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OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.08.2024 – 2 U 21/24
Verstärkte Aufmerksamkeit eines Rennradfahrers bei Bodenunebenheiten
Von dem Fahrer eines Rennrades ist beim Überfahren von Unebenheiten (hier: Bodenwellen auf der Fahrbahn) eine gesteigerte Aufmerksamkeit und ein besonders vorsichtiges Verhalten zu verlangen, da er weiß bzw. wissen muss, dass er infolge der dünnen Reifenstärke seines Fahrrades durch Unebenheiten etc. besonders gefährdet ist.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2024, 25019
OLG Naumburg, Beschluss vom 24.10.2023 – 9 U 74/23
Mit gesenktem Kopf fahrender Rennradfahrer haftet bei Auffahrunfall voll
Fährt ein Rennradfahrer länger mit gesenktem Kopf, um eine Steigung zu bewältigen und fährt er deshalb auf einen stehenden Pkw auf, hat er keinen Anspruch auf Schadensersatz, weil hinter seinem Verschulden die Betriebsgefahr des Pkw voll zurücktritt.
Bei längerem Fahren mit gesenktem Kopf darf er laut OLG Naumburg “genau genommen nur mit einer Geschwindigkeit von 0 km/h fahren, weil bei dieser Kopfhaltung die übersehbare Strecke 0 m beträgt. Nur bei einer Geschwindigkeit von 0 km/h kann innerhalb einer Strecke von 0 m gehalten werden”.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 45552
LG Köln, Urteil vom 23.10.2023, 15 O 424/21
Schadengutachten für (Renn)rad unter den gleichen Voraussetzungen wie für ein KFZ-Gutachten erstattungsfähig
Hintergrund und Eckdaten:
Wiederbeschaffungswert: 8.500 EUR / Reparaturkosten: ca. 10.800 EUR / Gutachterkosten: ca. 994 EUR
und
AG Köln, Urteil vom 20.09.2024, 274 C 72/23
Erforderlichkeit eines Gutachtens für ein beschädigtes E-Bike (bejaht), aber der Gutachter sollte schon “e-bike”- bzw. “fahrrad”-like tätig werden
Hintergrund:
Der vom Radgeschäft empfohlene Gutachter hatte nicht einmal gemerkt, dass er Textbausteine aus dem KFZ-Unfall-Bereich verwendet hatte, z.B. von “Karosserie” und “Zulassungsbescheinigung” sowie “FIN-Abfrage” geschrieben.
LG Hamburg, Urteil vom 01.09.2023 – 306 S 35/22
Überwiegende Haftung eines auf Gehweg fahrenden Radfahrers bei Kollision mit aus Ausfahrt kommendem Pkw
Kollidiert ein aus einer schlecht einsehbaren Grundstücksausfahrt herausfahrender Pkw mit einem Radfahrer, der verbotswidrig den Gehweg mit 10 km/h befährt und dessen Hinterradbremse defekt ist, ist eine Haftungsverteilung von 30% zu 70% zulasten des Fahrradfahrers angemessen, wenn dem Autofahrer kein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO anzulasten ist.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 23356
… und in diesem Sinne auch
OLG Schleswig, Urteil vom 19.11.2024, 7 U 90/23
Zur Haftungsquote bei der Kollision zwischen einem rechtsabbiegenden PKW mit einem querenden Radfahrer, der verbotswidrig einen Gehweg befährt.
1. Ein erwachsener Fahrradfahrer, der verbotswidrig mit 10 – 27,5 km/h auf einem Fußweg fährt, muss sich als Geschädigter ein erhebliches unfallursächliches Verschulden von 75 % entgegenhalten lassen, wenn er eine Straße über den abgesenkten Bordstein überquert, ohne seiner Wartepflicht nachzukommen.
2. Dem rechts abbiegenden Autofahrer, der mit dem verbotswidrig den parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg nutzenden Radfahrer kollidiert, kann kein kausaler Verstoß gegen § 8 Abs. 1 StVO oder § 9 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 3 Satz 1 StVO angelastet werden. Von diesen Regelungen wird nur der berechtigte nachfolgende Verkehr geschützt. Der Geschädigte kann für sich den besonderen Schutz aus den besonderen Abbiege- und Vorfahrtsregelungen nicht in Anspruch nehmen, wenn er als Radfahrer verbotswidrig einen parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg befahren hat.
3. Dem rechts abbiegenden Autofahrer kann aber ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot nach § 1 Abs. 2 StVO angelastet werden, wenn er bei gehöriger Sorgfalt den Radfahrer rechtzeitig hätte erkennen und die Kollision vermeiden können. Diese Pflicht beinhaltet, sich bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unfallverhütend zu verhalten.
4. Rechtsabbiegende Autofahrer müssen damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Straße, in die eingebogen werden soll, in verkehrswidriger queren (hier Radfahrer auf einem Gehweg in Schulhofnähe).
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LG Rostock, Beschluss vom 01.08.2023, 1 S 41/23 (1)
Sachverständigenkosten und Fahrradschaden – wenn “außer Verhältnis”
Bei der Beschädigung eines 11 Jahre altes Fahrrads der unteren Preisklasse gibt es keine Veranlassung, einen Sachverständigen einzuschalten.
Hintergrund der Entscheidung war die Beauftragung eines Fahrradsachverständigen auf Empfehlung einer Fahrradwerkstatt, wobei der Sachverständige einen Wiederbeschaffungswert von 170 EUR sowie Reparaturkosten von 700 EUR ermittelte. Die Gutachterkosten, die die Geschädigte geltend gemacht hatte, beliefen sich auf 553,83 EUR.
LG Frankfurt a. M., Urteil vom 17.05.2023 – 2/15 O 43/22
Radfahrer treffen bei Auffahren von Radweg auf Fahrbahn erhöhte Sorgfaltspflichten
1. Die erhöhten Sorgfaltspflichten aus § 10 Satz 1 StVO treffen auch einen Radfahrer, der einen Radweg verlässt, um auf die Fahrbahn aufzufahren.
2. Befährt ein Radfahrer einen auch für den Radverkehr freigegebenen Gehweg auf der linken Straßenseite, fährt er unmittelbar vor einer Kreuzung auf die Fahrbahn auf und kollidiert mit einem von links in die Straße einbiegenden Fahrzeug, trifft Fahrer und Halter des Pkw wegen groben Mitverschuldens des Radfahrers keine Haftung.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2023, 23382
OLG, Urteil vom 09.05.2023, I-7 U 17/23
Berührungsloser Unfall zwischen Querverkehr (KFZ) und bevorrechtigtem Radfahrer; Zurechnungszusammenhang
Den Zurechnungszusammenhang zwischen Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Querverkehr und einem berührungslosen Unfall eines bevorrechtigten Radfahrers muss der geschädigte Radfahrer beweisen, wofür – wie hier – die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle nicht ausreicht (im Anschluss an BGH Urt. v. 22.11.2016 – VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Ls.; Senat Beschl. v. 10.3.2022 – 7 U 3/22, NJOZ 2022, 1286 Ls. 1).
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OLG Schleswig, Beschluss vom 14.11.2022 – 7 U 113/22
Der Radverkehr darf auf einem Fußweg mit der Anordnung «Radfahrer frei» nur Schrittgeschwindigkeit fahren, denn es handelt sich trotz der Freigabe für Radfahrer um einen Gehweg.
Quelle: Beck-Verlag / FD-StrVR 2023, 456576 / beck-online
LG Hamburg, Urteil vom 27.09.2022 – 302 O 245/19
Stürzt bei einem berührungslosen Unfall ein Radfahrer auf der Straße in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Anfahren eines Pkw vom Fahrbahnrand, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der anfahrende Pkw gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 10 Satz 1 StVO verstoßen hat mit der Folge, dass der Sturz dem Betrieb des Pkw zugerechnet werden kann.
Quelle: Beck-Verlag / FD-StrVR 2022, 454456
LG Köln, Urteil vom 02.08.2022, 5 O 372/20
Rennradfahrer erhält vollen Schadensersatz für «Dooring»-Unfall
Kollidiert ein Rennradfahrer bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h mit der sich vollständig öffnenden Fahrertür eines geparkten Fahrzeugs, ohne dass sich der vom Rennradfahrer eingehaltene Seitenabstand aufklären lässt, haftet der Kfz-Halter allein, selbst wenn die Fahrertür vor der vollen Öffnung bereits einen Spalt weit geöffnet war. Denn mit einer solch groben Unachtsamkeit des Kfz-Führers musste der Rennradfahrer nicht rechnen, selbst wenn ihm die Umstände Anlass zu der Annahme gaben, die Fahrzeugtür könnte geöffnet werden.
Nach ständiger Rechtsprechung führt ein Verstoß gegen die höchsten Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr gemäß § 14 Abs. 1 StVO gegenüber einem nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer – Fahrradfahrer oder Fußgänger – regelmäßig zu einer Alleinhaftung des Pkw-Fahrers, -Halters und -Versicherers, wenn diesem nicht ein Verschulden nachgewiesen wird, weil auf Seiten des nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmers keine Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist (OLG Celle aaO, Rn. 16; vgl. auch die weiteren Nachweise bei: Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Auflage 2020, Rn. 389, beck-online).
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / FD-StrVR 2022, 451744
Volltext → DIREKTLINK
AG Marienberg, Urteil vom 7.1.2022, 3 C 306/21
Kollision mit Radfahrer, der einen Gehweg entgegen der Fahrtrichtung befährt = volle Haftung des (erwachsenen) Radfahrers
Das Verschulden eines Radfahrers, der verbotswidrig einen Gehweg und diesen auch noch entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befährt, wiegt im Falle einer Kollision mit einem Fahrzeug, welches nach rechts in eine Grundstückseinfahrt einfahren möchte, so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs völlig zurücktritt.
Quelle: SVR 2022, 230
ebenso…
OLG Dresden, Beschluss vom 12.10.2012, 7 U 885/12
Der erwachsene Radfahrer, der einen Gehweg verbotswidrig und in Gegenrichtung befährt, haftet bei einem Zusammenstoß mit einem aus einer Grundstücksaufsicht kommenden Pkw allein.
Quelle: NZV 2013, 389
AG Ansbach, Urteil vom 03.11.2021, 1 C 571/21
Versicherung muss auch Sachverständigengutachten für Fahrradschaden (hier E-Bike) erstatten.
Befähigung für ein solches Gutachten kann auch ein KFZ-Sachverständiger (mit zusätzlicher Fortbildung) haben, zumal es keine Ausbildung zum Fahrradsachverständigen gibt.
Beschädigter Radhelm ist ohne “Abzug Neu für Alt” und damit zum Neupreis zu erstatten.
AG Ansbach bestätigt auch die Kostenerstattung für eine weitere gutachterliche Stellungnahme – insbesondere auch zur Qualifikation des konkret tätig gewordenen Sachverständigen – auf die Weigerung der Versicherung.
LG Freiburg, Urteil vom 26.10.2021 – 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20
Keine Trunkenheitsfahrt, wenn das Fahrrad nur geschoben wird, denn …
Es liegt kein Führen eines Fahrrads im Straßenverkehr i.S.d. § 316 StGB vor, wenn das Fahrrad lediglich geschoben wird.
Quelle → LG Freiburg / 26.10.2021 / 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20
OLG Schleswig, Urteil vom 28.09.2021 – 7 U 29/16
Obliegenheitsverletzung bei Nutzung von Klickpedalen auch auf unebenen und unbefestigten Feldwegen („Cross-Country-Bereich“) durch einen erfahrenen Mountainbikefahrer
Das Sichtfahrgebot gebietet es nicht, dass der Fahrer seine Geschwindigkeit auf solche Objekte (hier: quer über einen für die Nutzung durch Radfahrer zugelassenen Weg gespannter, nicht auffällig gekennzeichneter Stacheldraht) einrichtet, die sich zwar bereits im Sichtbereich befinden, mit denen der Fahrer – bei Anwendung eines strengen Maßstabs – jedoch unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Dies betrifft etwa Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist und auf die nichts hindeutet (BGH, Urteil vom 23.4.2020, III ZR 251/17, Rn.37)
Die falsche Reaktion eines Verkehrsteilnehmers stellt keinen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß dar, wenn dieser in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlichem Erschrecken objektiv falsch reagiert.
Eine Geschwindigkeit von bis zu 16 km/h und die Nutzung von Klickpedalen auf einem unebenen und unbefestigten Feldweg („Cross-Country-Bereich“) stellen grundsätzlich keine Obliegenheitsverletzung eines erfahrenen Mountainbikefahrers dar. Die als Werkseinstellung übliche „mittlere Einstellung“ der Federspannung ist auch für den Einsatz im Cross-Country-Bereich nicht zu beanstanden.
→ → → die leider besondere Tragik des Falls wird dann anhand der weiteren Leitsätze des Gerichts deutlich:
Ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000,00 € ist für schwerste, unfallbedingte Dauerschäden (komplette Querschnittslähmung unterhalb des 4. Halswirbels) eines 35-jährigen Radsportlers angemessen. Trotz Mindestvorstellung des Geschädigten sind dem Tatrichter nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Infolge einer deutlich über 2% liegenden Inflationsrate und banküblichen Negativzinsen muss die Zumessung eines Kapitalbetrages unter den derzeitigen Kapitalmarktbedingungen zu einer generellen Erhöhung führen.
Quelle → VOLLTEXT / OLG Schleswig / 7 U 29/16
AG Dortmund, Urteil vom 21.04.2021, 421 C 6157/20
Fahrraddiebstahl und Klausel zur “Sicherung” durch ein Schloss ist (verhüllte) Obliegenheit
Bei der Klausel (hier 4.7 der zugrundliegenden Hausratversicherungsbedingungen):
Der Versicherungsschutz besteht dann, wenn die Fahrräder oder Elektrofahrräder zum Zeitpunkt des Diebstahls durch ein Schloss gesichert sind.
handelt es sich um eine (verhüllte) Obliegenheit und keine Risikobegrenzung.
Zur Begründung:
Für die vorzunehmende Auslegung von Ziffer 4.7 kommt es demnach darauf an, wie die Klausel von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstanden werden kann. Maßgebend dabei sind vor allem der Wortlaut und der Sinn und Zweck der Klausel. Unter 4.7 der KT2017HR wird für den Versicherungsnehmer deutlich, dass bei einem Fahrraddiebstahl grundsätzlich umfassender Versicherungsschutz gewährt werden soll.
Ziffer 4.7 verlangt für den vereinbarten Versicherungsschutz, dass das Fahrrad zur Zeit des Diebstahls durch ein Schloss gesichert war. Dem Versicherungsnehmer wird dadurch ein bestimmtes Verhalten auferlegt, von welchem die Gewährung von Versicherungsschutz abhängig gemacht wird. Die Gewährung hängt somit allein von der Sorgfalt bzw. Nachlässigkeit des Versicherungsnehmers ab.
Zur Abgrenzung meint der BGH, Urteil vom 18.06.2008, IV ZR 87/07:
Für die Abgrenzung einer (verhüllten) Obliegenheit von einer Risikobegrenzung sind nicht allein Wortlaut und Stellung der Klausel innerhalb eines Bedingungswerkes maßgeblich. Entscheidend ist der materielle Gehalt der Klausel. Es kommt darauf an, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittweise Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung; wird dagegen ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit vor.
OLG Nürnberg, Urteil vom 20.8.2020, 13 U 1187/20
Kein Mitverschulden an Verkehrsunfall wegen Nichttragens eines Fahrradhelms (zumindest im Alltagsverkehr)
Zumindest im Alltagsradverkehr begründet das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht (im Anschluss an und Fortführung von BGH NJW 2014, 2493).
Aus den Gründen:
Anlass für die Annahme eines Mitverschuldens durch das Nichttragen eines Schutzhelms könnte nach Auffassung des BGH dann vorliegen, wenn im Unfallzeitpunkt nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz erforderlich ist (BGH NJW 2014, 2493 Rn. 9). Zu einem solchen allgemeinen Verkehrsbewusstsein, konkret bezogen auf das Tragen von Fahrradhelmen und nicht auf allgemeine Sicherheitserwägungen, haben die Bekl. jedoch schon nicht substanziiert vorgetragen.
…
Es ist zwar in den letzten zehn Jahren eine leichte Steigerung der im hier interessierenden Alltagsradverkehr helmtragenden Radfahrer zu beobachten (vgl. auch Grafik in der genannten Publikation der Bundesanstalt für Straßenwesen). Die bei weitem überwiegende Mehrheit (rund 80 %) der erwachsenen Bevölkerung nutzt aber jedenfalls nach wie vor keinen Helm beim Fahrradfahren, insbesondere nicht innerorts im Alltagsradverkehr. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht nach wie vor nicht.
Etwas anderes mag für bestimmte Formen des so genannten sportlichen Radfahrens gelten, die mit erheblich gesteigertem (Kopf-)Verletzungsrisiko verbunden sind, etwa beim Rennradfahren mit tiefer Kopfhaltung und Fixierung der Schuhe an den Pedalen oder beim Mountainbike-Fahren im freien Gelände. Derartiges ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
⇒ und hier auch gleich die vorbenannte Entscheidung des BGH
BGH, Urteil vom 17.6.2014, VI ZR 281/13
Kein Mitverschulden wegen Fahrradfahrens ohne Helm
Der Schadensersatzanspruch eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, ist jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert.
VG Düsseldorf, Urteil vom 29.11.2016, 14 K 6395/16
Ein seiner baulichen Gestaltung nach eindeutig für die Benutzung durch Radfahrer bestimmter Straßenteil ist auch ohne Kennzeichnung durch Zeichen 237 ein Radweg.
OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018 – I-7 U 44/17
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
Quelle → Volltext / URTEIL / OLG HAMM
KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 26.02.2018, 22 U 146/16
Unfall zwischen zwei Radfahrern beim Überholen
1. Stoßen zwei Fahrradfahrer bei einem Überholvorgang im gleichgerichteten Verkehr zusammen, trägt der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der andere seine Pflichten verletzt hat.
2. Der Überholvorgang ist nur dann durch Schallzeichen (Klingel) einzuleiten, wenn dieser wegen der geringen Breite des Fahrwegs oder erkennbarer Unsicherheit des zu Überholenden besonders gefährlich erscheint.
Aus den Gründen:
Nach § 5 Abs. 1 StVO ist links zu überholen. Dabei ist nach § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Radfahrern einzuhalten. Der Überholende muss sich weiter so verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist und der Überholte nicht behindert wird. Dies alles gilt auch dann, wenn ein Radfahrer einen anderen Radfahrer überholen will, weil ihm das Überholen trotz der Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO grundsätzlich erlaubt ist. Die Regelung § 2 Abs. 4 Satz 1 StVO betrifft nur den Fall, dass länger nebeneinander gefahren und gerade nicht überholt werden soll (vgl. Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 2 Rdn. 55). Die beim Überholen zu beachtenden Pflichten setzen das vorherige Ankündigen des Überholens grundsätzlich nicht voraus. Selbst nach § 5 Abs. 6 StVO besteht keine Pflicht zur Ankündigung des Überholens durch Schallzeichen. Anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine besondere Sachlage vorliegt. Eine solche Konstellation könnte gegeben sein, wenn der Überholvorgang wegen der geringen Straßenbreite besonders gefährlich ist oder der zu Überholende erkennbar unsicher ist. All dies ist hier aber nicht der Fall gewesen. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 StVO aus. Dann aber kann hier auch offen bleiben, ob sich eine etwaige Verletzung der Ankündigungspflicht überhaupt auf den Unfall ausgewirkt hat, nachdem der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung ausdrücklich erklärt hat, er habe sich nicht wegen des Überholens erschrocken, sondern wegen der Berührung.
OLG Bremen, Urteil vom 20.12.2017, 1 U 37/17 / 1 U 42/17
Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt (und bleibt unter Umständen auch noch vorfahrtberechtigt)!
Hier schön nachzulesen aus einem aktuellen Urteil des OLG Bremen:
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Vorfahrtssituation an der Unfallstelle und damit auch die Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Verursachungsanteile auch nicht anders zu bewerten, wenn man unterstellt, dass die Klägerin – wie sie selbst vorträgt – ihr Fahrrad vor der Kollision schob.
Der Auffassung des Landgerichts, die Klägerin habe durch ihr Absteigen von dem Fahrrad und Schieben desselben auf ein ihr möglicherweise zustehendes Vorfahrtsrecht verzichtet und sei als Fußgängerin einzustufen, kann nicht gefolgt werden.
Als Fahrzeugführer im Sinne des § 8 StVO, dem allein ein Vorfahrtsrecht nach dieser Vorschrift einzuräumen ist, gilt derjenige, der ein Fahrzeug tatsächlich fährt. Ein kurzfristiges Bremsen, Zögern oder sogar Anhalten und sich auf der Fahrbahn abstützen, kann für einen Radfahrer nichts an seiner Einordnung als Fahrzeugführer ändern. Die Klägerin hat angegeben, dass sie von ihrem Fahrzeug gestiegen sei und dies wegen der Unübersichtlichkeit der Verkehrssituation im Kreuzungsbereich geschoben habe.
Eine derartige Vorgehensweise gehört aber naturgemäß zu dem für den Betrieb und die ordnungsgemäße Handhabung eines Fahrrades erforderlichen Ablauf.
Der Radfahrer, der zur Beachtung der erforderlichen Sorgfalt an einer gefährlichen Stelle kurzfristig von seinem Fahrrad steigt, eine kurze Strecke von weniger als 2 Metern schiebt, um diese für ihn unübersichtliche Stelle sicher zu überwinden und dann sofort wieder auf sein Fahrzeug zu steigen, kann sich durch diese Vorgänge seiner rechtlichen Einordnung als Fahrzeugführer nicht begeben. Die von der Klägerin geschilderte Vorgehensweise, das kurzfristige Absteigen von ihrem Fahrrad, ist so eng zeitlich und räumlich auch mit dem Abbiegevorgang und damit dem Führen des Fahrrades verbunden, dass diese Unterbrechung nicht ausschlaggebend dafür sein kann, dass sie nicht mehr als Radfahrerin anzusehen wäre. Die von dem Landgericht an dieser Stelle diskutierten Urteile (BGH, Urteil v. 05.11.1957 – VI ZR 248/56, juris, NJW 1958, 259; BGH, Urteil v. 20.01.1970 – VI ZR 136/68, juris) betrafen andere Sachverhaltskonstellationen und können daher für die Beurteilung der hier vorliegenden Verkehrssituation nicht herangezogen werden.
OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 10.4.2018 – 7 U 5/18
Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend arbeitet und bei denen die maximale Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, sind verkehrsrechtlich als Fahrrad einzuordnen.
Wer an einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, überholt nicht im Sinne des § 5 StVO.
Ein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 StVO begonnener Überholvorgang wird nicht zu einem Überholen im Sinne des § 5 StVO, wenn der langsamere Verkehrsteilnehmer seine Fahrspur wechselt.
OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 7 U 44/17
Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge tritt die einfache Betriebsgefahr eines PKW hinter einem für den Unfall ursächlichen Vorfahrtsverstoß des verunfallten Fahrradfahrers vollständig zurück.
OLG München, Urteil vom 27.02.2015, 10 U 4873/13
Mithaftung des Radrennfahrers bei Verletzung der Radwegbenutzungspflicht
Die Radwegbenutzungspflicht (auch für links verlaufende Radwege) beruht auf dem unfallverhütenden Entmischungsgrundsatz (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 2 StVO Rz. 67a, b), weshalb selbst eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 I S. 1 Nr. 1 StVO im Hinblick auf etwaige allgemeine Gefahren, die die Benutzung des Radweges gegenüber der Fahrbahnbenutzung mit sich bringen kann, allenfalls bei besonderen, in Person des Radfahrers liegenden oder sonst einen besonders gelagerten Einzelfall begründenden Umständen in Betracht kommen kann (VG Berlin, NZV 1989, 167).
Durch eine weitgehende Trennung der Verkehrsarten sollen in erster Linie die für Radfahrer bestehenden spezifischen Gefährdungen ausgeschaltet oder wenigstens gemindert, jedoch auch besondere Gefahrenlagen für Kraftfahrfahrer bekämpft werden (VGH München, BeckRS 2013, 50816, Rz. 4, 11), die sich mit Radfahrern auf der Fahrbahn – wegen des Verbots der Fahrbahnnutzung unerwartet – auseinandersetzen müssen. Der Kläger hat durch die verbotswidrige Benutzung des Seitenstreifens eine wesentliche Unfallursache gesetzt (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 28.10.2011, Az. 24 U 134/11 [Juris]; LG Schwerin, NZV 2004, 581) und damit selbst zu seiner Körperverletzung beigetragen, was gem. § 254 BGB zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 21.05.1996, Az. VI ZR 283/95 [Juris]).
OLG FFM., Urteil vom 28.10.2011, 24 U 134/11
Mitverschulden durch Nichtbenutzung eines Radweges (Ölspur auf Fahrbahn)
Für den Radweg bestand für den Kläger nach § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO eine Benutzungspflicht, da er durch entsprechende Bezeichnung (Verkehrszeichen 237) gekennzeichnet war. Die Benutzungspflicht gilt auch für Rennräder (OLG Düsseldorf, NZV 1992, 290 ).
Nach den bei den Akten befindlichen Lichtbildern befand sich der Radweg im Unfallzeitpunkt in einem einwandfreien Zustand; er war für den Kläger nicht unbenutzbar. Dies bestätigt der Kläger selbst, wenn er vorträgt, dass er den Radweg zunächst benutzt hat. Ob nach 50 Metern dessen weitere Benutzung durch auf dem Weg liegende Glasscherben von Getränkeflaschen erschwert wurde – die Beklagten haben dies ausdrücklich bestritten -, kann für die Entscheidung dahinstehen. Denn es war dem Kläger ohne weiteres zumutbar, anschließend wieder auf den Radweg aufzufahren und ihn weiterzubenutzen. Ein Radfahrer, der gleichwohl die Straße nutzt, haftet mit.
Das Mitverschulden des Klägers wurde für das Unfallereignis auch ursächlich. Da Radwege ausschließlich für nicht motorisierte Fahrzeuge vorgesehen sind, ist dort nicht mit einer Öl- oder Bremsflüssigkeitsspur zu rechnen. Der Kläger wäre demnach nicht zu Fall gekommen, wenn er ordnungsgemäß den Radweg benutzt hätte.
Quelle → OLG FFM Mitverschulden durch Nichtbenutzung eines Radweges
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.5.2016, 9 U 115/15
Haftung bei Fahrradunfall: Pflichten des Radfahrers beim Überholen eines anderen Radfahrers; Seitenabstand, Radwegbreite
1. Ein Radfahrer muss grundsätzlich mit Schwankungen in der Fahrlinie eines vorausfahrenden Radfahrers rechnen. Ein Seitenabstand von ca. 32 cm beim Überholen (gemessen zwischen den Körpern der beiden Radfahrer) ist daher – jedenfalls auf einem unebenen Sand-Schotter-Weg – in der Regel zu gering.
2. Ist auf einem 2 Meter breiten Radweg ein Überholen mit ausreichendem Seitenabstand nicht möglich, muss der schnellere Radfahrer gegebenenfalls vom Überholen absehen. Offen bleibt, ob ein Überholen mit geringerem Seitenabstand in Betracht kommt, wenn vor dem Überholvorgang eine Verständigung zwischen den Radfahrern stattgefunden hat.
3. Ein Radfahrer, dessen Fahrlinie auf einem 2 Meter breiten Sand-Schotter-Weg einen Seitenabstand von ca. 80 cm zum rechten Rand des Weges einhält, verstößt nicht gegen das Rechtsfahrgebot.
OLG München, Urteil vom 16.11.2018, 10 U 1885/18
130%-Rechtsprechung auch bei Fahrrädern
Die zu beschädigten Kraftfahrzeugen ergangene “130%-Rechtsprechung” gilt auch für Fahrräder (hier: Rennrad mit Carbonrahmen).
LG Konstanz, Urteil vom 28.11.2018, N 4 O 156/18
Der Entleiher eines Fahrrads haftet einem Dritten gegenüber für einen Schaden aufgrund ausgefallener Beleuchtung nur, wenn der Dritte nachweist, dass dem Entleiher an dem Ausfall der Beleuchtung ein Verschulden trifft.
Quelle: Der Verkehrsanwalt (DV) 2/2019, Seite 63
VG Augsburg, Urteil vom 09.09.2019, Au 7 K 18.1240
Alkoholfahrt mit einem Fahrrad – MPU – Fahrerlaubnis
Wer ein Fahrrad im Straßenverkehr mit 1,6 Promille oder mehr führt, kann aufgefordert werden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Kommt er dem nicht nach, kann auf seien mangelnde Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr geschlossen und ihm das Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge (Fahrrad, Mofa) untersagt werden.
OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020, 14 U 69/19
Haftung eines achtjährigen Kindes, das aufgrund längerer Unaufmerksamkeit mit dem Fahrrad die Spur verliert und eine stehende Fußgängerin anfährt.
Einem altersgerecht entwickeltem achtjährigem Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass eine länger andauernde Vorwärtsfahrt mit dem Fahrrad, während der Kopf rückwärtsgewandt und damit das Blickfeld vom Fahrweg abgewandt ist, gefahrenträchtig ist.
OLG bejaht Anspruch (nur) gegenüber Kind
Das Landgericht hatte die Klage der Fußgängerin abgewiesen. Auf deren Berufung hat das OLG Celle die Entscheidung des LG teilweise geändert und das Kind zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verurteilt. Ein Anspruch gegenüber den Eltern des Kindes bestehe demgegenüber nicht, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hätten.
Ab sieben Jahren Haftung bei entsprechender Einsichtsfähigkeit
In der Entscheidung legt das OLG die Voraussetzungen dar, unter denen Kinder für von ihnen verursachte Schäden haften. Nach § 828 BGB seien Minderjährige unter sieben Jahren für anderen zugefügte Schäden nicht verantwortlich. Solange sie keine zehn Jahre alt sind, hafteten Kinder auch nicht für Schäden durch einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug oder im Schienenverkehr. Von sieben bis 17 Jahren hafteten Minderjährige aber für solche Schäden, die sie einem anderen zufügen, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besitzen. Dazu genüge die Fähigkeit des Kindes, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann.
Quelle (auch): Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 20. Februar 2020
OLG Frankfurt am Main vom 12.3.2020, Az. 1 U 31/19
Kein generellerer Haftungsausschluss bei Trainingsfahrt von Radfahrern
Bei einer sportlich angelegten Trainingsfahrt von Radfahrern gibt es keinen generellen Ausschluss der Haftung für gegenseitig verursachte Unfälle. Das typische Risiko der Pulkfahrt realisiere sich nicht, wenn es zum Unfall beim Überholvorgang im Rahmen einer „ruhigeren Ausfahrt“ komme, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit heute veröffentlichtem Urteil.
Quelle und Entscheidung nachzulesen → Kein Haftungsausschluss Radfahren
OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.03.2019, 16 U 57/18
Haftung des PKW-Fahrers für Sturz von Radfahrer nach Ausweichmanöver
Weicht ein Radfahrer wegen eines entgegenkommenden PKW von dem befestigten Radweg auf den unbefestigten Seitenstreifen aus und stürzt er beim Wiederauffahren auf den Radweg, ist der Unfall der Betriebsgefahr des PKW zuzurechnen.
OLG Brandenburg, Urteil vom 14.09.2017, 12 U 12/17
Berührungsloser Sturz eines Radfahrers nach reflexartigem Betätigen beider Bremsen zur Vermeidung einer Kollision mit einem KFZ ist der Betriebsgefahr des KFZ zuzurechnen
Allerdings reicht die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst und damit zur Entstehung des Schadens beigetragen haben.
Darauf, ob das Bremsmanöver des Zeugen objektiv oder subjektiv erforderlich war, kommt es zur Bejahung der Haftung aus der Betriebsgefahr des Fahrzeuges nicht an. Auch ein Unfall infolge einer voreiligen, also objektiv nicht erforderlichen Abwehr- oder Ausweichreaktion kann dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat. Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden (vgl. BGH VersR 2010, a.a.O., Rn. 6).
Ein Erfahrungssatz dahingehend, dass der Sturz eines Fahrradfahrers mit seinem Fahrrad nach der Lebenserfahrung typischerweise regelmäßig darauf zurückzuführen ist, dass der Fahrradfahrer sein Fahrrad nicht beherrscht hat, besteht nicht.
Quelle → OLG Brandenburg / Urteil 14.09.2017 / 12 U 12/17
LG Lübeck, Urteil vom 08.07.2011, 1 S 16/11
Nutzungsausfallentschädigung für ein Fahrrad
Nutzungsausfall für ein beschädigtes Fahrrad kann derjenige fordern, der einen fortgesetzten Nutzungswillen und eine entsprechende Nutzungsmöglichkeit nachweist und das Fahrrad regelmäßig für den Weg zur Arbeit nutzt.
Quelle: SVR 2011, 142
Hinweis: Bisher wurde in diesen Fällen eine Tagesausfallpauschale von 5 bis 10 EUR zuerkannt. Im Fall des LG Lübeck hatte das Gericht einen Sachverständigen beauftragt, um auf Grundlage von Mietkosten für ein vergleichbares Fahrrad und unter Berücksichtigung eines geschätzten Gewinnabzugs des Vermieters in Höhe von 40 % diesen zu bestimmen (Ergebnis: 5,60 EUR).
AG Hannover, Urteil vom 29.03.2011, 562 C 13120/10
Alleinhaftung des Radfahrers auf dem Gehweg bei PKW-Kollision
Ein verbotswidrig auf dem Bürgersteig fahrender erwachsener Radfahrer hat den durch den Zusammenstoß mit dem aus einer Hofeinfahrt herausfahrenden Pkw entstandenen Schaden allein zu tragen, wenn den Pkw-Fahrer kein Verschulden trifft.
Die bloße Betriebsgefahr des Pkw tritt in diesem Fall vollständig zurück (OLG Gelle, MDR 2003, Seite 928). Bürgersteige sind für Fußgänger und Fahrrad fahrende Kinder bis 10 Jahren (§ 2 Abs. 5 StVO) bestimmt, nicht aber für erwachsene Radfahrer. Selbst wenn den Fahrzeugführer ein geringfügiges Mitverschulden wegen eines minimal überhöhten Ausfahrttempos oder einer um Sekundenbruchteile verzögerten Bremsreaktion träfe, würde dieses einschließlich der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges gegenüber dem Verursachungs- und Verschuldensanteil des leichtsinnig handelnden Radfahrers zurücktreten (OLG München, ZFSch 1997, Seite 171, Schadenpraxis 1996, Seite 371).
Unstreitig ist der Beklagte als Erwachsener auf dem Gehweg mit dem Fahrrad gefahren, was verboten ist. Den Lichtbildern (BI. 30 d.A.) ist auch zu entnehmen, dass zwischen Hauswand und Auto nur eine Breite verbleibt, die sich in etwa auf die Breite des Radabstandes des klägerischen Pkws beläuft Der Beklagte musste mithin, wollte er nicht mit dem linksseitig geparkten Pkw kollidieren, mit geringem Abstand zur Hauswand fahren. Der Beklagte trägt auch vor, er sei durch die Kollision an die Hauswand gestoßen und habe sich an der Schulter verletzt. Der Unfall kann sich folglich nicht in weiter Entfernung von der Hauswand ereignet haben.
Ebenso:
OLG Celle, Urteil vom 14.06.2001, 14 U 89/00
Alleinhaftung des einen Gehweg in falscher Richtung befahrenden Radfahrers bei Kollision mit einem Kraftfahrzeug an einer Straßeneinmündung
Eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung (§ 8 Abs. 1 StVO) des Beklagten zu 1 lässt sich nicht feststellen. Zwar verliert ein Radfahrer auf der Vorfahrtstraße sein Vorfahrtsrecht gegenüber kreuzendem und einbiegendem Verkehr auch dann grundsätzlich nicht, wenn er den linken von zwei vorhandenen Radwegen benutzt, der nicht gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO in seiner Fahrtrichtung durch Zeichen 237, 240 oder 241 zu § 41 StVO frei gegeben ist (BGH NJW 1986, 2651 f; OLG Hamm ZfS 1996, 284; NZV 1997, 123; OLG Karlsruhe VersR 1992, 1533; Blumberg NZV 1994, 249, 256). So liegt der Fall hier jedoch nicht, denn der Kläger hat zum Zeitpunkt der Kollision nicht den Rad-, sondern den Gehweg benutzt.
LG Lübeck, Urteil vom 13.07.2016, 4 O 243/15
Das Verschulden eines erwachsenen Radfahrers, der einen Gehweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung befährt, wiegt im Falle einer Kollision mit einem Fahrzeug, welches aus einer Nebenstraße ausfahren möchte, so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs völlig zurücktritt.
Quelle: SVR 2017, 308
KG Berlin, Urteil vom 03.06.2004, 12 U 68/03
Fahrrad-„Rollern” ist zulässige Überquerung des Fußgängerüberwegs
Steigt der Radfahrer ab und überquert er die Fahrbahn auf dem Fußgänger-Überweg, indem er mit einem Fuß auf ein Pedal steigt und “rollert”, ist dies kein Verstoß gegen das Verbot den Fußgängerüberweg mit dem Fahrrad zu befahren.
Quelle → NZV 2005, 92
OLG Oldenburg, Urteil vom 03.05.1999, Ss 105-99 I 38
Gleitschirmpropellermotor als Fahrradantrieb
Ein Fahrrad, das der Fahrer mit Hilfe eines auf seinen Rücken geschnallten Gleitschirmpropellermotor antreibt, ist ein „Kraftfahrzeug“ i.S. des § 1 I StVG.
Hintergrund: Der Gleitschirmpropellermotor hatte einem Hubraum von 350 ccm bei einer Leistung von 14,7 kW (20 PS) und es wurde eine Geschwindigkeit von über 25 km/h erreicht.
Quelle: NStZ-RR 1999, 377
OLG Köln, Beschluss vom 20.02.1987 – Ss 12/87 (Z)
Gehörbeeinträchtigung / Sonstige Pflichten von Fahrzeugführenden gemäß § 23 StVO
1. § 23 StVO erfaßt als Spezialnorm alle Fälle, in denen ein Fahrzeugfahrer sein Hörvermögen durch irgendwelche Geräte, insbesondere durch Tonübertragungsgeräte, beeinträchtigt. Des Rückgriffs auf § 2 StVZO bedarf es nicht.
2. Radfahrern ist die Benutzung eines Walkman mit Kopfhörer jedenfalls dann untersagt, wenn die im Einzelfall eingestellte Lautstärke zu einer Gehörbeeinträchtigung i. S. des § 23 StVO führt. Es genügt bereits eine geringfügige Überschreitung der Grenzwerte.
Aus den Gründen:
Daß zu den «Geräten«, von denen § 23 StVO spricht, in erster Linie Kopfhörer und Tonübertragungsgeräte wie Radios, Kassettenrekorder etc. gehören, steht außer Zweifel. Solche „Geräte“ werden in der Begründung zur Änderungsverordnung ausdrücklich hervorgehoben. Beeinträchtigung des Gehörs bedeutet nach dem Wortsinn Verschlechterung bzw. Minderung des Hörvermögens. Nach dem Sinn und Zweck des § 23 StVO sollen solche Beeinträchtigungen unterbleiben, die den Fahrzeugführer hindern, Warnsignale oder andere akustische Eindrücke aus dem Verkehrsumfeld, die für das Fahrverhalten von Bedeutung sein können, in ausreichendem Umfang wahrzunehmen.
Deshalb ist Radfahrern die Benutzung eines Walkman mit Kopfhörer oder eines sonstigen Tonübertragungsgeräts jedenfalls dann untersagt, wenn die im Einzelfall eingestellte Lautstärke zu einer Gehörbeeinträchtigung i. S. des § 23 StVO führt. Dazu bedarf es keiner erheblichen Beeinträchtigung. Es genügt bereits eine geringfügige Überschreitung der Grenze, die eine unerhebliche Beeinflussung des Gehörs durch die genannten Geräte zu einer bedeutsamen Beeinträchtigung trennt. Ob und inwieweit diese Voraussetzung erfüllt ist, hat der Tatrichter nach den jeweils festgestellten besonderen Umständen zu beurteilen. Daß auch eine erlaubte oder gar vorgeschriebene Ausrüstung, etwa die ohrenschützende Wintermütze oder der Schutzhelm eines Kraftradfahrers, i. S. von § 23 StVO zur Beeinträchtigung des Hörvermögens führen kann, ist dabei ohne Bedeutung. Diese Beeinträchtigungen müssen hingenommen werden, weil höherrangige Interessen zu schützen sind. (…)
Quelle: Beck-Verlag / LSK 1987, 490067