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Vorwort:
Schrittgeschwindigkeit – das klingt doch ganz einfach, also irgendwie so “langsam” oder auch so “schnell” wie eben ein Fußgänger normal so geht. Nach Erhebungen und Untersuchungen geht ein gesunder, unbehinderter Erwachsener zwischen 4,86 km/h bis 5,94 km/h (siehe hierzu auch NJW-Spezial 2017, 651). Und wenn das dann weitergedacht wird auf das Fahren mit einem Kraftfahrzeug, dann landet man eben bei:
AG Leipzig, Urteil vom 16.02.2005, 215 OWi 500 Js 83213/04
bis 15 km/h
In einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325 StVO) beträgt die einzuhaltende Schrittgeschwindigkeit 15 km/h.
Quelle: DAR 2005, 703
OLG Naumburg, Beschluss vom 21.3.2017 – 2 Ws 45/17
bis 10 km/h
Eine Geschwindigkeit von 15 km/h ist nicht mehr Schrittgeschwindigkeit im Sinne von § 42 II StVO iVm Nr. 12 der Anlage 3. Vielmehr ist dies eine Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h.
Quelle: NJW-Spezial 2017, 651
OLG Brandenburg Beschl. v. 23.5.2005 – 1 Ss (OWi) 86 B/05
bis 7 km/h
Schließlich geht das AG offensichtlich davon aus, Schrittgeschwindigkeit sei als eine solche von höchstens 5 km/h zu verstehen. Auch dies erweist sich als nicht tragfähig, ist doch in der herrschenden Rechtsprechung anerkannt, dass eine gefahrene („Netto-“) Geschwindigkeit von bis zu 7 km/h noch als Schrittgeschwindigkeit gilt (vgl. OLG Köln VRS 68, 382; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158).
OLG Hamm, Beschl. v. 09.01.2003 – 3 Ss OWi 1038/02
Bis 15 km/h – das liegt noch im tatrichterlichen Ermessen
Dass der Amtsrichter bei der Einlassung des Betroffenen, er habe “Schrittgeschwindigkeit” gefahren von einer gefahrenen Geschwindigkeit von 15 km/h ausgegangen ist, liegt noch im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Zwar ist, wenn man den genauen Wortlaut zugrundelegt, unter “Schrittgeschwindigkeit” die durchschnittliche Fußgängergeschwindigkeit verstehen, die etwa bei 4 bis 7 km/h liegt (so OLG Köln VRS 68, 382; OLG Stuttgart VRS 70, 49). Doch wird der Begriff bereits in der Rechtsprechung als nicht eindeutig gesehen (so OLG Hamm VRS 6, 222, welche die Grenze bei 10 km/h zieht). Ob jedoch an diesem Wortlaut so festgehalten werden muss, wenn es um die Wertung der Einlassung eines Betroffenen geht, ist zweifelhaft. Zu berücksichtigen ist nämlich, das solche Geschwindigkeiten mittels Tachometer nicht zuverlässig messbar sind daher wird auch vertreten, dass unter “Schrittgeschwindigkeit” eine Geschwindigkeit zu verstehen ist, die deutlich unter 20 km/h liegt, zumal solche Geschwindigkeiten vom Kraftfahrzeugführer als “Schrittgeschwindigkeit” empfunden werden (so LG Aachen ZSF 93, 114; OLG Hamm NZV 92, 484).
Danach besteht auch nach der Rechtsprechung eine gewisse Bandbreite für die Ausfüllung des Begriffs “Schrittgeschwindigkeit”. In diesem Zusammenhang durfte der Amtsrichter sicherlich auch die vom Betroffenen gegebene Begründung für die gefahrene “Schrittgeschwindigkeit” berücksichtigen. Danach hatte der Betroffene diese Geschwindigkeit gewählt, weil vor der Ampelanlage eine vorfahrtsberechtigte Straße einmünde. Um jedoch die Vorfahrt beachten zu können, war keinesfalls eine Geschwindigkeit unter 15 km/h notwendig. Zumal war mit Passieren der vorfahrtsberechtigten Straße ein Grund für diese geringe Geschwindigkeit weggefallen. Dass der Amtsrichter somit eine Geschwindigkeit von 15 km/h seinen Berechnungen zugrunde gelegt hat, erscheint nicht widersprüchlich und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze.
aber OLG Hamm dann
OLG Hamm, Beschluss vom 28.11.2019, 1 RBs 220/19
Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit allenfalls erst bei Überschreitung des Wertes von 10 km/h
Die derzeit gegebene Uneinheitlichkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung, in welcher der Begriff der Schrittgeschwindigkeit teilweise bzw. überwiegend mit maximal 7 km/h definiert, teilweise aber auch mit maximal 10 km/h angegeben wird, führt unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots bzw. des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Schuldprinzips dazu, dass einem Betroffenen unabhängig von der konkreten Kenntnis verschiedener gerichtlicher Entscheidungen und unabhängig von der Frage, welche der verschiedenen Auffassungen nach Bewertung des Senats als vorzugswürdig anzusehen wäre, ein Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit allenfalls erst bei Überschreitung des Wertes von 10 km/h zur Last gelegt werden kann, solange keine verbindliche Entscheidung des BGH oder eine entsprechende gesetzliche Klarstellung vorliegt.
Quelle: NJW 2020, 351
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.4.2004, 1 Ss 159/03
4 bis 7 km/h
Es bestehen nämlich besondere, über die allgemeine Sorgfaltspflichten (vgl. BGH NJW 1986, 184 f. ;BGH NZV 1992, 360 f.; BGH NJW 1982, 1149) hinausgehende besondere Anforderungen, wenn sich der Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug in einer sogenannten “Spielstraße” (verkehrsberuhigter Bereich, Zeichen 325) bewegt. In diesem Fall verlangt § 42 Abs. 4 a StVO vom Kraftfahrer zunächst, dass er Schrittgeschwindigkeit – etwa 4 bis 7 km/h (OLG Köln VRS 69, 382 f.) – einhält (Nr. 2) …
OLG Köln, Beschluss vom 22.01.1985, Ss 782/84
4 bis 7 km/h
Unter der in verkehrsberuhigten Bereichen einzuhaltenden Schrittgeschwindigkeit ist eine Geschwindigkeit von 4 – 7 km/h zu verstehen.
Quelle: NJW 1989, 600
AG Neuruppin, Urteil vom 05.12.2008 – 42 C 28/08
wohl bis 10 km/h
Der Begriff der Schrittgeschwindigkeit wird in der Rechtspraxis zwischen 4 km/h und deutlich unter 20 km/h verstanden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage § 42 Rz. 181 zu Z.325/326). Weder hat die Klägerin ihre Behauptung nachzuweisen vermocht, dass der Beklagte über 20 km/h gefahren sei. Der Sachverständige geht anhand der Unfallspuren größenordnungsmäßig von einer Kollisionsgeschwindigkeit um etwa 10 km/h aus. Zu der Fahrgeschwindigkeit des Beklagten vor der Kollision liegen keine verwertbaren beweiskräftigen Erkenntnisse vor. Noch vermochte der Sachverständige für den Pkw der Klägerin eine bestimmte Geschwindigkeit von mehr als etwa 10 km/h technisch begründbar zu rekonstruieren. Eine überhöhte Geschwindigkeit ist somit keinem der beiden Fahrzeugführer nachweislich vorwerfbar.
Interessant ist in dem Zusammenhang aber auch:
BayObLG, Beschluss vom 20. 10. 2000, 2 ObOWI 500/2000
Schätzung der Überschreitung einer vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit durch einen Polizeibeamten
Es bestehen keine Zweifel daran, dass ein Polizeibeamter unterscheiden kann ob jemand in Schrittgeschwindigkeit oder mit wesentlich höherer Geschwindigkeit fährt.
Quelle: NZV 2001, 139
BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23
Sonderkonstellation Vorbeifahren an einem Müllfahrzeug “im Betrieb”
Leitsatz 2 (aus der Entscheidung) und aus den Gründen:
Lässt sich beim Vorbeifahren an einem Müllabfuhrfahrzeug ein ausreichender Seitenabstand, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann
(vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 866, 867 und OLG Karlsruhe, r+s 2018, 671 Rn. 24 mwN: in der Regel Schrittgeschwindigkeit; ebenso LG Münster, ZfSch 2002, 422, 423, juris Rn. 20; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., § 35 StVO Rn. 713; für die Vorbeifahrt an einem Linienbus schon vor Schaffung des heutigen § 20 StVO vgl. auch: Senatsurteil vom 21. Februar 1967 – VI ZR 145/65, VersR 1967, 582, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 10. April 1968 – 4 StR 62/68, NJW 1968, 1532 f., juris Rn. 5; Beschluss vom 27. Mai 1959 – 4 StR 49/59, BGHSt 13, 169, 175, juris Rn. 15 f.).
Aus den Gründen:
In dieser Situation war die festgestellte Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 13 km/h zu hoch, als dass die Zeugin M. das Fahrzeug notfalls – das heißt insbesondere vor einem plötzlich hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerker – sofort zum Stehen hätte bringen können.