→ → → → → → → → →
OLG Brandenburg, Urteil vom 14.12.2023 – 12 U 107/23
Kein Mitverschulden bei Fußverletzung durch Tragen ungeeigneten Schuhwerks beim Motorradfahren
Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein, nachdem es für Motorradfahrer erforderlich ist, festes Schuhwerk zu tragen, kann nicht festgestellt werden. Den Fahrer eines Motorrads trifft deshalb keine generelle, ein Mitverschulden begründende, Obliegenheit festes Schuhwerk zu tragen.
Quelle: SVR 2024, 345
Volltext → zum VOLLTEXT geht es HIER LANG
VG Düsseldorf, Urteil vom 19.09.2023 , 14 K 7479/22
Wird ein Motorrad/Kraftrad auf einem Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge abgestellt, rechtfertigt die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche eine Abschleppmaßnahme regelmäßig auch ohne konkrete Behinderung eines im Sinne von § 2 EmoG bevorrechtigten Fahrzeugs, da die parkbevorrechtigten Benutzerkreise darauf vertrauen dürfen, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen unbedingt zur Verfügung steht.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.11.2022 – 5 U 120/21
Zum Nachweis der Voraussetzungen des sog. Rettungskostenersatzes beim Ausweichen eines Motorradfahrers vor Rehwild
Hat ein Motorradfahrer beim Einfahren in eine Rechtskurve aus geringer Entfernung Rehe wahrgenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des rechten Straßenrandes hinter einem Busch befinden, und gerät er beim anschließenden Versuch, nach links auszuweichen, von der Straße ab, kann eine objektiv gebotene Rettungshandlung vorliegen und der Teilkaskoversicherer gehalten sein, dadurch entstandene Schäden am Fahrzeug und an der Kleidung des Fahrers als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles zu ersetzen.
Quelle → VOLLTEXT / DIREKTLINK
OLG München, Urteil vom 19.10.2022, 10 U 8254/21e
Sturz in Kurve / Schlittern des KRAD auf die Gegenfahrbahn / Rechtsfahrgebot
Ein Kradfahrer haftet in vollem Umfang für den eingetretenen Schaden, wenn er aufgrund eines schuldhaften Fahrfehlers die Gewalt über sein Motorrad verliert, so dass dieses quer zur Fahrtrichtung schleudernd in die Gegenfahrbahn hinüberrutscht. Unter diesen Umständen tritt die Betriebsgefahr eines entgegenkommenden Pkw völlig zurück.
Quelle: SVR 2023, 226
OLG Hamm, Urteil vom 08.07.2022 – 7 U 106/20
Doppelte Rückschau und erhöhte Betriebsgefahr eines Motorrads
1. Die doppelte Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 StVO ist nicht gewahrt, wenn es zwar zu einem «doppelten Schulterblick» kommt, der zweite Schulterblick jedoch nicht unmittelbar vor dem Abbiegen erfolgt.
2. In die Abwägung nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG kann eine erhöhte Betriebsgefahr motorisierter Zweiräder aufgrund ihrer Beschleunigungsfähigkeit und Instabilität einzustellen sein, wenn diese – wie hier aber nicht – unfallursächlich geworden ist (in Fortschreibung zu OLG Hamm Urteil vom 30.05.2016 – 6 U 13/16, NJW-RR 2017, 149 = juris Rn. 38).
LG Halle, Urteil vom 06.05.2022 – 5 O 424/19
Haftung eines Fahrschullehrers für Motorradunfall eines Fahrschülers
Ein Fahrschullehrer haftet für einen Motorradunfall eines Fahrschülers, wenn dieser sich bei Bremsübungen, bei denen sich das Hinterrad abhebt und das Motorrad überschlägt, weil dem Fahrschüler ein in Anbetracht seiner Körpergröße (1,98 Meter und 92 kg) und der damit verbundenen Schwerpunktverlagerung ungeeignetes Motorrad zugewiesen wurde, Verletzungen zuzieht.
Quelle: FD-StrVR 2022, 454473 / beck-online
AG Karlsruhe, Urteil vom 01.06.2022 – 1 C 1123/21
Auf Parkstreifen abgestelltes Motorrad kann in Betrieb sein
1. Ein Schaden ist gemäß § 7 Abs. 1 StVG bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist.
2. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es grundsätzlich maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Der Betrieb eines Fahrzeugs dauert fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belässt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht (BGH NJW 2020, 2116 Rn. 10, BeckRS 2020, 7452). Allein der Umstand, dass das Motorrad an einem hierfür vorgesehenen Ort ordnungsgemäß abgestellt wurde, schließt eine Fortwirkung der Betriebsgefahr nicht aus. Und auch, wenn als alleinige Schadensursache im ruhenden Verkehr die von außen wirkende Kraft des Windes in Betracht kommt, realisiert sich die gerade in einem Fahrzeug liegende Gefahr (vgl. BGH, NJW 2020, 2116 Rn. 10, BeckRS 2020, 7452).
3. Es gehört zum Betrieb eines Zweirads, wenn es auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz aus unbekannter Ursache umkippt und ein anderes Fahrzeug beschädigt (LG Bochum NJW-RR 2004, 824, BeckRS 2004, 03319; BeckOGK/Walter, 1.9.2019, StVG § 7 Rn. 94.3).
LSG Hamburg, Urteil vom 04.05.2022, L 2 U 32/21
Arbeitsunfall – Betriebsweg – Motorradfahren auf dem Hinterrad – absichtlicher Wheelie nicht erwiesen
Ein Bauleiter, der auf dem Weg vom Büro zu einer nahegelegenen Baustelle mit seinem Motorrad während des Fahrens auf nur einem Reifen verunglückte, steht gem. § 8 Abs 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn nicht erwiesen ist, dass es sich hierbei um einen “absichtlichen Wheelie” gehandelt hatte.
Quelle → VOLLTEXT / LSG HAMBURG / L 2 U 32/21
OLG München, Urteil vom 20.10.2021 – 10 U 6514/20
Haftungsquote bei Kollision von Motorrad und Fahrrad (welches statt des Radweges die Fahrbahn nutzt)
1. Ein tragfähiger Rückschluss von einem zeitlich und räumlich früheren Fahrverhalten eines Verkehrsteilnehmers (hier: Motorradfahrer, der u.a. “mit wahnsinniger Geschwindigkeit” und “aggressiv” gefahren sein soll) auf das für seine Haftung und die Haftungsquote relevante Fahrverhalten in unmittelbarer Annäherung an den Kollisionsort ist nicht möglich.
2. Kommt es zur Kollision eines Kraftfahrzeugs (hier: Motorrad) mit einem Fahrrad, dessen Fahrer jedenfalls fahrlässig entgegen § 2 Abs. 4 StVO iVm Zeichen 240 auf der Fahrbahn statt auf dem Radweg fährt, so trifft den Fahrer des Fahrrads aus § 823 BGB eine Haftung dem Grunde nach.
3. Die Abwägung der beiderseitigen Haftungsanteile erfolgt bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem (nicht motorisierten) Fahrrad nach § 9 StVG iVm § 254 BGB. Der Nachweis der Unabwendbarkeit nach § 17 Abs. 3 StVG scheidet für den Kraftfahrer in einem solchen Fall aus. Vielmehr ist dem Radfahrer ein (Mit-) Verschulden nachzuweisen; die Beweislast liegt insoweit beim Kraftfahrer.
4. Bei einer Kollision eines Motorrads, dessen Fahrer ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß nicht nachgewiesen werden kann, und einem Fahrrad, dessen Fahrer unter fahrlässigem Verstoß gegen § 2 Abs. 4 StVO iVm Zeichen 240 nicht den Radweg benutzte, kommt eine Haftungsverteilung von 75:25 zulasten des Motorrads in Betracht.
Quelle → VOLLTEXT OLG MÜNCHEN / 20.10.2021 – 10 U 6514/20
LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 08.04.2021 – 2 O 6051/20
Überwiegende Haftung des Halters eines Rettungswagens nach Unfall mit Motorrad
Kollidiert ein Rettungswagen, der mit Blaulicht und Martinshorn bei Rotlicht ohne ausreichende Beachtung des Querverkehrs in eine Kreuzung einfährt, mit einem bei Grün einfahrenden Motorradfahrer des Querverkehrs, für den der Rettungswagen nicht rechtzeitig wahrnehmbar war, ist eine Haftung von 80:20 zu Lasten des Halters des Rettungswagens angemessen.
Das gilt auch, wenn die Geschwindigkeit des Rettungswagens nur sehr gering war (hier etwa 13 km/h).
Ein völliges Zurücktreten der Betriebsgefahr des Motorrads kommt mit Blick darauf, dass der Motorradfahrer wegen seines Helms den Rettungswagen akustisch nicht rechtzeitig wahrnehmen konnte, nicht in Betracht.
Quelle: SVR 2021, Heft 11, Seite IV
OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021, 1 U 32/19
Kein stillschweigender Haftungsverzicht beim Fahren in einer Motorradgruppe / Bildung einer Haftungsquote
Im öffentlichen Straßenverkehr scheidet bei einem Unfall innerhalb einer als Gruppe fahrenden Motorrädern regelmäßig die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichts aus. Insoweit liegt ein ungewöhnlich erhöhtes Schadensrisiko, wie etwa bei einer an ein Rennen angelehnten Veranstaltung, nicht vor. Der Schädiger wird zudem wegen des Schutzes einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung nicht unbillig belastet.
Zur Bildung der Haftungsquote bei einem Unfall zwischen einem von dem in der Motorradgruppe gebildeten Fahrlinien abweichenden Motorrad und einem von hinten kommenden, schneller fahrenden Motorrad.
Beide verunfallten Motorradfahrer hätten schon anstelle des gefährlicheren, versetzten Fahrens in Formation hintereinander mit größeren Abständen fahren können, wie dies ein vorsichtiger und umsichtiger Verkehrsteilnehmer getan hätte.
Quelle → VOLLTEXT Düsseldorf 1 U 32/19
OLG Koblenz, Beschluss vom 9.6.2020, 12 U 331/20
Fehlreaktion eines Motorradfahrers im Gegenverkehr
Eine nicht optimale Reaktion eines Motorradfahrers („Fehlreaktion”) auf eine plötzlich auftauchende Gefahrensituation (hier: die Fahrbahn teilweise versperrender LKW mit Anhänger) kann dem Motorradfahrer nicht im Sinne eines Verschuldensvorwurfs zur Last gelegt werden.
Quelle: NZV 2021, 155
OLG Koblenz, Urteil vom 10.02.2020, 12 U 1134/19
Motorradfahrer als Kolonnenüberholer vor einer Baustellenampel versus Ausscherer haftet (hier) nicht mit
Bildet sich auf einer Landstraße vor einer ampelgeregelten Baustelle ein kolonnenartiger Rückstau
und überholt – in einer Phase, in welcher kein Gegenverkehr naht – ein Motorrad mit mäßiger Geschwindigkeit (ca. 15 km/h) diese Kolonne,
trifft den Motorradfahrer auch unter Berücksichtigung der von seinem Motorrad ausgehenden Betriebsgefahr keine Mithaftung,
wenn aus der Kolonne ohne jegliche Vorankündigung ein Pkw nach links ausschert, um in einen dort befindlichen Wirtschaftsweg einzubiegen,
und es hierdurch zu einer Kollision mit dem bereits auf (nahezu) gleicher Höhe befindlichen Motorrad kommt.
BVerwG, Urteil vom 08.02.2017, 3 B 12/16
Befreiung eines Motorradfahrers von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms
Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Befreiung eines Motorradfahrers von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms steht im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde. Das Ermessen wird nicht ohne Weiteres auf Null reduziert, wenn der Motorradfahrer die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung geforderte ärztliche Bescheinigung vorlegt, dass ihm das Tragen eines Schutzhelmes aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist.
OLG München, Urteil vom 26.06.2015, AZ: 10 U 2581/13
Kein Abzug Alt für Neu bei der Motorradschutzbekleidung
Aus den Gründen:
Hinsichtlich der beschädigten Motorradschutzkleidung einschließlich Helm geht der Senat aufgrund des Sachvortrages der Klagepartei davon aus, dass eine gleichwertige Lederkombi (1.438,80 €) angeschafft wurde und auch das der Beklagten zu 1) vorgelegte Angebot über Motorradstiefel (289,95 €) in der Qualität der beim Unfall beschädigten Schutzbekleidung entspricht.
Der Schädiger hat im Falle der Wiederbeschaffung beschädigter Kleidungsstücke den Wert dieser Kleidungsstücke ohne Abzug „neu für alt“ zu ersetzen,
da ein kontinuierlicher Wertverlust durch Altern einerseits und eine Vermögensmehrung des Geschädigten bei Neuanschaffung anderseits nicht eintritt, da die Schutzkleidung eines Motorradfahrers (einschließlich des Kradhelms) ausschließlich der Sicherheit dient (Senat, Urt. v. 23.01.2009 – Aktenzeichen 10 U 4104/08 (Juris); LG Oldenburg DAR 2002, DAR 2002, Seite 171; LG Darmstadt DAR 2008, DAR 2008, Seite 89 m. zust. Anm. Szymanski; AG Lahnstein DAR 1998, DAR 1998, Seite 240; AG Schwartau DAR 1999, DAR 1999, Seite 458 f.)
Für den Motorradhelm siehe auch:
AG Waiblingen, Urteil vom 21.01.2020, 7 C 927/19
(lehnt allerdings – entgegen OLG München – eine Neupreiserstattung für Motorradkombi, Motorradhandschuhe und -stiefel ab)
OLG München, Urteil vom 19.05.2017 – 10 U 4256/16
Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein, nach dem es für Leichtkraftradfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen, kann nicht festgestellt werden. Den Fahrer eines Leichtkraftrades trifft deshalb keine generelle, ein Mitverschulden begründende Obliegenheit, innerhalb geschlossener Ortschaften Motorradstiefel zu tragen (Abgrenzung zu OLG Nürnberg BeckRS 2013; OLG Brandenburg BeckRS 2009; vgl. auch LG Heidelberg BeckRS 2014 zur Protektorenschutzkleidung).
(Quelle: redaktioneller Leitsatz BeckRS 2017, 112372, beck-online)
OLG Naumburg, Urteil vom 24.11.2015, 12 U 110/15
Schadensersatzanspruch nach Fahrzeugbrand: Beschädigung einer Scheune durch einen bereits 4 Tage vor dem Brand in der Scheune abgestellten Quad
Kommt es mehrere Tage (hier vier Tage) nach dem Abstellen eines Quads in der Scheune eines privaten Grundstücks zu einem Brand, der von dem Quad ausgegangen ist, und finden sich auch keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden, so ist das Haftungsmerkmal “bei dem Betrieb” im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG erfüllt.
Aus den Gründen:
Es ist auch nicht erheblich, dass das Quad des Beklagten zu 1. schon vier Tage vor dem Brand in der Scheune abgestellt worden war. Denn nach der Rechtsprechung ist das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG entsprechend des umfassenden Schutzzweckes der Norm weit auszulegen. Es umfasst grundsätzlich alle durch den Verkehr von Kraftfahrzeugen beeinflussten Schadensabläufe. Dabei ist ausreichend, dass sich eine vom Fahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt und das Schadensereignis mitgeprägt hat (z. B. BGHZ 199, 377). Der Schaden muss sich lediglich in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges ereignet haben.
Dies war hier der Fall. Zwar hatte die Transport- und Fortbewegungsfunktion des Quads des Beklagten zu 1. keine Bedeutung mehr. Auch ein thermischer Zusammenhang mit dem betriebswarmen Motor ist wegen des Zeitraums zwischen dem Abstellen und der Entstehung des Brandes auszuschließen. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem durch das Quad verursachten Schaden und dessen Betrieb ist allerdings gleichwohl gegeben. Denn die Rechtsprechung hat das Erfordernis eines Zusammenhangs mit einem Betriebsvorgang gelockert und schon den bloßen Zusammenhang mit den in dem Fahrzeug verbauten oder befindlichen Materialien für ausreichend erachtet (z. B. BGHZ 199, 377). Ferner steht danach eine Entfernung des Fahrzeugs aus dem öffentlichen Verkehrsraum einer Haftung aus der Betriebsgefahr nicht mehr entgegen (z. B. BGH, a. a. O.), sodass in einem Sachzusammenhang wie vorliegend nur noch ein Fremdverschulden (z. B. eine Brandstiftung) einen Haftung aus § 7 StVG ausschließt. Dafür bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte.
OLG Saarbrücken, Urteil vom 29.09.2016, 4 U 104/15
Motorradfahrer versus Autofahrer
Wird bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zulasten eines Unfallbeteiligten ein Überholen im Überholverbot berücksichtigt, so darf nicht offenbleiben, auf welcher Fahrbahn sich die Kollision ereignet hat, mithin ob das überholte Fahrzeug selbst einen Fahrbahnwechsel vorgenommen hat.
Gehen einem Unfallgeschehen beiderseitige, eskalierende Verkehrsverstöße der Unfallbeteiligten voraus (hier: beiderseitige Überholmanöver nach Art eines Wettrennens), sind für die Haftungsquote, insbesondere für die Berücksichtigung der Betriebsgefahren, die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.
Führt der Fahrer eines Pkw nach vorangegangenen beiderseitigen Überholmanövern eine bewusste Lenkbewegung nach links aus, um den Überholversuch eines Kraftradfahrers zu unterbinden, kann eine darin zum Ausdruck kommende rücksichtslose und grob verkehrswidrige Gesinnung des Pkw-Fahrers die auf Seiten des Kraftrads allein in die Abwägung einzustellende Betriebsgefahr dahinter im Einzelfall gänzlich zurücktreten lassen.
OLG Hamm, Urteil vom 18.12.2015, 11 U 166/14
Fahrbahnbelag – Griffigkeit – Land haftet für unzureichende Griffigkeit
Leitsatz:
Das Land Nordrhein-Westfalen kann aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung für einen Fahrbahnbelag haften, der eine unzureichende Griffigkeit aufweist, wenn es aufgrund dieser Gefahrenquelle zu einem Motorradunfall kommt.
Das beklagte Land hat die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil der Fahrbahnbelag im Bereich der Unfallstelle eine unzureichende Griffigkeit aufwies.
Aus den o.g. Vorschriften des Straßen- und Wegegesetzes NW ergibt sich für das beklagte Land die Verpflichtung, die von ihm unterhaltenen Verkehrsflächen von abhilfebedürftigen Gefahrenstellen frei zu halten. Es muss dabei nicht für alle erdenklichen, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintrittes Vorsorge treffen. Eine absolute Gefahrlosigkeit kann nicht gefordert werden. Grundsätzlich muss sich auch der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss jedoch in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. nur BGH, NZV 2012, S. 533 m. w. N.). Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Maßgebend ist die Sicherheitserwartung des Verkehrs, die sich wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche, ihrer Verkehrsbedeutung und dem Maß der Ablenkung der Verkehrsteilnehmer orientiert (vgl. nur OLG Hamm, 9. Zivilsenat, NJW-RR 2006, S. 1100).
Den danach zu stellenden Anforderungen hat das beklagte Land nicht genügt. Die Verhandlung vor dem Senat hat ergeben, dass der Fahrbahnbelag an der Unfallstelle mindestens seit dem Jahre 2008 eine mangelhafte Griffigkeit aufwies, aufgrund derer nicht mehr gewährleistet war, dass Motorradfahrer trotz Einhaltung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt den streitgegenständlichen Streckenabschnitt bei Nässe gefahrlos passieren konnten. Im Senatstermin vom 13.11.2015 hat das beklagte Land einräumen müssen, dass bereits im Rahmen einer Straßenzustandserhebung im Jahre 2008 eine Griffigkeit ermittelt wurde, die mit einem Seitenkraftbeiwert unterhalb des sogenannten Schwellenwerts des von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen erstellten Merkblatts zur Bewertung der Straßengriffigkeit bei Nässe (im Folgenden M BGriff) lag und zu einer Bewertung mit „mangelhaft“ führte.
(Hinweis: Das Urteil ist zwar für das Land NRW ergangen, hat aber Gültigkeit auf das gesamte Bundesgebiet.)
und nochmals in ähnlicher Sache
OLG Hamm, Urteil vom 11.09.2015, 11 U 86/13
Amtshaftung für Motorradunfall bei nicht mehr verkehrssicherer Fahrbahnoberfläche / Frage des “richtigen” Gefahrenzeichens und Geschwindigkeitsbegrenzung
Wenn bei sommerlicher Hitze die Fahrbahnoberfläche rutschig zu werden drohte und das beklagte Land dies hätte erkennen und den Fahrzeugverkehr hiervor durch Aufstellung eines Gefahrenzeichen 101 hätte warnen und durch geschwindigkeitsbegrenzende Anordnungen schützen müssen, liegt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor.
Interessant hierzu auch die Entscheidungsgründe:
Mit dem … 1,6 km vor der Unfallstelle aufgestellten Gefahrenzeichen 114 (Schleuder- oder Rutschgefahr) hat das beklagte Land seiner Verkehrssicherungspflicht nicht genügt, weil nach der amtlichen Erläuterung mit dem Zeichen 114 allein vor infolge von Nässe und Schmutz auftretender Schleuder- und Rutschgefahr gewarnt wird. Mit einem Weichwerden der Fahrbahnoberfläche infolge sommerlicher Hitze muss der Verkehrsteilnehmer aufgrund dieses Gefahrenzeichens nicht rechnen.
Quelle: Beck-Verlag / Beck-online / LSK 2016, 160603
BGH, Urteil vom 23.01.2018, VI ZR 57/17
Nutzungsausfallentschädigung bei vorübergehendem Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines allein zur Verfügung stehenden Motorrads
1. Der vorübergehende Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines Motorrads, das dem Geschädigten als einziges Kraftfahrzeug zur Verfügung steht und nicht reinen Freizeitzwecken dient, stellt einen Vermögensschaden dar und kann einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung begründen.
2. Der Umstand, dass der Geschädigte das Motorrad nur bei günstigen Witterungsbedingungen nutzt, spielt erst im Rahmen der konkreten Schadensbetrachtung bei der Frage eine Rolle, ob der Geschädigte – auch im Hinblick auf die Wetterlage – zur Nutzung willens und in der Lage war.
OLG Bamberg, Beschluss vom 19. 10. 2007, 3 Ss OWi 1344/07
Beschränkung des Fahrverbotes auf Krafträder und Kleinkrafträder ?
Das rechtsstaatliche Übermaßverbot kann bei einem konkret drohenden Existenzverlust bei einem bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Taxiunternehmer eine Fahrverbotsbeschränkung auf das Führen von Krafträdern und Kleinkrafträdern der Fahrerlaubnisklassen A, A 1, M und S im Sinne von § 6 I FeV rechtfertigen (§ 25 I 1 a.E. StVG), wenn die an sich ein unbeschränktes (Regel-) Fahrverbot bedingende Geschwindigkeitsüberschreitung ihrerseits mit einem Kraftrad außerhalb der Berufsausübung begangen wurde (Anschluss an OLG Bamberg VRR 2006, 432 ff. = VerkMitt 2007 Nr. 4).
Wie in den Fällen eines Absehens vom Fahrverbot oder seiner Abkürzung (OLG Bamberg ZfSch 2006, 533 ff. = DAR 2006, 515 f. = VRS 111, 62 ff. = VRR 2006, 230 f. = SVR 2007, 65 f.) können sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine nach § 25 I 1 StVG gesetzlich vorgesehene Fahrverbotsbeschränkung auf bestimmte Fahrzeugarten zu rechtfertigen.
Aber: anders sieht es das Kammergericht Berlin
LG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.6.2018 – 2/1 S 118/17
Mit (Armee)Stoffhose auf der Harley – Mitverschulden an den Verletzungsfolgen?
Das LG Frankfurt am Main sagt NEIN !
Leitsatz:
Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung an den Beinen (zum Beispiel Lederhose mit Protektoren) kann nicht schon aus einem reduzierten Verletzungsrisiko hergeleitet werden. Kann ein dahingehendes Verkehrsbewusstsein den tatsächlichen Umständen und Gepflogenheiten der betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht entnommen werden (hier: Fahrer einer Harley Davidson), ist ein Mitverschulden des geschädigten Motorradfahrers nicht feststellbar.
Fazit:
Aber VORSICHT, das ist UMSTRITTEN und die Besonderheit des Urteils liegt auch ein wenig darin, dass hier doch in den Urteilsgründen über die HARLEYs und das CRUISEN philosophiert wurde. Auch hierzu dann noch ein paar Worte aus den Urteilsgründe:
Andere Umstände, die auf ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung speziell unter Fahrern von Harley Davidsons schließen lassen, wurden nicht dargelegt und sind nicht erkennbar. Die Ausführungen des Klägervertreters, derartige Motorräder würden im Vergleich zu anderen großmotorigen Krafträdern typischerweise weniger zum schnellen Fahren, sondern zum „Cruisen“, also einem moderateren Fahrstil, genutzt, erscheinen jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Daher erscheint es gerade unter Fahrern von Harley Davidsons bzw. Choppern jedenfalls nicht möglich, über den für alle Motorradtypen genannten Satz von 43% hinaus, eine größere Gruppe zu bestimmen, die das Tragen von Schutzkleidung an den Beinen in ihr Verkehrsbewusstsein aufgenommen hat.
OLG Schleswig, Urteil vom 11.03.2016, 17 U 112/14
Fahrlehrer, Sorgfaltspflicht, Motorradunterricht – Schadenersatzpflicht des Fahrlehrers gegenüber dem Fahrschüler durchaus möglich!
Beim Motorradfahrunterricht hat der Fahrlehrer angesichts seiner verminderten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Fahrschüler in besonderem Maße darauf zu achten, dass der Fahrschüler an anspruchsvollere Aufgaben des Fahrunterrichts erst dann herangeführt wird, wenn er bei den Grundübungen Sicherheit erlangt hat. Kommt es zu krisenhaften Situationen (Beinaheunfall), muss der Fahrunterricht nötigenfalls einen Schritt zurück gehen.
Der Fahrunterricht und dessen Inhalte sind zu dokumentieren. Unterbleibt eine Dokumentation oder ist sie in erheblichem Maße unvollständig, wird eine schuldhafte Verletzung der Ausbildungspflichten vermutet.
Übrigens haftete hier der Fahrschullehrer zu 100 % (trotz eines Fahrfehlers, der jedoch geradezu typisch für Fahrschüler in der konkreten Ausbildungssituation war. Sein Fehlverhalten, so das Gericht, ging nicht über das Maß an Ungeschicklichkeit hinaus, das jedem Fahrschüler in der konkreten Situation und dem Kläger nach seinem Ausbildungsstand zuzubilligen war und damit erwartet werden musste.
OLG Koblenz, Beschluss vom 13.2.2019, 12 U 305/18
Zu der Frage, wann ein Pkw-Fahrer, der beabsichtigt, auf einer Landstraße nach links in einen Feldweg abzubiegen, für einen entgegenkommenden Motorradfahrer eine Reaktionsaufforderung zur Einleitung einer Gefahrenbremsung setzt.
Erkennt ein Motorradfahrer schon von weitem, dass der ihm entgegenkommende Pkw nach links abbiegen möchte, muss er frühzeitig seine Geschwindigkeit reduzieren, um für den Fall der kurzfristigen Einleitung des Abbiegevorgangs durch den Pkw-Fahrer sein Motorrad noch kontrolliert zum Stillstand bringen zu können.
Die bloße Anwesenheit eines Fahrzeugs an der Unfallstelle rechtfertigt eine (Mit-)Haftung des Fahrers und/oder Halters noch nicht, wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Fahrweise des Fahrers oder eine von dem Betrieb des Fahrzeugs typischerweise ausgehende Gefahr zu dem Entstehen des Unfallereignisses beigetragen hat.
Quelle: SVR 2019, 259
OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2008, I-1 U 198/07
Nutzungsausfall für Luxus-Motorrad (trotz Vorhandensein eines PKW)
1. Die für eine Nutzungsentschädigung erforderliche Fühlbarkeit der vereitelten Nutzungsmöglichkeit ist gegeben, wenn beim Ausfall eines Luxus-Motorrads das vorhandene Zweitfahrzeug – hier Pkw – nicht den spezifischen Nutzungsvorteilen des beschädigten Fahrzeuges entspricht.
2. Der spezifische Gebrauchsvorteil eines Luxus-Motorrads kann nicht in einen „materiellen“ und in einen „immateriellen“ Anteil aufgeteilt werden mit der Folge, dass der „materielle“ Anteil durch das Zweitfahrzeug abgedeckt wäre und der „immaterielle“ Anteil ersatzlos bliebe. Der Verlust des Gebrauchsvorteils eines Kraftfahrzeuges, mag er auch zum Teil der Höhe nach durch immaterielle Umstände bestimmt sein, stellt wirtschaftlich betrachtet insgesamt einen Vermögensschaden dar.
Anmerkung: Die Revision war nicht zuzulassen worden, da die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO im Hinblick auf den Einzelfallcharakter der Entscheidung nicht vorliegen.
Leitsätze nach DAR 2008, 521
Volltext → OLG DÜSSELDORF / I-1 U 198/07
Es danken Eure Rechtsanwälte / Fachanwälte für Verkehrsrecht aus Rostock – “alles” rund um Bußgeldbescheid, Autokauf, Unfall und Fahrerlaubnis !