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Mit großer Dynamik hat sich in den vergangenen Jahren die Thematik rund um den Vorschaden bei einem Unfallschaden entwickelt. Es geht um die wichtigen Fragen der Abgrenzung von Vorschaden und Neuschaden, um Darlegungs- und Beweislast. Versicherungen haben hier, so unser Eindruck, eine neue Spielwiese entdeckt und lehnen die Schadenregulierung zum Teil pauschal ab. Auffällig ist, dass aus unserer Sicht die Darlegungs- und Beweislast überspannt wird und mitunter ein Geschädigter trotz größtmöglicher Bemühungen seinen Schaden nicht reguliert erhält. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen die Ablehnung der Regulierung nachvollziehbar ist. Mit der zunehmenden Zahl der streitigen Fälle haben auch Entscheidungen der Gerichte massiv zugenommen. Und da das Thema alle Beteiligten beschäftigt und eine wahre Flut an Gerichtsurteilen zu erwarten ist, wollen wir hier ausgesuchte Entscheidungen vorstellen.
Also auf geht es:
OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 14 U 149/22
Nachweis einer sach- und fachgerechten Reparatur eines unstreitig nur äußerlichen Bagatellschadens (Kratzer und kleine Dellen)
Der Geschädigte kommt seiner Darlegungs- und Beweislast einer sach- und fachgerechten Reparatur eines (unstreitig) nur äußerlichen Bagatell-Vorschadens (Kratzer) bereits dann nach, wenn er dem Gericht gem. § 287 ZPO mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachweist, dass ein Vorschaden nicht mehr erkennbar war. Diese Erkennbarkeit kann das Gericht anhand des Akteninhalts selbst feststellen, wenn es sich bei dem Vorschaden um einen nur äußerlichen Kleinstschaden gehandelt hat, der – unstreitig – keine dahinterliegenden Bauteile betroffen hat.
Aus den Gründen:
… Bei der Darlegung und Beweisführung einer sach- und fachgerechten Reparatur des Vorschadens kommt dem Geschädigten aber das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO zugute (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 1990 – VI ZR 115/89, Rn. 4; vgl. auch: BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZR 377/18, Rn. 15, zur Überzeugung (§ 287 ZPO) von der erfolgten Reparatur des Vorschadens, verschafft durch Zeugeneinvernahme; BGH, Urteile vom 18. Februar 1992 – VI ZR 367/90, Rn. 10; vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16, Rn. 15, juris).
cc) Handelt es sich um einen sog. Bagatellschaden, der allein das äußerliche Erscheinungsbild des Fahrzeugs beeinflusst (Kratzer, kleine Dellen), und ist unstreitig, dass keine dahinterliegenden Fahrzeugteile betroffen sind, kann das Gericht unter Berücksichtigung des § 287 ZPO im Rahmen einer Beweisaufnahme selbst feststellen, ob der Schaden sach- und fachgerecht beseitigt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn der Schaden nicht mehr sichtbar ist (vgl. hierzu für den Fall eines deckungsgleichen Schadens: OLG Hamm, Urteil vom 28. Juni 2022 – I-7 U 45/21, juris: Die Annahme eines deckungsgleichen und infolgedessen eine Ersatzfähigkeit ausschließenden Vorschadens scheidet aus, wenn es sich bei dem Vorschaden um eine normale und im Übrigen bloße optische Gebrauchsspur ohne jede Auswirkung auf die Funktionalität handelt).
So liegt der Fall hier. Der Senat ist – ebenso wie das Landgericht – aus einer Gesamtschau des vollständigen Akteninhaltes und der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, unter Berücksichtigung der erleichterten Darlegungs- und Beweislast gem. § 287 ZPO, überzeugt, dass der geltend gemachte Schaden nicht durch das Vorschadensereignis aus dem Jahr 2010 entstanden ist.
Es handelte es sich bei dem Vorschadensereignis um einen kleinen Heckanstoß durch einen Motorroller, der lediglich zu geringen äußerlichen Beschädigungen geführt hat (nur äußerlicher Bagatellschaden). Es kam zu Kratzern auf dem hinteren Stoßfänger und Heck (K10). Ausweislich des Kostenvoranschlages wäre lediglich ein Betrag von 727,52 € nötig gewesen, um den Schaden zu beheben, was ebenfalls für einen sehr geringen Schadensumfang spricht.
Quelle: IWW vom 09.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234113
OLG Hamm, Urteil vom 11.4.2022 – 7 U 9/22
Die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf Art und Ausmaß eines Vorschadens und zu Umfang und Güte einer Vorschadensreparatur dürfen, auch wenn der Vorschaden in die Besitzzeit des Geschädigten fällt, nicht – wie hier – überspannt werden (in Fortschreibung zur Rechtsprechung von Vorschäden außerhalb der Besitzzeit des Geschädigten VI ZR 377/18, Beschluss vom 15.10.2019 – r+s 2020, 108 und 9 U 46/21, Urt. v. 25.1.2022 – BeckRS 2022, 2475 = juris Rn. 9).
Quelle: BeckRS 2022, 14294, beck-online
OLG Hamm, Urteil vom 28.06.2022 – I-7 U 45/21
Grenzen der Annahme eines deckungsgleichen Vorschadens / Gebrauchsspuren und Abzug „neu für alt“, Bagatellschaden
1. Die Annahme eines deckungsgleichen und infolgedessen eine Ersatzfähigkeit ausschließenden Vorschadens scheidet aus, wenn es sich bei dem Vorschaden um eine normale und im Übrigen bloße optische Gebrauchsspur ohne jede Auswirkung auf die Funktionalität handelt.
2. Insoweit ist allenfalls ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen, der jedoch – hier verneint – voraussetzt, dass bei dem Geschädigten eine messbare Vermögensvermehrung eintritt, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, wobei die Darlegungs- und Beweislast den Schädiger trifft.
Aus den Gründen:
… steht zweifelsfrei fest, dass die Kontaktspuren am lackierten Heckstoßfänger im Bereich des linken Rückstrahlers sowie das Lösen der Kantenschutzleiste unfallbedingt entstanden sind, während es sich bei der Beschädigung an der separaten Heckstoßfängerblende und den Kratzspuren auf dem Heckstoßfänger um Vorschäden handelte; denn diese beiden Schadensbereiche lagen fahrzeugmittig und damit außerhalb des Anstoßbereichs.
Der Schaden an der Heckstoßfängerblende als separatem Bauteil ist sowohl technisch als auch rechnerisch von dem aus dem streitgegenständlichen Unfall herrührenden Schaden abgrenzbar und kann bei der Schadensberechnung unproblematisch in Abzug gebracht werden, wonach unfallkompatible Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR verbleiben.
Anders als im erstinstanzlichen Urteil ausgeführt steht der Ersatzfähigkeit dieser Reparaturkosten, die durch die Instandsetzung der unfallbedingt linksseitig entstandenen Beschädigung des Heckstoßfängers entstanden sind, nicht entgegen, dass sich in dessen mittlerem Bereich bereits vor dem Unfall Kratzspuren befanden, die durch die Reparatur ebenfalls beseitigt wurden. Wie der Sachverständige im Senatstermin ausgeführt hat, handelte es sich insoweit um normale und im Übrigen bloße optische Gebrauchsspuren ohne jede Auswirkung auf die Funktionalität des Stoßfängers. Die Annahme eines deckungsgleichen und infolgedessen eine Ersatzfähigkeit ausschließenden Vorschadens an dem Heckstoßfänger scheidet damit aus. Soweit die Kratzspuren im Rahmen der Reparatur des linksseitigen Unfallschadens zwangsläufig durch die Neulackierung ebenfalls beseitigt wurden, stellt sich allenfalls die Frage eines Vorteilsausgleichs im Sinne eines Abzugs „neu für alt“.
Die Vornahme eines solchen Abzugs „neu für alt“ setzt allerdings u.a. voraus, dass bei dem Geschädigten eine messbare Vermögensvermehrung eintritt, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, wobei die Darlegungs- und Beweislast den Schädiger – mithin vorliegend den Beklagten – trifft (vgl. OLG Hamm Urt. v. 8.2.2018 – 21 U 95/15, NJW 2018, 2648 Rn. 83).
Eine solche Wertverbesserung lässt sich auf der Basis der sachverständigen Ausführungen jedoch nicht festzustellen. Der Sachverständige A hat … ausgeführt, es habe sich um normale Gebrauchsspuren, die beim Be- oder Entladen des Fahrzeugs entstehen und die niemand durch Neulackierung hätte entfernen lassen, gehandelt.
Und “ganz nebenbei” noch etwas zur Bagatellschadengrenze:
3. Zur Annahme eines die Erstattungspflicht von Sachverständigenkosten ausschließenden Bagatellschadens (hier verneint bei Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR).
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2022, 30058
Zu nur Gebrauchsspur bei einem (nicht unerheblich) verschürften Stoßfänger ebenso
AG Schwandorf, Urteil vom 31.05.2024, 2 C 614/23
OLG Brandenburg, Urteil vom 03.03.2022, 12 U 194/20
Bei unstreitigen Vorschäden und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits vorhanden waren, wozu er im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss. Eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO kommt erst in Betracht, wenn der Geschädigte dargelegt und bewiesen hat, welcher eingrenzbarer Vorschaden durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen fachgerecht beseitigt worden ist (BGH VersR 2020, S. 441; KG, a. a. O.).
Eine Erstattungspflicht besteht indes dann, wenn der Zweitschaden technisch und rechnerisch eindeutig vom Vorschaden abgrenzbar ist.
Auch kann eine Kürzung über den Grundsatz „neu für alt“ gerechtfertigt sein, soweit die Reparatur des Zweitschadens zugleich zur Behebung eines unreparierten bzw. unvollständig reparierten, abgrenzbaren Erstschadens führt (LG Saarbrücken NZV 2015, S. 83; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.).
OLG Hamm, Urteil vom 25.01.2022, 9 U 46/21
Darlegungslast, Beweislast, Vorschaden, Anspruchsausschluss
Wird das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut, deckungsgleich beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist.
Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und ggf. nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind.
Bei der Bemessung der klägerischen Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darf nicht verletzt werden.
Das Verschweigen von Vorschäden führt nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB. Die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche ist in dem gesetzlichen Regime des materiellen Bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen.
OLG Jena, Urteil vom 20.12.2021 – 3 U 1285/20
Beweislast bei Vorschäden
Zutreffend weisen die Beklagten darauf hin, dass der Geschädigte in einem solchen Fall verpflichtet ist, im Einzelnen zur Art der Vorschäden vorzutragen und substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass die Vorschäden vor dem erneuten Unfallereignis repariert und auch sach- und fachgerecht behoben worden sind (vgl. z.B. ; , Urteil vom 10.02.2015, Az.: 1 U 32/14; , Urteil vom 12.12.2019, Az.: 22 U 190/18, Az.: , Beschluss vom 16.11.2017 ; , Urteil vom 10.07.2017, Az.: 11 U 79/16; jeweils zitiert nach juris). Dabei sind an die Darlegung der Reparatur von Vorschäden strenge Anforderungen gestellt worden. Mit einem Hinweis auf das äußere Erscheinungsbild oder mit einer nicht weiter substantiierten Behauptung, Vorschäden seien fachgerecht behoben worden, genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast regelmäßig nicht (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., OLG Frankfurt, a.a.O.; , Beschluss vom 28.03.2018; jeweils zitiert nach juris). Noch weiter gehend wird von dem Geschädigten teilweise verlangt, dass er den konkreten Reparaturweg unter Angabe der einzelnen Reparaturschritte und der tatsächlich vorgenommenen Arbeiten darlegt (vgl. , Beschluss vom 12.11.2009, Az.: 12 U 9/09; OLG Düsseldorf, a.a.O.; , Beschluss vom 04.06.2018, Az.: 15 U 7/18; jeweils zitiert nach juris).
Diese Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15.10.2019, Az.: VI ZR 377/18, nur für die Fälle relativiert, in denen der Geschädigte das Unfallfahrzeug unbeschädigt erworben hat und er über die Vorschäden keine Kenntnis hatte und sich diese Kenntnis auch nicht verschaffen konnte.
Anmerkung von uns: Das Urteil bedarf einer sehr eingehenden Betrachtung, da es nach unserer Auffassung zum Teil zu undifferenziert besprochen wird. Denn von großer Bedeutung ist bei der Bewertung, dass der Geschädigte im Prozess möglicherweise nicht ausreichend vorgetragen hat und eventuell auch Beweisantritte nicht erfolgt sind (zumindest lassen das die Urteilsgründe vermuten). Zudem ist immer im Detail zu unterscheiden, in welcher Situation ein Beweisantritt, z.B. auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, tauglich ist und wann nicht.
Und auch meinen wir, muss die im Urteil zitierte Entscheidung des BGH vom 15.10.2019 genauer betrachtet und auch differenziert werden:
BGH, Beschluss vom 15.10.2019 – VI ZR 377/18
Geschädigter kann für die von ihm vermutete Vorreparatur eines Fahrzeugs Zeugenbeweis anbieten
Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalles, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.
OLG Naumburg, Hinweisbeschluss 22.10.2021, 7 U 28/21
Sonderfall: Nutzungsausfallanspruch wegen verzögerter Klärung der Feststellungen zur Vorschadenfreiheit
Soweit die Beklagte mit der Berufung dartun, es könne nicht zu ihren Lasten gehen, dass es ihnen erst nach längerer Zeit gelungen sei, den aktuellen Schaden unter Ausschluss des Vorschadens sachverständig prüfen zu lassen, geht die Ansicht fehl. Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt der Schädiger, wie es umgekehrt zu Lasten des Geschädigten geht, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt wird (BGH, Urteil vom 26. Mai 1988 – III ZR 42/87 -, Rn. 13 – 18; juris).
Bereits mit Gutachten des Sachverständigenbüro XXX vom 11. April 2020 war festgestellt worden, dass der Vorschaden am Fahrzeug repariert war und es keine nicht reparierten Vorschäden gab. …
Hinweis: Beklagte war hier die HUK-COBURG
OLG Koblenz, Urteil vom 05.07.2021 – 12 U 764/20
Der Geschädigte kann bei bestehenden Vorschäden die mit dem späteren Schadensereignis kompatiblen Schäden grundsätzlich nur dann ersetzt verlangen, wenn nach dem Beweismaß des § 287 ZPO entsprechend den Umständen des Einzelfalles eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unfallkausalität besteht.
Liegt ein technisch und rechnerisch abgrenzbarer Zweitschaden vor, kann der Geschädigte diesen Zweitschaden ersetzt verlangen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass dieser bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden ist, also Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs beim Eintritt des späteren Schadensereignisses noch vorhanden waren.
Überlagern sich Vor- und Zweitschäden räumlich, ohne dass dies zu einer Potenzierung des Schadensbildes und der dadurch verursachten Schadensbehebungskosten führt, und bleibt offen, ob der Vorschaden vor Eintritt des Zweitschadens fachgerecht repariert worden ist, kann zulasten des Geschädigten der – feststehende und bezifferbare – Reparaturkostenaufwand durch die Behebung des Vorschadens in voller Höhe anspruchsmindernd in Abzug gebracht werden.
Zweifel, ob eine ausstehende Reparatur des Vorschadens voll auf den Restwert durchgeschlagen hätte, gehen zulasten des Geschädigten.
OLG Bremen, Urteil vom 30.06.2021, 1 U 90/19
Wird bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen der Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Verkehrsunfall seitens des Schädigers oder seiner Versicherung das Bestehen von überlagerten Vorschäden eingewandt, so obliegt dem Geschädigten die Last der Darlegung und des Nachweises nach dem Maßstab des § 287 ZPO, dass die Beschädigung seines Pkw unfallbedingt ist und nicht als Vorschaden bereits vor dem Unfall vorhanden war.
Dieser Darlegungs- und Beweislast kann der Geschädigte zum einen dadurch genügen, dass er darlegt und nachweist, dass vorhandene Vorschäden fachgerecht repariert worden sind. Hierzu genügt es, wenn der Geschädigte die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt, während Fragen des Vorhandenseins von Rechnungen oder der Ausführung der Einzelschritte der Reparatur in Übereinstimmung mit gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können.
In Bezug auf vor der Besitzzeit des Geschädigten erfolgte Vorschäden kann der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast bereits durch eine unter Beweis gestellte Behauptung genügen, dass der Vorschaden beseitigt worden sei, auch wenn der Geschädigte hiervon keine genaue Kenntnis hat und lediglich vermutet, dass eine fachgerechte Reparatur erfolgt sei.
Zum anderen kann der Geschädigte, wenn er nicht die Reparatur der Vorschäden darlegen kann, dem Einwand des Vorhandenseins von Vorschäden dadurch begegnen, dass er nach dem Maßstab des § 287 ZPO über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend nachweist, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind.
Kann auch ein solcher Nachweis der Verursachung bestimmter abgrenzbarer Beschädigungen durch den streitgegenständlichen Unfall nicht geführt werden, dann kommt es bei genügenden Anhaltspunkten in Form hinreichend greifbarer Tatsachen in Betracht, das Vorliegen von Vorschäden im Wege der Schadensschätzung nach § 287 ZPOdurch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen.
Das Vorhandensein von Vorschäden steht der Ersatzfähigkeit der Kosten eines vom Geschädigten eingeholten vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens nur dann entgegen, wenn dieses Gutachten aus vom Geschädigten zu verantwortenden Gründen nicht verwertbar ist, z.B. wenn der Geschädigte ihm bekannte Vorschäden nicht offengelegt hat, so dass diese deswegen im Gutachten nicht berücksichtigt werden konnten.
Quelle → DIREKTLINK zum VOLLTEXT
OLG Köln, Urteil vom 21.01.2021, 15 U 164/19
Möglichkeit des Beweisantritts durch Zeugenbeweis und Sachverständigengutachten
Grundsätzlich gilt, dass im Falle von Vorschäden des beschädigten Fahrzeugs .. der Geschädigte mit einem späteren Schadensereignis kompatible Schäden nur ersetzt verlangen kann, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO feststeht, dass diese Schäden nicht im Rahmen des Vorschadens entstanden sind bzw. sach- und fachgerecht bereits beseitigt worden waren (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Hinweisbeschluss vom 4.6.2018 – 15 U 7/18, BeckRS 2018, 22217; siehe ferner OLG Köln Beschluss v. 27.12.2018 – 16 U 118/18, BeckRS 2018, 34254; v. 17.01.2017 – 11 W 1/17, NZV 2018, 273 m. Anm. Franzke; Beschluss v. 08.04.2013 – 11 U 214/12, juris Rn. 2, grundsätzlich auch BGH Beschluss vom 15.10.2019 – VI 377/18, NJW 2020, 393). Dies gilt auch für solche Vorschäden, die sich nicht in der Besitzzeit des Geschädigten ereignet haben (vgl. KG, Urteil vom 27.08.2015 – 22 U 152/14, MDR 2015, 1128).
Der Geschädigte ist dabei für die Richtigkeit seiner Behauptung, dass die Vorbeeinträchtigungen seines Fahrzeuges sach- und fachgerecht im Einklang mit den gutachterlichen Instandsetzungsvorgaben behoben wurden, darlegungs- und beweisbelastet, wobei ihm § 287 ZPO zu Gute kommt. Behauptet er von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis gehabt und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem bzw. repariertem Zustand erworben zu haben, so ist er grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen ( vgl. BGH a.a.O.). Das Vorgenannte gilt nicht nur bei der Geltendmachung von Reparaturkosten, sondern auch, wenn der Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes geltend gemacht wird (OLG Düsseldorf Urteil v. 19.05.2015 – I 1 U 116/14, BeckRS 2016, 14311). Denn ohne detaillierte Kenntnis über den Umfang von etwaigen Vorschäden und ihrer gegebenenfalls erfolgten Reparatur ist eine zuverlässige Berechnung des Wiederbeschaffungswertes nicht möglich. Es gilt dabei, dass der Geschädigte im Einzelnen ausschließen muss, dass Schäden aus früheren Unfallereignissen stammen, wenn auch nur ernsthafte Anhaltspunkte für derartige Vorschäden bestehen (vgl. OLG Köln Beschluss vom 08.04.2012 – 11 U 214/12, NZV 2013, 445).
Anmerkung (von uns): Hier scheiterte aber der Beweis, da u.a. das Fahrzeug zur Begutachtung nicht mehr zur Verfügung stand und die Zeugenvernehmungen unergiebig blieben. Entscheidend ist aber, dass das OLG darauf verweist, dass der auch Zeugenbeweis zugänglich ist.
Quelle → VOLLTEXT / OLG KÖLN / 21.01.2021 / 15 U 164/19
Weitere (einzelne) Entscheidungen:
AG Kiel, Urteil vom 22.12.2021, 106 C 134/21:
Das AG verurteilte den Versicherer zur vollen Zahlung, nachdem auch im Schadengutachten, welches der Geschädigte beauftragt hatte, die reparierten Vorschäden und die Auswirkung auf die Schadenkalkulation (insb. den Wiederbeschaffungswert) dargestellt worden waren. Der Geschädigte hatte das Fahrzeug mit dem reparierten Vorschaden erworben. Der Vorschaden war auch nicht vom aktuellen Schaden überlagert worden (Vorschaden: Kotflügel vorn links / Neuschaden: Heckschaden). Der Gutachter hatte den Vorschaden als „fachgerecht instandgesetzt“ bewertet. Das Gericht führt in den Urteilgründen aus:
„Das Gericht geht auf der Grundlage des vorgerichtlich erstellten Gutachtens und der Aussage des Sachverständigen Zeugen davon aus, dass dem Kläger ein Schaden nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB in Form eines erforderlichen Wiederbeschaffungsaufwandes in Höhe von 1.730,00 € entstanden ist.“
OLG Stuttgart, Urteil vom 16.02.2023, 2 U 226/21
1. Es gibt im Zivilrecht keinen allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige den berechtigten Teil seiner Ansprüche verliert, der hinsichtlich weitergehender Ansprüche bewusst wahrheitswidrige Angaben macht.
2. Die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen, die nicht nur der Behebung des Unfallschadens, sondern auch eines weiteren Schadens dienen, richtet sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung.
a) Eine Vorteilsanrechnung kommt nicht in Betracht, wenn der Geschädigte die Behebung eines weiteren, nicht durch den Unfall verursachten Schadens unterlässt.
b) Setzt der Geschädigte zeitgleich durch den Unfall verursachte und nicht durch den Unfall verursachte Schäden instand, ist es angemessen, hinsichtlich der allen Reparaturmaßnahmen dienenden Aufwendungen eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen, die sich danach bemisst, wie sich die übrigen Reparaturkosten auf die reparierten Schäden verteilen.
3. Der Geschädigte kann die Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens auch dann ersetzt verlangen, wenn sich das eingeholte Privatgutachten als falsch erweist. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn der Geschädigte schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat und sich das Gutachten deshalb als unbrauchbar erweist. Wenn sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung eines Autohauses bedient, ist es ihm nicht zuzurechnen, wenn das Autohaus die ordnungsgemäße Angabe eines Vorschadens nicht an den Sachverständigen weitergibt oder der Sachverständige diese Information nicht zur Kenntnis nimmt oder unbeachtet lässt.
Wer aber einen Vorschaden verschweigt, geht richtig leer aus!
OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2023, 1 U 173/22
Eine Ersatzpflicht hinsichtlich der Gebühren eines zur Ermittlung der Reparaturkosten eingeholten Gutachtens ist aber ausgeschlossen, wenn der Geschädigte gegenüber dem von ihm beauftragten Privatsachverständigen erhebliche Vorschäden verschweigt und dieser deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 10. 7. 2012 – 1 W 19/12, r + s 2013, 46, beck-online; Karl-Hermann Zeh, in: Wussow, UnfallhaftpflichtR, 17. Auflage 2021, § 14 Sachschaden Rn. 167; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, § 249 Rn. 398 m.w.N.).
Quelle →zum VOLLTEXT geht es HIER lang
Wie wär´s mal mit Thermoscan und Thermographie… denn die Kosten für thermographische Untersuchungen auf Vorschäden können erstattungsfähig sein, meinen