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Neben dem Klassiker “KFZ gegen KFZ” gibt es auch die uns immer wieder begegnenden Fälle des Unfalls mit einem E-Scooter, einem Pedelec, einem Fußgänger, (Haus)tieren, selbstfahrenden Arbeitsmaschinen usw. Und in diesen Fällen gibt es dann doch die ein oder andere Besonderheit, die sich vom “Klassiker” merklich unterscheidet. Und so sammeln wir hier in loser Folge alte und neue, gerade auch brandaktuelle Urteile rund um dieses Thema. Viel Spaß beim Lesen und bei Fragen wendet Euch einfach an uns.
E-Scooter – ein ganz besonderer Fall
AG Hamburg, Urteil vom 16.08.2022, 4 C 18/22
Umgekippter E-Scooter – Auskunftsanspruch gegen Halter
Zur Sicherung eines möglichen Schadenersatzanspruchs gegen den Nutzer eines E-Scooter hat der Eigentümer eines Pkw einen Auskunftsanspruch gegen den Halter des E-Scooter auf Herausgabe der Daten des letzten Mieters, wenn dieser möglicherweise durch unsachgemäßes Parken einen Schaden am Pkw verursacht hat.
Quelle: SVR 2023, Seite 191
AG FFM, Urteil vom. 22.04.2021, 29 C 2811/20 (44)
E-Scooter sind keine Autos / Keine verschuldensunabhängige Haftung
Das Amtsgericht Frankfurt am Main lehnt eine analoge Anwendung der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG ab. Eine derartige Haftung sei nach dem Wortlaut von § 8 Nr. 1 StVG ausdrücklich ausgeschlossen, nachdem es sich beim E-Scooter um ein Kraftfahrzeug handelt, das auf ebener Strecke mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren kann (Elektrokleinstfahrzeug im Sinne von § 1 eKFV – Verordnung über die Teilnahme von Elektrokelinstfahrzeugen am Straßenverkehr). Diese Privilegierung sei dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung der eKFV bekannt gewesen, ohne dass der Gesetzgeber am Haftungsausschluss habe etwas ändern wollte.
Der Kläger hatte – sicherlich denklogisch und in Anbetracht des doch erheblichen Gefährdungspotentials (wie wir meinen) – eingewandt, dass die Anwendung der für die Kraftfahrzeughalter geltenden verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung in entsprechender Heranziehung von § 7 StVG geboten. Beim E-Scooter handle es sich trotz seiner Geschwindigkeitsbegrenzung um ein besonders verkehrsgefährdendes Fahrzeug. Es sei insoweit unbillig, den Geschädigten ausschließlich auf die Inanspruchnahme des Schädigers zu verweisen.
Anmerkung → Es bliebe dann nur noch der Anspruch des Geschädigten gegen den Fahrer / die Fahrerin des E-Scooters, aber über den konnte das AG FFM nicht entscheiden, da der Kläger nur die Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen hatte (warum auch immer). Hierzu findet sich im Urteilstext folgender Hinweis:
Ein Anspruch des Klägers folgt schließlich nicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Voraussetzung dafür wäre, dass das Unfallereignis zumindest teilweise auf ein mindestens fahrlässiges Verhalten des Fahrers zurückzuführen wäre. Dies scheidet bei einer alleinigen Geltendmachung gegenüber der Haftpflichtversicherung aus.
Quelle 1 → Pressemitteilung Nr. 03/2022 des AG Frankfurt/Main
Quelle 2 → VOLLTEXT / AG FFM / 22.04.2021 / 29 C 2811/20 (44)
Und ebenso
AG Berlin-Mitte, Urteil vom 09.05.2023, 151 C 60/22
Der umfallende E-Scooter – Haftung nur aus Verschulden
Weder die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des § 7 StVG, noch die Haftung für vermutetes Verschulden nach § 18 StVG sind auf Elektrokleinstfahrzeuge i.S.d. § 1 eKFV (sog. E-Scooter) anwendbar; auch eine analoge Anwendung scheidet aus.
Es bleibt also nur die Haftung über ein nachgewiesenes Verschulden
Im Falle des Umfallens eine E-Scooters kann nicht im Wege eines Anscheinsbeweises der Rückschluss auf ein unsachgemäßes Abstellen oder sonstiges Verschulden des Abstellenden geschlossen werden.
Es besteht keine allgemeine Verkehrssicherungspflicht dahingehend, dass E-Scooter stets so abzustellen bzw. zu sichern sind, dass auch bei einem Umstoßen durch Dritte keinerlei Schäden entstehen können.
Quelle → VOLLTEXT unter DIREKTLINK
Aber bei nachgewiesenem Verschulden des Fahrers / der Fahrerin gibt es einen Direktanspruch:
LG Berlin, Urteil vom 22.10.2024 – 22 S 6/23 (2)
Der durch einen E-Scooter geschädigte Unfallbeteiligte hat gegen die Haftpflichtversicherung des Vermieters zur Deckung der durch den Gebrauch des E-Scooters verursachten Schäden einen Direktanspruch wegen der Verschuldenshaftung des Fahrers aus § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG, § 1 PflVG.
Der Direktanspruch des Klägers folgt aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 VVG, denn bei einem E-Scooter handelt es sich um ein Kraftfahrzeug gemäß § 1 Abs. 1 eKFV und § 1 Abs. 2 StVG. Demzufolge handelt es sich gemäß § 1a Abs. 1 Nummer 1 a) PflVG um ein Fahrzeug im Sinne des PflVG, für das gemäß § 1 PflVG eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personenschäden, Sachschäden oder sonstigen Vermögensschäden abzuschließen ist. Gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG kann der Geschädigte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch im Wege eines Direktanspruchs gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung der nach § 1 PflVG bestehenden Versicherungspflicht handelt.
Die E-Scooter-Haftpflichtversicherung darf die Unfallschilderung des geschädigten Unfallbeteiligten nur dann mit Nichtwissen bestreiten, wenn sie alle möglichen Informationsquellen zur Ermittlung des Unfallhergangs ausgeschöpft hat und dies konkret darlegt (Anschluss BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – VI ZR 337/18).
Der Vermieter eines E-Scooters ist verpflichtet, dem geschädigten Unfallbeteiligten die Daten des Mieters des E-Scooters mitzuteilen. Diesbezüglich besteht ein Auskunftsanspruch des geschädigten Unfallbeteiligten.
Das Befahren des Bürgersteigs mit einem E-Scooter ist unzulässig (§§ 10, 11 eKFV). Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten (§ 9 StVG, § 254 BGB) tritt die reine Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des unvermittelt von einem Bürgersteig auf die Fahrbahn fahrenden E-Scooter-Fahrers zurück (Anschluss OLG Celle, Beschluss vom 31. Januar 2003 – 14 U 222/02).
§ 11 eKFV ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Quelle → Juris
LG Münster, Urteil vom 09.03.2020, 8 O 272/19
Aus den Gründen:
(kein) Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer der Halterin
Die Klägerin hat keinen Schadenersatz gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer der Fahrzeughalterin des von dem Beklagten zu 1) gefahrenen E-Scooters gem. § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG. Einer Haftung gem. § 7 StVG steht § 8 Nr. 1 StVG entgegen, so dass es auch auf eine Haftungsabwägung gem. § 17 StVG nicht ankommt.
Nach § 8 Nr. 1 StVG ist die in § 7 StVG normierte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als zwanzig Kilometer in der Stunde fahren kann. Um ein solches Fahrzeug handelte es sich nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten bei dem vom Beklagten zu 1) gefahrenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug. Der an dem Unfall beteiligte E-Scooter verfügte über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV), die zum Zeitpunkt des Unfallereignisses bereits in Kraft war. Gem. § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne dieser Verordnung Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h, was insbesondere auch sog. E-Scooter sind (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 26. Aufl. 2020, eKFV § 1 Rn. 10, 11).
Anspruch gegen Fahrer*in des E-Scooters – 18 Abs. 1 StVG und 823 BGB?
Die Klägerin hat deshalb auch keinen Anspruch gem. § 18 Abs. 1 StVG gegen den Beklagten zu 1) als Fahrer des E-Scooters. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen (vgl. BGH, VI ZR 156/96).
Aber:
Es kann allerdings ein Anspruch aus § 823 BGB bestehen, der allerdings ein Verschulden und einen Verschuldensnachweis des Fahrers / der Fahrerin erfordert. Und dazu führt das LG Münster weiter aus:
Voraussetzung dafür wäre, dass das Unfallereignis zumindest teilweise auf ein mindestens fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 1) zurückzuführen wäre. Der Beklagte hätte also die ihn in der konkreten Situation treffenden Sorgfaltspflichten verletzt haben müssen. Den ihr hierfür obliegenden Beweis (vgl. zur Beweislast BGH, Urt. V. 24.09.2013, VI ZR 255/12) hat die Klägerin nicht erbracht.
OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23
Sturz über einen abgestellten Scooter – blinder Fußgänger geht leer aus – keine verschuldensunabhängige Halterhaftung und hier auch kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten
Der Vermieter von E-Rollern haftet nicht aus einer Gefährdungshaftung als Halter, da E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge von der Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sind. Er genügt seinen Verkehrssicherungspflichten bezüglich der Art und Weise des Aufstellens der E-Roller, wenn er sich nach der behördlichen Sondernutzungserlaubnis richtet. Auch muss er die E-Roller nicht so aufstellen, dass jedes erdenkliche Schadensszenario ausgeschlossen ist. Denn das käme im Ergebnis einer Gefährdungshaftung gleich, die nach § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen ist.
Aus den Gründen:
Insbesondere ergibt sich eine Haftung der Beklagten nicht bereits aus Grundsätzen einer verschuldensunabhängigen Halterhaftung. Die E-Roller sind vorliegend als Elektrokleinstfahrzeuge gem. § 1 eKFV [Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung] zu qualifizieren, weil sie u.a. nur eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h erreichen können. Gemäß § 8 Nr. 1 StVG scheidet eine Gefährdungshaftung des Halters für solche Elektrokleinstfahrzeuge aus § 7 StVG aus (vgl. LG Münster, Urteil vom 09.03.2020 – 8 O 272/19, r+s 2020, 225; AG Berlin-Mitte, Urteil vom 09.05.2023 – 151 C 60/22, r+s 2023, 677).
Aber auch deliktische Ansprüche nach den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB sind vom Landgericht zutreffend verneint worden, da eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten nicht festzustellen ist.
Zwar unterlag hier die Beklagte zu 1) einer Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der von ihr betriebenen E-Roller und sie war danach grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (siehe unter a.). Dennoch liegt eine Verletzung dieser Verkehrssicherungspflicht nicht vor (siehe unter b.): Die streitgegenständliche Art des Abstellens der E-Roller, nämlich parallel zueinander in einem 90 – Grad – Winkel zur Hauswand in Richtung Gehweg verstößt weder gegen die SNE 2019 noch gegen allgemeine zivil-rechtliche Rücksichtnahme- und Fürsorgepflichten der Beklagten gegenüber besonders schutzbedürftigen Menschen. Dabei kommt es in diesem konkreten Fall nicht darauf an, ob die E-Roller bei dem Sturz noch standen oder bereits lagen.
Quelle (Leitsatz): Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2023, 31723
LG Bonn, Urteil vom 30.10.2023, 9 O 19/22
Kein Anspruch gegen die Halterin eines E-Scooters aus der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach § 7 I StVG . Vielmehr ist dieser Anspruch gem. § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen.
Ein Anspruch besteht gegen den Fahrer eines E-Scooters nur bei nachgewiesenem Verschulden.
Besonderheit hier ist die Frage der Einsichtsfähigkeit eines Zwölfjährigen bei einem E-Scooter-Unfall:
Beschädigt ein in einer intensivpädagogischen Wohngruppe untergebrachter Zwölfjähriger mit Ergänzungspfleger ein Taxi mit einem E-Scooter, kann die erforderliche Einsichtsfähigkeit vorliegen, wenn er erkannt hat, dass er den E-Scooter mangels App, Regulierung und Freischaltung unberechtigt und in verbotener Weise nutzt.
Quelle: Leitsatz aus NJW 2024, 684
Pedelec, E-Bike und so – wie ist das eigentlich?
AG Lüneburg, Urteil vom 23.03.2023 – 6 O 68/22
Haftung eines Pedelec-Fahrers für Unfall an einer Straßeneinmündung
Kreuzt ein Pedelec-Fahrer mit 10 bis 15 km/h unter Verlassen eines benutzungspflichtigen Radweges eine unübersichtliche Einmündung und kollidiert mit einem aus der einmündenden Straße kommenden, zum Zeitpunkt der Kollision an der Haltelinie stehenden Pkw, wobei die «Schnauze» des Pkw leicht über die Haltelinie ragt, aber ausreichend Platz für ein Passieren auf dem Radweg belässt, haftet der “Radfahrer” allein.
Quelle (Leitsatz): Beck-Verlag / BeckRS 2023, 18850
Volltext → Direktlink Landesrecht Niedersachsen
Der Fußgänger – im Allgemeinen und Besonderen
BGH, Urteil vom 24.09.2013 – VI ZR 255/12
a) Bei einem Unfall zwischen einem Fußgänger und einem Kraftfahrzeug darf bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat.
b) Die Beweislast für den unfallursächlichen Mitverschuldensanteil des Fußgängers trägt regelmäßig der Halter des Kraftfahrzeugs.
OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2022, 9 U 157/21
Befindet sich eine ältere Person in einer Lage, in der für sie nach der Lebenserfahrung aber keine Gefährdung zu erwarten ist, so braucht ein Kraftfahrer nicht allein schon wegen ihres höheren Alters ein Höchstmaß an Sorgfalt einzuhalten.
Voraussetzung einer besonderen Sorgfaltspflicht nach dieser Vorschrift ist es, dass die Person aufgrund äußerer Merkmale erkennbar einer der in der Vorschrift genannten „verkehrsschwachen“ Gruppen angehört und die Gefahr verkehrswidrigen Verhaltens vorhersehbar ist (König, a.a.O., § 3 StVO, Rz. 29b mit zahlreichen Nachweisen). Der besondere Schutz des § 3 Abs. 2a StVO greift ein, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wenn der ältere Mensch bzw. eine andere Person aus dem geschützten Personenkreis sich in einer Verkehrssituation befindet, in der erfahrungsgemäß damit gerechnet werden muss, dass er aufgrund seines Alters das Geschehen nicht mehr voll werde übersehen und meistern können, wobei es konkreter Anhaltspunkte für eine Verkehrsunsicherheit nicht bedarf. Für die Pflicht zu erhöhter Rücksichtnahme kommt es auf die konkrete Verkehrssituation an (BGH, NJW 1994, 2829). Nach dem Schutzzweck des § 3 Abs. 2 a StVO muss jedenfalls die Annäherung der geschützten Personen an die Fahrbahn bzw. die Gefahrensituation erkennbar sein. Der BGH hat daher hinsichtlich des Schutzes von Kindern nur dann von dem Kraftfahrer verlangt, besondere Vorkehrungen (z.B. Verringerung der Fahrtgeschwindigkeit oder Einnehmen der Bremsbereitschaft) zur Abwendung der Gefahr zu treffen, wenn ihr Verhalten oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zur Gefährdung führen können (vgl. BGH, NZV 2002, 365; Senat, Urteil vom 19.06.2012, 9 U 175/11 – juris). Befindet sich eine ältere Person in einer Lage, in der für sie nach der Lebenserfahrung aber keine Gefährdung zu erwarten ist, so braucht ein Kraftfahrer nicht allein schon wegen ihres höheren Alters ein Höchstmaß an Sorgfalt einzuhalten (BGH NJW 1994, 2829). Nicht jede im Blickfeld des Kraftfahrers erscheinende Person der in § 3 Abs. 2a StVO genannten Gruppen erfordert also in jedem Fall sofortige Verlangsamung, ohne das eine Gefahr für ein verkehrswidriges Verhalten voraussehbar ist.
Quelle → VOLLTEXT / OLG HAMM / 08.03.2022 / 9 U 157/21
OLG Brandenburg Beschluss vom 12.3.2024 – 12 W 7/24
Alleinhaftung eines Fußgängers bei unvorsichtiger Radwegquerung
Der Radweg ist kein Bestandteil der Fahrbahn, aber ein – durch Verkehrszeichen oder durch seine bauliche Gestaltung – als solcher erkennbarer Sonderweg, der der Benutzung durch Radfahrer vorbehalten bleiben soll. Fußgänger die einen Radweg überqueren wollen, müssen daher gemäß § 25 Abs. 3 S. 1 StVO beim Überqueren des Radwegs auf die Radfahrer Rücksicht nehmen und einen Radweg erst betreten, wenn eine Behinderung ausgeschlossen ist. (Anschluss OLG Hamm BeckRS 2018, 1294).
Tritt ein auf dem Gehweg laufender Fußgänger auf den daneben befindlichen Radweg, ohne auf Fahrradfahrer zu achten, haftet er einem Fahrradfahrer, mit dem er zusammenstößt, voll für den Unfall.
Radfahrer müssen ihre Geschwindigkeit nicht auf die Möglichkeit einrichten, dass ein Fußgänger vor ihnen auf den Radweg tritt, auch wenn der Fußgänger in einer Gruppe auf dem Gehweg läuft. Radfahrer müssen auch nicht klingeln oder rufen, um auf sich aufmerksam zu machen.
Quelle: BeckRS 2024, 7798 / beck-online
Rettungswagen als “unfallbeteiligt”
OLG Frankfurt / Main, Urteil vom 20.11.2023 – 17 U 121/23
Zusammenstoß mit Rettungsfahrzeug an Ampelanlage
1. Auch wenn ein Fahrzeug des Rettungsdienstes nach § 35 Abs. 5a StVO bei einer Einsatzfahrt von den Vorschriften der StVO befreit ist, kann eine Sorgfaltsverletzung darin liegen, dass dessen Fahrer bei der Wahrnehmung der Sonderrechte sorgfaltswidrig gehandelt hat. Nach § 35 Abs. 8 StVO kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeuges am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, umso höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2016 – 1 U 248/13; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.06.1998 – 1 U 42/97).
2. Er darf die Kreuzung nur dann bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.11.2012 – 24 U 45/1).
3. Solange bei einer querenden Straße mit mehreren Fahrspuren eine Fahrspur frei ist und nicht durch wartende Fahrzeuge blockiert wird, sodass der Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs glauben kann, der gesamte Querverkehr habe seine Warnzeichen wahrgenommen und stelle sich darauf ein, darf er nicht darauf vertrauen, die Kreuzung gefahrlos überqueren zu können (BGH, Urteil vom 30.10.1968 – 4 StR 341/68).
4. Genügt der Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs diesen Sorgfaltsanforderungen nicht, weil er nicht auf den Querverkehr achtet, und übersieht bzw. überhört der Fahrer eines querenden Fahrzeugs die Sondersignale des Sonderrechtsfahrzeugs und fährt in die Kreuzung ein, obwohl vor ihm andere Verkehrsteilnehmer trotz Grünlichts stehen bleiben, kommt bei einer Kollision eine Schadensteilung in Betracht.