→ → → → → → →
AG Dortmund, Beschluss vom 23.9.2021 – 729 OWi-261 Js 1345/21-104/21
Kein Zugang zur Bedienungsanleitung = Bußgeldverfahren eingestellt
Ermöglicht es die Verwaltungsbehörde weder dem Gericht noch der Verteidigung für die Dauer des Verfahrens nicht die Bedienungsanleitung eines Messgerätes ausreichend zur Kenntnis zu nehmen, sie zur Akte zu nehmen und untersagt sie auch ein Kopieren, so ist die Messung nicht prüfbar. Das Verfahren kann nach § 47 OWiG
eingestellt werden.
Quelle: aus VRR 2021, Heft 10, Seite 3
OLG Naumburg, Beschluss vom 18.03.2021 – 1 Ws 39/21
1. Der Verteidiger bedarf für den Antrag auf Entpflichtung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung einer – über die Verteidigungsvollmacht hinausgehenden – besonderen Vertretungsmacht.
2. Gerichtliche Zweifel an dieser besonderen Bevollmächtigung sind (aber) regelmäßig rechtzeitig vor einem Fortsetzungstermin mitzuteilen.
Quelle: BECK-VERLAG / BeckRS 2021, 6826 / beck-online
AG Linz am Rhein, Beschluss vom 30.03.2021 – 3 OWi 2085 Js 3547/21
Die Falschbezeichnung des Aktenzeichens ist für die Wirksamkeit eines Einspruchs unschädlich.
Daher bedarf es in diesen Fällen auch keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
AG Landstuhl, Urteil vom 11.05.2021, 1 OWi 4211 Js 4647/21
Wer zuviel schreibt und spricht, der kann schnell mal “baden” gehen,
wie ein Urteil in einem Bußgeldverfahren vor dem AG Landstuhl zeigt.
Ein Betroffener, seines Zeichens Polizeibeamter, wollte an sich auf ein sogenanntes Augenblicksversagen hinaus und gab u.a. an, er sei durch ein dienstliches Telefonat abgelenkt gewesen.
Schwerer Fehler und das AG Landstuhl leitet dann auch daraus eine vorsätzliche – statt fahrlässige -Geschwindigkeitsüberschreitung ab.
Konsequenz: Verdoppelung der Geldbuße.
Quelle → VOLLTEXT / AG Landstuhl / 2 OWi 4211 Js 4647/21
KG, Beschluss vom 18.08.2020 – 3 Ws (B) 152/20-162 Ss 54/20
Verfolgungsverjährungsunterbrechung trotz nicht zugegangenen Anhörungsbogens
Maßgeblich für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG ist die Anordnung der Anhörung. Wird die Anhörung unter einer fehlerhaften Anschrift angeordnet (hier: falsche Hausnummer) und geht der Anhörungsbogen deshalb nicht zu, so hindert dies die Verjährungsunterbrechung nicht.
Aus den Gründen:
Die zunächst dreimonatige Verjährungsfrist der am 28. Januar 2019 begangenen Ordnungswidrigkeit ist am 17. April 2019 durch die automatisiert veranlasste Übersendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen unterbrochen und zugleich erneut in Gang gesetzt worden, § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG. Dass die Anhörung unter einer fehlerhaften Anschrift – nämlich unter der Angabe einer falschen Hausnummer – angeordnet worden und der Anhörungsbogen deshalb dem Betroffenen nicht zugegangen ist, hindert die Verjährungsunterbrechung nicht. Denn maßgeblich für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG ist die Anordnung der Anhörung (vgl. BGHSt 25, 6; Senat, Beschlüsse vom 21. August 2018 – 3 Ws (B) 185/18 –, juris und 28. Juni 2017 – 3 Ws (B) 148/17 –; OLG Hamm VRS 112, 46; BayObLG VRS 105, 301; OLG Frankfurt NJW 1998, 1328; OLG Stuttgart VRS 94, 456; Gürtler in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 33 Rdn. 6a, 10; Ellbogen in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 33 Rdn. 23). Der Gesetzgeber hat damit den Unterbrechungstatbestand allein an ein Internum der Bußgeldbehörde geknüpft (OLG Hamm a.a.O.). Ist der Anhörungsbogen an eine unzutreffende Adresse gerichtet, führt dies nur dann nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung, wenn der anordnende Beamte wusste, dass der Betroffene den Anhörungsbogen nicht erhalten werde (OLG Hamm a.a.O.). Für eine solchen Sachverhalt liegen indes keine Anhaltspunkte vor.
Quelle → VOLLTEXT / KG BERLIN / 3 Ws (B) 152/20 – 162 Ss 54/20
Urteils-Sammlung zum Messverfahren LEIVTEX XV3
→ → → bei uns unter → NEWS – Geschwindigkeit ist (k)eine Hexerei
OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2021 – 4 RVs 40/21
(un)korrekte Inbezugnahme eines Lichtbildes im Urteil
Der bloße Hinweis auf die Durchführung einer Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes in der Hauptverhandlung – ohne Angabe einer Fundstelle und Angabe seines wesentlichen Aussageinhalts – ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen einer Bezugnahme auf die Einzelheiten im Sinn von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen.
Quelle → VOLLTEXT zu OLG Hamm / 4 RVs 40/21
BayObLG München, Beschluss v. 19.01.2021 – 202 ObOWi 1728/20
Kein Absehen von Regelfahrverbot wegen ‚im öffentlichen Interesse‘ liegender ärztlicher Tätigkeit in Notaufnahme
Allein die mit nächtlicher Rufbereitschaft an Wochenenden und im Urlaub verbundene leitende ärztliche Funktion in der zentralen Notaufnahme eines Klinikums mit Schwerpunktversorgung rechtfertigt ein Absehen von einem bußgeldrechtlichen Regelfahrverbot oder sonstige Fahrverbotsprivilegierungen als im „überwiegenden öffentlichen Interesse“ liegend auch dann nicht, wenn der oder die Betroffene daneben im Notarztdienst engagiert und zur Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und zur beruflichen Pflichtenerfüllung auf eine private Kraftfahrzeugnutzung angewiesen ist.
Wird ein Absehen von einem an sich verwirkten Fahrverbot mit der Angewiesenheit auf die Kraftfahrzeugnutzung zur Erreichung des Arbeitsplatzes begründet, müssen sich die Urteilsgründe auch dazu verhalten, warum der oder die Betroffene nicht darauf verwiesen werden kann, vorübergehend eine angemessene Unterkunft in Arbeitsplatznähe anzumieten. Die hierfür anfallenden Aufwendungen sind unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes schon deshalb als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die ersparten Aufwendungen für die private Fahrzeugnutzung gegenüber zu stellen sind (vgl. schon OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2009 – 3 Ss OWi 196/09 = DAR 2009, 401 = VerkMitt 2009, Nr 63 = OLGSt StVG § 25 Nr 46).
Quelle → BayOLG Beschluss v. 19.01.2021 – 202 ObOWi 1728/20
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.01.2021 – 1 OWi 2 SsBs 98/20
Geschwindigkeitsmessung und Gebrauchsanweisung – Euer und unser gutes Recht
Es verstößt gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens, wenn dem Betroffenen trotz eines entsprechenden vor der Hauptverhandlung gestellten Antrags die Gebrauchsanleitung für den Enforcement Trailer nicht zur Verfügung gestellt wird.
Quelle → OLG Zweibrücken zur Aufbauanleitung Enforcement Trailer
OLG Hamm, Beschluss vom 11.02.2021, 4 RBs 7/21
Radarfoto – Datenfeld – Datenleiste – Bezugnahme
Eine Bezugnahme nach §§ 46 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Datenfeld eines Radarfotos ist unzulässig.
Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass zwar eine Bezugnahme nach §§ 46 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Datenfeld des Lichtbildes zum Beleg für den dort dargestellten Geschwindigkeitswert nicht angängig ist (vgl. nur: 2 Ss OWi 349/13 -juris; , Beschluss vom 26.04.2013 – 4 RBs 152/17 – juris m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist die Bezugnahme aber unschädlich, da in den Gründen des angefochtenen Urteils der im Datenfeld des Messfotos wiedergegebene Wert auch ausdrücklich benannt wird und sich daher auch ohne Bezugnahme erschließt. , Beschluss vom 11.05.2017 –
KG Berlin, Beschluss vom 09.11.2020 – 162 Ss 104/20
Eine Digitalkamera ist ein der Organisation dienendes elektronisches Gerät im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.09.2019 – (2 Z) 53 Ss-OWi 488/19 (174/19)
Geschwindigkeitsbeschränkung / Zusatzzeichen “Schule” / Feiertag
Zusatzzeichen “Mo – Fr, 7 – 16.00 h“ gilt auch an gesetzlichen Feiertagen
Für Montag bis Freitag getroffene Anordnungen von Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten auch an gesetzlichen Feiertagen, die auf einen Wochentag fallen. Dies gilt auch dann, wenn die Geschwindigkeitsbegrenzung zusätzlich mit dem Zusatzzeichen „Schule“ (Nr. 1012-50 VzKat) beschildert war.
Quelle: Beck Verlag / BeckRS 2019, 23702
LG Bielefeld vom 9.10.2020 – 08 Qs-401 Js 513/20-231/20
Hohe Anforderungen an Messung von Geschwindigkeiten durch Hinterherfahren
Aus den Gründen (auszugsweise):
An die Messung von Geschwindigkeiten durch ein Hinterherfahren sind hohe Voraussetzungen geknüpft.
Die Messstrecke muss bei Geschwindigkeiten bis 90 km/h bei mindestens 400 m liegen, bei höheren Geschwindigkeiten muss sie mindestens bei 500 m liegen.
Es ist ein annähernd gleicher Abstand zwischen beiden Fahrzeugen zu halten, welcher sich vergrößern, aber nicht verkleinern darf.
Wird eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren durchgeführt, so ist Tachometerwert ein Sicherheitsabschlag von 20 % abzuziehen.
Hier müsste jedoch berücksichtigt werden, dass die Fahrzeuge … nach einem Anhalten an der Lichtzeichenanlage erst wieder anfahren mussten, weshalb nicht die ganze Wegstrecke einzubeziehen wäre Selbst wenn die Teilstrecken lang genug für eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren gewesen wären, wäre zudem ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen.
Schließlich kommt hinzu, dass letztlich nicht einmal geklärt ist, ob der im Polizeiwagen verbaute Tacho geeicht gewesen ist.
Anmerkung: Der Beschluss ist ergangen in einem Beschwerdeverfahren wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Strafverfahren wegen des Verdachts eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 316 d Abs. 1 Nr. 2 StGB.
OLG Koblenz, Beschluss vom 8.3.2021, 4 OWi 6 SsRs 26/21
Bußgeldbemessung bei Vorbeifahren an mehreren, hintereinander aufgestellten Verkehrszeichen
Fährt der Betroffene an mehrfach hintereinander aufgestellten, die Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen vorbei, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen, so handelt er – wenn nicht gar vorsätzlich – mit gegenüber dem Regelfall gesteigerter Fahrlässigkeit, was durch Erhöhung der Regelgeldbuße geahndet werden kann.
Quelle → OLG Koblenz vom 08.03.2021 / 4 OWI 6 SsRs 26/21
OLG Frankfurt a. M. vom 27.08.2018 – 2 Ss OWi 472/18
Notwendiger Inhalt der Urteilsgründe bei Verurteilung wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit (Messverfahren, Messgerät, Messtoleranz)
Bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit muss der Tatrichter – von dem hier nicht vorliegenden Fall eines uneingeschränkten und glaubhaften Geständnisses abgesehen – in den Urteilsgründen regelmäßig das angewandte Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die sachlich-rechtliche Nachprüfung der Beweisführung zu ermöglichen (BGHSt 39, 291, 303 f.).
Es wird lediglich festgestellt, dass der Betroffene innerhalb einer geschlossenen Ortschaft unter Abzug einer Toleranz von 3 km/h mit einer Geschwindigkeit von 81 km/h gefahren ist und an dieser Stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt war. Im Urteil werden aber weder das angewandte Messverfahren noch das eingesetzte Messgerät genannt, das gegebenenfalls Rückschlüsse auf das Messverfahren zulassen würde. Auch das bloße Einräumen des Verkehrsverstoßes ohne nähere Wiedergabe seines Inhalts ist vorliegend nicht ausreichend, weil nicht nachgeprüft werden kann, ob dem Tatrichter bei der Feststellung der auf Grundlage der Einlassung des Betroffenen ermittelten Geschwindigkeit Rechtsfehler, etwa bei der Berücksichtigung von Toleranzen, unterlaufen sind.
OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019, 3 Ss OWi 126/19
Tatvorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahnen – Übersehen eines Verkehrszeichens
Bei einer Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung müssen die tatrichterlichen Feststellungen eindeutig und nachvollziehbar ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Auch anlässlich der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung dürfen die Tatgerichte die auf Erfahrung beruhende Wertung, dass ordnungsgemäß aufgestellte, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen von durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern bei zumutbarer Aufmerksamkeit anlässlich der Fahrt in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde legen.
Die Möglichkeit, dass der Betroffene die eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat, ist allerdings dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür entweder greifbare Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene im Verfahren einwendet, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.
Siehe zur Frage der Wahrnehmung von Verkehrszeichen auch nachfolgend:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.02.2017, (1) 53 Ss-OWi 56/17 (34/17)
OLG Celle, Beschluss vom 01.06.2017, 2 Ss (OWi) 137/17
OLG Hamm, Beschluss vom 12.08.2021 – 4 RBs 217/21
OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.02.2017, (1) 53 Ss-OWi 56/17 (34/17)
Ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrsschilder werden i.d.R. wahrgenommen
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass – wenn es auch keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherten Erkenntnisse geben mag – davon ausgegangen werden darf, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftzeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden (vgl. BGHSt 43, 241). Diesen Regelfall dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte regelmäßig zugrunde legen, was umso mehr gilt, wenn vier Mal in einem Abstand von 200 Metern geschwindigkeitsbeschränkende Schilder aufgestellt werden.
Aber (das nur einseitig aufgestellte Verkehrszeichen):
Die Möglichkeit, dass der Betroffene die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Vorschriftzeichen übersehen hat, braucht das Tatgericht nur dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm ZfS 2008, 408). Solche Anhaltspunkten, wie beispielsweise nur einseitig aufgestellte Schilder, sind hier nicht gegeben.
Quelle → VOLLTEXT = Direkt-LINK zu Landesrecht Brandenburg
OLG Celle, Beschluss vom 01.06.2017, 2 Ss (OWi) 137/17
Vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß bei einmaliger und einseitiger Beschilderung zur Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, i.d.R. wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (st. Rspr., vgl. BGH 4 StR 638/96 – juris; OLG Celle NZV 2014, 232).
Und in Abweichung zu OLG Brandenburg (siehe zuvor)
Der Regelvermutung steht der alleinige Umstand, dass die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch ein einmalig und einseitig aufgestelltes Vorschriftszeichen begrenzt war, nicht von vornherein entgegen (Abweichung von OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.02.2017, Az. (1) 53 Ss-OWi 56/17 (34/17). Anlass zur Prüfung des Vorliegens eines Ausnahmefalls besteht nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, z.B. bei einer die Wahrnehmung des Verkehrsschildes bestreitenden Einlassung des Betroffenen oder bei festgestellten besonderen Witterungs- oder Straßenverhältnissen zum Vorfallszeitpunkt.
Quelle → Direkt-LINK zum VOLLTEXT OLG Celle
OLG Hamm, Beschluss vom 12.08.2021 – 4 RBs 217/21
Übersehen von Verkehrszeichen?
Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, braucht der Tatrichter nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben.
Aus den Gründen:
Letzteres ist hier nicht der Fall gewesen und die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 100 km/h war nach den Urteilsfeststellungen ab knapp einem Kilometer vor der Messstelle an drei Stellen, jeweils beidseitig ausgeschildert worden. Auch der Grund für die Beschränkung, der Wegfall eines war nach den Urteilsfeststellungen „ebenfalls gut sichtbar ausgeschildert“.
AG Frankfurt am Main vom 21.03.2019, 979 OWI 42/19
Einspruchseinlegung auch per Mail möglich !?
Es ist zwar richtig, dass grundsätzlich bei Einspruchseinlegung die Schriftform einzuhalten ist oder der Einspruch zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde eingelegt werden muss.
Wenn jedoch aus dem Schriftstück der Inhalt der abzugebenden Erklärung und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden kann, kann der Einspruch auch per E-Mail eingelegt werden, wenn die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid – entweder im Text oder im Briefkopf und ohne Einschränkung – eine E-Mail-Adresse angibt (vgl. Göhler § 67 OWiG RdZiffer 19, 22a).
Dies ist vorliegend der Fall. Der Regierungspräsident in Kassel stellt in seinem Bußgeldbescheid sowohl eine E-Mail als auch eine Internetverbindung im Briefkopf zur Verfügung, so dass dem Betroffenen jetzt im Nachhinein nicht vorgeworfen werden kann, dass er diese Kommunikationsmöglichkeiten der modernen Technik genutzt und sich nicht allein der Schriftform bzw. der Niederschrift auf der Geschäftsstelle in Kassel bedient hat.
ABER WIR RATEN HIER SEHR ZUR VORSICHT und EMPFEHLEN – derzeit – eine EINLEGUNG per FAX oder auf dem POSTWEGE, aber hier sei zu beachten, dass der fristgerechte EINGANG / ZUGANG bei der Bußgeldstelle entscheidend ist.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 13.06.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 261/19 (148/19)
Entbindungsantrag – Verwerfungsurteil – Abwesenheitsverfahren – rechtliches Gehör – Rechtsbeschwerde
Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht entschieden und ergeht ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs. 2OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen – seine Einlassung oder seine Aussageverweigerung – zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (vgl. Senatsbeschl. vom 1. November 2013, 1 Z – 53 Ss-OWi 471/13 – 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011 – 1 Ss (OWi) 83 Z/11 -; Senatsbeschluss 254; BayObLG ZfS 2001, 185; , Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 zit. n. juris). Hierbei ist unbeachtlich, dass ausweislich des Vermerks der Vorsitzenden vom 16. April 2019 der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen die erkennende Richterin vor der Hauptverhandlung nicht mehr erreicht hat. Der Antrag ist nicht zur Unzeit bei Gericht eingegangen, es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Schriftsatz vor der Hauptverhandlung, mithin innerhalb von 24 Stunden, der erkennenden Richterin nicht hätte vorgelegt werden können. Das in der Sphäre der Justiz liegende Organisationsverschulden kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. -; Senatsbeschluss vom 22. November 2007 – 1 Ss (OWi) 251 B/07 -; Senatsbeschluss vom 25. September 2006 – 1 Ss (OWi) 172 B/06 -; Senatsbeschluss vom 3. Januar 2006 – 1 Ss (OWi) 270 B/05 – Senatsbeschluss vom 10. Juli 2009 – 1 Ss (OWi) 108 Z/09; ebenso: OLG Köln ZfS 2002,
AG Zweibrücken vom 29.10.2018, 1 OWi 4285 Js 7167/18
Zum Halterbegriff
Der Halterbegriff ist als Rechtsbegriff mittels der tatsächlichen Feststellungen aufzulösen und gilt einheitlich im gesamten Verkehrsrecht.
Die Verantwortlichkeit eines Betroffenen als Halter scheidet aus, wenn die tatsächlichen Feststellungen ergeben, dass eine andere Person als der Betroffene, der selbst lediglich Zulassungsinhaber des Fahrzeugs ist, das Fahrzeug überwiegend und auf eigene Rechnung gebraucht und damit tatsächlich und wirtschaftlich über die Fahrzeugnutzung verfügen kann.
Aus den Gründen:
Der Halterbegriff entstammt § 833 BGB und gilt einheitlich für das gesamte Straßenverkehrsrecht.
Maßgeblich ist, von wem das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht wird, wer also die Kosten bestreitet und die Verwendungsnutzungen zieht und wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung (als Gefahrenquelle) so verfügen kann, dass es dem Wesen der Veranlasserhaftung entspricht (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 7 StVG, Rn. 14). Halter ist mithin diejenige Person, die tatsächlich über die Fahrzeugbenutzung verfügen kann, wobei die Verfügungsgewalt darin bestehen muss, dass der Fahrzeugbenutzer Anlass, Ziel und Zeit seiner Fahrten selbst bestimmt (KG Berlin, Beschl. v. 25.07.2017 – (6) 121 Ss 91/17 (32/17), juris).
Quelle → VOLLTEXT / Direkt-LINK Justizportal Rheinland-Pfalz
AG Schleswig, Beschluss vom 05.07.2018, 53 OWI 107 Js 8757/18 (aus NStZ 2018, 727)
Unwirksamkeit eines Bußgeldbescheides – Tatortbeschreibung – Umgrenzungsfunktion
Der Bußgeldbescheid muss nicht nur den Tatvorwurf umschreiben, sondern auch den Tatort derart exakt umschreiben, dass eine Verwechselung mit anderen vergleichbaren Ordnungswidrigkeiten ausgeschlossen werden kann. Verstöße hiergegen führen zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids.
Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr reicht die bloße Angabe des Straßennamens nicht aus, sofern davon eine längere Fahrstrecke erfasst wird. Unter diesen Umständen muss der Tatort durch zusätzliche Angaben weiter eingegrenzt werden.
Aus den Gründen:
Der von der Verteidigung angegriffene Bußgeldbescheid leidet indes unter schwerwiegenden Mängeln, da eine exakte Angabe des Tatortes im Bußgeldbescheid nicht angegeben ist und insofern eine Verwechselungsgefahr mit möglicherweise anderen Ordnungswidrigkeiten nicht ausgeschlossen werden kann (AG Lüdingshausen BeckRS 2015, 12516; AG Husum BeckRS 2017, 128121; im Übrigen bereits BGH NJW 1970, 2222, 2223; so auch ausdrücklich Rebler NZV 2016, 304, 308). Maßgebend ist danach eine Abgrenzung im Einzelfall. Die Konkretisierung des Tatvorwurfs und des Tatortes müssen jedoch nicht nur sicherstellen, dass der Betroffene überhaupt ein Bewusstsein für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann und dass insbesondere Verwechselungen sicher ausgeschlossen sind. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde im Bußgeldbescheid präzise konkretisiert werden (bereits BGH aaO). So liegt der Fall hier, denn es besteht die Gefahr einer Verwechselung mit anderen ordnungswidrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen durch den Betroffenen. Der Bußgeldbescheid umschreibt den Tatort nur mit der Straßenbezeichnung ohne nähere Eingrenzung, sodass für die Tatbegehung eine erhebliche räumliche Varianz besteht. Insofern ist der Verteidigung Recht zu geben, dass auf einer Fahrstrecke von mindestens 1,7 km weitere Verstöße durch den Betroffenen bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung nicht ausgeschlossen werden können.
…
kann der Mangel des Bußgeldbescheides nicht durch eine Zusammenschau mit dem Akteninhalt oder ggf. aufgenommenen anderen Verstößen geheilt werden. Denn das Verjährungsrecht – und dies wurde in der Verfügung der Dezernatsvorgängerin verkannt – ist formelles Recht, das zwingend ist. Mit anderen Worten darf der Akteninhalt bei Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht herangezogen werden, da ansonsten die formelle Verjährungsfolge – namentlich das Erlöschen der Ahndungsmöglichkeit – umgangen werden würde. Das gilt auch wenn der Verstoß durch den Betroffenen möglicherweise aus dem Akteninhalt ersichtlich ist. Die Bezugnahme auf den Akteninhalt zur Heilung von Mängeln des Bußgeldbescheides ist nur bei nicht schwerwiegenden, die Wirksamkeit nicht beeinträchtigenden Mängeln möglich (Rebler aaO 306 mwN). Bei schwerwiegenden Mängeln – wie der hier fehlenden Umgrenzungsfunktion – darf die Heilung schon deshalb nicht eintreten, weil sie sonst die Schutzfunktion des Bestimmtheitsgrundsatzes vollständig aufheben würden. Dieser dient aber im Ergebnis dem Schutz der Bürger davor zum Objekt staatlicher Willkür zu werden und ist letztlich Ausdruck von verfassungsrechtlich verbürgten Verfahrensgarantien, die den Grundstein rechtsstaatlichen Handelns bilden.
OLG Hamm, Beschluss vom 16.09.2021 – 4 RBs 277/21
Anforderungen an die Tatschilderung im Bußgeldbescheid
Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mithilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen“.
Quelle: SVR 2021, 475, beck-online
OLG Karlsruhe, Beschluss v. 23.01.2020 – 1 Rb 21 Ss 967/19
Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids wegen Nichterfüllung der Abgrenzungsfunktion
Wie die Anklage oder der Strafbefehl im Strafverfahren beschreibt und begrenzt der Bußgeldbescheid die Tat im Sinne von § 264 StPO und damit den Prozessgegenstand des Bußgeldverfahrens in persönlicher und sachlicher Hinsicht (Bestätigung von BGH BeckRS 9998, 109329).
Erfüllt der Bußgeldbescheid seine Aufgabe nicht, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung, wobei die Frage, ob der Bußgeldbescheid seiner Abgrenzungsfunktion gerecht wird, allein aus dem Bußgeldbescheid ohne Hilfe anderer Erkenntnisquellen, wie etwa des Akteninhalts, zu beantworten ist (Bestätigung von BGH BeckRS 9998, 109491).
Quelle: BeckRS 2020, 464
OLG Koblenz, Beschluss vom 22.03.2021, 2 OWI 6 SsBs 20/21
Die (“ungenügende”) Tatortbeschreibung und die Verjährungsunterbrechung des Bußgeldbescheides
Um die in § 33 I OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung herbeizuführen, ist eine hinreichende Konkretisierung des Tatgeschehens notwendig, ohne dass – insoweit im Unterschied zur Frage der Wirksamkeit des Bußgeldbescheids iSd § 66 OWiG – ergänzend auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden kann.
Bezogen auf die Ortsangabe ist dabei – sofern der Betroffene nicht ohnehin an Ort und Stelle angehalten wird – keine auf den Meter genaue Streckenangabe erforderlich, sondern die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.) auf einer längeren Strecke, insbesondere im Zusammenschau mit den weiteren Angaben im Bußgeldbescheid, erforderlich.
Quelle → zfs 2021, 412
und ebenso auch
AG Kaiserslautern – 12.11.2021 – 8 OWi 6070 Js 17914/21
Wenn der Betroffene nicht am Messort angehalten wird, bedarf es einer zumindest Angabe eines markanten Punktes, wie der Bezeichnung eines Gebäudes, einer Hausnummer oder eines (Park)platzes, zur Beschreibung des Tatortes. Eine auf den Meter genaue Streckenangabe ist indes nicht erforderlich.
AG Rockhausen, Beschluss vom 03.04.2023 – 2a OWi 6070 Js 1673/23
Sowohl in der Anhörung als auch im Bußgeldbescheid ist als Tatort „67304 Eisenberg, Ostring, FR Eisenberg“, angegeben. Eine konkretisierende Angabe, wo der Verstoß begangen wurde, ist hiermit nicht verbunden. Der Ostring in Eisenberg verläuft über eine Strecke von etwa 1,7 Km von der Ramsener Straße bis zur Einmündung Westring. Maßgeblich ist, dass die Tat — auch hinsichtlich des Begehungsorts — so genau bezeichnet wird, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters darstellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. 10. 1970 – 4 StR 190/70, NJW 1970, 2222). Ausreichend ist im Einzelfall auch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.), (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 22.03.2021 – 2 Owi 6 SsBs 20/21).
AG Augsburg, Beschluss vom 26.09.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24
Die Angabe
Gersthofen, A8 West, Ri München, Abschnitt 340
ist nicht so genau bezeichnet, dass sie sich als unverwechselbar darstellt.
Hinweis: Der Abschnitt 340 ist 2,5 Kilometer lang.
Unseres Erachtens aber zumindest diskutabel…
AG Eilenburg, Urteil vom 15.2.2024, 8 OWi 501 Js 55734/23
Tatortbeschreibung im Bußgeldbescheid lautete:
BAB 9, Schkeuditzer Kreuz, Tangente München–Berlin,
aber es gibt am Schkeuditzer Kreuz keine Tangente München–Berlin.
Das AG Eilenburg meinte indes, das sei zwar missverständlich, doch anhand der weiteren Angaben wie Datum, Uhrzeit und der Nennung des Schkeuditzer Kreuzes könne man den genauen Tatort erkennen – also sei der Bußgeldbescheid wirksam.
BGH, Beschluss vom 08.10.1970, 4 StR 190/70
Anforderungen an den Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage / Abgrenzungsfunktion / Umgrenzungsfunktion
Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozeßvoraussetzung ist, wie der Vorlegungsbeschluß zutreffend darlegt, nur seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfaßt und geahndet werden soll (vgl. BayObLG, VRS 38, 448 und JMBlNRW 70, 39; OLG Hamm, aaO; Rotberg, 4. Aufl., § 66 OWiG Bem. 20; Rebmann-Roth-Hermann, 1969, § 66 OWiG Rdn. 13; auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar Rdnr. 3, KMR, 6. Aufl., Anm. 3 a, jeweils zu § 409 StPO). Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen”.
OLG Hamm, Beschluss vom 06.02.2003, 4 Ss OWI 56/03
Bußgeldbescheid – unrichtige Angaben (hier Fahrzeug)
Enthält der Bußgeldbescheid unrichtige Angaben über
das von dem Betroffenen zur Tatzeit am Tatort gefahrene Fahrzeug,
hat das nicht dessen Unwirksamkeit zur Folge, wenn im Übrigen zweifelsfrei fest, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll.
Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Betroffene nach dem Verkehrsverstoß von den anzeigenden Polizeibeamten angehalten worden ist.
KG Berlin, Beschluss vom 18.06.2019, 3 Ws (B) 186/19
Fahreridentifizierung bei verdeckter Stirnpartie (Basecap)
Der Umstand, dass der Stirnbereich des abgelichteten Kraftfahrers durch eine Kappe verdeckt ist, führt nicht dazu, dass das Lichtbild zur Fahreridentifizierung generell ungeeignet ist.
Das Amtsgericht hat diesen Maßstäben entsprechend durch genaue Bezeichnung der Seitenzahlen in der Akte die in Bezug genommenen Lichtbilder zum Inhalt des Urteils gemacht. Ferner hat es sich hinreichend mit der Ergiebigkeit der Lichtbilder auseinandergesetzt, indem es sowohl die Qualität der Aufnahmen in Bezug auf deren Schärfe als auch den Umstand gewürdigt hat, dass das Gesicht der auf den Fotos erkennbaren männlichen Person durch das Tragen einer Kappe im Stirnbereich zum Teil verdeckt war. Dies berücksichtigend kommt das Gericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung, dass die Lichtbilder den Betroffenen zeigen, was es unter Darlegung und Beschreibung verschiedener Identifikationsmerkmale (wie Gesichtszüge, Gesichtsform, Ausformung und Verlauf der Augenbrauen, Erscheinungsbild der Mund- und Nasenpartie) ausführlich begründet. Allein der Umstand, dass der Stirnbereich auf dem Foto durch eine Kappe verdeckt ist, führt nicht zur generellen Ungeeignetheit des Bildes zur Fahreridentifizierung (vgl. Senat, Beschluss vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 -, juris m.w.N.). Die zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachten Lichtbilder erweisen sich auf dieser Grundlage als zur Identifizierung geeignet, sodass Zweifel dahingehend, dass das Tatgericht anhand der Lichtbilder einen Vergleich auf Übereinstimmung der darauf abgebildeten Person mit dem äußeren Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen vorzunehmen vermochte, nicht bestehen.
OLG Hamm, Beschluss vom 28.11.2019, 1 RBs 220/19
Geschwindigkeitsüberschreitung, verkehrsberuhigter Bereich, Schrittgeschwindigkeit, Bestimmtheitsgebot
zu StVO § 42 Abs. 2 i.V.m. dem Verkehrszeichen 325.1; in Abschnitt 4 der Anlage 3 (zu § 42 Absatz 2)
Die derzeit gegebene Uneinheitlichkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung, in welcher der Begriff der Schrittgeschwindigkeit teilweise bzw. überwiegend mit max. 7 km/h definiert, teilweise aber auch mit max. 10 km/h angegeben wird, führt unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes bzw. des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Schuldprinzips dazu, dass einem Betroffenen unabhängig von der konkreten Kenntnis verschiedener gerichtlicher Entscheidungen und unabhängig von der Frage, welche der verschiedenen Auffassungen nach Bewertung des Senats als vorzugswürdig anzusehen wäre, ein Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit allenfalls erst bei Überschreitung des Wertes von 10 km/h zur Last gelegt werden kann, solange keine verbindliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eine entsprechende gesetzliche Klarstellung vorliegt.
OLG Hamm, Beschluss vom 28.5.2019 – 4 RBs 147/19
Fahreridentifizierung – Zeugnisverweigerungsrecht – Verhörsperson
Im Bußgeldverfahren dürfen die Angaben eines vor der Hauptverhandlung vernommenen oder informatorisch befragten Zeugen, der sich erst in der Hauptverhandlung berechtigt auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, gemäß § 252 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG weder verlesen noch – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – durch Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen oder anderer Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt werden.
Aus den Gründen:
Nachdem die Mutter des Betroffenen am 21.08.2018 gegenüber dem Zeugen T Angaben zur Fahrerermittlung gemacht hatte, sich jedoch später auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO berufen hat, hätten ihre Angaben daher – anders als geschehen – nicht durch Einvernahme des Zeugen T in die Hauptverhandlung eingeführt und zu Lasten des Betroffenen verwertet werden dürfen. Für einen Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot – zu den Anforderungen zu vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 252 Rdnr. 16a – ist nichts ersichtlich.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.1.2020, 3 Rb 32 Ss 983/19
Das “falsche” und “unberechtigte” Verwerfungsurteil
Der Umstand, dass auch der Verteidiger des von der Anwesenheitspflicht entbundenen Betroffenen der Hauptverhandlung ferngeblieben ist, rechtfertigt den Erlasseines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht.
Interessant hierzu auch OLG Rostock, Beschluss vom 04.11.2019 – 21 Ss OWi 286/19
KG Berlin, Beschluss vom 18.2.2020, 3 Ws (B) 11/20
Anforderungen an Wahrnehmung des Martinshorns bei hohen Eigengeräuschen des Fahrzeug
Verhindern Eigengeräusche des Fahrzeuges die Wahrnehmbarkeit des mit eingeschaltetem Martinshorn herannahenden Einsatzfahrzeuges durch den Betroffenen, so ist dieses Defizit durch besondere aufmerksame Beobachtung der Verkehrslage auszugleichen.
Nach § 38 Abs. 1 StVO hat jeder Verkehrsteilnehmer unmittelbar, nachdem er das Blaulicht und das Einsatzhorn wahrgenommen hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können, sofort freie Bahn zu schaffen. Demnach muss der Betroffene dafür Sorge tragen, dass er das Einsatzhorn rechtzeitig hören kann (vgl. KG NZV 1992, 456). Im Falle von eingeschränkter oder gar fehlender Wahrnehmbarkeit des Einsatzhorns durch den Betroffenen in Folge körperlicher Einschränkungen oder – wie hier – der Eigengeräusche des Fahrzeuges (UA S. 3) ist dies stets durch eine besonders aufmerksame Beobachtung der Verkehrslage auszugleichen (vgl. Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. § 38 StVO, Rn.18_1). Dass der Betroffene dem nachgekommen ist, hat weder er selbst behauptet, noch ist dies den allein maßgeblichen Urteilsgründen zu entnehmen.
KG Berlin, Beschluss vom 19.2.2020, 3 Ws (B) 25/20
Schuldform einer Ordnungswidrigkeit im Urteil
Bei einer Ordnungswidrigkeit, die sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann, ist in den Urteilstenor nach §§ 71 Abs.1 OWiG, 260 Abs. 4 StPO die Schuldform mit aufzunehmen (vgl. Seit/Bauer in Göhler a.a.O., § 71 Rn. 41).
AG Eilenburg vom 22.06.2020, 8 OWi 950 Js 61954/19
Entscheidung im Beschlusswege bei Verkehrsordnungswidrigkeiten aufgrund positivem “Nachtatverhalten” / verkehrspsychologische Beratung / Reduzierung der Geldbuße unter der Eintragungsgrenze
Aus den Gründen:
Maßgebend wirkt sich hier zugunsten des Betroffenen aus, dass er seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt hat, dem nach Auffassung des Gerichts Geständnisfiktion zukommt (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.01.2006 – 1 Ss 5/06 -, BeckRS 2006, 1865 zur Rechtsfolgenbeschränkung im Strafbefehlsverfahren). Die bereits darin zum Ausdruck kommende Einsicht des Betroffenen in sein straßenverkehrsordnungswidriges Verhalten hat der Betroffene ferner durch seine Teilnahme an einer zweieinhalbstündigen Beratung bei einem amtlich anerkannten verkehrspsychologischen Berater nachgewiesen und insoweit ein positives Nachtatverhalten gezeigt.
Hinzu kommt hier, dass der Betroffene dem Gericht im Rahmen einer Entscheidung nach § 72 Abs. 1 OWiG die Durchführung von mindestens einem Termin zur mündlichen Hauptverhandlung erspart und damit in Zeiten der Corona-Pandemie in mittelbarer Hinsicht zur Krankheitsprävention beiträgt. Demgegenüber verkennt das Gericht zwar nicht, dass zulasten des Betroffenen die beiden Voreintragungen im Fahreignungsregister betreffend dreier Verkehrsstraftaten zu werten sind. Jedoch sind die zugunsten des Betroffenen sprechenden Ahndungskriterien hier von deutlich größerem Gewicht, sodass nach Auffassung des Gerichts unter Zurückstellung gewisser Bedenken hier ausnahmsweise auf eine Geldbuße unterhalb der Eintragungsgrenze im Fahreignungsregister erkannt werden konnte, da bei der Bewertung auch nicht außer Betracht bleiben darf, dass die Voreintragungen nicht einschlägiger Natur sind und die Rechtskraft dieser Entscheidungen bereits über drei bzw. über vier Jahre zurückliegt.
OLG Koblenz vom 02.10.2020, 3 OWi 6 SsBs 258/20
Heranziehung des bei der Meldebehörde hinterlegten Passfotos zur Fahreridentifizierung durch die Bußgeldstelle ist zulässig
Die Beiziehung des beim zuständigen Einwohnermeldeamt hinterlegten Personalausweisfotos des Betroffenen zur Fahreridentifizierung in Verkehrsordnungswidrigkeitsver
§ 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PAuswG ist im Lichte von § 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und des insoweit spezielleren § 25 Abs. 2 Satz 1 PAuswG auszulegen, wonach die Übermittlung von Lichtbildern durch die Passbehörden an die Ordnungsbehörden im Rahmen der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten ausdrücklich ermöglicht werden sollte.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 9.2.2015, 2 Ss OWi 20/15
Unverwertbarkeit des Messfotos auch dann, wenn ein(e) Beifahrer(in) nicht unkenntlich gemacht wurde
Wird im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme ein Lichtbild gefertigt, auf dem auch der Beifahrer erkennbar ist und gelangt dieses Foto ohne Unkenntlichmachung des Beifahrers in die Gerichtsakte, unterliegt es keinem Verwertungsverbot, wenn das Amtsgericht aus der Person des Beifahrers Schlüsse auf die Identität des Fahrzeugführers zieht.
KG Berlin, Beschluss vom 26.8.2020, 3 Ws (B) 163/20
Fahrverbot und covid-19-bedingte Härte – aber nicht beim Kammergericht Berlin
Es ist auch dann nicht rechtsfehlerhaft, auf das Regelfahrverbot zu erkennen, wenn der Betroffene geltend macht, es belaste ihn zurzeit konjunkturbedingt härter.
Quelle → KG Berlin Fahrverbot und coronabedingte Härte
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.01.2021 – 2 RBs 191/20
Allgemeinkundige Tatsachen stehen der Kenntnisnahme durch das Rechtsbeschwerdegericht offen, ohne dass es ihrer Darlegung im tatrichterlichen Urteil bedarf.
Die im Internet bei Google Maps oder Google Earth abrufbaren Luftbildaufnahmen können als Quelle für allgemeinkundige Erkenntnisse zu örtlichen Gegebenheiten herangezogen werden.
Quelle → OLG Düsseldorf und google
OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2013, 1 RBs 98/13
Qualifizierter Rotlichtverstoß – Umfahren einer Lichtzeichenanlage über ein Tankstellengelände
Ein Lichtzeichenanlage die für den Betroffenen Rotlicht zeigt, verbietet nicht, vor der Ampelanlage auf einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich (hier: ein Tankstellengelände) abzubiegen und nach Durchfahren dieses Geländes hinter der Lichtzeichenanlage wieder in den durch sie geschützten Verkehrsraum einzufahren. Das gilt auch dann, wenn dieser Fahrvorgang der Umfahrung der Lichtzeichenanlage dient. Es liegt dann kein Rotlichtverstoß vor.
Quelle → OLG HAMM / Beschluss vom 02.07.2013 / 1 RBs 98/13