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LG München, Urteil vom 18.10.2016, 17 O 6883/16
Im Falle einer Unaufklärbarkeit eines Unfallereignisses sind die jeweiligen Betriebsgefahren abzuwägen, wobei die Betriebsgefahr eines Busses höher ist als die eines Pkw, was eine Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zu Lasten des Busses rechtfertigt.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.06.2017 – 4 U 33/16
Für den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung wegen unfallbedingter Beschädigung eines Kraftfahrzeugs ist es grundsätzlich unschädlich, wenn dem Geschädigten von Dritten, insbesondere Familienmitgliedern, unentgeltlich ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt wird.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.06.2017 – 4 U 122/16
Auch das noch im Haushalt der Eltern lebende, volljährige und berufstätige Kind kann unter dem Aspekt vermehrter eigener Bedürfnisse, § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB, einen Anspruch auf Ersatz seines Haushaltsführungsschadens geltend machen.
OLG Naumburg, Urteil vom 15.06.2017 – 9 U 3/17
Das OLG Naumburg korrigiert – mit klaren und erfreulichen Worten – seine Auffassung zur Frage der Verpflichtung des Geschädigten zur Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung nach einem Haftpflichtschaden mit folgenden Ausführungen. Zudem erfolgen ebenso deutliche Worte zur Frage der Vorfinanzierung durch eine Kreditaufnahme durch den Geschädigten.
Interessant sind auch die weiteren Hinweise des OLG zu diversen Fragen der Ausfallkosten (Mietwagenausfalldauer, Schwacke vs. Fraunhofer, Haftungsbegrenzung (CDW).
1.) Allenfalls kann eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen, ausnahmsweise dann bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (BGH, Urteil vom 18.02.2002, II ZR 355/00, zitiert nach Juris).
Nach diesen Grundsätzen ist es die Regel und nicht etwa die Ausnahme, dass der Geschädigte die Reparatur nicht vorfinanzieren muss. Zunächst ist es Aufgabe des Schädigers bzw. des gesamtschuldnerisch mit ihm haftenden Versicherers, für eine umgehende Reparatur und für die Vermeidung von weiteren Kosten zu sorgen. Der vom BGH angenommene Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vielmehr hat die Klägerin bereits mit Anwaltsschreiben vom 17.11.2015 (Anlage K 4, Bl. 17 d.A.) die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie nicht in der Lage sei, die Reparatur vorzufinanzieren. Die Klägerin trifft hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse allenfalls eine sekundäre Darlegungslast; …
2.)
Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, zwecks Ermöglichung eines sofortigen Reparaturbeginns ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen und diesbezügliche Folgenachteile in Kauf zu nehmen.
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Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, zwecks Ermöglichung eines sofortigen Reparaturbeginns ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen und diesbezügliche Folgenachteile in Kauf zu nehmen.
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Sinn und Zweck der Kaskoversicherung sei gerade nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Vollkaskoversicherung erkaufe sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibe. Insoweit seien auch die Erwägungen, die bei der Vorteilsausgleichung gelten, heranzuziehen. Versicherungsleistungen an den Geschädigten entlasteten danach den Schädiger nicht.
Dieser Gedanke entspricht der Rechtsprechung des BGH. Dieser hat ausgeführt, Versicherungsleistungen, die sich ein Geschädigter durch die Zahlung der Versicherungsprämien selbst „erkauft“ habe, könnten dem Schädiger nicht im Wege der Vorteilsausgleichung zugute kommen (BGH, Urteil vom 12.03.2009, VII ZR 88/08, zitiert nach Juris). Dies legt es nahe, dass dem Schädiger auch der durch die Klägerin erkaufte Kaskoversicherungsschutz nicht zugutekommen darf in der Weise, dass sich ihr Anspruch gegen den Schädiger bzw. die Beklagte verringert, wenn sie die Kaskoversicherung nicht in Anspruch nimmt.
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Schon die vom OLG Dresden und dem OLG Düsseldorf genannten Argumente sprechen dafür, eine Verletzung der Schadensminderungspflicht hier nicht darin zu sehen, dass die Klägerin die Kaskoversicherung nicht in Anspruch genommen hat. Jedenfalls unter den konkreten Umständen des vorliegenden Sachverhalts erscheint es unbillig, der Klägerin die Nichtinanspruchnahme der Kaskoversicherung als Verletzung der Schadensminderungspflicht anzulasten.
3.)
Auch darin, dass die Klägerin nicht gleich einen – günstigeren – Vertrag für 65 Tage abgeschlossen hat, liegt keine Verletzung der Schadensminderungspflicht. Als der Mietvertrag abgeschlossen wurde, war nicht absehbar, wie lange die Reparatur dauern würde. Wenn die Beklagte im November mitgeteilt hätte, dass mit einer Entscheidung über die Haftungsübernahme erst im Februar zu rechnen sei, wäre Derartiges in Erwägung zu ziehen gewesen. Die Klägerin konnte hier aber nicht wissen, wann die Beklagte über die Haftungsübernahme entscheiden würde; dies wusste noch nicht einmal die Beklagte selbst. Der Klägerin konnte damals auch nicht zugemutet werden, ihre Rechtsanwälte, wie es offenbar im Januar 2016 geschehen ist, zu veranlassen, die Reparatur „auf die eigene Kappe zu nehmen“. Einen günstigeren Wochentarif musste die Klägerin nicht auswählen, da sie zunächst nicht mit einer Mietzeit mehr als einer Woche rechnen musste, nicht einmal damit, dass diese Zeit erreicht werden würde; die Reparaturdauer betrug laut TÜV-Gutachten 3 Tage (Anlage K 3, Bl. 10 d.A.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin zwischenzeitlich den bestehenden Mietvertrag hätte abändern müssen, weil von der Beklagten keinerlei Reaktion auf die Anfragen erfolgten, die es ausschlössen, dass mit einer zeitnahen Haftungsentscheidung zu rechnen war.
4.)
Der von der Beklagten errechnete Gesamt-Tagespreis ergibt sich auch daraus, dass eine Haftungsbegrenzung von 18,10 € zuzüglich Mehrwertsteuer mit vereinbart war. Die Kosten der für das Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Vollkaskoversicherung sind nach der Rechtsprechung des BGH ersatzfähig. Die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit Vollkaskoschutz ist in der Regel eine adäquate Schadensfolge (BGH, Urteil vom 15.02.2005, VI ZR 74/04, zitiert nach Juris).
5.)
Die Schwacke-Liste, auf die die Klägerin die Angemessenheit des von ihr gewählten Tarifs stützt, ist als Schätzungsgrundlage anerkannt. Der Marktpreisspiegel des Fraunhofer-Instituts, auf den sich die Beklagte beruft, stammt aus dem Jahr 2009 und ist somit als Schätzungsgrundlage für 2015/2016 weniger geeignet als die von der Klägerin vorgelegte Schwacke-Liste von 2014. Im Übrigen hat der BGH nicht ausgeführt, dass der Marktpreisspiegel des Fraunhofer-Instituts als Schätzungsgrundlage geeigneter sei; er hat die Heranziehung der Schwacke-Liste vielmehr als nicht rechtsfehlerhaft bestätigt (BGH Urteil vom 22.02.2011, VI ZR 353/09, zitiert nach Juris).
6.)
Die Klägerin legt weiter dar, das verunfallte Fahrzeug habe in die Mietwagenklasse 4 gehört, während die Klägerin ein Fahrzeug der Mietwagenklasse 3 angemietet habe. Deshalb sei kein Abzug von Eigenersparnis vorzunehmen.
OLG Stuttgart, Urteil vom 04.04.2017 – 12 U 193/16
Für die Erkennbarkeit der Absicht eines Fußgängers, einen Fußgängerüberweg zu überqueren (§ 26 StVO), reichen dessen bloße Anwesenheit in der Nähe eines Fußgängerüberwegs und die nicht nur auszuschließende Möglichkeit einer Überquerungsabsicht nicht aus. Erforderlich sind nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart vielmehr konkrete objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Fußgänger den Fußgängerüberweg tatsächlich überqueren will. Daran fehle es, wenn der Fußgänger parallel zur Fahrbahn auf einem Gehweg geht.
Quelle: BeckRS 2017, 124093
LG Amberg, Urteil vom 19.07.2017 – 24 S 77/17
Öffnende Beifahrertür vs. zu geringer Seitenabstand als Fahrfehler führt zur Haftungsverteilung
Leitsatz:
Der die Beifahrertüre zum Aussteigen öffnende Beifahrer in einer Parklücke muss, wenn die danebenliegende Lücke frei ist, entsprechend § 14 Abs. 1 StVO den rückwärtigen Verkehr aufmerksam beobachten. Es besteht ein Beweis des ersten Anscheins gegen denjenigen, der aus einem Fahrzeug ausgestiegen ist, wenn sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Aussteigen ereignet hat.
Der rechts neben das parkende Fahrzeug einfahrende Fahrzeugführer hat darauf zu achten, ob sich noch Personen im Fahrzeug befinden und muss mit dem Aussteigen selbiger rechnen, § 1 StVO.
Aus den Gründen:
Ob insoweit eine Sorgfaltspflichtverletzung seitens des Beklagten zu 1) festgestellt werden kann, richtet sich auch danach, inwiefern die Geschwindigkeit, insbesondere beim Einbiegen in die Parklücke, in der Situation angemessen gewesen ist und inwieweit der Beklagte zu 1) in der Lage gewesen ist zu erkennen, dass sich noch eine Person im Fahrzeug des Klägers befand, mit deren Aussteigen aus dem Fahrzeug jederzeit zu rechnen gewesen ist (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.06.2009, NJW 2009, 3038).
Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass bei genügender Aufmerksamkeit bei langsamem Einfahren für den rechts neben Klägerfahrzeug einfahrenden Beklagten zu 1) erkennbar gewesen wäre, dass sich noch 2 Personen, zumindest aber die Beifahrerin, im Fahrzeug befinden. Auch gilt hier gleichermaßen, dass auf Grund des Elternabends mit etwa gleicher Ankunftszeit noch mit dem Aussteigen von Personen gerechnet werden musste.
Der Beklagte zu 1) fuhr an dem parkenden Pkw des Klägers vorbei. Auch beim Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen wird ein ausreichender Sicherheitsabstand gefordert, dessen Größe sich nach den Umständen richtet. Er darf geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von einem Meter
Ein Seitenabstand von weniger als einem Meter soll aber dann zu gering sein, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht (OLG Celle, Urteil vom 22.09.2010, 14 U 63/10, BeckRS 2010, 30839 unter Verweis auf Burmann/Heß/Jahnke/Janker-Heß, Straßenverkehrsrecht, 21. Auflage, § 6 StVO, Rn. 6).
Die nach §§ 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt vorliegend zur Haftungsteilung;
die Beklagten haben 50% des Schadens des Klägers zu tragen; der Kläger selbst haftet ebenfalls mit einer Quote von 50%.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.04.2017, I-1 U 147/16
Betriebsgefahr, Verkehrslücke, Vorfahrtverletzung, Vorfahrtberechtigung, Lückenrechtsprechung, Anscheinsbeweis, Fahrzeugkolonne
1.
Das Vorfahrtsrecht entbindet den Verkehrsteilnehmer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, nicht von der Pflicht auf größere Lücken in der Kolonne zu achten. Er muss sich darauf einstellen, dass diese Lücken vom Querverkehr benutzt werden und darf sich einer solchen Lücke daher gemäß § 1 Abs. 2 StVO nur mit voller Aufmerksamkeit und unter Einhaltung einer Geschwindigkeit nähern, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten ermöglicht.
2. Bei der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsanteile ist einer Vorfahrtsverletzung durch den Querverkehr gegenüber dem Verstoß gegen das Gebot des § 1 Abs. 2 StVO allerdings grundsätzlich größeres Gewicht beizumessen.
Ergebnis: 75 % Haftung des Vorfahrtverletzers
OLG München, Endurteil v. 15.09.2017 – 10 U 4380/16
Kein Wegfall des Vorfahrtsrechts bei irreführendem Fahrverhalten des Vorfahrtsberechtigten …
Verkehrsunfall – Haftungsverteilung nach Kollision von Sattelzug mit Pkw bei unaufklärbarem Unfallhergang
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.04.2016 – 7 U 34/15
Prozentuale Aufschläge auf Ersatzteilpreise können auch bei der fiktiven Abrechnung verlangt werden, wenn und soweit sie regional üblich sind, da sie in diesem Fall dem Aufwand zuzurechnen sind, der für die Behebung des Fahrzeugschadens i.S. § 249 Abs. 2 BGB erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis ist daher von einer Erstattungsfähigkeit der entsprechenden Aufschläge auszugehen, wenn ein öffentlich bestellter und vereidigter Kfz-Sachverständiger unter Berücksichtigung der örtlichen Gepflogenheiten zu dem Ergebnis gelangt, dass im Falle einer Reparatur in der Region bei markengebundenen Fachwerkstätten typischerweise UPE-Aufschläge erhoben werden.
OLG München, Urteil v. 21.04.2017 – 10 U 4565/16
Kollision beim Spurwechsel – Anscheinsbeweis und Haftungsverteilung
Kommt es im Zusammenhang mit einem Spurwechsel zu einer Kollision zwischen dem die Spur wechselnden Fahrzeug und einem sich bereits auf der Zielspur befindlichen Fahrzeug, so kann der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Unfall auf einem schuldhaften Verstoß des Spurwechslers gegen seine Pflichten aus § 7 Abs. 5 S. 1 StVO beruht.
Die für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderliche Typizität entfällt dabei nicht dadurch, dass es sich um einen Spurwechsel im Reißverschlussverfahren handelt.
Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung tritt in Fällen des Verstoßes gegen die äußerste Sorgfalt fordernde Vorschriften wie § 7 Abs. 5 StVO die allgemeine Betriebsgefahr regelmäßig zurück (vgl. KG BeckRS 2005, 09634).
Das gilt auch für Verstöße gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO im Rahmen des Reißverschlussverfahrens (entgegen AG Dortmund BeckRS 2010, 07391).
KG Berlin, Urteil vom 14. September 2017, AZ: 22 U 174/16
Ein Bereich, der der Erholung und Freizeitgestaltung dient, ist dem öffentlichen Verkehr mit der Folge der grundsätzlichen Anwendbarkeit der StVO gewidmet, wenn er jedenfalls zeitweise allgemein zugänglich ist. Dass nur bestimmte Fahrzeugarten zugelassen sind, steht dem nicht entgegen.
In einem Bereich, der der Erholung und Freizeitgestaltung dient, kommen die Vorschriften der StVO über den Fließverkehr nur eingeschränkt zur Anwendung. Es gilt vorrangig die Regelung des § 1 Abs. 2 StVO.
Aus den Gründen:
Das Tempelhofer Feld ist zwar für den öffentlichen Straßenverkehr geöffnet. Denn insoweit kommt es weder auf die Eigentumsverhältnisse noch auf eine straßenrechtliche Widmung, sondern allein auf eine tatsächliche Eröffnung für den Verkehr mit Einwilligung des Berechtigten an (vgl. BGH v. 04.03.2004 – 4 StR 377/03 – juris Rn. 7 – BGHSt 49, 128-130; BGH v. 25.04.1985 – III ZR 53/84 – juris Rn. 8; Heß in: Burmann/Heß u.a., Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn. 6; Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 1 StVO Rdn. 14; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn. 13).
Diese Voraussetzungen sind hier aber gegeben, weil das Tempelhofer Feld während der Öffnungszeiten allgemein zugänglich gemacht ist. Dass die Öffnung zeitlich begrenzt ist und auch nicht jeder Verkehr zugelassen ist, ändert nichts (vgl. OLG Zweibrücken v. 22.09.1989 – 1 U 211/88 – juris Rn. 44; Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 1 StVO Rdn. 15). Aus diesem Grund finden sowohl das Straßenverkehrsgesetz als auch die Straßenverkehrsordnung Anwendung. Das bedeutet aber nicht, dass das Befahren der äußeren Fahrbahn mit Kettcars verboten wäre. Diese sind zwar als besondere Fortbewegungsmittel iSd § 24 Abs. 1 Satz 1 StVO anzusehen, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, so dass insoweit nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StVO die Beschränkungen der Fahrbahnbenutzung nach § 25 Abs. 1 StVO eingreifen müssten. Diese Regelungen gelten aber auf dem Tempelhofer Feld nicht. Denn das Tempelhofer Feld ist als Freizeitgelände gedacht. Die Flächen dienen nicht der Verkehrsführung zur Fortbewegung, also dem Fließverkehr, sondern nach § 6 des Gesetzes zum Erhalt des Tempelhofer Feldes vom 14. Juni 2014, GVBl. Berlin 2014, 190, der Freizeitgestaltung und Erholung. Dann aber gelten diejenigen Vorschriften der StVO, die gerade der Leichtigkeit des Verkehrs dienen, nicht.
Die Rechtslage ist mit der Situation auf allgemein zugänglichen Parkplätzen vergleichbar, die die unmittelbare Anwendung der für den Fließverkehr geltenden Vorschriften ausschließt (vgl. BGH v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 – juris Rn. 11 – Kundenparkplatz eines Baumarktes; BGH v. 26.01.2016 – VI ZR 179/15 – juris Rn. 11 – Kundenparkplatz eines Einkaufszentrums; BGH v. 09.03.1961 – 4 StR 6/61 – BGHSt 16, 7-12 – Gaststättenparkplatz).
Die Fahrbahnen des Tempelhofer Feldes dürfen deshalb auch mit Rollschuhen, Inline-Skates und Kettcars befahren werden. Die einzelnen Verhaltenspflichten sind dann an § 1 Abs. 2 StVO auszurichten.
KG Berlin, Urteil vom 14.12.2017, 22 U 31/16
Der unter Verstoß gegen § 10 StVO Ausparkende hat im Rahmen der Haftungsabwägung auch gegenüber demjenigen, der unter Mißachtung des Zeichens 245 einen Bussonderfahrstreifen befährt, in der Regel den gesamten Schaden zu tragen.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.01.2017 – 16 U 116/16
Ein Linksabbieger kann von der Verpflichtung zur sog. zweiten Rückschau enthoben sein, wenn ein Linksüberholen im besonderen Maß verkehrswidrig wäre und aus diesem Grund so fernliegt, dass sich der nach links Abbiegende auch unter Berücksichtigung der ihn treffenden gesteigerten Sorgfaltspflicht auf eine solche Möglichkeit nicht einzustellen braucht.
Hier (zum Sachverhalt):
…
Der Kläger befuhr die Straße … in gleicher Richtung. Beim Herannahen an das Fahrzeug der Zeugen … und der Beklagten zu 1. entschied er sich, diese Fahrzeuge wegen der langsamen Fahrt zu überholen und begann damit nach Ende der durchgezogenen Mittellinie. Er kollidierte im Bereich des Mittelstreifens mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1., da diese inzwischen mit der Einfahrt in den Parkplatz der Firma A begonnen hatte.
OLG Jena, Urteil vom 18.5.2017 – 1 U 622/16
1. Es liegt keine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 III Nr. 1 vor bei Überholen eines am rechten Fahrbahnrand haltenden Lkw mit eingeschaltetem Warnblicklicht.
2. Steuert der Fahrer eines gewöhnlichen Lkw diesen an den rechten Fahnbahnrand und schaltet dann das Warnblinklicht ein, kann der nachfolgende Verkehr dies nur in der Weise verstehen, dass das Fahrzeug vorerst nicht mehr bewegt werde.
3. Beginnt der Lkw-Fahrer demgegenüber, den Lkw rückwärts zu steuern, um sich das Abbiegen in eine einmündende Straße zu erleichtern und kollidiert mit einem überholenden Pkw haftet der Lkw-Fahrer vollumfänglich.
(Quelle: Leitsätze 2 und 3 aus NJW-RR 2017, 1437, beck-online)
AG Frankenthal, Urteil v. 11.5.2017 – 3a C 19/17
Wendender trifft auf Linksüberholer
Kommt es im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Wenden zu einer Kollision mit einem innerorts links überholenden Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Wendenden, der grundsätzlich allein haftet bei Zurücktreten der Betriebsgefahr des überholenden Fahrzeugs; Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Wendenden für eine Mithaftung des Überholenden.
OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2017, 3 U 183/16
Ein Verkehrsunfall ist auch für den vorfahrtberechtigten Fahrer nicht unabwendbar, wenn er seinerseits anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt gewähren müsste, sich der Unfallstelle aber mit mehr als nur mäßiger Geschwindigkeit nähert.
Zur Bestimmung der angemessenen Annäherungsgeschwindigkeit ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzustellen.
Die Überschreitung der angemessenen Annäherungsgeschwindigkeit kann zu einer Mithaftungsquote von 30% führen.
Zur Bestimmung dessen, was in diesem Zusammenhang als nicht mehr mäßige Geschwindigkeit bzw. Überschreitung der sog. Annäherungsgeschwindigkeit anzusehen ist, kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Frage an, ob es sich für den Kläger um eine unübersichtliche und schlecht einsehbare Kreuzung bezogen auf die von ihm zu beachtende Vorfahrt des für ihn von rechts kommenden Verkehrs handelt. Je schlechter der gegenüber dem Beklagtenfahrzeug vorfahrtsberechtigte Kläger etwaigen für ihn vorrangigen Verkehr von rechts wahrnehmen kann, umso langsamer muss er an die Kreuzung heranfahren (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.1977 – VI ZR 97/76 – beck-online).
Den vom Sachverständigen verwendeten Fotos und Unfallstellenzeichnungen (Seite 16 – 19 des Gutachtens sowie Anlage A 1 zum Gutachten) lassen sich die Örtlichkeit und die Sichtverhältnisse recht gut entnehmen. Die darauf zu erkennenden schmalen Straßen und die enge Bebauung führen zu einer schlechten Einsehbarkeit der Kreuzung für den Kläger. Dieser Eindruck wird noch gestützt durch die Feststellung des Sachverständigen, der Unfall wäre überhaupt nur zu vermeiden gewesen wäre, wenn das Klägerfahrzeug bei Annäherung an die Kreuzung weniger als 23 km/h gefahren wäre.
Nach Auffassung des Senats stellen diese 23 km/h die höchste, in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse noch tolerable Annäherungsgeschwindigkeit dar, welche der Kläger nicht überschreiten durfte. Tatsächlich hat der Kläger diese Geschwindigkeit aber nicht eingehalten. Dem Gutachten SV1 ist zu entnehmen, dass das klägerische Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision eine Geschwindigkeit von 14-16 km/h aufwies und der Kläger sein Fahrzeug vor der Kollision stark abgebremst hatte. Dies rechtfertigt den Schluss, dass der Kläger beim Zufahren auf die Kreuzung deutlich schneller als 14-16 km/h gefahren ist. Der Sachverständige hat insoweit unter der Bedingung einer sofortigen und zielgerichteten Reaktion des Klägers eine Annäherungsgeschwindigkeit des Klägerfahrzeugs von 27 bis 33 km/h errechnet. Nachdem der Kläger selbst eine “sofort eingeleitete Notbremsung” vorgetragen hat, dürfte diese Bedingung zutreffen. Mithin liegt eine Verletzung des § 8 Abs. 2 S. 1 StVO durch den Kläger vor.
LG München I, Endurteil vom 06.07.2015 – 19 O 16095/14
1. Der Beifahrer braucht sich ein Mitverschulden “seines” Fahrers grundsätzlich nicht zuzurechnen lassen.
2. Kommt es zu einem Verkehrsunfall, während sich der Beifahrer in einem der unfallbeteiligten Fahrzeuge nach vorne in den Fußraum beugt, um nach heruntergefallenen Gegenständen zu suchen, und verliert der angelegte Sicherheitsgurt dadurch seine Schutzfunktion, so kann dies die Annahme eines Mitverschuldens von 40% rechtfertigen, wenn sich die Aufhebung der Schutzfunktion des Gurtes gerade in den Verletzungen des Beifahrers realisiert.
3. Bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens ist ein Stundensatz von 8 € anzusetzen.
OLG Köln, Beschluss vom 05.02.2018 – 9 W 4/18
1. Die zweiwöchige Frist für einen Ablehnungsantrag gegen einen Sachverständigen beginnt bereits, wenn die Ernennung auch nur formlos mitgeteilt wurde.
2. Der Sachverständige überschreitet nicht seinen Gutachterauftrag, wenn er den Hergang eines Verkehrsunfalls aufklären soll und zu diesem Zweck auch überprüft, ob die geltend gemachten Schäden der Fahrzeuge zueinander kompatibel sind.
3. Selbst wenn ein Sachverständiger seinen Gutachterauftrag überschreitet, vermag allein dieser Umstand nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, sondern es muss hinzutreten, dass er aus Sicht einer Partei damit den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.04.2018, I-1 U 196/14
Haftungsquote bei Unfall an Überquerungshilfe für Fußgänger …
Erfasst ein Pkw einen Fußgänger, der an einer Überquerungshilfe die Straße betritt, obwohl der Pkw von Weitem erkennbar war, haftet der Fußgänger zu 80% und der Pkw-Fahrer zu 20%, wenn ihm kein Sorgfaltspflichtverstoß anzulasten ist, ein Idealfahrer den Unfall aber hätte vermeiden können.
Ein Kraftfahrer müsse nicht bei dem Auftauchen eines Fußgängers in der Nähe einer Überquerungshilfe eine Ausgleichsbremsung vornehmen. Ein besonders vorsichtiger Fahrer allerdings würde eine solche machen.
Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.04.2018, I-1 U 196/14, aus BeckRS 2018, 6968
Nachtrag: Und was ist eine “Überquerungshilfe” ?
Eine solche ist von einem “Zebrastreifen” zu unterscheiden. Überquerungshilfen sind oft auf dem Mittelstreifen von mehrspurigen Straßen zu finden und häufig als Art “Verkehrsinsel” baulich gestaltet. So können Fussgänger beispielsweise bis zum Mittelstreifen gelangen und von dort die Gegenfahrtrichtung beobachten. Während bei einem “Zebrastreifen” Fussgänger Vorrang haben, ist dies bei einer “Überquerungshilfe” aber nicht der Fall.
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.03.2018, 16 U 212/17
Stößt ein im innerörtlichen Wohngebiet fahrender PKW gegen einen rechts verbotswidrig parkenden PKW, obwohl noch genügend Platz zur Vorbeifahrt gewesen wäre, so trifft den Halter des PKW jedenfalls dann ein Mithaftungsanteil von 1/4 des entstandenen Schadens, wenn es dunkel war und das parkende Fahrzeug nach der konkreten Lage eine Gefährdung für den fließenden Verkehr bildete.
Aus den Gründen:
Da der aktiv durch Fahren handelnde Verkehrsteilnehmer ein verkehrswidrig parkendes Fahrzeug in der Regel wahrnehmen und bei entsprechender Aufmerksamkeit einen Zusammenstoß leicht verhindern kann, überwiegt bei der vorzunehmenden Abwägung grundsätzlich der Verursachungsanteil und das Verschulden gegenüber dem des Halters des parkenden Fahrzeuges deutlich. Erfolgt der Zusammenstoß bei Tageslicht und stellt das verbotswidrig parkende Fahrzeug kein größeres Hindernis für den fließenden Verkehr dar, so trifft den Fahrer in der Regel die alleinige Haftung.
Demgegenüber kommt eine Mithaftung des Halters des verbotswidrig abgestellten Fahrzeuges in Höhe der einfachen Betriebsgefahr in Betracht, wenn Dunkelheit herrschte und es für den fließenden Verkehr eine Erschwerung bildete.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.4.2017, 9 U 189/15
Schadensersatz bei Auffahrunfall nach möglicherweise grundlosem Abbremsen des Vordermanns
Leitsätze
1. Die abrupte Bremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs ohne äußeren Anlass ändert bei einem Auffahrunfall grundsätzlich nichts an einem im Wege des Anscheinsbeweises festzustellenden schuldhaften Verkehrsverstoß des Hintermanns.
2. Bei einem Auffahrunfall trifft den auffahrenden Fahrzeugführer in der Regel eine Haftungsquote von 100 %. Die nicht ausgeräumte Möglichkeit, dass der Vordermann eventuell vorsätzlich aus “erzieherischen Gründen” abrupt gebremst hat, ändert daran nichts. Denn ein Verkehrsverstoß des vorausfahrenden Fahrzeugführers wäre nur dann zu berücksichtigen, wenn er nachgewiesen wäre.
OLG München, Urteil vom 12.01.2018, 10 U 1742/17
Allein aufgrund der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit (130 km/h) auf Autobahnen um ca. 20 km/h ist noch von keiner Erhöhung der Betriebsgefahr eines Pkws auszugehen.
(zuvor schon OLG München, Urteil vom 02.02.2007, 10 U 4976/06)
OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.09.2016, I-1 U 195/14
Wer kennt das nicht. Man erreicht einen Kreisverkehr und an einer anderen Einfahrt erscheint ein Fahrzeug zur gleichen Zeit (und dann beginnt der “Kampf um Meter und Sekunden”). Doch wer muss nun warten und gibt es eine
Vorfahrtsregelung und Sorgfaltspflichten bei zeitgleichem Erreichen eines Kreisverkehrs durch mehrere Verkehrsteilnehmer?
Au den Urteilsgründen:
Im Gegensatz zu Kreuzungen und Einmündungen gibt es im Kreisverkehr keinen feststehenden räumlichen Bereich, in welchem die Vorfahrt eines Verkehrsteilnehmers gleichbleibend und unabänderlich geregelt ist.
Aus dem Umstand, dass die beiden Beteiligten gleichzeitig den Kreisverkehr erreichten, folgt in der rechtlichen Konsequenz, dass keiner von beiden vorfahrtberechtigt war.
Fahren zwei Kraftfahrzeuge nahezu gleichzeitig in einen Kreisverkehr ein, muss sich grundsätzlich jeder Fahrzeugführer auf das Einbiegen des anderen einstellen. Keiner von beiden ist verpflichtet, zunächst das andere Fahrzeug weiter zu beobachten und abzuwarten, bis es in den Kreisverkehr einfährt. Vielmehr müssen beide grundsätzlich ihre Geschwindigkeit so wählen, dass es nicht zu einer Kollision auf dem Kreisverkehr kommt.
OLG München, Urteil v. 12.01.2018 – 10 U 2135/17
Haftungsverteilung nach Kollision eines Rettungswagens im Einsatz mit einem Linksabbieger
Für die im Rahmen von § 35 Abs. 5a StVO erforderliche Beurteilung, ob höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, kommt es nicht auf eine Betrachtung ex post, sondern darauf an, ob sich der Einsatzfahrer nach der ihm bekannten Lage für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen (Anschluss OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 05687).
Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit derjenige, der sich auf die Sonderrechte beruft.
Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn darf an einer ampelgeregelten Kreuzung darauf vertrauen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer, für die Grünlicht gilt, dem bei Rotlicht die Kreuzung überquerenden Einsatzfahrzeug freie Bahn gewähren, wenn sie ihr Tempo hinreichend reduzieren.
Demgegenüber darf der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs trotz aktiviertem Blaulicht und Martinshorn nicht darauf vertrauen, dass ein Linksabbieger, der vor dem Abbiegen sein Tempo reduziert oder anhält, insbesondere wenn der linke Fahrtrichtungsanzeiger nicht abgestellt wird, das von hinten kommende Einsatzfahrzeug noch vor dem Abbiegen überholen lässt (entgegen LG Saarbrücken BeckRS 2011, 21692).
Überholt der Fahrer des Einsatzfahrzeugs den Linksabbieger dennoch, kann darin ein Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO liegen.
Kollidiert ein Einsatzfahrzeug mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn mit einem von ihm unter Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO überholten, seinerseits gegen § 9 Abs. 1 S. 4, § 38 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßenden Linksabbieger, so kommt eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten des Linksabbiegers in Betracht.