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BGH, Urteil vom 08.10.2024 – VI ZR 250/22
Verdienstausfall trotz falscher Krankschreibung, wenn:
Leitsatz:
Der Geschädigte kann einen adäquat kausal unfallbedingten und nach § 842 BGB, § 11 StVG zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur Arbeit geht.
Anmerkungen:
Das Gericht hat entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls hat, auch wenn er objektiv arbeitsfähig war, solange er berechtigterweise auf die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraute.
Das Berufungsgericht hatte festgestellt, dass der Kläger ab dem 6. September 2019 arbeitsfähig war und daher keinen weiteren Verdienstausfall geltend machen könne. Der Bundesgerichtshof widersprach dieser Auffassung und stellte klar, dass ein Anspruch auf Verdienstausfall auch dann bestehen kann, wenn der Geschädigte aufgrund ärztlicher Beratung von einer Arbeitsunfähigkeit ausgehen musste. Dies gilt insbesondere, wenn der Geschädigte auf die ärztliche Einschätzung angewiesen ist, um seine Gesundheit nicht zu gefährden. Der Geschädigte muss darlegen und beweisen, dass die ärztliche Bescheinigung unfallbedingt war und er berechtigterweise darauf vertraute. Das Berufungsgericht hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger berechtigterweise auf die ärztliche Bescheinigung vertraute, weshalb das Urteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung zurückverwiesen wurde.
Quelle: Beck-Verlag / Beck-RS 2024, 29127
BGH, Urteil vom 15.02.2022, VI ZR 937/20
Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes / Absage an die “taggenaue Berechnung”
a) Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.
b) Diesen Grundsätzen wird die sogenannte “taggenaue Berechnung” des Schmerzensgeldes nicht gerecht.
BGH, Urteil vom 08.06.2021 – VI ZR 924/20
Zusammenveranlagung bei Ermittlung des Steuerschadens eines unfallverletzten Ehepartners ist zu berücksichtigen
Ein erwerbstätiger verheirateter Geschädigter, der mit seinem Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wird, kann von dem Schädiger, der ihm ne-ben dem entgangenen Nettoverdienst die darauf anfallenden Steuern zu ersetzen hat, den Einkommensteuerbetrag ersetzt verlangen, der sich auf der Grundlage der Zusammenveranlagung ergibt (teilweise Aufgabe Senatsurteil vom 28. April 1970 – VI ZR 193/68, VersR 1970, 640).
OLG München, Urteil vom 10.03.2021, 10 U 176/20
Berechnung und Höhe des fiktiven Haushaltsführungsschaden
Für die Zuerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens ist darauf abzustellen, welche Tätigkeit die Geschädigte ohne den erlittenen Unfall künftig geleistet haben würde.
Die Obliegenheit zur Minderung des Haushaltsführungsschadens verlangt nicht, zu bewirken, dass ein anderes Haushaltsmitglied in größerem Umfang als bisher im Haushalt mitarbeiten muss.
Die Höhe des Nettostundensatzes für eine fiktive Haushaltshilfe ist mit 8 EUR anzusetzen.
Aus den Gründen (zur Höhe des Nettostundensatzes):
Der Senat hat bereits in den Terminhinweisen vom 29.10.2020 (vgl. Bl. 481 d. A.) beispielshaft auf die Ausführungen in dem Internetportal „putzperle.de“ Bezug genommen, denen zu entnehmen ist, dass es bei der Bemessung des durchschnittlichen Stundenlohnes große regionale Unterschiede, einerseits zwischen Ost und West, andererseits zwischen ländlichen und urbanen Räumen, zu verzeichnen gibt. In ländlichen Gebieten ist der durchschnittliche Stundenlohn mit ca. 9,50 EUR etwas niedriger und nahe am Mindestlohn. In urbanen Ballungsräumen liegt der Verdienst im privaten Haushalt durchschnittlich bei 9,50 EUR in Leipzig, 10 EUR in Berlin, 11 EUR in Hamburg und 12 EUR in München (vgl. https://putzperle.de/de/ratgeber/wie-hoch-ist-mein-stundenlohn-als-putzfrau). Weitere Einflussfaktoren sind, über welche Erfahrung die Haushaltshilfe verfügt und welche Leistungen im Haushalt erbracht werden müssen. Bei einer selbständigen Haushaltshilfe können bei der Errechnung des Nettolohns ca. 22 % Abgaben abgezogen werden (vgl. auch aaO). Der Ansatz der Kl., frühere Senatsentscheidungen als Grundlage zu nehmen und dann jährliche Steigerungen anhand der Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts über branchenunspezifische Durchschnittslöhne einzurechnen, ist daher methodisch verfehlt.
Der vom Senat angesetzte Nettostundensatz von 8 – 8,50 EUR entspricht insoweit einem Bruttolohn von 10,26 EUR, die Bandbreite entspricht regionalen Unterschieden. Angesichts der vorstehenden Bandbreiten liegt ein derartiger Stundenlohn noch im Bereich der bundesweit bezahlten Stundenlöhne für Haushaltshilfen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021, 1 U 38/20
Der Stundensatz einer Haushaltshilfe kann regelmäßig auf der Basis der mittleren Bruttogehälter des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst des Bundes (TVöD) geschätzt werden. Er kann aktuell 12,00 Euro netto betragen.
Quelle → OLG Düsseldorf und Stundensatz nach TVÖD 12 EUR
OLG Hamburg, Urteil vom 08.11.2019, 1 U 155/18
Haushaltsführungsschaden / in Hamburg “Stundensatz” von 10,00 EUR
Soweit es den Stundenlohn betrifft, der für eine professionelle Ersatzkraft aufzuwenden gewesen wäre, hält das Berufungsgericht den von der Klägerin geltend gemachten Betrag von € 10,00 (S. 3 des Schriftsatzes der Klägerin vom 23. März 2018, Bl. 94 d.A.) unter Berücksichtigung der bekannten Verhältnisse in einer Großstadt wie Hamburg für angemessen. Wie bereits in dem gerichtlichen Hinweis vom 7. Dezember 2018 (dort S. 5, Bl. 167 d.A.) angesprochen, erscheint es unwahrscheinlich, dass hier eine Haushaltshilfe für einen geringeren Nettolohn zu finden gewesen sein könnte.
Quelle → OLG Hamburg Stundensatz Hamburg 10 EURO
OLG Dresden, Urteil vom 29.05.2020, 22 U 699/19
Bemessung des Haushaltsführungsschadens
Der Haushaltsführungsschaden kann nicht anhand von Tabellenwerken in entindividualisierter Weise berechnet werden.
Er muss vielmehr stets bei der konkreten Lage der individuell betroffenen Person und deren individuellen Lebensumständen ansetzen. Eine Berechnung allein anhand statistischer Durchschnitte zu den Arbeitszeiten und ohne Reflexion zu den einzelnen Arbeitsbereichen und mit abstrakten Behinderungsgraden ist nicht möglich. Eine Berechnung allein anhand der Tabelle würde den hier relevanten Vermögensschaden unzulässigerweise dem immateriellen Schaden nach § 253 BGB annähern (Pardey, a.a.O, S. 53 f.; zur Relevanz einer rein tabellengestützten Schadensberechnung in der außergerichtlichen Regulierungspraxis Schah Sedi, a.a.O., Rn. 13). Über diese rechtsdogmatische Erwägung hinaus ist dies auch Folge fehlender systematischer und nachvollziehbarer Tabellenwerke, die jenseits eines konkreten Sachverhalts zuverlässige Anhaltspunkte für eine tatrichterliches Schätzung (§ 287 ZPO) oder Berechnung des Haushaltsführungsschadens bieten würden.
Quelle → Volltext unter Angabe des Aktenzeichens 22 U 699/19 möglich
OLG München, Urteil v. 26.03.2019 – 24 U 2290/18
Ersatz von Verdienstausfallschaden / Vorteilsausgleichung ersparter berufsbedingter Aufwendungen
Beim Ersatz von Verdienstausfallschaden sind im Wege der Vorteilsausgleichung ersparte berufsbedingte Aufwendungen anzurechnen, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dem erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stehen. In Ermangelung anderer Angaben ist eine Pauschalierung der berufsbedingten Aufwendungen in Höhe von 10% des Nettoeinkommens vorzunehmen, wenn keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragenden (und ggfs. zu beweisenden) Umstände vorliegen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergeben.
OLG Koblenz, Urteil vom v. 18.04.2016 – 12 U 996/15
Der Haushaltsführungsschaden – an sich keine Altersgrenze
Es ist im Rahmen der Zuerkennung eines Haushaltsführungsschadens nicht gerechtfertigt, diesen auf das 75.Lebensjahr zu begrenzen.
Angesichts der als allgemein bekannt zu unterstellenden Tatsache, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung und deren Selbständigkeit im Alter fortgehend steigt (entsprechende statistische Nachweise unter anderem: Gräfenstein/Deller, zfs 2014, 69), muss nach der Überzeugung des Senats davon ausgegangen werden, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Klägerin ohne das Schadensereignis wie die weit überwiegende Zahl der Bevölkerung den Haushalt auch nach dem 75. Lebensjahr noch selbständig führen wird. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ganz konkret in der Person der Klägerin Umstände erkennbar wären, die dazu führen würden, die überwiegende Wahrscheinlichkeit dieses Verlaufs in Zweifel zu ziehen.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2016, 106229
BGH, Urteil vom 13.06.2013, IX ZR 155/11
Folgeschäden und die vorhergehende Disposition des Geschädigten
Die Zurechnung von Folgeschäden scheitert nicht daran, dass sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen.