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Und wie sieht es nun aus, wenn Fahrzeuge mit Sonderrechten, wie Krankenwagen, Feuerwehr, Polizeiauto und Co. in einen Unfall verwickelt sind? Dann wollen wir uns mal hier der aktuellen Rechtsprechung nähern, aber vorab ein paar grundsätzliche Hinweise:
Wer das Sonderrecht nach § 38 Abs. 1 StVO für sich in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass er neben dem blauen Blinklicht auch das Einsatzhorn verwendet. Und dann stellt sich die Frage des rechtzeitigen Betätigens.
Zudem ist anzumerken, dass ein Einsatzfahrzeug, welches z.B. eine Kreuzung überqueren will, mit in der Situation (Einzelfall) angepasster Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich einzufahren hat. An der Stelle kann es dann eine gewichtige Rolle spielen, wenn für das Einsatzfahrzeug Rotlicht der Lichtzeichenanlage galt.
Es ist zwar so, dass Sonderrechte besondere Berechtigungen statuieren, allerdings die öffentliche Sicherheit und Ordnung gebührend zu berücksichtigen ist (siehe § 38 Abs. 8 StVO). Sonderrechte dürfen immer nur unter größtmöglicher Sorgfalt wahrgenommen werden.
Rechtlich stellt sich dann Übrigen auch die Frage, ob überhaupt, wenn denn bewiesen, unter Sondersignal gefahren werden durfte. Denn Voraussetzung hierfür ist, dass dies überhaupt geboten ist. Für Feuerwehren, Polizei und Katastrophenschutz muss die Inanspruchnahme von Sonderrechten nur zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten sein. Für Fahrzeuge des Rettungsdienstes gilt allerdings, dass zunächst höchste Eile geboten ist, die wiederum geboten sein muss, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Also stellt sich dann im Einzelfall, gerade auch bei Rettungsfahrzeuge, die Frage nach dem konkreten Einsatz. Rechtlich ist es nun einmal so, dass ohne die entsprechende Grundlage überhaupt kein Sondersignal verwendet werden darf.
Krankenwagen / Rettungswagen
OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 04.01.2024 – 7 U 141/23
Die Einsatzfahrt eines Rettungswagens ist auf einer gut einsehbaren Hauptstraße mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Doppelte (75 km/h statt erlaubter 30 km/h) gerechtfertigt.
Rettungswagen sind von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Die Beweislast für das Vorliegen einer Einsatzfahrt trägt derjenige, der sich auf das Vorliegen einer Einsatzfahrt beruft.
Sonderrechte für Rettungswagen dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht.
Die Einsatzfahrt ist auf einer gut einsehbaren Hauptstraße mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Doppelte (hier 75 km/h statt erlaubter 30 km/h) gerechtfertigt.
Auf welche Weise „freie Bahn” zu schaffen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei der Ausschluss einer Behinderung des Einsatzfahrzeugs alleinige Richtschnur für das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer sein muss. Im Zweifel muss der Unfallgeschädigte mit seinem Fahrzeug einfach stehen bleiben, sofern für das Ausweichen nach links oder rechts kein genügender Platz vorhanden ist.
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siehe hierzu auch unten – Abschnitt “Polizeiauto”:
LG Hamburg, Urteil vom 14.12.2023, 323 O 206/22
siehe hierzu auch unten – Abschnitt “Rettungsdienst”:
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 20.11.2023, 17 U 121/23
OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.02.2018, I-1 U 112/17
Zur Betriebsgefahr eines Rettungsfahrzeugs, das ungebremst mit mindestens 43 km/h bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich einfährt.
Das einschränkende Rücksichtnahmegebot ist eine Amtspflicht, die der Fahrer eines Einsatzwagens gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu erfüllen hat. Diese Pflicht hat die Wirkung, dass der Einsatzfahrer kein unbedingtes Vorfahrtrecht verliehen bekommt, sondern nur die Befugnis, grundsätzlich weiter bestehende Vorrechte eines nach den allgemeinen Bestimmungen Vorfahrtberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen außer Acht zu lassen (Senat, Urteil vom 10.01.2017, I-1 U 46/16; Urteil vom 25.06.2013, I-1 U 195/12 mit Hinweis auf BGH NJW 1971, 616; so auch OLG Köln, Urteil vom 26.10.1995, 7 U 52/95, Rn. 5 – zitiert nach juris). Der nach den allgemeinen Regeln Vorfahrtberechtigte behält grundsätzlich die ihm zustehende Rechtsposition. Er wird allerdings zu Gunsten der Sonderrechtsfahrer beschränkt. Diese dürfen nur unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt das Vorfahrtrecht eines anderen Verkehrsteilnehmers im Zusammenhang mit der Einsatzfahrt außer Acht lassen (Senat a.a.O. mit Hinweis auf BGH NJW 1975, 648 und weiteren Nachweisen; OLG Köln a.a.O.).
Ergebnis:
Überwiegende Haftung des Rettungswagenfahrers (80 Prozent)
Feuerwehr
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 20.11.2023, 17 U 121/23
Zusammenstoß mit Rettungsfahrzeug an Ampelanlage
1. Auch wenn ein Fahrzeug des Rettungsdienstes nach § 35 Abs. 5a StVO bei einer Einsatzfahrt von den Vorschriften der StVO befreit ist, kann eine Sorgfaltsverletzung darin liegen, dass dessen Fahrer bei der Wahrnehmung der Sonderrechte sorgfaltswidrig gehandelt hat. Nach § 35 Abs. 8 StVO kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeuges am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, umso höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2016 – 1 U 248/13; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.06.1998 – 1 U 42/97).
2. Er darf die Kreuzung nur dann bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.11.2012 – 24 U 45/1).
3. Solange bei einer querenden Straße mit mehreren Fahrspuren eine Fahrspur frei ist und nicht durch wartende Fahrzeuge blockiert wird, sodass der Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs glauben kann, der gesamte Querverkehr habe seine Warnzeichen wahrgenommen und stelle sich darauf ein, darf er nicht darauf vertrauen, die Kreuzung gefahrlos überqueren zu können (BGH, Urteil vom 30.10.1968 – 4 StR 341/68).
4. Genügt der Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs diesen Sorgfaltsanforderungen nicht, weil er nicht auf den Querverkehr achtet, und übersieht bzw. überhört der Fahrer eines querenden Fahrzeugs die Sondersignale des Sonderrechtsfahrzeugs und fährt in die Kreuzung ein, obwohl vor ihm andere Verkehrsteilnehmer trotz Grünlichts stehen bleiben, kommt bei einer Kollision eine Schadensteilung in Betracht.
Polizeiauto und Co.
LG Köln, Urteil vom 08.11.2024, 5 O 204/23
Ein bei ROTLICHT eine Kreuzung überquerendes Polizeifahrzeug muss auch bei Nutzung von Sondersignalen mit in der Situation angepasster Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich einfahren.
Hintergründe:
Hier abgelehnt bei einer sachverständig festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit von 25 bis 31 km/h und einer gefahrenen Geschwindigkeit von 42 bis 53 km/h).
Es bestanden im Übrigen Sichtbehinderungen aufgrund einer Mauer bestanden, so dass es unmöglich war, von links kommende Fahrzeuge rechtzeitig zu sehen.
Zudem konnte vom beklagten Land nicht bewiesen werden, dass im Einsatzfahrzeug rechtzeitig vor der Kreuzung Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet waren. Wer das Sonderrecht nach § 38 Abs. 1 StVO für sich in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass er neben dem blauen Blinklicht auch das Einsatzhorn verwendet (vergleiche OLG Düsseldorf, NJOZ 2017, 1275).
LG Hamburg, Urteil vom 14.12.2023, 323 O 206/22
1. Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn ordnet an, dass alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen haben.
2. Die Vorschriften in §§ 35, 38 StVO führen nicht zu einer Umkehr des Vorfahrtsrechts. Die allgemeinen Maßstäbe werden lediglich dahingehend abgewandelt, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer auf ihr Vorfahrtsrecht vorübergehend verzichten müssen, wenn sie die besonderen Zeichen bemerkt haben.
3. Ein mit Sonderrechten ausgestattetes Fahrzeug darf nur dann bei rotem Ampellicht in die Kreuzung einfahren, wenn sich sein Fahrer vergewissert hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug wahrgenommen und sich auf die Absicht, die Kreuzung zu überqueren, eingestellt haben.
Quelle → Direktlink zum Landesrecht Hamburg
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 14.03.2016, 1 U 248/13
Kollision eines Pkw mit einem auf einem Seitenstreifen einer Bundesautobahn fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei
Nutzt ein Einsatzfahrzeug der Polizei, das zu einem Verkehrsunfall auf einer Bundesautobahn gerufen worden ist, den Seitenstreifen, ist die Nutzung des Seitenstreifens von dem Sonderrecht des § 35 Abs. 1 StVO gedeckt, ohne dass es darauf ankommt, ob sich zwischenzeitlich bereits Rettungsgassen gebildet haben.
Kollidiert ein Pkw, der beim Wechsel von der mittleren auf die rechte Fahrspur einer Autobahn über die Begrenzungslinie hinaus auf den Seitenstreifen gerät, mit einem dort nur mit mäßiger Geschwindigkeit (hier: 45-50 km/h) und Blaulicht fahrenden Einsatzfahrzeug der Polizei, haftet der den Fahrstreifen wechselnde Pkw für den Unfall allein.
Umstrittenes Thema – die Inanspruchnahme von Sonderrechten durch Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr
OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.04.2002 – 4 Ss 71/2002
Dem Betroffenen, der als Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu.
Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Ausnahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten (vgl. Härtung NJW 1956, 1625) unter gebührender Berücksichtigung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs. 1, 8 StVO). Mit einem privaten Pkw, der keine Signaleinrichtungen wie ein Feuerwehrfahrzeug aufweist, sind daher, soweit es um die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit (§ 3 StVO) geht, allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer statthaft…
Die grundsätzliche Zulässigkeit ergibt sich auch aus
OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. März 1990, Ss (B) 14/90,
auch wenn im dort behandelten Fall dem Feuerwehrmann die Berufung hierauf verwehrt blieb, da man die Geschwindigkeit von 54 km/h innerorts für nicht geboten annahm (Einzelfall).
Abweichend: