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AG Dortmund vom 11.4.2024 – 729 OWi-251 Js 287/24
Grenzwert jetzt für Cannabis bei 3,5 ng/ml THC
Aus den Gründen:
Der bisherige Grenzwert für § 24a Abs. II StVG lag für Cannabis bei 1,0 ng/ml.
Dabei ist die Situation derart, dass bislang lediglich der Wirkstoff THC in der Anlage zu § 24a StVG genannt ist, jedoch nicht der im Straßenverkehr maßgebliche Grenzwert. Dieser wurde in der Vergangenheit von der Rechtsprechung festgesetzt anhand rechtsmedizinischer Vorschläge.
Im Rahmen des Cannabis-Gesetzes und der Teillegalisierung von Cannabis hat der Gesetzgeber in § 44 KCanG ausdrücklich eine Regelung getroffen, wie weiter zu verfahren ist:
Hiernach sollte eine nach dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzte Arbeitsgruppe bis zum 31.03.2024 den Wert einer Konzentration von THC im Blut vorschlagen, bei dessen Erreichen nach dem Stand der Wissenschaft das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr regelmäßig nicht mehr gewährleistet ist. Diese Arbeitsgruppe hat – allgemein bekannt aufgrund einer Veröffentlichung durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr – den Grenzwert auf 3,5 ng/ml vorgeschlagen. In der Pressemitteilung des Ministeriums heißt es u.a.:
„…Die wissenschaftlichen Experten geben danach folgende Empfehlungen ab:
Im Rahmen des § 24a StVG wird ein gesetzlicher Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC Blutserum vorgeschlagen. Bei Erreichen dieses THC-Grenzwertes ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt….Bei dem vorgeschlagenen Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum handelt es sich nach Ansicht der Experten um einen konservativen Ansatz, der vom Risiko vergleichbar sei mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille. THC im Blutserum ist bei regelmäßigem Konsum noch mehrere Tage nach dem letzten Konsum nachweisbar. Daher soll mit dem Vorschlag eines Grenzwertes von 3,5 ng/ml THC erreicht werden, dass – anders als bei dem analytischen Grenzwert von 1 ng/ml THC – nur diejenigen sanktioniert werden, bei denen der Cannabiskonsum in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfolgte und eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeugs möglich ist….“
Das Gericht sieht hierin ein sogenanntes antizipiertes Sachverständigengutachten, dass auch nicht durch anderweitige Vorschläge/Kritik aus Politik, Justiz, Medizin oder dem Bereich der Polizei infrage gestellt wird. Dies gilt umso mehr, dass ausweislich des § 44 KCanG keinerlei weiterer Schritt vorgesehen ist, der die Umsetzung des Grenzwertes in die verkehrsrechtliche Praxis vorsieht. Die aus der Gesetzesbegründung sich insoweit ergebende Absicht einer Kodifizierung des gefundenen Wertes spricht nicht gegen die Anwendung des Wertes bereits zum jetzigen Zeitpunkt.
Die Situation ist nämlich in rechtlicher Hinsicht hinsichtlich des § 24a StVG gleichgeblieben. Lediglich die Risikobewertung hat sich hinsichtlich des Cannabis geändert, so dass der neue Grenzwert von 3,5 ng/ml seit dem 01.04.2024 für gerichtliche Entscheidungen maßgeblich ist.
Quelle → zum VOLLTEXT geht es HIER
VGH München, Beschluss vom 15.03.2023, 11 CS 23.59
Fahreignungszweifel nach Cannabis-Fahrt mit einem E-Scooter – aber nur für Kraftfahrzeuge
Die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) unter der Wirkung von Cannabis, die den Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG erfüllt, begründet
Zweifel hinsichtlich der Fahreignung nur für Kraftfahrzeuge, nicht aber für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, die keine Kraftfahrzeuge sind (insbesondere Fahrräder), und kann daher auch keine auf solche Fahrzeuge bezogene Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtfertigen.
BGH, Beschluss vom 21.12.2022, 3 StR 372/21
Nicht geringe Menge bei „neuen psychoaktiven Stoffen“
Es beginnt die nicht geringe Menge der “neuen psychoaktiven Stoffe”
– 2-Fluormetamfetamin (2-FMA) bei 10 Gramm 2-FMA-Base,
– 4-Fluormetamfetamin (4-FMA) bei 10 Gramm 4-FMA-Base und
– 3-Methylmethcathinon (3-MMC) bei 25 Gramm 3-MMC-Base.
KG vom 14.10.2022 – 3 Ws (B) 253/22 – 162 Ss 117/22
Urteilsanforderungen bei Atemalkoholmessung (hier mit Dräger Alcotest 9510 DE)
Beim Atemalkoholmessgerät Dräger Alcotest 9510 DE ist der ermittelte Mittelwert der Prüfung den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24a Abs. 1 StVG ohne Sicherheitsabschlag zugrunde zu legen.
Der Mitteilung der festgestellten Einzelmessergebnisse bedarf es in der Regel nicht.
LG Stralsund, Beschluss vom 7.10.2022 – 26 Qs 195/22
Entziehung der Fahrerlaubnis und Konsumanzeichen sowie Ausfallerscheinungen
Mit zunehmender Entfernung der Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) steigen die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.
Die alleinige (nachträgliche) Feststellung körperlicher Konsumanzeichen (Pupillenweitung etc.) kompensiert das Fehlen feststellbarer Ausfallerscheinungen i.S.v. Fahrfehlern nicht.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2022, 29697
LG Hildesheim vom 20.09.2022 – 13 Ns 40 Js 25077/21
E-Scooter als Tretroller und Drogenkonsum
Wer einen unversicherten E-Scooter ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Straßenverkehr wie einen einfachen Tretroller mit bloßer Muskelkraft fortbewegt, verhält sich selbst dann weder strafbar noch ordnungswidrig, wenn er zuvor Drogen konsumiert hat, ohne Ausfallerscheinungen zu zeigen.
Quelle: IWW / 14.12.2022 / IWW-Abrufnummer 232794
BGH, Beschluss vom 09.08.2022, 3 StR 206/22
Grenzwert der geringen Menge für 2C-B liegt bei 1 Gramm
Für 2C-B (Bromdimethoxyphenethylamin, BDMPEA) beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei 1 Gramm (hier: Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge / Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge).
Der Grenzwert von 1 g ergibt sich dabei aus einem Vergleich von 2C-B mit dem in Wirkungsweise und Molekülstruktur ähnlichen Mescalin. Auch weil Konsumenten bei dieser Substanz von üblichen Dosierungen zwischen 200 und 300 mg berichten, wohingegen bei 2C-B Mengen von 5 bis 20 mg üblich sind, ist anzunehmen, dass 2C-B 16fach potenter als Mescalin ist. Dessen nicht geringe Menge errechnet sich dabei auf 15 g, verglichen mit LSD, das ebenfalls am 5-HT2A-Rezeptor wirkt, dessen Grenzwert bereits auf 6 mg festgesetzt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1987 – 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43, 48 f.) und das 2.500mal potenter als Mescalin ist
BGH, Beschluss vom 02.08.2022, 4 StR 231/22
Bestimmung der drogenbedingten Fahruntüchtigkeit = Blutwirkstoffkonzentration allein ist nur Indiz
Wer unter Drogeneinfluss ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt, ist nicht automatisch fahruntüchtig im Sinne des Strafgesetzbuchs. Vielmehr sind weitere aussagekräftige Beweisanzeichen erforderlich, dass der Fahrer drogenbedingt nicht in der Lage war, sein Fahrzeug auch in schwierigen Verkehrslagen sicher zu steuern. Die Blutwirkstoffkonzentration allein ist nur ein Indiz, das je nach Höhe in der Beweiswürdigung zu gewichten sei.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2022, 20794
OLG Saarbrücken, Urteil vom 06.07.2022, 5 U 92/21
Verwertung eines abweichend von den Standardregeln bestimmten BAK-Messwerts
Bindungswirkung entfaltet die BAK-Bestimmung im Rahmen der Grundsätze zur alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit nur, wenn sie nach standardisierten Regeln getroffen worden ist, die einen hinreichend sicheren Ausschluss möglicher Mess- und Berechnungsfehler gewährleisten. Das Messergebnis muss deshalb dem arithmetischen Mittelwert aus einer Mindestzahl voneinander unabhängiger Einzelmesswerte entnommen werden. Wurde diesen Anforderungen nicht genügt, folgt daraus allerdings kein generelles Beweisverwertungsverbot für solche Einzelmesswerte.
LG Leipzig, Urteil vom 24.06.2022, 9 Ns 504 Js 66330/21
Ausnahme von Regelentziehung einer Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter
Angesichts gravierenden Unterschiede zwischen einem Kraftfahrzeug und einem E-Scooter, auch der unterschiedlichen Wahrnehmung des E-Scooters in der Öffentlichkeit, spricht manches dafür, schon die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB als solche in Frage zu stellen. Jedenfalls ist aber der Umstand, dass es sich bei dem Fahrzeug, mit dem der Angeklagte eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB begangen hat, ggf. ein „Elektrokleinstfahrzeug” war, maßgeblich heranzuziehen bei der Frage, ob hier nicht eine Ausnahme von der Regelwirkung begründet ist.
Quelle: https://www.iww.de/quellenmaterial/id/230849
ebenso
LG Chemnitz, Beschluss vom 09.08.2022 – 4 Qs 283/22
Bei E-Scootern ist die Indizwirkung nach den §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 StGB insbesondere deswegen abzulehnen, weil E-Scooter gegenüber einspurigen Kraftfahrzeugen eine verringerte abstrakte Gefährlichkeit aufweisen und angesichts ihres Gewichts und der erreichbaren Geschwindigkeit vielmehr mit der Gefährlichkeit eines Pedelecs oder eines konventionellen Fahrrads zu vergleichen sind.
Quelle: VRR 2022, Heft 9, Seite 2
aber (zum Beispiel)
LG Oldenburg, Beschluss vom 07.11.2022 – 4 Qs 368/22
Fahrerlaubnisentzug für betrunkenen Sozius auf E-Scooter
Wer absolut fahruntüchtig auf einem E-Scooter als Sozius mitfährt und sich mit am Lenker festhält, ohne Lenkbewegungen auszuführen, begeht laut Landgericht Oldenburg eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB, da er ein Fahrzeug «führt». Bei einem E-Scooter handele es sich um ein Kfz, sodass eine absolute Fahruntüchtigkeit beim Führen von E-Scootern bereits ab einer BAK von 1,1 Promille anzunehmen sei.
Quelle: Beck-Verlag / FD-StrVR 2022, 454476
OLG Hamm, Beschluss vom 31.05.2022, 5 RVs 47/22
Relative Fahruntüchtigkeit, Indizien, Beweisanzeichen, Verhaltensweisen, Alkoholbedingtheit
Voraussetzung für den Schluss von bestimmten festgestellten Verhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit im Rahmen der Beurteilung einer (relativen) Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB ist die sichere Feststellung, dass das Verhalten durch den Alkoholkonsum zumindest mitverursacht ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wie sich ein durchschnittlicher nüchterner Fahrer, sondern wie sich gerade der Täter in nüchternem Zustand verhalten hätte.
Interessant (aus den Gründen) sind folgende Ausführungen zum Sachverhalt:
Der Umstand, dass der Angeklagte sein Fahrzeug ordnungswidrig geparkt hat, lässt ebenso wie das Rauchen im Pkw im Beisein der Kinder und die Entscheidung des Angeklagten, das Fahrzeug mit den in diesem befindlichen Kindern alkoholisiert über eine längere Strecke zu führen, den Schluss auf die relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nicht ohne Weiteres zu.
Quelle → OLG Hamm / 31.05.2022 / 5 RVs 47/22
VG München, Beschl. vom 24.01.2022 – M 19 S 21.5836
Entziehung der Fahrerlaubnis, einmaliger Cannabiskonsum, Aufmerksamkeitsstörung, Regelmäßige Einnahme von Elvanse, Nichtvorlage des ärztlichen Gutachtens
1. Einmaliger Cannabiskonsum ist fahrerlaubnisrechtlich ohne Bedeutung, selbst wenn im Konsumzeitpunkt Zusatztatsachen i.S.d. Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV vorlagen.
2. Bei Vorliegen einer einfachen Aufmerksamkeitsstörung ist die Aufforderung, ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung vorzulegen, grundsätzlich nur zulässig, wenn Verstöße gegen Verkehrsvorschriften bekannt geworden oder fahreignungsrelevante Ausfallerscheinungen aufgetreten sind. Diese zusätzlichen Tatsachen sind im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen.
Quelle → VOLLTEXT / VG MÜNCHEN / 24.01.2022 / M 19 S 21.5836
BGH, Beschluss vom 27.01.2022, 3 StR 155/21
Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMBFUBINACA beginnt bei einem Gramm Wirkstoffmenge.
In Anbetracht der angeführten nicht ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann zur Bestimmung der nicht geringen Menge nur ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen angestellt werden. Hierzu bieten sich lediglich THC und andere synthetische Cannabinoide an, für die die nicht geringe Menge bereits höchstrichterlich festgestellt worden ist. Ein Vergleich mit anderen Betäubungsmitteln – wie Heroin, Kokain, Amphetamin, Methamphetamin, MDE/MDMA/MDA oder LSD – kommt hingegen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Grundstrukturen, der abweichenden Konsummotivation, vor allem aber des vollkommen verschiedenen Wirkungsmechanismus nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13 , BGHSt 60, 134 ).
Mit Blick auf die stärkere Bindungsaffinität (AMB-FUBINACA) und die geringeren mittleren effektiven Stoffmengenkonzentrationen gegenüber THC, JWH-073, aber auch JWH-018, ist davon auszugehen, dass 5F-ADB und AMBFUBINACA eine höhere Potenz als die Vergleichssubstanzen haben, weshalb die Schwelle zur nicht geringen Menge entsprechend niedriger zu bemessen und auf ein Gramm Wirkstoffmenge festzusetzen ist. Die besondere Gefährlichkeit der Substanzen wird überdies durch die bekannt gewordenen Todesfälle und die in Internetforen beschriebenen niedrigen Mengen einer Konsumeinheit bestätigt.
VG Köln, Beschluss vom 18.08.2021 – 6 L 1039/21
Keine Beeinträchtigung des Trennungsvermögens bei niedrigem THC-Wert (hier unter 1,0 μg/L und keine drogenkonsumtypischen Auffälligkeiten)
1. Eine Entziehungsverfügung für eine Fahrerlaubnis ist rechtswidrig, wenn die Behörde aufgrund der Nichtbeibringung des von ihr geforderten Gutachtens auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 46 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 8 FeV schließt.
2. An einer Beeinträchtigung des Trennungsvermögens eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten fehlt es, wenn der THC-Wert unter 1,0 μg/L liegt und drogenkonsumtypische Auffälligkeiten fehlen. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 3 Satz 1 FeV ist dann (ohne weitere Anhaltspunkte) nicht gerechtfertigt.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 27220 / FD-StrVR 2021, 442695
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 437/20
Ablehnung eines Beweisantrags – Entlastungszeugen – im Bußgeldverfahren
Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits erwiesen.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2020, 28341
OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.07.2021, 12 ME 79/21
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabisabhängigkeit; Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach erneutem Konsum
Hat ein Fahrerlaubnisinhaber, bei dem in der Vergangenheit eine Cannabisabhängigkeit festgestellt worden ist, erneut Cannabis konsumiert, so kann dieser Konsumakt, soweit er nicht unmittelbar zum Wegfall der Kraftfahreignung führt, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV rechtfertigen.
Die dann vom Gutachter zu klärende Fragestellung ist in § 14 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FeV nicht abschließend vorgegeben.
OLG Dresden, Beschluss vom 28.04.2021, 22 Ss 672/20 (B)
Dräger ALCOTEST / Atemalkoholmessung / Kontrollzeit
Wird vor einer Atemalkoholmessung die sog. Kontrollzeit von zehn Minuten nicht eingehalten wird, führt das, zumindest in den Fällen, in denen der Grenzwert gerade erreicht oder nur ganz geringfügig überschritten worden ist, zur Unverwertbarkeit der Messung.
BVerwG, Urteil vom 17.03.2021, 3 C 3.20
MPU auch nach einmaliger Trunkenheitsfahrt mit hoher Blutalkoholkonzentration (auch schon zwischen 1,1 und 1,59 Promille) und fehlenden Ausfallerscheinungen
Zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung ist auch dann ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zwar eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille aufwies, bei ihm aber trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden.
Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei seiner Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr aufwies. Außerdem muss festgestellt und dokumentiert worden sein, dass er dennoch keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigte.
Quelle: Pressemitteilung des BVerwG vom 17.03.2021 → Link zur Pressemitteilung
Fazit: Bereits das Fehlen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen ist eine “Zusatztatsache” im Sinne einer bestimmten weiteren Auffälligkeit.
AG München vom 07.09.2018, 953 OWi 421 Js 125161/18
Dass die Verkehrskontrolle erst nach Erreichen des privaten Parkplatzes durchgeführte wurde, hindert nicht die vorangegangene Fahrt unter Alkoholeinfluss zu ahnden.
Das Ergebnis der Atemalkoholmessung ist (…) verwertbar. Soweit die Verteidigung in der Hauptverhandlung vorbrachte, die Verkehrskontrolle hätte auf Privatgrund nicht durchgeführt werden dürfen, da es sich um eine verdachtsunabhängige allgemeine Verkehrskontrolle gehandelt habe, begründet dies kein Verwertungsverbot für die Atemalkoholmessung. Selbst wenn die allgemeine Verkehrskontrolle nicht hätte durchgeführt werden dürfen und rechtswidrig gewesen wäre, durften die Polizeibeamten aufgrund des dabei gewonnenen Tatverdachts wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG die erforderlichen Maßnahmen treffen. (…) Im vorliegenden Fall ist den Polizeibeamten zudem keine fehlerhafte Verhaltensweise vorzuwerfen. Selbst wenn sie ohne vorherigen Anhalteversuch die allgemeine Verkehrskontrolle erst auf dem Privatparkplatz des Betroffenen durchgeführt haben sollten, so war dies zulässig und gerechtfertigt, da der Betroffene zuvor zweifellos am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hatte und es nach den Umständen durchaus vertretbar war, die Verkehrskontrolle abseits des öffentlichen Verkehrsgrundes erst durchzuführen, nachdem der Betroffene sein Fahrziel erreicht hatte. (…)
Selbstverständlich dürfen auch Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, die auf Privatgrund entdeckt werden, sofern nicht in für spezielle, besonders eingriffsintensive Ermittlungsmethoden (etwa Telefonüberwachung und dgl.) besondere Regelungen über den Umfang der Verwertbarkeit getroffen wurden.“
Ein Verwertungsverbot dürfe überdies nur angenommen werden „… wenn besondere gesetzliche Sicherungen, etwa ein Richtervorbehalt, willkürlich umgangen werden sollen.“
Quelle → Pressemitteilung AG München hierzu
OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.11.2016, 12 ME 180/16
Auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 kann weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum von fehlendem Trennungsvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs ausgegangen werden.
OVG Berlin-Brandenburg vom 16.08.2016, OVG 1 S 52.16
§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ist nicht anwendbar, wenn die Straftat (z.B. Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB) auf einem Fahrrad begangen wurde. Ein Strafverfahren im Sinne von § 3 Abs. 3 und 4 StVG muss gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gerichtet sein. Nur dann kommt eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StVG). § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt eine rechtswidrige Tat voraus, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde.
BGH, Beschluss vom 22.05.2017, 4 StR 165/17
Die nachfolgende Entscheidung des BGH ist zwar in der Hauptsache zu einem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer ergangen, gleichwohl sind eben die Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal des “öffentlichen Verkehrsraum” bedeutend auch für andere (Verkehrs)strafsachen.
Aus den Gründen:
Die Ansicht der Revision, den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, dass der Angriff des Angeklagten im Sinne des § 316a StGB auf den Nebenkläger im öffentlichen Verkehrsraum (hier: Parkplatz einer Sparkasse) erfolgt sei, geht fehl. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch dann erfüllt, wenn die betreffende Verkehrsfläche ungeachtet der Eigentumsverhältnisse und ohne Rücksicht auf eine Widmung entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch tatsächlich genutzt wird (…). Entgegenstehende äußere Umstände, etwa in Form von Zugangssperren, mit denen der Verfügungsberechtigte unmissverständlich erkennbar gemacht hat, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird, hat das Landgericht nicht festgestellt. Der Parkplatz war für das vom Nebenkläger geführte Fahrzeug vielmehr ohne Schwierigkeiten erreichbar.
KG Berlin, Urteil vom 30.03.2017, (3) 161 Ss 42/17 (6/17)
Trunkenheit im Straßenverkehr: Absolute Fahruntüchtigkeit bei Radfahrern; Begründungserfordernis für ein freisprechendes Urteil
Hält das Tatgericht bei einem Radfahrer eine über 1,6 Promille liegende Blutalkoholkonzentration gegen gefestigte Rechtsprechung für kein unwiderlegliches Indiz der Fahrunsicherheit, so muss er dies im Urteil ausführlich begründen. Gegebenenfalls abweichende wissenschaftliche Erkenntnisse der experimentellen Alkoholforschung sind eingehend darzustellen und zu würdigen.
Quelle → Volltext KG Berlin Freispruch Trunkenheitsfahrt Radfahrer
KG Berlin, Beschluss vom 31.07.2018, 3 Ws (B) 188/18, 3 Ws (B) 188/18 – 122 Ss 88/18
1. Die Tatsache, dass der Alkoholkonsum längere Zeit zurückliegt, lässt den Fahrlässigkeitsvorwurf nicht entfallen.
2. Das Tatgericht muss zugunsten des schweigenden Betroffenen nicht von dem völlig unwahrscheinlichen Fall einer unbewussten Alkoholaufnahme ausgehen.
3. Ist ein Grenzwert des § 24a Abs. 1 StVG erreicht, bedarf das Urteil in der Regel keiner Ausführungen zu Art und Umfang der Alkoholaufnahme (entgegen OLG Hamm, Blutalkohol 39, 123).
OLG Bamberg, Beschluss vom 11.12.2018 – 3 Ss OWi 1526/18
Auch bei Nichterreichen des sog. Nachweisgrenzwertes bleibt eine Ahndung wegen einer tatbestandsmäßigen Drogenfahrt nach § 24a II StVG möglich, sofern neben der den analytischen Nachweisgrenzwert nicht erreichenden konkreten Konzentration des berauschenden Mittels im Blut des Betroffenen weitere Umstände, insbesondere drogenbedingte Verhaltensauffälligkeiten oder rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die es als möglich erscheinen lassen, dass der Betroffene am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung des berauschenden Mittels eingeschränkt war.
OLG Bamberg, Beschluss v. 02.01.2019 – 2 Ss OWi 1607/18
Verfahren wegen zu viel Cannabis (aus therapeutischen Gründen) – bestimmungsgemäße Einnahme aufgrund ärztlicher Verordnung
Die bußgeldrechtliche Ahndung einer Drogenfahrt nach § 24a II oder III StVG scheidet gemäß § 24a II 3 StVG aus, wenn die im Blut des Betroffenen nachgewiesene Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt, d.h. der Einfluss der Substanz allein auf der Einnahme der sich aus der ärztlichen Verordnung vorgegebenen Dosierung und auch nicht auf einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung beruht.
Bringt der Betroffene vor, die nachgewiesene berauschende Substanz beruhe auf der bestimmungsgemäßen Einnahme als Arzneimittel gemäß einer für ihn ausgestellten ärztlichen Verordnung, hat sich das Tatgericht hiermit näher zu befassen, sofern es nicht von einer reinen Schutzbehauptung ausgeht. Die tatrichterliche Beweiswürdigung erweist sich deshalb als lückenhaft, wenn sich aus dem Urteil nicht ergibt, warum der Einwand des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 24a II 3 StVG als unbeachtlich angesehen worden ist.
LG München I, Beschluss vom 29.11.2019 – 26 Qs 51/19
Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille gilt auch für E-Scooter
Diese E-Scooter werden von der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) grundsätzlich als Kraftfahrzeuge im Sinn von § 1 Abs. 2 StVG eingestuft.
Eine abweichende Regelung für Trunkenheitsfahrten mit Elektrokleinstfahrzeugen wurde weder für die laufende Nr. 241 des BKat (0,5 Promille-Grenze) noch im Rahmen des § 69 StGB getroffen.
E-Scooter haben ein Gewicht von ca. 20 bis 25 kg und eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h., woraus sich ein erhebliches Verletzungspotential für Dritte ergibt. Nicht zuletzt deswegen unterliegen sie auch einer Versicherungspflicht. Die ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors erfordert es, dass der Fahrer sie sicher kontrolliert und nicht unter einer erhöhten Alkoholisierung steht.
Die Kammer schließt sich auch insoweit der Auffassung … an, dass Elektrokleinstfahrzeuge im Rahmen des Gefährdungspotentials mit Mofas vergleichbar sind, bei denen auch von einem Grenzwert von 1,1 Promille für die absolute Fahruntüchtigkeit auszugehen ist.
Aber → es ist immer noch bei den Gerichten umstritten, ob dieser Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit berechtigt ist oder der Grenzwert höher zu sein habe.
Hierzu siehe und vergleiche →
AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.06.2020, 661 Js 59155/19
AG Dortmund, Urteil vom 21.01.2020, 729 Ds-060 Js 513/19 – 349/19
LG Wuppertal, Beschluss vom 02.02.2022 – 25 Qs 63/21
und
BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020, 205 StRR 216/20
E-Scooter sind Fahrzeuge i.S.d. § 69 StGB.
Ein Fahrverbot kommt neben einer Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht, wenn das Gericht dem Täter das Fahren mit gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 FeV fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will (BGH BeckRS 2018, 20463).
Von einem Entzug der Fahrerlaubnis nach der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann nur bei besonderen Umständen in seltenen Ausnahmefällen abgesehen werden.
Quelle → BayOBLG und Trunkenheitsfahrt E-Scooter
OLG Hamm, Beschluss vom 19.06.2015, 2 RVs 30/15
Zum Begriff der “geringen Menge” (hier: Marihuana) und der Erörterung des § 29 Abs. 5 BtMG (“Absehen von Strafe”)
Als eine „geringe Menge“ im Sinne der vorgenannten Gesetzesbestimmung ist eine Menge anzusehen, die zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rdnr. 1801). Bei Cannabis wird die durchschnittliche Konsumeinheit mit 15 mg THC angesetzt, so dass der Grenzwert für die „geringe“ Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG 45 mg (= 0,045 g) THC beträgt. Wird der Wirkstoffgehalt – wie vorliegend – nicht festgestellt, wird zum Teil in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ein Cannabisgemisch mit einer Gewichtsmenge von bis zu 6 Gramm als „geringe Menge“ i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG angesehen, weil sich unter Annahme einer äußerst schlechten Konzentration von 0,8 % aus 6 g Haschisch noch drei Konsumeinheiten gewinnen lassen (vgl. Weber, a.a.O., § 29 Rdnr. 1811 u. 1812 m.w.N.; Körner, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 28 Rdnr. 39 m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.10.2008 – Ss 355/08 -; BeckRS 2008, 22472). Stellt man auf die Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. 1 BtMG gemäß dem Runderlass des Justizministeriums und des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 19.05.2011 – JMBL. NRW S. 106 – ab, so ist von einer geringe Menge zum Eigenverbrauch gemäß Ziffer II. 1. der Richtlinien bei Cannabisprodukten bis zu einer Gewichtsmenge von 10 g auszugehen.
Die Marihuanazubereitungen mit einem Nettogewicht von 0,4 g bzw. 0,7 g, die bei dem Angeklagten vorgefunden worden sind, lagen daher erheblich unter den vorgenannten Grenzmengen für Cannabisprodukte von 6 g bzw. 10 g. Das Amtsgericht hat sich dennoch nicht erkennbar mit der Anwendung der Vorschrift des § 29 Abs. 5 BtMG, bei der es sich um eine Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes handelt (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Randziffer 3 m.w.N.), befasst. Hierzu hätte vorliegend jedoch insbesondere auch deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht vorbestraft ist und über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz hinausgehend konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind. Entgegenstehende Feststellungen sind zumindest nicht getroffen. Auch ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts nichts dafür ersichtlich, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Dauerkonsumenten handelt. Allein die Feststellung des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen reicht für eine solche Annahme nicht aus.