – 14 U 175/17 – juris, Urteil vom 27.09.2001 – 14 U 296/00 – juris) kommt insoweit ein weiterer gefahrträchtiger Umstand hinzu.
Quelle → VOLLTEXT / OLG Celle / 10.11.2021 / 14 U 96/21
Hinweis: Vor dem Hintergrund der im Leitsatz benannten – gegenläufigen – Entscheidungen des KG Berlin sowie des LG Saarbrücken, die die Auffassung vertreten, der Pkw-Fahrer müsse widerlegen, dass ein Busfahrer rechtzeitig geblinkt habe, hat das OLG Celle die Revision zum BGH zugelassen.
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 09.03.2021 – 23 U 120/20
Auffahrender LKW haftet trotz (wegen technischem Defekts) unverschuldetem Auslösen des Notfallbremsassistenten beim Vordermann, wenn …
Steht fest, dass der auffahrende LKW gegen § 4 Abs. 3 StVO (Sicherheits-abstandsunterschreitung durch LKW) verstoßen hat, bedarf es keines Rückgriffs mehr auf den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis.
Wegen des um ca. 30 % unterschrittenen Sicherheitsabstandes des LKW auf den Vorausfahrenden haftet der Auffahrende (LKW) hier zu 2/3, auch wenn das abrupte Abbremsen des Vorausfahrenden bis zum Stillsatnd unstreitig auf einem Versagen der technischen Einrichtungen ihres Kraftfahrzeugs beruhte.
Interessant ist das Urteil wegen der Abwägung des wechselseitigen Verschuldens und der Bewertung von (erhöhten) Betriebsgefahren.
Quelle → Beck-Verlag / becklink 2019307
Volltext → OLG FFM / Urteil 09.03.2021 / 23 U 120/20
BGH, Urteil vom 15.6.2021 – VI ZR 1029/20
Die Kollision zweier nebeneinanderfahrender KFZ – Alleinhaftung der Gegenseite trotz eigener geringer Schuld oder einfacher Betriebsgefahr?
Eine alleinige Haftung des Halters des anderen am Unfall beteiligten Fahrzeugs ist auch in den Fällen anerkannt, in denen die schwere Schuld der Gegenseite die eigene geringe Schuld oder die allein auf Seiten des Anspruchsstellers zu berücksichtigende Betriebsgefahr ganz zurücktreten lässt (vgl. Senatsurt. v. 17.9.1965 – VI ZR 7/64)
Anmerkung: Diese Aussage findet sich fast nebenbei in dem o.g. Urteil des BGH, der an sich den amtlichen Leitsatz trägt: “Zum notwendigen Inhalt eines Berufungsurteils” und eben etwas anderes erahnen läßt. Machen wir es eben richtig und lesen nicht nur den Leitsatz, sondern die Gründe.
OLG Bremen, Urteil vom 30.06.2021, 1 U 90/19
Zu den Darlegungs- und Beweisanforderungen im Verkehrsunfallprozess beim Vorliegen von Vorschäden am Fahrzeug des Geschädigten
1. Wird bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen der Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Verkehrsunfall seitens des Schädigers oder seiner Versicherung das Bestehen von überlagerten Vorschäden eingewandt, so obliegt dem Geschädigten die Last der Darlegung und des Nachweises nach dem Maßstab des § 287 ZPO, dass die Beschädigung seines Pkw unfallbedingt ist und nicht als Vorschaden bereits vor dem Unfall vorhanden war.
2. Dieser Darlegungs- und Beweislast kann der Geschädigte zum einen dadurch genügen, dass er darlegt und nachweist, dass vorhandene Vorschäden fachgerecht repariert worden sind. Hierzu genügt es, wenn der Geschädigte die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt, während Fragen des Vorhandenseins von Rechnungen oder der Ausführung der Einzelschritte der Reparatur in Übereinstimmung mit gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können.
3. In Bezug auf vor der Besitzzeit des Geschädigten erfolgte Vorschäden kann der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast bereits durch eine unter Beweis gestellte Behauptung genügen, dass der Vorschaden beseitigt worden sei, auch wenn der Geschädigte hiervon keine genaue Kenntnis hat und lediglich vermutet, dass eine fachgerechte Reparatur erfolgt sei.
4. Zum anderen kann der Geschädigte, wenn er nicht die Reparatur der Vorschäden darlegen kann, dem Einwand des Vorhandenseins von Vorschäden dadurch begegnen, dass er nach dem Maßstab des § 287 ZPO über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend nachweist, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind.
5. Kann auch ein solcher Nachweis der Verursachung bestimmter abgrenzbarer Beschädigungen durch den streitgegenständlichen Unfall nicht geführt werden, dann kommt es bei genügenden Anhaltspunkten in Form hinreichend greifbarer Tatsachen in Betracht, das Vorliegen von Vorschäden im Wege der Schadensschätzung nach § 287 ZPO durch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen.
6. Das Vorhandensein von Vorschäden steht der Ersatzfähigkeit der Kosten eines vom Geschädigten eingeholten vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens nur dann entgegen, wenn dieses Gutachten aus vom Geschädigten zu verantwortenden Gründen nicht verwertbar ist, z.B. wenn der Geschädigte ihm bekannte Vorschäden nicht offengelegt hat, so dass diese deswegen im Gutachten nicht berücksichtigt werden konnten.
Quelle → VOLLTEXT / OLG Bremen / 1 U 90/19
OLG Celle, Urteil vom 23.06.2021 – 14 U 186/20
Vorrang der Fahrspur (Vorfahrtberechtigung) gegenüber der Einfädelspur auf bei stehendem Verkehr
Die Norm des § 18 Abs. 3 StVO bezieht sich auf bauliche Gegebenheiten und setzt eine Einfädelspur und eine Fahrspur voraus. Ist dies der Fall, ist der Verkehr auf der Fahrspur gegenüber dem Verkehr auf der Einfädelspur bevorrechtigt. Dieses Vorrecht bleibt auch dann erhalten, wenn die Fahrzeuge auf der Fahrspur verkehrsbedingt zum Stehen kommen.
Der Wortlaut des § 18 Abs. 3 StVO „Vorfahrt“ leitet sich nicht aus einer Bewegung („fahren“) ab, sondern aus einem „Vorrecht“, das der Gesetzgeber für die sich auf der Fahrspur befindlichen Fahrzeuge gegenüber dem Verkehr auf der Einfädelungsspur normiert hat (gegen OLG Hamm – Bußgeldsenat –, Urteil vom 03.05.2018 – III 4 RBs 117/18 –).
OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.8.2020, 4 U 6/20
Auf das Rückwärtseinfahren vom Parkplatz auf eine Fahrbahn ist nicht § 9 Abs. 5 StVO, sondern § 10 Satz 1 StVO anzuwenden.
Will der rückwärts in die Fahrbahn einfahrende Ausparker der Alleinhaftung wenigstens teilweise entgehen, muss er den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern, indem er darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass er entweder bereits solange auf der Fahrbahn stand, dass sich der fließende Verkehr rechtzeitig auf ihn einzustellen hatte, oder dass er sich so weit von der Stelle des Einfahrens entfernt und sich so dem Verkehrsfluss angepasst hatte, dass das Einfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr für den weiteren Geschehensablauf ursächlich sein kann.
LG Rostock, Urteil vom 05.06.2020, 1 S 117/19
Überholt ein Pkw in erkennbar unklarer Verkehrslage einen nach rechts abbiegenden Lkw, der im Zuge des Abbiegevorgangs dabei etwas nach links schwenkt (um besser nach rechts abzubiegen), haftet der Pkw zu 100 % für den Unfall. Die Betriebsgefahr des Lkw tritt aufgrund des Verschuldens des Fahrers des Pkw zurück.
Quelle → nach FD-StrVR 2020, 432426, beck-online / Beck-Verlag
Anmerkung von uns: Aber ob das wirklich so (ganz) richtig ist und nicht zumindest die Betriebsgefahr des LKW zum Tragen kommen muss, bleibt zu hinterfragen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.2021 – 1 U 122/20
Haftungsquote bei Unfall zwischen Krankenwagen und nicht auf ausgewiesener Parkfläche geparktem Fahrzeug
Kollidiert ein Rettungswagen bei seiner Einsatzfahrt aufgrund von Unaufmerksamkeit mit einem in einer scharfen Kurve geparkten Kfz, ist eine Haftungsverteilung von 75 : 25 zulasten des Rettungswagens gerechtfertigt.
Bei der Haftungsabwägung bleibt allerdings das mangels einer ausgewiesenen Parkfläche im Bereich des Verkehrszeichens 325.1 geltende Parkverbot außer Betracht, da dieses der Verwirklichung des mit dem verkehrsberuhigten Bereich geschaffenen Bewegungs- und Kommunikationsraums, nicht aber der Sicherstellung ausreichenden Raums für den durchfahrenden Fahrzeugverkehr dient.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.03.2021, 1 U 77/20
Nutzungsausfall trotz (deutlich) langer Reparaturdauer / u.a Verzögerung bei der Ersatzteillieferung
Verzögerungen bei der Reparatur des unfallbeschädigten Kfz, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, gehen zu Lasten des Schädigers. Insofern kann von dem Geschädigten eine Nutzungsausfallentschädigung auch für einen längeren Zeitraum (hier: 104 Tage) beansprucht werden.
Hat die Werkstatt die Verzögerung mit Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen (hier: Airbag-Modul für die Beifahrerseite) begründet, trifft den Geschädigten keine dahingehende Schadenminderungspflicht, selbst bei anderen Werkstätten oder bei dem Fahrzeughersteller nach der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu forschen. Er darf sich vielmehr grundsätzlich darauf verlassen, dass die von ihm beauftragte Werkstatt sich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um die zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen wird.
Der Geschädigte muss sich zur Verkürzung der Ausfallzeit grundsätzlich nicht mit einer Teilreparatur seines Kfz zufrieden geben.
Dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung steht nicht entgegen, dass dem Geschädigten während der Ausfallzeit seines Kfz von einem Familienmitglied ein anderes Kfz zur Verfügung gestellt worden ist. Insofern handelt es sich um die freiwillige Leistung eines Dritten, die den Schädiger nicht entlastet.
Volltext → Urteil OLG Düsseldorf bei Justiz NRW
In diesem Zusammenhang siehe auch:
AG Kaufbeuren, Urteil vom 23.03.2021, 2 C 1053/20
Für den weiteren Verlauf der Reparatur, insbesondere etwaige Fehler der Reparaturwerkstatt, die zu einer weiteren Verzögerung, insbesondere auch über die Osterfeiertage, geführt haben, ist die Klägerin im Rahmen des Werkstattrisikos nicht verantwortlich.
LG Saarbrücken, Urteil vom 07. Juni 2011, 13 S 43/11
Der Anspruch des Klägers auf Entschädigung seines Nutzungsausfalls ist auch nicht dadurch beschränkt, dass es – wie vorliegend – durch die verzögerte Lieferung von Ersatzteilen zu einer verlängerten Reparaturzeit gekommen ist. Denn es ist anerkannt, dass der Geschädigte auch Nutzungsausfallentschädigung für eine lang andauernde Reparaturzeit erhält, die durch Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung durch die Reparaturwerkstatt bedingt ist (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1982 – VI ZR 35/80, VersR 1982, 548; OLG Düsseldorf, OLG-Report 1991, 10; OLG Köln, MDR 1999, 157).
BGH, Urteil vom 12. Januar 2021 – VI ZR 662/20
Keine Halterhaftung nach § 7 Abs. 1 StVG, wenn Fahrer eines fremden Fahrzeugs mit diesem sein eigenes beschädigt (weil die Haftung damit nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen ist)
OLG Jena, Urteil vom 01.12.2020, 5 U 134/19
Überwiegendes (hier volles) Mitverschulden eines Fußgängers bei Betreten einer Straße bei schlechten Sichtverhältnissen und starkem Berufsverkehr
Betritt ein Fußgänger in dunkler Kleidung außerorts bei Dunkelheit und unwetterartigem Starkregen und starkem Berufsverkehr eine Straße, so ist bei einer Kollision mit einem Pkw das Mitverschulden so erheblich, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs völlig zurücktritt.
Quelle und Entscheidung → Volltext OLG Jena 5 U 134/19
KG Berlin, Urteil vom 18.11.2019, 22 U 18/19
Wahlrecht des voranfahrenden Linksabbiegers zwischen mehreren markierten Fahrstreifen
Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Recht, zwischen mehreren markierten Fahrstreifen der Straße, in die abgebogen wird, zu wählen, nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat.
Das Wahlrecht des Voranfahrenden endet erst mit seiner endgültigen Einordnung in einen Fahrstreifen, d.h. i.d.R. frühestens 15 bis 20 m nach dem Beginn der Fahrstreifenmarkierungen.
OLG Rostock, Urteil vom 25.10.2019, 5 U 55/17
Minderung des Anspruchs wegen nicht angelegtem Sicherheitsgurt des Beifahrers (hier Mitfahrer auf der Rückbank)
Die Mitverursachung durch nicht angelegten Sicherheitsgurt liegt im vorliegenden Fall bei nur einem Drittel. Der Anteil des Unfallverursachers, der die zulässige Geschwindigkeit um mehr als 25 Prozent überschritten und eine Kurve geschnitten habe, überwiege deutlich.
Abweichend vom Landgericht hat der Senat entschieden, dass die Mitverursachung nicht danach zu bemessen ist, welche unfallbedingten Verletzungen der Klägerin aus dem nicht angelegten Sicherheitsgurt resultieren. Vielmehr hat eine Gesamtbetrachtung der Schadensentstehung und eine Abwägung aller Umstände zu erfolgen. Um eine so zu bildende Mithaftungsquote sind dann die Ansprüche zu kürzen.
LG Hof, Urteil vom 30.05.2011, 32 O 237/10 (BeckRS 2011, 34780)
Haftungsverteilung bei Kollision von Pkw mit dunkel gekleidetem Fußgänger bei Nacht / Linksgehgebot
Kommt es bei schlechten Sichtverhältnissen (Dunkelheit, Nässe, Schneefall, dunkelgekleideter Fußgänger) zu einer Kollision zwischen einem Pkw und einem außerorts entgegen § 25 Abs. 1 StVO den in Gehrichtung rechten Fahrbahnrand benutzenden Fußgänger, ohne dass dem Pkw-Führer ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, so kommt eine hälftige Haftungsverteilung in Betracht.
Ein grobes Eigenverschulden eines Fußgängers kann darin liegen, dass er bei Dunkelheit außerorts entgegen § 25 Abs. 1 StVO den in Gehrichtung rechten Fahrbahnrand benutzt.
Und hier mal der “Katalog”, den das Gericht ausgeurteilt hat:
Allein dass der Geschädigte den Straßenrand zum Gehen nutzte, kann ihm nicht vorgeworfen werden, da die Straße über keinen Gehweg verfügte.
Auch das Tragen dunkler Kleidung beinhaltet für sich betrachtet kein haftungsrechtlich relevanes Fehlverhalten.
Allerdings trifft … ein grobes Eigenverschulden am Unfall deshalb, weil er nicht, wie vorgeschrieben, die linke, sondern die rechte Fahrbahnhälte zum Gehen nutzte. Der Geschädigte hatte auf der Fahrbahnhälfte des Erstbeklagten nichts zu suchen. Er hätte außerorts den in Gehrichtung linken Fahrbahnrand benutzen müssen, § 25 Abs. 1 StVO. Dafür, dass ein Gehen am rechten Fahrbahnrand nicht zumutbar war, ist nichts vorgetragen.
Auf der anderen Seite ist die Betriebsgefahr des Beklagten-Pkw zu berücksichtigen, die bei einem Unfall mit einem Fußgänger deutlich schwerer wiegt als bei einem Unfall mit einem anderen Kraftfahrzeug.
Insgesamt geht das Gericht von einer Haftungsverteilung 50 % zu 50 % aus.
KG Berlin, Urteil vom 30.08.2004, 12 U 283/03
Unverhältnismäßige Mietkosten für Anmietung eines Ersatztaxis / Eigenersparnisabzug (hier 25 %)
Kosten für das Mieten eines Ersatztaxi, die um 410 % höher sind als der ohne Miettaxis zu erwartende Gewinnentgang, sind nicht zu ersetzen, wenn der Ersatz nach einer die schützenswerten Interessen des Geschädigten berücksichtigenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls als unverhältnismäßig im Sinne von § 251 Abs. 2 BGB erscheint.
Für die Vergleichsrechnung sind die Netto-Mietwagenkosten um 25 % für ersparte Eigenaufwendungen zu kürzen und dann dem Gewinn gegenüber zu stellen, die der Taxiunternehmer durch den Einsatz des Miettaxi erwirtschaftet hat; bei Ermittlung dieses Gewinns ist der Netto-Umsatz um ersparte Betriebskosten und ersparten Fahrerlohn (regelmäßig 50 % des Brutto-Umsatzes zu kürzen).
→ aber →
LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 22.07.2015, 8 S 7887/14
Die Höhe der von den Kosten eines Mietwagens abzusetzenden Eigenersparnis ist bei einem Miettaxi – wie bei einem nicht gewerblich genutzten Fahrzeug – mit 3 % zu bemessen.
KG Berlin, Urteil vom 20.01.2020, 25 U 156/18
(fehlende) Vorfinanzierungsmöglichkeit und “Warnhinweis”
Zwar kommt eine Nutzungsausfallentschädigung über einen solch langen Zeitraum, wie ihn der Kläger vorliegend geltend macht, grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer in geeigneter Weise und frühzeitig darauf hingewiesen hat, dass ihm die Mittel zur Bezahlung der Anschaffungskosten fehlen (vgl. KG NZV 2010, 209; OLG Karlsruhe, Urteil vom 08. August 2011 — 1 U 54/11 —, juris). Erst dieser Hinweis gibt dem Schädiger die Möglichkeit, durch frühzeitige Zahlung eines Vorschusses weiteren Schaden abzuwenden. Dabei muss der Geschädigte allerdings von sich aus zunächst keine weiteren Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen machen (vgl. OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2008, 298; KG, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 22 U 76/18, unveröffentlicht). Angaben dazu können nur im Prozess im Rahmen einer sekundären Darlegungslast verlangt werden (vgl. BGH NJW-RR 2006, 394).
Das in der Berufungsinstanz eingereichte Schreiben … beinhaltet zwar keinen expliziten Hinweis darauf, dass dem Kläger aus finanziellen Gründen eine Ersatzbeschaffung für sein verunfalltes Fahrzeug nicht möglich ist. Dies ergibt sich jedoch indirekt daraus, dass er darauf hinweist, dass er keine Reparaturkosten vorlegen könne, weil er nur über Barmittel zur Deckung des Lebensunterhaltes verfüge.
Letzterem muss entnommen werden, dass er das ihm zur Verfügung stehende Geld für seinen normalen Unterhaltsbedarfs benötigt, woraus wiederum folgt, dass er nicht nur die Kosten einer Reparatur seines Fahrzeuges, sondern auch die einer Ersatzbeschaffung, die er auf der ersten Seite dieses Schreibens auf immerhin 9.326,69 EUR beziffert, nicht mehr zusätzlich tragen kann. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier offensichtlich übersehen, dass er keinen Reparaturschaden, sondern den Wiederbeschaffungsaufwand für das Unfallfahrzeug des Klägers geltend macht, das ändert aber nichts daran, dass dem Schreiben vom 15. September 2017 eine deutliche Warnung an die Haftpflichtversicherung des Beklagten vor einem hohen Nutzungsausfallschaden zu entnehmen ist, sollte der in dem Schreiben bezifferte Sachschaden des Klägers nicht beglichen werden. Auf diese Warnung kommt es letztlich im Rahmen der dem Geschädigten nach § 254 Abs.2 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht an. Es ist dann Aufgabe des Schädigers, zu entscheiden, ob er den drohenden hohen Nutzungsausfallschaden durch schnelle Regulierung des Sachschadens oder durch Zahlung eines Vorschusses abwendet.
Ob im Rahmen der nach § 254 Abs.2 BGB bestehenden Schadensminderungspflicht auch eine ausdrückliche Vorschussanforderung (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2012, 253) und/oder auch die Mitteilung zu erfolgen hat, dass die für eine Ersatzbeschaffung notwendigen Mittel auch nicht durch einen Kredit verschaffen können (vgl. KG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 1996 — 12 U 268/96 —, juris; KG NVZ 2009,394; OLG Naumburg DAR 2005, 158; OLG Nürnberg DAR 1981, 14; OLG Celle VersR 1980,633; OLG Karlsruhe VersR 2012, 590), kann hier im Ergebnis dahin stehen, denn der insoweit beweisbelastete Beklagte hat nicht dargetan und unter Beweis gestellt, dass ein Unterlassen entsprechender nach § 254 Abs.2 BGB gebotener Hinweise für den geltend gemachten Nutzungsausfallschaden kausal geworden ist. Das ist nicht der Fall, wenn die gebotene Warnung vor weiter drohenden Schäden von vorneherein aussichtslos gewesen wäre, der Schädiger die Warnung also nicht beachtet hätte (vgl. BGH NJW 1989,290, OLG Köln WM 2007,2209).
Zwar gilt zugunsten des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten (vgl. BGH NJW 2007,1063; BGH NJW 2014,217) die Beweiserleichterung des § 287 ZPO (vgl. BGH NJW 2007,1063; KG NZV 2010,209). Vorliegend fehlt es aber bereits an einem schlüssigen Vortrag des Beklagten, dass er bzw. seine Haftpflichtversicherung den Sachschaden des Klägers bei explizitem Hinweis auf die fehlenden Mittel für eine Ersatzbeschaffung, die nicht bestehende Möglichkeit einer Kreditaufnahme und einer ausdrücklichen Vorschussanforderung schneller reguliert bzw. einen Vorschuss zum Zwecke der Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges geleistet hätten.
OLG Köln, Beschluss vom 6.3.2020, 11 U 274/19
Zu Karneval und Co. muss ein KFZ-Führer mit alkoholisierten Fußgängern rechnen – Mithaftung in Höhe der Betriebsgefahr (hier 25%)
Aus den Gründen:
Auf Seiten der Beklagten ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs anzusetzen.
Bei Abwägung dieser Umstände ist entgegen der Annahme der Berufung gleichwohl eine Haftungsverteilung ¼ zu ¾ angemessen: Obwohl der Kläger für die Entstehung des Schadens maßgebliche Ursachen grob fahrlässig selbst herbeigeführt hat, hat sich auch die auch mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundene Betriebsgefahr in geradezu klassischer Weise verwirklicht. Ihre nicht völlig untergeordnete Bedeutung lässt es nach den Umständen des Streitfalls nicht angemessen erscheinen, die Gefährdungshaftung vollends zurücktreten zu lassen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2015, 1056 f.) kommt eine Alleinhaftung im Rahmen von § 254 BGB nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies gilt insbesondere auch bei einem grob fahrlässigen Verhalten eines nicht motorisierten Unfallopfers, wenn nicht feststeht, dass der Fahrzeugführer sich wie ein Idealfahrer verhalten hat (OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2018, 925, 927). Angesichts der hiesigen Verkehrssituation, die bei Nacht und Feuchtigkeit durchaus besondere Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1) erforderte (hierzu OLG Naumburg, NJW-RR 2014, 918, 919), erscheint die durch das Landgericht angenommene maßvolle Mithaftung sachgerecht, zumal alkoholisierte Fußgänger an Karneval nicht gänzlich unwahrscheinlich sind (Freymann, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 129). Diese Quote bewegt sich auch im Rahmen der üblicherweise angenommenen Haftungsverteilung (etwa Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Aufl. 2017, Rn. 411).
Quelle → VOLLTEXT / DIREKTLINK
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 12.12.2019, 22 U 190/18
Darlegung der fachgerechten Beseitigung von Vorschäden durch den Geschädigten
Hat ein Fahrzeug einen Vorschaden im aktuellen Schadensbereich erlitten, muss der Geschädigte darlegen und beweisen, dass der Schaden fachgerecht repariert worden ist.
Angesichts der Rechtsprechung des BGH zum Beweisantritt muss es allerdings ausreichen, wenn der Geschädigte ein detailliertes Schadensgutachten vorlegt und behauptet, dass die Reparatur entsprechend den dortigen Vorgaben erfolgt ist, damit das Gericht eine Beweisaufnahme durchzuführen hat.
Kann der Geschädigte Ersatzteilrechnungen nicht vorlegen, ist ihm der entsprechende Beweis durch Zeugenvernehmung nicht abgeschnitten.
OLG Koblenz, Beschluss vom 26.11.2019 – 12 U 1022/19
Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten für das Fehlen von Vorschäden
Erleidet ein Fahrzeug mehrere Unfälle, muss der Geschädigte bei Vorschäden im erneut beschädigten Bereich und bei bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens im einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs noch vorhanden waren.
Auch wenn der Geschädigte bei Ankauf des (gebrauchten) Fahrzeugs nicht über den Vorunfall in Kenntnis gesetzt worden ist, muss er im einzelnen zu der Art der Vorschäden und der Art der behaupteten Reparatur vortragen, also eine sogenannte Reparaturhistorie aufzeigen.
OLG Celle, Urteil vom 04.03.2020, 14 U 182/19
Landwirtschaftliches Gespanns mit Überbreite “trifft” auf “zu schnellen” Pkw (bei Dunkelheit und leichter Rechtskurve)
Bei Dunkelheit auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite) in einer leichten Rechtskurve ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halbe Sicht zu fahren.
Wer ein landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite auf einer schmalen Straße, die er befahren darf, so weit nach rechts steuert, wie es tatsächlich möglich ist, verstößt nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO.
Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Dunkelheit zu einer Kollision zwischen einem landwirtschaftlichen Gespann mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Gespann nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote gemäß § 17 Abs. 1 StVG ein.
Haftungsquote: 70 % (PKW) vs. 30 % (Gespann wegen erhöhter Betriebsgefahr)
LG Düsseldorf, Urteil vom 23.08.2019 – 20 S 185/18
Unfallersatz – Mietwagen – CDW / Haftungsfreistellung
Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für einen Vollkaskoschutz ohne Selbstbeteiligung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das Fahrzeug des Geschädigten in gleicher Weise versichert war, wenn der Geschädigte während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist. Dies ist nicht nur anzunehmen, wenn das beschädigte Fahrzeug schon älter war und als Ersatzfahrzeug ein wesentlich höherwertiges Fahrzeug angemietet wird, sondern generell, es sei denn, es lägen – hier nicht ersichtliche – außergewöhnliche Umstände vor. Das Risiko der erneuten Verwicklung in einen insbesondere allein oder jedenfalls mitverschuldeten Schadensfall mit dem angemieteten Ersatzwagen ist grundsätzlich als erheblich und ebenfalls unfallbedingt anzusehen (OLG Köln, Urteil vom 10. November 2016 – I-15 U 59/16 –, Rn. 22, juris).
Genauso urteilten:
BGH, Urteil vom 25.10.2005, VI ZR 9/05
Demgegenüber weist die Revision mit Recht darauf hin, dass Kosten einer für ein Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Vollkaskoversicherung auch dann ersatzfähig sein können, wenn das eigene Fahrzeug des Geschädigten zum Unfallzeitpunkt nicht vollkaskoversichert war. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der durch einen fremdverschuldeten Unfall Geschädigte bei Inanspruchnahme eines Mietwagens die Aufwendungen für eine der Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung entsprechende Haftungsfreistellung grundsätzlich insoweit ersetzt verlangen, als er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt war (vgl. Senatsurteile BGHZ 61, 325, 331 ff.; vom 19. März 1974 – VI ZR 216/72 – VersR 1974, 657 und vom 15. Februar 2005 – VI ZR 74/04 – aaO).
auch OLG Köln, Urteil vom 10.11.2016, 15 U 59/16 = OLG Köln 15 U 59/16 CDW Unfallersatz
LG Osnabrück, Urteil vom 28.02.2019, 4 S 172/18 (SVR 2020, 141)
(Keine) Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht bei einem durch einen 8jährigen Radfahrer verursachenden Verkehrsunfall
Es entspricht gesicherter Rechtsprechung,
dass jedenfalls ein achtjähriges Kind,
das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag (also nach seinen Fähigkeiten grds. in der Lage hierzu ist),
über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist
und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat,
auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann,
beispielsweise um zur Schule zu fahren
oder einen sonst bekannten bzw. geläufigen Weg zurückzulegen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2019, I-1 U 162/18
Opfergrenze / Abrechenbarkeit von Reparaturkosten, wenn das reparierte Fahrzeugs vor Ablauf der 6-Monatsfrist gepfändet und versteigert wird
Die weitere Nutzung des Fahrzeugs über mindestens 6 Monate ist allerdings nur ein Indiz für das notwendige Integritätsinteresse. Es sind, wie der BGH ausgeführt hat (18.11.2008 – VI ZRB 22/08, juris,Rn. 16), zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeugs aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eingestellt wird, etwa infolge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen (z.B. Arbeitslosigkeit) nicht mehr möglich ist. Solche Ereignisse müssen den Anspruch nicht vereiteln. , Beschluss vom
Denn entscheidend ist, ob ein Integritätsinteresse bei Erteilung Reparaturauftrages bestand, ob also der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt den Willen besaß, sein Fahrzeug weiterhin zu nutzen. Dies kann sich auch aus anderen Umständen ergeben.
BGH, Urteil vom 30.11.2004, VI ZR 335/03
(Kein) Haftungsprivileg eines 9jährigen Kindes nach § 828 Abs. 2 BGB im ruhenden Verkehr
Das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB
” Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. “
greift nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur ein, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Kinder in der Altersgruppe des Beklagten (hier 9 Jahre) wissen, daß sie sich so zu verhalten haben, daß ihr Kickboard nicht gegen einen parkenden PKW prallt und diesen beschädigt. Es ist ihnen auch möglich und zumutbar, dieses Spielgerät so zu benutzen, daß eine solche Schädigung vermieden wird.
→ Und dann hier der kleine, feine Unterschied →
BGH, Beschluss vom 11.03.2008, VI ZR 75/07
Unfall bei geöffneter Autotür – das Haftungsprivileg für Kinder zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr greift (und das Kind haftet – hier – nicht)
Fährt ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug, entfällt seine Haftung nach § 828 Abs. 2 BGB.
Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des Haftungsprivilegs verneint hat, kann man unter den hier gegebenen Umständen schon nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem steht entgegen, dass die hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der Kollision offen standen und sich unstreitig sowohl der Kläger als auch der Zeuge E. an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben. Dies schuf eine besondere Gefahrenlage für das als Verkehrsteilnehmer auf der Straße fahrende Kind, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Da es zudem erst 20 m vor diesem Fahrzeug aus einer anderen Straße eingebogen war, liegt insgesamt eine typische Fallkonstellation der Überforderung eines Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr vor.
OLG Brandenburg, Urteil vom 27.02.2020, 12 U 86/18
Schadenminderungspflicht / Ausfallschaden (Nutzungsausfall und Mietwagen) / Vorfinanzierung / Vollkasko / Kreditaufnahme / Vermögensverhältnisse
… ein Verstoß gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit nicht deshalb vorzuwerfen ist, weil sie nicht sofort ihren Kaskoversicherer in Anspruch genommen hat. Dabei neigt der Senat der Auffassung zu, dass vom Geschädigten bereits grundsätzlich nicht verlangt werden kann, seinen Vollkaskoversicherer in Anspruch zu nehmen, denn Sinn und Zweck der Kaskoversicherung ist gerade nicht die Entlastung des Schädigers.
Auch eine Kreditaufnahme kann von einem Geschädigten nur dann verlangt werden, wenn er sich die hierzu erforderlichen Mittel leicht beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (Anmerkung von RA: Was der Regelfall sein dürfte).
Eine Kürzung der Nutzungsausfallentschädigung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil sich die Reparaturarbeiten über einen längeren Zeitraum, als vom Schadensgutachter Dipl.-Ing. W… veranschlagt, hinzogen. Eine Verzögerung der Reparatur durch die beauftragte Werkstatt oder wegen der Dauer der Ersatzteilbeschaffung geht grundsätzlich zu Lasten des Schädigers.
… war es auch nicht erforderlich, dass die Klägerin ihre finanziellen Verhältnisse gegenüber der Beklagten vorgerichtlich von sich aus offenlegte.
Und deshalb sollte ein versierter (Fach)anwalt für Verkehrsrecht mit an Bord sein, weil:
… Ist der Geschädigte aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, die Durchführung der Reparatur oder Ersatzbeschaffung zu veranlassen, so hat er dies dem Schädiger bzw. dessen Versicherer anzuzeigen und einen Vorschuss bzw. eine Reparaturkostenübernahmeerklärung einzufordern.
Aber auch:
Details zu seinen Vermögensverhältnissen muss der Geschädigte bei der Information des Gegners über das Fehlen der finanziellen Möglichkeiten zu Durchführung der Reparatur nicht mitteilen; es obliegt vielmehr der Schädigerseite hierzu gegebenenfalls entsprechende Nachweise anzufordern.
OLG Nürnberg, Urteil vom 28.08. 2020 – 13 U 1187/20
(Noch) kein Mitverschulden durch Nichttragen eines Fahrradhelms
Zumindest im Alltagsradverkehr begründet das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht (Anschluss und Fortführung von BGH, Urteil vom 17. Juni 2014, VI ZR 281/13).
AG Dinslaken, Urteil vom 07.04.2020, AZ: 30 C 402/19
Probefahrtkosten / Zulassungsdienst / Entsorgungskosten / Reinigungskosten und Co. – alles ist zu erstatten
Und das AG Dinslaken arbeitet das “katalogmäßig” ab:
Die Sicht-/Funktionsprüfung ist ein wichtiger Arbeitsschritt, der gesondert abzurechnen ist.
Auch die Probefahrt ist erforderlich gewesen. Denn auch wenn überwiegend Karrosseriearbeiten durchgeführt wurden, muss von den Arbeitern überprüft werden, ob die bearbeiteten Karosserieteile während der Fahrt vibrieren oder Geräusche von sich geben.
Die Kosten für den Zulassungsdienst der Werkstatt und für die neuen Kennzeichen sind nicht überhöht.
Die Entsorgungskosten sind zu ersetzen. Die Entsorgung von Altteilen ist kostenpflichtig. Die Beklagte hat unsubstantiiert behauptet, dass die Hersteller Altteile kostenlos entgegen nehmen.
Die Verbringungskosten in Höhe von insgesamt 270,00 € sind zu ersetzen. Die Kosten für die Verbringung zu einer Fremdlackiererei gehören wie die Kosten des Lackieren selbst zu dem zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag.
Daneben sind auch die Reinigungskosten unfallbedingt erstattungsfähig. Das Gericht hält es für lebensnah, dass mit der Durchführung der hier unstreitig unfallbedingt erforderlichen umfangreichen Reparaturmaßnahmen eine Verschmutzung des Klägerfahrzeugs verbunden ist.
OLG Celle, Urteil vom 25.11.2020, 14 U 93/20
Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten für ein Luxusfahrzeug nach einem Verkehrsunfall
Grundsätzlich darf im Haftpflichtschadenfall ein typengleiches Luxusfahrzeug als Ersatz angemietet werden.
Das gilt aber nicht völlig schrankenlos: Einem Geschädigten kann es zugemutet werden, für kurze Zeit – hier elf Tage – auf eine Luxusausstattung, das Prestige und/oder die besondere Fahrfreude eines Sportwagens zu verzichten, wenn ein typengleiches Fahrzeug nur für eine besonders hohe Miete erhältlich ist (hier das Vierfache des Tagespreises für ein Fahrzeug der höchsten Klassen nach den Schwacke- und Fraunhofer-Listen).
Quelle: → Volltext → OLG Celle 14 U 93/20
AG München, Urteil vom 27.11.2020, AZ: 333 C 17092/20
Ein Schmankerl zur Erstattungsfähigkeit der Desinfektionskosten
… Nicht die Ansetzung dieser Kosten ist „unsinnig und lebensfremd“, sondern die Argumentation der Beklagten. Die entsprechenden Maßnahmen dienen nicht nur dem Schutz des Mitarbeiters (was i.Ü. auch nicht zu beanstanden, sondern erforderlich ist), sondern auch dem Schutz des Kunden. Dieser kann in der heutigen Zeit erwarten, ein desinfiziertes Fahrzeug zu übernehmen. Eine „vertragliche Vereinbarung“ ist gar nicht notwendig, da sich die Maßnahmen jedem verständig denkendem Durchschnittsbürger geradezu aufdrängen. Sie sind, gleich wessen Schutz sie dienen, durchzuführen und erforderlich.
Die behauptete Einschätzung des RKI etc. spielt keine Rolle, da nunmehr allgemein bekannt sein sollte, dass COVID19-Viren längere Zeit, je nach Oberfläche mehrere Stunden bis Tage, überlebensfähig sind. Es muss gerade in der aktuellen Pandemiesituation alles erdenklich Mögliche und Zumutbare unternommen werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Schaden an Gesundheit und Leben zu verhindern.
Dass die Anwendung von Desinfektionsmitteln hierunter fällt, ist allgemein bekannt und wird diesseits sicher nicht mit „Sachverständigengutachten“ überprüft werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich – ebenso wie allein hier im Haus – in den Rechtsanwaltskanzleien etc. und auch in den Räumen der Versicherer nicht nur Desinfektionsspender befinden, sondern auch regelmäßig umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt werden.
Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Beklagten schlechterdings unverständlich und unhaltbar.
In seinem Urteil verweist das AG München zudem auf einen Weblink der Allianz (siehe hier), die ihrerseits von einer Erforderlichkeit von Desinfektionskosten ausgeht und verweist zudem auf einen Link der HUK-COBURG (die Seite ist leider nicht mehr verfügbar) und des ZKF (siehe hier).
Nachtrag aus dem Urteil (mittlerweile ist der Link auf der Seite der HUK-COBURG nicht mehr verfügbar):
Selbst die Versicherungswirtschaft geht von der Erforderlichkeit einer Fahrzeugdesinfektion aus:
Beispielhaft bzgl. Allianz:
https://azt-automotive.com/de/themen/Fahrzeugdesinfektion
und bzgl. HUK:
https://www.huk.de/gesundheit-vorsorge-vermoegen/ratgeber/praevention/auto-desinfizieren.html
OLG Saarbrücken, Urteil vom 28.02.2019, 4 U 56/18
Bestimmung des Wiederbeschaffungswerts bei teilrepariertem Vorschaden; Erstattungsfähigkeit der Kosten eines unbrauchbaren Privatgutachtens
Welchen Einfluss ein teilreparierter, abgrenzbarer Vorschaden auf den Wiederbeschaffungswert eines bestimmten Fahrzeugs hat, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände und in aller Regel nur mit Hilfe sachverständiger Beratung beantworten.
Im Einzelfall kann der nicht ausgeführte Teil der Vorschadensreparatur durch einen Abschlag vom Wiederbeschaffungswert in Höhe der (noch) erforderlichen Reparaturkosten einer freien Fachwerkstatt abgebildet werden, wenn Kraftfahrzeuge dieses Alters und dieser Laufleistung überwiegend nicht mehr in markengebundenen Vertragswerkstätten repariert werden.
Eine vom Geschädigten zu verantwortende Unbrauchbarkeit, die der Erstattungsfähigkeit der Kosten des von ihm eingeholten Privatgutachtens entgegensteht, liegt auch dann vor, wenn der Geschädigte ihm bekannte Vorschäden für irrelevant hält und deswegen nicht der erforderlichen gutachtlichen Beurteilung zugänglich macht.
Hinweis → hier lohnt ein genauer Blick in die Urteilsgründe, da zu den Themen “Vorschaden/Altschaden” und “unbrauchbarem Gutachten” die Versicherungswirtschaft auch “gern” auf dieses Urteil Bezug nimmt, oft allerdings macht es den Anschein, als habe man das Urteil nicht gelesen.
Quelle → OLG Saarbrücken Vorschaden und unbrauchbares Gutachten
BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19
Zum Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bei einem Verkehrsunfall – allgemein und auch für Autovermieter / Flotteninhaber bejaht
Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet (vgl. Senatsurteil vom 8. November 1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 352 f., juris Rn. 11).
Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird (Zoll in Wussow, Unfallhaft-pflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rn. 132). Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante (vgl. BGH, Urteil vom1. Juni 1959 – III ZR 49/58, BGHZ 30, 154, 157 f.; Hunecke, NJW 2015, 3745, 3746).
Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die schadensrechtliche Ab-wicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt, wird inzwischen von der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte geteilt… (Anmerkung von uns → siehe Volltext mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung)
Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge – wie auch vorliegend – bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran ha-ben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres sei-ner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und – ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus…
Quelle → VOLLTEXT / BGH / 29.10.2019 / VI ZR 45/19
OLG Hamm, Urteil vom 11.12.2020, 11 U 5/20
Restwertermittlung am Unfallort statt am Wohnort natürlich möglich
Ein Geschädigter verstößt bei der Ermittlung des Restwertes für sein beschädigtes Fahrzeug nicht gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn der beauftragte Sachverständige den Restwert nach den regionalen Markt am Unfallort ermittelt, nachdem der Geschädigte das nicht mehr fahrbereite Unfallfahrzeug dort belassen hat und zur Abwicklung des Schadensfalls auch von dort aus veräußern will. Der Geschädigte ist dann nicht gehalten, das beschädigte Fahrzeug zunächst zu seinem Wohnort zu überführen, um es auf dem dortigen regionalen Markt zu veräußern.
LG Köln, Urteil vom 06.03.2018 – 4 O 307/15
Entgangene Spesen sind Aufwandsentschädigung und kein zusätzliches Einkommen, mithin nicht erstattungsfähig? Hier muss aber differenziert werden, auch nach Art der “Spesen” bzw. “Zuschläge”!
Entgangene Spesen sind dagegen nicht ersatzfähig, da der Kläger verletzungsbedingt nicht in der Lage war, der mit den Aufwendungen verbundenen Tätigkeit als LKW-Fahrer nachzugehen. Bei Spesen handelt es sich um Aufwandsentschädigungen, die kein zusätzliches Einkommen, sondern nur eine Vergütung für tatsächliche erwerbsbedingte Aufwendungen sind. Diese sind nicht vom Schädiger zu ersetzen, wenn der Verletzte verletzungsbedingt nicht in der Lage ist, der mit Aufwendungen verbundenen Tätigkeit nachzugehen. Insoweit ist der Verletzte nicht geschädigt, denn dem Ausbleiben der Aufwandsentschädigung steht die Ersparnis der Aufwendungen gegenüber (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VI ZR 183/15 -, Rn. 10).
Hinweis von uns: Das LG Köln bezieht sich in den Entscheidungsgründen auf eine BGH-Entscheidung (zu einem Auslandsverwendungszuschlag), nimmt aber nach unserer Auffassung fehlerhaft Bezug auf das Urteil des BGH. Die Bezugnahme auf die Rn. 10 zeigt, dass das LG auf die vorinstanzliche Entscheidung verweist und nicht auf die Entscheidung des BGH. Dieser führt nämlich im Hinblick auf die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus (dortige Rn. 20/21):
Soweit das Berufungsgericht die Ersatzfähigkeit des Auslandsverwendungszuschlags hinsichtlich materieller Mehraufwendungen mit dem Argument ablehnt, angesichts der unterbliebenen Teilnahme am Auslandseinsatz sei ausgeschlossen gewesen, dass dem Kläger ein Mehraufwand überhaupt habe entstehen können, übersieht es, dass es sich insoweit nicht um „echten“ Aufwendungsersatz, sondern um Pauschalen handelte, die nicht mittels Einzelnachweisen abgerechnet werden.
Soweit das Berufungsgericht den für immaterielle Belastungen gezahlten Auslandsverwendungszuschlag für nicht ersatzfähig hält, weil der Kläger den Belastungen, deren Ausgleich die Zulage dienen soll, nicht ausgesetzt gewesen sei, berücksichtigt es einen Vorteil zu Gunsten der Beklagten, der als Faktor der Schadensberechnung ungeeignet ist, weil die Ersparnis von Belastungen keinen Vermögensvorteil darstellt (vgl. zur Bordzulage Senat, Urteil vom 22. September 1967 – VI ZR 46/66, VersR 1967, 1080). Zwar sind dem Kläger in der Zeit, in der er nicht am Auslandseinsatz teilgenommen hat, die mit diesem verbundenen Unannehmlichkeiten erspart geblieben. Unannehmlichkeiten werden aber mehr oder weniger jedem erspart, der wegen seiner Verletzungen der gewohnten Arbeit nicht nachgehen kann. Es widerspräche Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht, wenn dem Geschädigten wegen eines solchen, von ihm hinzunehmenden, nicht vermögenswerten Vorteils, ein Ersatzanspruch versagt bliebe. Der Geschädigte müsste letztlich für die Verschaffung des ideellen Vorteils zahlen, obwohl die von ihm erlittene Vermögenseinbuße nicht geringer wird. Die Anrechnung immaterieller Vorteile auf den Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz kommt danach nicht in Betracht (vgl. OLG Hamm, VersR 2006, 1281, 1282;…
Quelle: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 – VI ZR 183/15
LG Augsburg, Urteil v. 31.01.2017 – 081 O 1732/15
ACHTUNG SONDERFALL: Haftung für Unfallschäden eines Fahrzeugs, das sich bei Abschleppvorgang vom Abschleppfahrzeug löst / Haftungsbeschränkungen nach dem HGB !!!
1. Ein Abschleppunternehmer haftet dem Fahrzeugeigentümer nach § 823 BGB auf Schadensersatz, wenn sich im Verlaufe eines Abschleppvorgangs während der Fahrt das abgeschleppte Fahrzeug wegen eines nicht ausreichend festgezogenen Sicherungsgurtes aus der Abschleppbrille löst und hierdurch einen erheblichen Schaden erleidet.
2. Der Abschleppunternehmer kann sich – auch wenn ihm der Auftrag durch einen Dritten erteilt worden ist – gegenüber dem Fahrzeugeigentümer auf die frachtrechtlichen Haftungsbeschränkungen berufen und haftet nur auf Wertersatz.
3. Der merkantile Minderwert ist eine im Rahmen des Wertersatzanspruchs erstattungsfähige Position.
4. Die Gutachterkosten in Höhe von 916,95 € dienten zur Schadensfeststellung gemäß § 430 HGB. Dies gilt auch für die Kosten des Ergänzungsgutachtens in Höhe von 176,00 €.
Dagegen sind die vom Kläger geforderte Auslagenpauschale und die Mietwagenkosten nicht erstattungsfähig. Es handelt sich um Schäden außerhalb der beschädigten Sache. Der Sinn von § 429 HGB ist, den Ersatzanspruch auf die Wertminderung der Sache selbst beschränken.
Quelle → VOLLTEXT / LG Augsburg vom 31.01.2017 – 081 O 1732/15
OLG Naumburg, Urteil vom 25.11.2015, 12 U 85/15
(Kein) Abzug Neu für Alt bei beschädigter Leitplanke, Schilderbrücke und Verkehrszeichen
Ein Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung von Teilen einer Autobahnanlage (hier Leitplanken, eine Schilderbrücke und ein Verkehrsschild) infolge eines Verkehrsunfalls ist unter dem Gesichtspunkt eines Abzuges “neu für alt” nicht zu kürzen, wenn nicht feststeht, dass dem geschädigten Land durch die Reparaturmaßnahmen ein messbarer Vermögensvorteil entsteht.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2016, 1984
OLG München, Urteil vom 24.5.2012, 1 U 549/12
Nutzungsausfall auch bei einem Nutzfahrzeug (soweit ein Gebrauchtmarkt für dieses existiert)
Ebenso:
LG Köln, Urt. v. 12.11.2009 – 15 O 301/08 (in SP 2010, 223)
AG Bad Arolsen, Urteil vom 18.10.2001, 2 C 119/01
AG Ehingen, Urteil vom 15.02.2013, 1 C 134/12
LG Essen, Urteil vom 07.04.2021, 17 O 329/18
BGH, Urteil vom 18.09.1979, VI ZR 16/79
OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.2.2017, I-1 U 34/16 (für ein Fahrschulfahrzeug)
Inhalt
Grundsatzfrage:
Besteht ein Anspruch auf Löschung von an die HIS-Datei gemeldeten Daten?
LG Schweinfurt, Urteil v. 12.04.2021 – 23 O 899/20
Anspruch der Löschung von Schaden-Daten beim Versicherer und der HIS-Datei (hier bejaht, aber siehe auch AG München u.a.)
… hat die Beklagte zu 2.) auf die Löschung der auf den Kläger bezogenen Daten hinzuwirken, die sowohl bei der als auch im auf ihre Veranlassung hin hinterlegt worden sind.
1. Bzgl. der bei der Prüfinstitution hinterlegten Daten des Klägers spielt es an dieser Stelle keine Rolle, dass die Beklagte zu 2.) im Rahmen der Schadensregulierung das Gutachten des Sachverständigen einschließlich der Daten des Klägers zur Überprüfung der Kalkulation berechtigt an die weitergeben hat (siehe z. B. OLG Frankfurt a.M., DS 2019, 261 [262] m.w.N.). Denn jedenfalls ist der Prüfauftrag zwischenzeitlich abgeschlossen worden, so dass für eine weitere Speicherung der Daten keinerlei Anlass mehr besteht. Der Reparaturschaden wurde zwischen den Parteien ausgeglichen; für die weitere Verwendung der Daten des Klägers bei der ist damit der Zweck entfallen, so dass die Beklagte zu 2.) auf die Löschung der personenbezogenen Daten des Klägers ebendort hinzuwirken hat.
2. Bzgl. der im hinterlegten Daten gilt sinngemäß dasselbe.
Zwar hat das durchaus berechtigte Interesse der Beklagten zu 2.), als Beteiligte der Versicherungswirtschaft fiktiv abgerechnete Schäden in das u.a. zur Verhinderung künftiger Versicherungsbetrügereien zu melden, das Interesse des Klägers an informationeller Selbstbestimmung ursprünglich überwogen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2018, Az. 11 U 126/17, BeckRS 2018, 14071 m Anm. Exter, NZV 2018, 583; LG Münster, Urteil vom 04.08.2017, Az. 16 O 93/17, BeckRS 2017, 149303; LG Kassel, NJW-RR 2014, 854), allerdings hat der Kläger auch hier zwischenzeitlich eine suffiziente Reparaturbestätigung vorgelegt. Aus dieser Bestätigung ist zu entnehmen, dass der Unfallschaden vollständig und fachgerecht beseitigt worden ist (siehe zuvor). Diese der Beklagten zu 2.) vorgelegte Bescheinigung lässt daher ihr – bis Vorlage der Bescheinigung begründetes – Interesse entfallen, eine doppelte Abrechnung des bereits regulierten Schadens durch eine fortdauernde Speicherung des zum 16.04.2020 an das gemeldeten streitgegenständlichen Unfalls im Zuge der Meldung eines vermeintlich neuen Unfalls zu vermeiden. Durch die bestätigt vollständig erfolgte Reparatur des hiesigen Unfallschadens vom 13.03.2020 ist eine erneute Liquidation/Anmeldung schon der Sache nach ausgeschlossen; einer fortlaufenden Speicherung im bedarf es daher nicht, so dass die Beklagte auf die Löschung hinzuwirken hat.
aber (der Nachweis der konkreten Reparaturmaßnahmen wäre entscheidend):
AG München, Urteil v. 26.07.2023 – 322 C 3109/23 (2)
1. Im Fall einer fiktiven Abrechnung mit einem Fahrzeugschaden, der über 1.500,00 EUR liegt, ist die Kasko-Versicherung des Versicherungsnehmers berechtigt, die Vornahme einer fiktiven Abrechnung als Meldegrund, die Höhe des entstandenen Schadens und die Fahrzeugidentifikationsnummer des betroffenen Kfz an das HIS-Informationssystem zu melden.
2. Auch im Fall einer bloß (pauschal) behaupteten Reparatur des Schadens bei einem verbleibenden Minderwert besteht ein überwiegendes Interesse an dieser Meldung fort, sodass keine Löschung nach Art. 17 DS-GVO vorzunehmen ist.
3. Selbst im Falle einer sach- und fachgerechten Reparatur besteht bei einer Güterabwägung nach Art. 6 DS-GVO ein fortbestehendes Interesse des Versicherers an der Meldung der Daten an das Hinweis- und Informationssystem (HIS) der deutschen Versicherungswirtschaft. Denn auch bei einer fachgerechten und umfassenden Reparatur bleibt der Umstand erhalten, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einen nicht unerheblichen Schaden erlitten hatte, was im Verkaufsfall eine aufklärungspflichtige Information darstellt und in der Regel zu einem dauerhaft verbleibenden Minderwert des Fahrzeugs führt, insbesondere wenn keine konkreten Nachweise über eine Reparatur vorliegen. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, ist ein fortbestehendes Interesse an der Speicherung der Daten im HIS – unabhängig von der Qualität der durchgeführten Reparatur – zu bejahen (Anschluss an AG Düsseldorf BeckRS 2023, 12459; Abgrenzung zu LG Schweinfurt Urteil vom 12.4.2021 – 23 O 809/20; zur Rechtslage nach dem BDSG s. AG Coburg BeckRS 2013, 3586).
Und im folgenden aus den Urteilsgründen zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Urteil des LG Schweinfurt:
Soweit das LG Schweinfurt in seiner Entscheidung vom 12.04.2021, Az. 23 O 809/20 einen Löschungsanspruch bejaht, ist diese Entscheidung nicht auf die vorliegende Konstellation übertragbar. Denn entgegen dem der Entscheidung des LG Schweinfurt zugrunde liegenden Sachverhalt hat der Kläger im vorliegenden Fall keine Reparaturbestätigung vorgelegt. Auch kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht allein darauf an, dass eine doppelte Abrechnung vermieden wird, sondern dass ein selbst reparierter Vorschaden sich möglicherweise auf die Bemessung weiterer Schäden und insbesondere des Wiederbeschaffungswertes auswirken kann. Dieses Interesse besteht weiter fort.
ähnlich:
AG Düsseldorf, Urteil vom 07.03.2023, 40 C 226/22
AG Coburg, Urteil vom 20.12.2018, 15 C 1952/18
Ein Unfallgeschädigter muss die Reparaturdurchführung (natürlich) nicht überwachen.
Die Beklagte hat nicht erklärt, wie dies praktisch umzusetzen geht, ob sie also tatsächlich von einem Unfallgeschädigten erwartet, dass dieser quasi rund um die Uhr neben dem zu reparieren den Fahrzeug ausharrt, um hinterer überprüfen zu können, ob das Fahrzeug tatsächlich zum
Zwecke der Lackierung andernorts verbracht wurde oder nicht. Solches wäre lebensfremd. All dies unterfällt dem allgemeinen Risiko des Schädigers. Denn nach der ständigen BGH-Rechtsprechung soll das Schadensrisiko nicht „auf dem Rücken des Unfallgeschädigten ausgetragen
werden”.
AG Bühl, Urteil vom 11.07.2017, 3 C 262/17
Herstellergarantie / Garantieverlängerung – keine “frustrierten Aufwendungen”
Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens hat der Schädiger dem geschädigten den sog. Wiederbeschaffungsaufwand, d.h. die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs zu ersetzen. Den Wiederbeschaffungswert bilden die Kosten der Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich gleichwertigen Sache, hier also die Kosten eines dem unfallbeschädigten Fahrzeugs gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Unfallbeschädigtes Fahrzeug war ein ca. 3 Jahre alter Peugeot GTI, der noch über eine Herstellergarantie für 2 Jahre verfügte, weil der Halter beim Kauf eine Garantieverlängerung abgeschlossen hatte. Die Kosten einer Ersatzbeschaffung würden deshalb nicht nur die Kosten eines 3 Jahre alten Peugeot GTI, sondern auch die Kosten einer Garantie für weitere 2 Jahre beinhalten, weil nur so ein gleichwertiges Fahrzeug beschafft werden kann.
Beim Abschluss einer Anschlussgarantie für das unfallbeschädigte Fahrzeug handelt es sich nicht nur um frustrierte Aufwendungen, die nicht zu ersetzen wären. Vielmehr stellt das Bestehen einer Anschlussgarantie zum Zeitpunkt des Unfalls einen wertbildenden Faktor dar, denn der Käufer eines Gebrauchtwagens kann beim Bestehen einer Garantie darauf vertrauen, dass er im Garantiezeitraum die von den Garantiebedingungen abgedeckten Reparaturen nicht selbst wird bezahlen müssen. Dieser wertbildende Faktor muss bei der Berechnung des Wiederbeschaffungswertes berücksichtigt werden. Da die Anschlussgarantie bei einem Fahrzeug, das einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat, keinen Nutzen mehr hat, ist der Wert der Anschlussgarantie bei der anhand der Differenzhypothese zu berechnenden Vermögensschadens voll zu berücksichtigen.