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Rund ums Bußgeldverfahren – in Leitsätzen und Kurzanmerkungen (Teil 1)
1.
AG Landstuhl, Beschluss vom 20.10.2016, 2 OWI 4286 Js 10115/16
Der Fahrlehrer ist als Beifahrer während einer Übungsfahrt grundsätzlich kein Führer eines Kraftfahrzeugs. Er kann allenfalls für Vorgänge während der Fahrt nach den allgemeinen Regeln des StGB oder als Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 StVO verantwortlich sein.
2.
AG Landstuhl, 02.04.2015 – 2 OWi 4286 Js 1076/15
Wenn ein Polizeibeamter sich an einen Vorfall nicht mehr in allen Details erinnern kann und auf die von ihm erstattete Anzeige ergänzend Bezug nimmt, kann der Tatrichter den Verstoß wie angezeigt für erwiesen erachten, wenn der Polizeibeamte die volle Verantwortung für den Inhalt der Anzeige übernimmt, klar ist, in welcher Weise er bei der Anzeigeerstattung beteiligt gewesen ist, ob und inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist und warum es verständlich erscheint, dass der Polizeibeamte den Vorfall nicht mehr vollständig in Erinnerung hat.
und ebenso schon…
OLG Düsseldorf, 12.04.2014, IV-2 RBs 37/14
3.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2016, IV-2 RBs 157/16
4.
OLG Koblenz, Beschluss vom 27.1.2016, 1 OWi 4 SsBs 1/16
1.) Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Feststellung der Geschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs durch Vergleich mit der Geschwindigkeit eines nachfahrenden Polizeifahrzeugs grundsätzliche eine genügende Beweisgrundlage für die Annahme einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit sein kann.
2.) Ob dies im Einzelfall aber möglich ist, hängt insbesondere davon ab, welche Länge die Messstrecke aufwies, welcher Abstand eingehalten wurde und in welchem Maße sich dieser auf der Messstrecke höchstens verringert hat.
3.) Eine zuverlässige Ermittlung der Geschwindigkeit eines Kraftfahrzeugs kommt daher in der Regel nur in Betracht, wenn der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen nicht zu groß ist- was einem Abstand des halben Tachostandes bis maximal des ganzen Tachowerts entspricht – und die Messstrecke ausreichend lang ist, worunter als Richtwert das Fünffache des Tachowerts, zumindest aber 500 Metern zu verstehen ist.
4.) Bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h soll der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen einen Richtwert von 100 Metern nicht überschreiten.
5.
Amtsgericht Lüdinghausen, Urteil vom 30.05.2016, 19 OWi-89 Js 968/16-92/16
Auch in einem Kreisverkehr darf ein Fahrzeugführer unangeschnallt fahren, wenn er Schrittgeschwindigkeit fährt. Die Tatsache, dass sich der Fahrzeugführer zur Tatzeit im fließenden Verkehr befand und an der Tatörtlichkeit üblicherweise schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren wird, ist dabei ohne Belang.
Aus den Gründen:
Dementsprechend musste im Zweifel zu Gunsten des Betroffenen davon ausgegangen werden, dass er zur Tatzeit mit Schrittgeschwindigkeit gefahren ist und dementsprechend den Ausnahmetatbestand des § 21 a Abs.1 Satz 2 Nr.3 StVO erfüllt hat. § 21 a Abs.1 Satz 2 Nr.3 StVO nimmt aus der Gurtpflicht nämlich „Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren, Fahrten auf Parkplätzen“ aus.
6.
Amtsgericht Stralsund, Urteil vom 07.11.2016, 324 OWI 554/16
Da das Messgerät des Typs TraffiStar S 350 von vorneherein die Möglichkeit ausschließt, die Zuverlässigkeit der Messung etwa durch Sachverständigenbeweis zu überprüfen, kommt eine Anerkennung als standardisiertes Messverfahren nicht mehr in Betracht.
Da das vorliegend verwendete Messgerät des Typs TraffiStar S 350 jedoch von vorneherein die Möglichkeit ausschließt, die Zuverlässigkeit der Messung etwa durch Sachverständigenbeweis zu überprüfen und somit die Amtsermittlungsmöglichkeit quasi standardisiert beschnitten ist, kommt eine Anerkennung als standardisiertes Messverfahren nach Ansicht des Gerichts nicht mehr in Betracht.
Mangels Anerkennung als standardisiertes Messverfahren genügt deshalb allein die Verlesung von Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung und der Datenleisten des Messfotos nicht für die sichere gerichtliche Überzeugung der Zuverlässigkeit der Messwerterhebung aus.
Da die zur Messwertüberprüfung erforderlichen Daten durch das System nicht gespeichert werden, besteht im Nachgang zur Messung auch keine Möglichkeit, über die Zuverlässigkeit des Messwertes Beweis zu erheben.
Bei dieser Sachlage fehlt es an einem tauglichen Beweismittel für die dem Beschuldigten zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung.
Er ist daher aus tatsächlichen Gründen mit der Kostenfolge aus §§ 467 StPO, 46 OWiG freizusprechen.
Ergebnis: Freispruch (!) im Bußgeldverfahren
7.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 05.07.2001, 2 Ss OWi 524/01
Zwar verlangt der für Verkehrszeichen geltende Sichtbarkeitsgrundsatz die Wiederholung aller Streckenvorschriftszeichen hinter jeder Kreuzung oder Einmündung auf der Straßenseite, für die das Gebot oder Verbot besteht; dies gilt jedoch nur für den Einbiegevorgang.
Aus den Entscheidungsgründen:
Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, gilt eine Streckenvorschrift nicht nur jeweils bis zur nächsten Straßeneinmündung -oder Straßenkreuzung. Es ist einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass eine durch Zeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung als sog. Streckenverbot erst an einen gemäß § 41 Abs.2 Nr 7 StVO aufgestellten Zeichen 278 endet (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 46 m.w.Nachw.; Beschluss des Senats vom 8. Juli 1996, abgedr. in NZV 1996, 247). Zwar verlangt der Sichtbarkeitsgrundsatz die Wiederholung aller Streckenvorschriftszeichen hinter jeder Kreuzung oder Einmündung auf der Straßenseite, für die das Gebot oder Verbot besteht; dies gilt jedoch nur für den Einbiegeverkehr.
8.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.12.2016, 2 (6) SsBs 674/16
Ist der Betroffene (eines Bußgeldverfahrens) im Urteil nicht namentlich bezeichnet, aber aufgrund anderer Angaben eindeutig identifizierbar, ist das Urteil nicht unwirksam.
9.
OLG NAUMBURG vom 06.04.2016,2 WS 62/16
Enthalten die Feststellungen einer Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung keine Angaben zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit, kann zur Bestimmung der Geschwindigkeit nicht ergänzend auf den Tenor zurückgegriffen werden.
10.
OLG DÜSSELDORF vom 04.10.2016, IV-2 RBS 145/16
Erfolgt eine Geschwindigkeitsmessung mittels eines geeichten Messgerätes ESO 3.0 und mit einer zusätzlichen nicht geeichten Fotoeinrichtung und liegt ein Foto nur von der ungeeichten Fotoeinrichtung vor, hat der Tatrichter im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob das Messergebnis richtig ist.
Aus den Gründen:
…
Der Umstand, dass das durch die geeichte Fotoeinrichtung produzierte Messfoto schwarz war, und nur das weitere Foto, das einer ungeeichten Fotoeinrichtung entstammt, einen aussagekräftigen Inhalt hatte, hätte das Amtsgericht aber veranlassen müssen, die Richtigkeit des Messergebnisses einer konkreten Untersuchung zu unterziehen.
Das schwarze Messfoto bildet keine Nachprüfungsgrundlage. Das durch die ungeeichte Fotoeinrichtung erstellte Foto ist keine geeignete Grundlage für diese Prüfung. Denn dieses bietet wegen des Fehlens der Eichung nicht von sich aus einen Ansatzpunkt für die Gewähr, dass es die Messsituation zutreffend wiedergibt, ohne dass damit seine Untauglichkeit dazu stets anzunehmen wäre.
Mangels Eichung lässt sich etwa keine Aussage zur Länge der Auslöseverzögerung treffen, von der wiederum die Lage der Fotolinie abhängt, in deren „Bereich” sich der vom Betroffenen geführte PKW nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil ausweislich des Fotos der ungeeichten Fotoeinrichtung befunden haben soll, ohne dass das Amtsgericht die Frage aufgeworfen und beantwortet hat, wie die Position der Fotolinie angesichts der fehlenden Eichung bestimmt worden ist.
11.
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26.01.2017, 3 C 21.15
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen des Erreichens von acht Punkten
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine Fahrerlaubnis auch dann wegen des Erreichens von acht oder mehr Punkten zu entziehen ist, wenn dieser Punktestand bereits bei Verwarnung des Fahrerlaubnisinhabers gegeben, der Fahrerlaubnisbehörde aber noch nicht bekannt war. Eine Verringerung des Punktestandes auf sieben Punkte, die vorgesehen ist, wenn die Fahrerlaubnisbehörde einen Fahrerlaubnisinhaber trotz Erreichens von acht oder mehr Punkten erst noch verwarnen muss, kann in einem solchen Fall nicht beansprucht werden.
Der Gesetzgeber hat mit der Reform des Punktesystems und den dazu im Dezember 2014 in Kraft getretenen Änderungen die Warn- und Erziehungsfunktion des gestuften Maßnahmensystems des § 4 Abs. 5 StVG hinter den Schutz der Verkehrssicherheit vor Mehrfachtätern zurücktreten lassen. Ein Fahrerlaubnisinhaber kann nicht mehr mit Erfolg geltend machen, er habe den weiteren Verkehrsverstoß, der zum Überschreiten der Acht-Punkte-Grenze führe, bereits vor der Erteilung der Verwarnung begangen, so dass ihn deren Warnfunktion nicht mehr habe erreichen können. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung und einer nachfolgenden Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach der geänderten gesetzgeberischen Konzeption – insoweit in bewusster Abkehr vom sogenannten Tattagprinzip – der Kenntnistand, den die Fahrerlaubnisbehörde bei Ergreifen der jeweiligen Maßnahme hat. Gleiches gilt für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG. Auch sie tritt nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde die weiteren, zum Erreichen von acht oder mehr Punkten führenden Verkehrsverstöße bereits bei der Verwarnung bekannt waren. Der vom Gesetzgeber vorgenommene „Systemwechsel“ ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden.
(Quelle: aus Pressemitteilung des BVerwG vom 26.01.2017)
12.
OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2017, 4 RBs 11/17
Ergänzend zu diesen zutreffenden Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, bemerkt der Senat, dass es schon zweifelhaft ist, ob die Behauptung, dass es bei dem konkreten Messverfahren zu Messungenauigkeiten von “bis zu 2 km/h” kommen könne – ungeachtet der hier fehlenden konkreten Darlegung einer solchen Fehlerquelle – jedenfalls dann dem Tatgericht keinen für die Rechtsbeschwerde relevanten konkreten Anhaltspunkt für eine erörterungsbedürftige Fehlerquelle gibt, wenn die behauptete Messungenauigkeit weniger als der vorgenommene Toleranzabzug beträgt und die Fehlerquelle von Seiten des Betroffenen behauptet wird.
Die Vornahme eines Toleranzabzuges im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens verfolgt, ebenso wie die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen. Möglichen Fehlerquellen wird durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen (BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/91). Käme man im vorliegenden Fall aufgrund einer konkreten Überprüfung des Messverfahrens (etwa im Rahmen eines Sachverständigengutachtens) dazu, dass die gemessene Geschwindigkeit von 74 km/h um 2 km/h (oder weniger) zu hoch gemessen wurde, so wäre andererseits für einen Toleranzabzug von 3 km/h kein Raum mehr, denn es wäre ja dann die Fehlerquelle konkret – und nicht lediglich im Rahmen eines pauschalen Sicherheitsabschlages – berücksichtigt worden. Allenfalls wäre dann noch darüber nachzudenken, ob ein einprozentiger Sicherheitsabschlag (oder ein solcher von 1 km/h bei Geschwindigkeiten bis 100 km/h) vorzunehmen wäre, um etwaigen sonstigen Messungenauigkeiten Rechnung zu tragen, denn einem Teil der Messungenauigkeiten wurde ja dann schon durch die konkrete Berechnung des Messfehlers Rechnung getragen und insgesamt ist bei Lasermessungen wie der vorliegenden ein Toleranzabzug von 3 km/h (bzw. bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h von 3%) als ausreichend anerkannt (vgl. nur: König in: Hentschel/u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVO Rdn. 61). Der Betroffene stünde sich dann aber nicht besser als bei einem Toleranzabzug von 3% von vornherein.
13.
AG Dortmund, Urteil vom 17.01.2017, 729 OWi – 264 Js 2313/16 9/17
Rotlichtverstoß bei Irrtum über Funktionsfähigkeit einer Lichtzeichenanlage
1. Irrt der Betroffene feststellbar über die Funktionsfähigkeit einer Lichtzeichenanlage («Dauerrot») und begeht dann einen sogenannten qualifizierten 1-Sekunde-Rotlichtverstoß (mit an sich Fahrverbot), so ist trotz Vorsatzes nur wegen eines fahrlässigen einfachen Rotlichtverstoßes zu der hierfür vorgesehenen Geldbuße zu verurteilen.
2. Bei solch einem Irrtum ist der Handlungsunwert des Rotlichtverstoßes deutlich verringert und der Verstoß dementsprechend nicht mehr als grob pflichtwidrig im Sinn von § 25 Abs. 1 StVG anzusehen.
14.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 10.03.2017, 4 RBs 94/17
1.
Bei einer bei Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich.
2.
Je kürzer die Messstrecke ist, um so genauer sind die Umstände der Messung darzustellen.
15.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.1.2017 – 7 W 115/16
16.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.07.2017, IV-3 RBs 137/17
17.
OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2017, 2 Ws 6/17
(Quelle: BeckRS 2017, 124240)
18.
KG, Beschluss vom 22.08.2017 – 122 Ss 129/17
19.
OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2017 – 2 Ws 45/17
Schrittgeschwindigkeit im Sinne von § 42 Abs. 2 StVO in Verbindung mit Nr. 12 (verkehrsberuhigter Bereich druch Zeichen 325.1 angeordnet) der dazu erlassenen Anlage 3 ist eine solche von höchstens (“gerade noch”) 10 km/h.
Aus den Gründen:
Nach der Rechtsprechung gilt teilweise eine Geschwindigkeit von 4 bis zu 7 km/h als Schrittgeschwindigkeit (Brandenburgisches OLG, DAR 2005, 570; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158; OLG Köln VRS 68, 382), das OLG Hamm nennt eine Spanne von 4 bis 10 km/h (VRS 6, 222). Das Amtsgericht Leipzig (DAR 2005, 703) hält eine Geschwindigkeit von 15 km/h noch für Schrittgeschwindigkeit. Zur Begründung führt es im Anschluss an Hentschel u. a. (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, RdNr. 181 zu § 42 StVO) aus, dass eine bestimmte Geschwindigkeit zwischen 4 und 10 km/h nicht als Grenzwert in Betracht komme, denn eine solche wäre mittels Tacho nicht zuverlässig messbar, außerdem würden Radfahrer, die Fußgängergeschwindigkeit fahren, unsicher werden und zu schwanken beginnen. Der Senat ist der Auffassung, dass das höchste vom Oberlandesgericht Hamm als Schrittgeschwindigkeit bezeichnete Tempo von 10 km/h gerade noch als solche angesehen werden kann. Wer sich noch schneller fortbewegt, geht bzw. schreitet nicht, sondern läuft. Mit dem vom Amtsgericht zu Grunde gelegten Tempo von 15 km/h wäre etwa ein Teilnehmer des Berlin Marathon 2016 mit einer Zeit von ca. 2 Stunden und 50 Minuten unter den besten 4 % der 35.999 Läufer, die das Ziel erreicht haben, gelandet. Eine solche Geschwindigkeit lässt sich nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit definieren.
- Mit einer Höchstgrenze von 10 km/h ist auch den Hinweisen von Hentschel u. a. hinreichend Rechnung getragen. Eine Überschreitung von 10 km/h lässt sich am Autotacho feststellen, auch kann jeder Autofahrer dieses Tempo problemlos einhalten, wenn das Standgas nicht zu hoch eingestellt ist. Soweit Radfahrer bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h unsicher werden und zu schwanken beginnen, sind sie volltrunken und müssen ihr Fahrrad deshalb schon zur Vermeidung einer Strafbarkeit nach § 316 StGB schieben.
20.
OLG Bamberg, Beschluss vom 23.05.2017 – 3 Ss OWi 654/17
Der Entbindungsantrag am Sitzungstag und kurz vor dem Hauptverhandlungstermin
Auch dann, wenn der Entbindungsantrag nach § 73 II OWiG erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht, darf der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid jedenfalls dann nicht ohne eine vorherige Entscheidung über den Antrag verworfen werden, wenn der Antrag – wie hier – mit ‚offenem Visier‘, also nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt“ (OLG Hamm, Beschluss vom 19.05.2015 – 5 RBs 59/15 = NStZ-RR 2015, 259 = NZV 2016, 98) oder „verklausuliert“ (OLG Rostock, Beschluss vom 15.04.2015 – 21 Ss OWi 45/15 = NJW 2015, 1770 m. zust. Anm. Leitmeier = NStZ-RR 2015, 289 = NZV 2015, 515; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2017 – 2 RBs 49/17 [„Gehörsrügefalle“; bei juris]) eingereicht und bei einer Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des AG und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle und nicht etwa nur an eine zentrale gerichtliche Faxeingangsstelle übersandt worden ist. Einer weiteren Hervorhebung der Eilbedürftigkeit, z.B. eines ausdrücklichen Hinweises auf den bereits am selben Tag anberaumten Hauptverhandlungstermin im Briefkopf, verbunden mit der ausdrücklichen Bitte um ‚sofortige Vorlage‘ an den Referatsrichter, bedurfte es deshalb nicht mehr.
21.
OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2017 – 2 Ws 6/17
22.
OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2017 – 4 RBs 404/17
Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes genügt laut Oberlandesgericht Hamm die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten alleine nicht. Es sei so nicht möglich, zuverlässig zwischen einfachem und qualifiziertem Rotlichtverstoß zu unterscheiden.
Hinweis:
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß bedeutet, dass die Lichtzeichenanlage schon länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte, als der Kfz-Führer diese passierte bzw. in den geschützten Kreuzungsbereich einfuhr.
Dieser Verstoß führt zu einem Fahrverbot von 1 Monat und dem Eintrag von 2 Punkten in Flensburg (und diese werden erst nach 5 Jahren ab Rechtskraft getilgt)
23.
OLG Bamberg, Beschluss vom 19.07.2017, 3 Ss OWi 836/17
Sachverhalt:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen … wegen vorsätzlicher Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug zu einer Geldbuße von 360 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen … hielt der Betroffene bei einer Geschwindigkeit von 131 km/h zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von nur 22 Metern und damit von weniger als 4/10 des halben Tachowertes ein, wobei er die Unterschreitung des erforderlichen Abstands billigend in Kauf nahm. Mit seiner gegen diese Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Kernaussage:
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich noch auf Folgendes hin:
1.
Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 07.06.2017 zutreffend feststellt, findet ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Abstandsverstoßes jedenfalls in den bisherigen – wegen der Urteilsaufhebung freilich nicht mehr maßgeblichen – Urteilsfeststellungen keine hinreichende Grundlage. Denn das Amtsgericht hat die Annahme des (bedingten) Tatvorsatzes im Ergebnis allein mit dem Ausmaß der Abstandsunterschreitung begründet, ohne sich mit den alle Vorsatzformen charakterisierenden immanenten kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen gebührend auseinander zu setzen. Hieran ändert es nichts, dass sich die Abstandsunterschreitung über die gesamte übersehbare Videoaufzeichnungsstrecke von 350 m erstreckte, weshalb der Betroffene nach Ansicht des Amtsgerichts den Abstand „mit einer solchen Beharrlichkeit dauerhaft […] unterschritten“ habe, dass ihm die Unterschreitung „nicht verborgen geblieben“ sein könne, „er sie vielmehr billigend in Kauf genommen“ habe. Denn die Ansicht des Amtsgerichts führte ohne das Hinzutreten sonstiger für eine billigende Inkaufnahme sprechender und gegebenenfalls indiziell beweisrelevanter Umstände dazu, dass in vergleichbaren Fällen stets Vorsatz anzunehmen wäre, wenn auch ab einer gewissen – hier freilich nicht erreichten – Gefährdungsgrenze, etwa wenn mit der Abstandsunterschreitung die Einstiegsgrenze für ein Fahrverbot von weniger als 3/10 des halben Tachowertes überschritten wird, also ab einem Abstand von dann nur noch 2/10 des halben Tachowertes bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h (vgl. lfd. Nr. 12.6.4 Tab. 2 Anlage BKat), bereits mehr für (bedingten) Vorsatz als für bloße Fahrlässigkeit sprechen kann.
2.
Soweit das Amtsgericht seine Überzeugung auf die in Augenschein genommene (bewegte) digitale Videoaufzeichnung stützt und auf diese ausdrücklich gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nimmt, ist die Bezugnahme unwirksam. Zwar befindet sich eine Daten-CD mit der den Abstandsverstoß des Betroffenen für rund 10 Sekunden dokumentierenden Videosequenz bei den Akten. Allerdings scheidet insoweit eine Bezugnahme nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO aus, da es sich nicht um eine die Außenwelt unmittelbar wiedergebende Abbildung i.S.v. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO handelt. Als Ausnahmevorschrift erlaubt § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO allein die Bezugnahme auf bei den Akten befindliche „Abbildungen“, was aber nur für unmittelbar durch Gesichts- oder Tastsinn wahrnehmbare Wiedergaben der Außenwelt zutrifft. Hieran fehlt es bei einer nur über den ‚Umweg‘ der Nutzung eines Abspielgerätes wahrnehmbaren und auf einem Datenträger gespeicherten Aufnahme (BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 = NStZ 2012, 228 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 4; KKJ-Senge, § 71 Rn 116 a.E.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 267 Rn 9; Burhoff/G/eg Rn. 160, jeweils m.w.N.).
24.
Amtsgericht Stadthagen, Urteil vom 10.04.2017 – 11 OWi 108/17
Das Verfahren wird eingestellt. Die Landeskasse trägt die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Gründe:
„Ihnen wird vorgeworfen, am 29. 9. 2016, um 10:26 Uhr in Kirchhorsten, K 18, Enzer Straße, Richtung Stadthagen, als Führer des PKW mit Anhänger Ford, ppp. folgende Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG begangen zu haben:Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 50 km/h Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 72 km/h.”
Ein Bußgeldbescheid ist als Verfahrensgrundlage ausreichend, wenn er die dem Betroffenen vorgeworfene Ordnungswidrigkeit zeitlich, örtlich und ihrem wesentlichen Inhalt nach hinreichend festlegt und begrenzt (vgl. Göhler, OWiG, § 66 Rn. 39 mwN).
Hier fehlt es an der örtlichen Begrenzung des vorgeworfenen Vorfalls. Der Bußgeldbescheid verortet den angeblichen Geschwindigkeitsverstoß auf der K 18, Enzer Straße in Kirchhorsten in Fahrtrichtung Stadthagen. Es fehlt hier eine nähere Bezeichnung der Messstelle, zum Beispiel mit einer Hausnummer oder einer angrenzenden Einmündung oder aber einer Angabe des Streckenkilometers. Nahe gelegen hätte hier, den Standort des Messbeamten mit dem Handlasermessgerät Riegel FG21 P, der im Messprotokoll Blatt 12 mit „Enzer Straße 26 in Helpsen” angegeben ist, zu zitieren und mit dem aus dem Kontrollblatt hervorgehenden Abstand zum gemessenen Fahrzeug (hier< 221,2 Meter) zu kombinieren. So hätte die Angabe „in Fahrtrichtung Stadthaben ca 221 Meter vor der Enzer Straße 26″ ausgereicht, um den Tatort sicher zu bestimmen.
So aber bleibt unklar, auf welcher Höhe des Abschnitts der K 18, die zwischen Enzen und Heipsen über mehrere Kilometer verläuft ist, die Messung erfolgt sein soll.
Der Bußgeldbescheid muss insoweit auch aus sich heraus verständlich sein. Es reicht nicht aus, wenn sich der Tatort erst unter Heranziehung des weiteren Akteninhalts ermitteln lässt. Denn dem Betroffenen wird zunächst einmal nur der Bußgeldbescheid zugestellt.
Da der Bußgeldbescheid in dieser Hinsicht seiner vorgeschriebenen Umgrenzungsfunktion nicht nachgekommen ist, muss er als unwirksam betrachtet werden, was wiederum zur Verfahrenseinstellung wegen eines nicht zu behebenden Verfahrensmangels gern. §§ 206 a, 260 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG führt.
25.
OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2017, 4 RBs 404/17
Auch fehlt es an einer hinreichenden Angabe, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als diese von Gelb- auf Rotlicht umschaltete (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 02.11.2010 – III-4 RBs 374/10 – juris).