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BSG, Urteil vom 21.11.2024, B 8 SO 5/23 R
Begrenzung der Auskunftspflicht beim Elternunterhalt –Auskunftspflicht nur bei Indizien für Einkommen von über 100.000 Euro
Ein möglicher Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihr erwachsenes Kind geht nach § 94 Absatz 1a SGB XII erst dann auf den Sozialhilfeträger über, wenn die Summe seiner Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts einen Jahresbetrag von 100 000 Euro übersteigt. Um diese Voraussetzungen zu klären, ist das erwachsene Kind einer leistungsberechtigten Person zur Auskunftserteilung verpflichtet, wenn “hinreichende“ Anhaltspunkte vorliegen, dass es die maßgebliche Jahreseinkommensgrenze in Höhe von 100 000 Euro überschreitet. Umfassende Auskünfte auch zum Vermögen müsste der Auskunftspflichtige in einem zweiten Schritt erst erteilen, wenn die 100 000-Euro-Grenze überschritten wäre.
BGH, Urteil vom 21.11.2024, VII ZR 39/24
Haftung des Betreibers einer Waschanlage
Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug wie dasjenige des Klägers mit einer serienmäßigen Ausstattung wie dem betroffenen Heckspoiler konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Anlagenbetreibers.
Interessant sind hierzu auch die Ausführungen des BGH zu den ausgehängten AGB und sonstigen “Hinweisen” (so dass damit zu rechnen ist, dass die Betreiber wohl versuchen werden, zukünftig die AGB “nachzuschärfen”:
Das in der Waschanlage angebrachte, mit “Allgemeine Geschäftsbedingungen Autowaschanlagen/Portalwaschanlagen” überschriebene Schild reicht als Hinweis schon deshalb nicht aus, weil es ausdrücklich nur “nicht ordnungsgemäß befestigte Fahrzeugteile oder (…) nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehörende Fahrzeugteile (z.B. Spoiler…)” erwähnt. Nicht nur fällt der Heckspoiler des klägerischen Fahrzeugs nicht hierunter, weil er zur Serienausstattung gehört und ordnungsgemäß befestigt war, sondern die ausdrückliche Beschränkung auf nicht serienmäßige Fahrzeugteile ist sogar geeignet, bei dem Nutzer das Vertrauen zu begründen, mit einem serienmäßig ausgestatteten Pkw die Anlage gefahrlos benutzen zu können.
Ebenso wenig stellt der darunter befindliche Zettel mit der Aufschrift “Keine Haftung für Anbauteile und Heckspoiler!” einen ausreichenden Hinweis dar. Angesichts des darüber befindlichen Schildes mit der ausdrücklichen Beschränkung auf nicht zur Serienausstattung gehörende Teile wird für den Waschanlagennutzer schon nicht hinreichend klar, dass – gegebenenfalls – von diesem Hinweis auch die Nutzung der Waschanlage durch Fahrzeuge mit serienmäßigem Heckspoiler erfasst sein soll.
BGH, Urteile vom 11.09.2024, I ZR 139/23; 1 ZR 140/23 und I ZR 141/23
Urheberrechtliche Zulässigkeit der Nutzung von Abbildungen einer Fototapete im Internet
Die auf § 97 Abs. 1 und 2 UrhG, § 97a Abs. 3 UrhG sowie § 242 BGB gestützten Ansprüche auf Schadensersatz, Erstattung der Abmahnkosten und Auskunftserteilung sind unbegründet, weil der durch die Beklagten jeweils vorgenommene Eingriff in das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung – wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat – aufgrund einer konkludenten Einwilligung des Urhebers gerechtfertigt war.
Ob ein Verhalten des Berechtigten als schlichte Einwilligung in den Eingriff in ein durch das Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht anzusehen ist, hängt von dem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers ab. Dabei ist maßgeblich, ob es um nach den Umständen übliche Nutzungshandlungen geht, mit denen der Berechtigte rechnen muss, wenn er sein Werk Nutzern ohne Einschränkungen frei zugänglich macht.
Das Berufungsgericht ist in allen Verfahren in rechtsfehlerfreier tatgerichtlicher Würdigung und im Einklang mit der Lebenserfahrung davon ausgegangen, dass die Vervielfältigung durch Anfertigung von Fotografien und Videoaufnahmen in mit Fototapeten dekorierten Räumen sowie das Einstellen dieser Fotografien und Videos im Internet – sowohl zu privaten als auch zu gewerblichen Zwecken – üblich ist und damit im für den Urheber vorhersehbaren Rahmen der vertragsgemäßen Verwendung der Fototapeten lag. Dem Urheber steht es frei, im Rahmen des Vertriebs vertraglich Einschränkungen der Nutzung zu vereinbaren und auf solche Einschränkungen – etwa durch das Anbringen einer Urheberbezeichnung oder eines Rechtsvorbehalts – auch für Dritte erkennbar hinzuweisen. Daran fehlte es in den Streitfällen.
Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich auch die im Verfahren I ZR 140/23 in Anspruch genommene Web- und Medienagentur auf eine wirksame konkludente Einwilligung berufen konnte. Die Wirksamkeit einer Einwilligung setzt nicht voraus, dass sie gegenüber demjenigen erklärt wird, der in Urheberrechte eingreift. Ausreichend ist ein Verhalten des Berechtigten, dem aus der Sicht eines objektiven Dritten die Bedeutung zukommt, dass der Berechtigte den Eingriff in seinen Rechtskreis gestattet. Nicht nur die Käufer von ohne Einschränkungen veräußerten Fototapeten, die ihre Räumlichkeiten damit dekorieren, Fotografien und Videoaufnahmen dieser Räume fertigen und diese im Internet einstellen, können sich auf eine konkludente Einwilligung des Urhebers in die dabei erfolgende Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der für die Fototapete verwendeten Fotografie berufen. Vielmehr können sich auch Dritte auf eine konkludente Einwilligung des Fotografen stützen, wenn ihre Nutzungshandlungen aus objektiver Sicht als üblich anzusehen sind.
Der Bundesgerichtshof hat außerdem die in allen Verfahren getroffene Annahme des Berufungsgerichts gebilligt, dass Ansprüche wegen Verletzung des Urheberbenennungsrechts gemäß § 13 Satz 2 UrhG nicht bestehen, weil der Urheber im Rahmen des Vertriebs der Fototapeten auf dieses Recht durch schlüssiges Verhalten verzichtet hat.
Quelle: BGH-Pressemitteilung Nr. 179/2024 vom 11.09.2024
KG Berlin, Beschluss vom 04.09.2024, 4 U 79/23
Bank ist zu (besonderen) Vorkehrungen verpflichtet, um einen Kreditkarten-Betrug durch Phishing zu vermeiden (und die Zwei-Faktor-Authentifizierung reicht hier nicht)
Aus den Gründen:
Insoweit muss der Kartenemittent für eine algorithmische, automatisierte Transaktionsüberwachung sorgen, die es ihm ermöglicht, auffällige, für den Karteninhaber untypische Transaktionen (hinsichtlich der Summe, des Landes etc.) zu erkennen. Vom Zahlungsdienstleister wird erwartet, bereits auffällige Zahlungsaufträge zu erkennen, um auf diese Weise frühzeitig die Ausführung verdächtiger Zahlungen zu verhindern.
VG Düsseldorf, Urteil vom 30.8.2024, 14 K 222/23
Umfeldsichtung zum Erkennen von Parkverbotsschildern erforderlich
In Bezug auf Einschränkungen des Parkens und Haltens ist ein Verkehrsteilnehmer daher grundsätzlich verpflichtet, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen mit Sorgfalt umzusehen und sich über den örtlichen und zeitlichen Geltungsbereich eines (mobilen) Haltverbotsschilds zu informieren. Dabei muss er jedenfalls den leicht einsehbaren Nahbereich auf das Vorhandensein verkehrsrechtlicher Regelungen überprüfen, bevor er sein Fahrzeug endgültig abstellt.
Anlass für eine über den einfachen Rundumblick nach dem Abstellen des Fahrzeugs hinausgehende Nachschau, etwa durch Abschreiten des Nahbereichs, kann beispielsweise bestehen, wenn ein Halt – oder Parkverbotszeichen durch dort abgestellte besonders hohe Fahrzeuge verdeckt sein könnte oder wenn die Sichtverhältnisse wegen Dunkelheit oder der Witterungsverhältnisse so beeinträchtigt sind, dass der Verkehrsteilnehmer damit rechnen muss, Verkehrszeichen schon deshalb nicht zu erkennen. Dabei ist ein Abschreiten der Straße von 15 m in beide Richtungen durchaus zumutbar,
Quelle → zum VOLLTEXT geht es hier lang
BGH, Beschluss vom 30.07.2024, VI ZR 122/23
Dem Geschädigten wird durch § 287 ZPO nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung erleichtert.
Er muss zur substantiierten Darlegung des mit der Klage geltend gemachten Schadens weder ein Privatgutachten vorlegen, noch ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Der Geschädigte kann durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen, in welcher geringeren als von ihm ursprünglich geltend gemachten Höhe Reparaturkosten anfallen.
BGH, Urteil vom 04.06.2024, X ZR 62/23
FluggastrechteVO: Verjährung der Ansprüche auf Ausgleichszahlung
Ansprüche auf Ausgleichszahlung nach Art. 5 und Art. 7 FluggastrechteVO unterliegen auch dann der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 und § 199 Abs. 1 BGB , wenn der annullierte oder verspätete Flug für den Fluggast Teil einer Pauschalreise war (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – Xa ZR 61/09 , NJW 2010, 1526 = RRa 2010, 90).
LG Bamberg, Urteil vom 15.03.2024 – 13 O 730/22 UKlaG
Unlautere Methode zur Durchsetzung der Beitragserhöhung eines Fitness-Studios
Die Aufforderung an die Mitglieder der Fitness-Studios, ein Drehkreuz am Eingang zu durchschreiten und damit der geforderten Beitragserhöhung zuzustimmen, stellt sich als unzulässige aggressive geschäftliche und damit unlautere geschäftliche Handlung dar.
LG Coburg, Urteil vom 26.01.2024, 24 O 366/23
Der Drift-König “rockt” den Kreisel und die KASKO zahlt auch noch. Glück gehabt “Meister”!
Quelle und weitere Infos: Pressemitteilung LG Coburg vom 15.05.2024
BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23
Gefahr durch geleerte Mülltonne / und Obacht auf den Müllwerker
a) Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
b) Lässt sich beim Vorbeifahren an einem Müllabfuhrfahrzeug ein ausreichender Seitenabstand, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1 , § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann.
EuGH, Urteile vom 07.12.2023, C-634/2 und in den verbundenen Rechtssachen C-26/22 und C-64/22
Schufa-Scoring
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien (Schufa-Scoring) entgegen.
Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.
Der Gerichtshof entscheidet, dass das „Scoring“ als eine von der DSGVO grundsätzlich verbotene „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ anzusehen ist, sofern die Kunden der SCHUFA, wie beispielsweise Banken, ihm eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimessen.
Soweit die Speicherung der Daten nicht rechtmäßig ist, wie dies nach Ablauf der sechs Monate der Fall ist, hat die betroffene Person das Recht auf Löschung dieser Daten, und die Auskunftei ist verpflichtet, sie unverzüglich zu löschen.
Was die parallele Speicherung solcher Informationen durch die SCHUFA während dieser sechs Monate angeht, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die in Rede stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen, um die Rechtmäßigkeit dieser Speicherung zu beurteilen.
Quelle → aus PRESSEMITTEILUNG des EuGH Nr. 186/23
BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
Abschleppen eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs und Erstattung der Kosten für Verwahrung
Zu den nach den Vorschriften der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters. Ein konkurrierender deliktischer Anspruch wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes reicht im Ergebnis nicht weiter.
Es kommt ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten nach § 304 BGB in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, so dass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle → zum VOLLTEXT geht es HIER
AG München, Urteil vom 3.11.2023, 264 C 17870/23
Pauschalreise und Gänsegeschnatter im Urlaubsdomizil
Die berechtigten Erwartungen an eine Reise sind auch in Relation zum Reisepreis zu sehen.
Belästigung durch schnatternde Gänse auf dem Hinterhof eines Hotels rechtfertigen eine Reisepreisminderung
BGH, Urteil vom 27. Oktober 2023 – V ZR 43/23
Aufklärung über undichtes Terrassendach muss erfolgen
Wird ein Hausgrundstück mit überdachter Terrasse verkauft und tritt durch das Terrassendach wiederholt Regenwasser ein, ist dies regelmäßig nicht nur ein bloßes Symptom für einen Sachmangel; vielmehr begründet bereits die Undichtigkeit des Terrassendaches selbst den Sachmangel.
Klärt der Verkäufer eines Hausgrundstückes den Käufer nicht über Wassereintritte durch ein Terrassendach auf, handelt er arglistig, auch wenn er deren Ursache(n) nicht oder nur teilweise kennt.
VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 25.09.2023 – 14 K 2723/22
Vor dem Abschleppen eines verbotswidrig mit Verkehrsbehinderung abgestellten Fahrzeuges ist eine vorherige Kontaktaufnahme mit einem Verantwortlichen auch dann nicht erforderlich, wenn auf dem Fahrzeug eine gewerbliche Mobil- und eine Festnetznummer angebracht sind, die nicht auf den konkreten Aufenthaltsort des Verantwortlichen hindeuten.
VG Düsseldorf, Urteil vom 19.9.2023 – 14 K 7479/22
An E-Ladesäule mit “Verbrenner” geparkt – Abschleppen auch ohne konkrete Behinderung gerechtfertigt
Wird ein Motorrad/Kraftrad auf einem Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge abgestellt, rechtfertigt die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche eine Abschleppmaßnahme regelmäßig auch ohne konkrete Behinderung eines im Sinne von § 2 EmoG bevorrechtigten Fahrzeugs, da die parkbevorrechtigten Benutzerkreise darauf vertrauen dürfen, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen unbedingt zur Verfügung steht.
KG Berlin, Besch. vom 16.8.2023 – 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei Festkleben auf Fahrbahn
Eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB kommt auch dann in Betracht, wenn sich der Täter bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn mit Sekundenkleber o.ä. festklebt, um die von ihm erwartete alsbaldige polizeiliche Räumung der Fahrbahn nicht nur unwesentlich zu erschweren.
Um ein gezieltes Verhalten des Täters vom bloßen Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses abzugrenzen, muss in derartigen Fallgestaltungen der Wille des Täters dahin gehen, durch seine Tätigkeit den Widerstand vorzubereiten.
Dass Polizeibeamte das durch Festkleben entstandene physische Hindernis durch Geschicklichkeit – hier unter Verwendung eines Lösungsmittels – zu beseitigen in der Lage sind, steht dem Merkmal der Gewalt nicht grundsätzlich entgegen und nimmt ihm in Bezug auf den dem Vollstreckungsbeamten nicht ohne weiteres die körperliche Spürbarkeit.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.07.2023, 19 U 83/22
Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand geschäftlicher E-Mails
Mangels gesetzlicher Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen beim Versand von E-Mails im geschäftlichen Verkehr bestimmen sich Art und Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen, soweit hierzu von den Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des maßgeblichen Verkehrs unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit.
Verstößt der Gläubiger einer Geldforderung gegen von ihm geschuldete Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand einer geschäftlichen E-Mail und hat dieser Verstoß zur Folge, dass der Schuldner der Forderung den geschuldeten Geldbetrag auf das Konto eines deliktisch handelnden Dritten überweist, führt dies nicht zum Erlöschen der Forderung gemäß § 362 BGB, sondern begründet allenfalls einen Schadensersatzanspruch des Schuldners, den dieser gemäß § 242 BGB der Forderung entgegenhalten kann (dolo-agit-Einwendung).
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OLG Frankfurt, Beschluss vom 6.7.2023, 11 UH 23/23
Wenn nur “Frankfurt” drin steht, ist auch nur Frankfurt am Main gemeint – oder vielleicht doch nicht (immer)
Haben die Parteien als Gerichtsstand die Stadt “Frankfurt” vereinbart, ist das LG Frankfurt/Main – und nicht an der Oder – zuständig, wenn der Vertrag keinen Bezug zum Bezirk des LG Frankfurt/Oder aufweist.
Quelle: IBRRS 2023, 1885
OLG Bremen, Beschluss vom 05.07.2023 – 1 U 12/23
Keine Haftung des Fahrzeughalters aus § 7 Abs. 1 StVG für Schäden am Eigentum Dritter aufgrund der Inbrandsetzung eines abgestellten Fahrzeugs aus ungeklärter Ursache
1. Eine Beschädigung des Eigentums Dritter aufgrund des Brandes eines abgestellten Fahrzeugs ist nicht durch dessen Betrieb im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG verursacht, wenn nicht festzustellen ist, dass der Brand des Fahrzeugs auf einem technischen Defekt oder einer anderen technischen Ursache (Reibung, Wärme) des Fahrzeugs beruhte.
2. Eine Haftung aufgrund der Betriebsgefahr nach § 7 Abs. 1 StVG wird nicht bereits dadurch begründet, dass ein Fahrzeug wegen der mitgeführten Betriebsstoffe oder der verwendeten Materialien leicht brennbar ist. Ein hieraus verursachter Brand eines Fahrzeugs steht der Gefahr der Inbrandsetzung beliebiger anderer im öffentlichen Raum abgestellter Gegenstände gleich (Anschluss an BGH, Urteil vom 21.01.2014 – VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377; Urteil vom 11.02.2020 – VI ZR 286/19, NJW 2020).
3. Bei der Geltendmachung eines Anspruchs aufgrund der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG hat der Geschädigte als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden bei dem Betrieb eines Fahrzeugs entstanden ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 21.11.1967 – VI ZR 108/66, VersR 1968, 176; Urteil vom 04.05.1976 – VI ZR 193/74, MDR 1977, 43).
4. Der Geschädigte trägt auch das Risiko der Nichterweislichkeit der behaupteten Verursachung des Brandes eines Kraftfahrzeugs durch einen technischen Defekt des Fahrzeugs. Auch wenn feststeht, dass das Eigentum des Geschädigten durch den Brand des Kraftfahrzeugs beschädigt wurde, ist keine sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Halters begründet, wonach dieser darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hätte, dass der Brand und der Schaden nicht durch einen technischen Defekt des Fahrzeugs verursacht wurde.
Quelle → DIREKTLINK zum VOLLTEXT
AG Lübeck, Urteil, 29.06.2023, 83a OWi 739 Js 4140/23 jug.
Wildpinkeln am Meer ist an sich straffrei 😉
Der Vorgang des Wasserlassens unter freiem Himmel außerhalb von Bedürfnisanstalten ist unter Beachtung üblicher Rücksichtnahmen und ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine grob ungehörige Handlung in diesem Sinne.
Die grobe Ungehörigkeit ergibt sich nicht aus der Eignung zur Verletzung des Schamgefühls und nicht aus belästigenden Verunreinigungen oder belästigenden Gerüchen.
Quelle → VOLLTEXT unter diesem LINK
BGH, Urteil vom 19.04.2023, XII ZR 24/22
Kündigung des Fitnessstudio-Vertrages wegen Corona
Die außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags durch den Kunden mit der Begründung, er könne wegen pandemiebedingten Betriebsschließungen und -beschränkungen das Fitnessstudio nicht im vertraglich vereinbarten Umfang nutzen, kommt nur im Ausnahmefall in Betracht.
BFH, Urteil vom 14.02.2023, IX R 3/22
Steuerbarkeit von Gewinnen aus der Veräußerung von verschiedenen Kryptowährungen (Bitcoin, Ether, Monero)
Zu den (anderen) Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sein können, gehören auch virtuelle Währungen in der Gestalt von Currency Token. Diese werden i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG angeschafft, wenn sie im Tausch gegen Euro, gegen eine Fremdwährung oder gegen andere virtuelle Währungen erworben werden; sie werden veräußert im Sinne der Vorschrift, wenn sie in Euro oder gegen eine Fremdwährung zurückgetauscht oder in andere Currency Token umgetauscht werden.
AG Geilenkirchen, Urteil vom 05.01.2023 – 10 C 114/21
Keine Verwertung einer anlasslosen Videoaufzeichnung als Beweismittel (hier: eines Verkehrsunfalls)
Das von der Klägerin angefertigte Video ist als Beweismittel nicht verwertbar. Es handelt sich um eine den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetztes unterliegende Aufnahme. Die Aufzeichnung durch die am klägerischen Hausobjekt installierte Videokamera stellt eine permanente anlasslose Aufzeichnung des gesamten Geschehens dar, welche zur Wahrnehmung der Interessen der Klägerin nicht erforderlich und deshalb gemäß § 4 Abs. 1 BDSG nicht zulässig ist.
Hinweis:
Anders kann das bewertet werden im Falle einer „Dashcam“, wenn – und darauf wird es maßgeblich ankommen – nur eine “Kurzaufnahme” vorliegt und die Aufnahmen in einer gewissen zeitnahen Routine automatisch wieder gelöscht werden. In dem Fall kann unter Abwägungsgründen eine Beweisverwertung dann zulässig. Bei einer anlasslosen, permanenten Aufzeichnung ist das aber nicht annähernd zulässig.
siehe dazu (hier noch einmal) die Grundsatzentscheidung:
BGH, Urteil vom 15.05.2018, VI ZR 233/17
a) Die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens ist mit den datenschutzrechtlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht vereinbar.
b) Die Verwertung von sogenannten Dashcam-Aufzeichnungen, die ein Unfallbeteiligter vom Unfallgeschehen gefertigt hat, als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess ist dennoch zulässig.
Aber siehe auch
LG Aachen, Urteil vom 15.06.2023 – 12 O 398/22
Zulässigkeit der Verwertung eines Dashcam-Mitschnitts
zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls bei Beweisnot, soweit die Aufnahme nur die „Öffentlichkeitssphäre“ betrifft. Zudem muss das der einzige Weg sein, die materielle Gerechtigkeit herzustellen.
BGH, Urteil vom 11.10.2022, VI ZR 35/22
Wenn das Porsche Cabrio im “Stall” bleiben” muss / Schadensersatz wegen Entziehung der Gebrauchsmöglichkeit
a) Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der vorübergehenden Entziehung der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs (hier: Porsche Turbo S Cabriolet) besteht nicht, wenn dem Geschädigten ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung ihm zumutbar ist.
b) Die Unzumutbarkeit der Nutzung des weiteren Fahrzeugs (hier: 3er BMW Kombi) lässt sich nicht mit dem Argument begründen, dass das Fahrzeug, dessen Nutzung vorübergehend entzogen ist, gegenüber dem Zweitfahrzeug eine höhere Wertschätzung des Geschädigten erfahre, etwa weil ihm ein höheres Prestige zukomme, es ein anderes Fahrgefühl vermittle oder den individuellen Genuss erhöhe.
Zum Sachverhalt (von uns zusammengefasst):
Die Halterin eines Porsche Cabrio wurde von einem anderen Fahrzeug (mutwillig) in der Garage “blockiert” und so musste sie notgedrungen auf ihren weiteren PKW, einen BMW 3er Kombi, ausweichen, um in den Urlaub an den Gardasee zu fahren. Dafür wollte die Halterin eine Nutzungsausfallentschädigung von 175 € pro Tag, insgesamt 2.450 €, durchboxen. Grund: Von einer Gleichwertigkeit des BMW mit dem Porsche CABRIO könne nicht ausgegangen werden.
Hessisches LSG, Urteil vom 29.09.2022 – L 8 BA 65/21
Pilot ohne eigenes Flugzeug ist abhängig beschäftigt
Ein Pilot, der nicht über ein eigenes Flugzeug verfügt und dessen Tätigkeit nach Übernahme eines Flugauftrags sich von einem angestellten Flugzeugführer nicht wesentlich unterscheidet, ist abhängig beschäftigt.
BGH, Urteil vom 30.08.2022, X ZR 84/21
Schließung Hotel bei Pauschalreise
Die Schließung des gebuchten Hotels bedeutet nicht stets eine erhebliche Beeinträchtigung gemäß § 651h Abs. 3 BGB.
Die Auswahl eines bestimmten Hotels beim Abschluss eines Pauschalreisevertrags stellt ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine besondere Vorgabe des Reisenden im Sinne von § 651g Abs. 1 Satz 3 BGB dar.
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB lassen den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters nur dann entfallen, wenn die aus den Umständen resultierenden Reisebeeinträchtigungen nicht nur geringfügige Mängel darstellen, sondern erheblich und damit dem Reisenden nicht mehr zumutbar sind. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Auftreten eines Reisemangels und die fehlende Möglichkeit zu seiner Behebung bereits vor Reisebeginn absehbar sind oder feststehen.
Die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB ist aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie an Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen, wobei neben dem Anteil des Mangels in Relation zur gesamten Reiseleistung auch von Bedeutung sein kann, wie gravierend sich der Mangel für den Reisenden auswirkt (Fortführung von BGH, Urteil vom 21. November 2017 – X ZR 111/16, NJW 2018, 789 Rn. 13).
BGH, Beschluss vom 29.07.2022, AnwZ (Brfg) 28/20
Fehlender Vermerk über Datum der Zustellung durch den Zusteller
Vermerkt der Zusteller entgegen § 3 Abs. 2 VwZG, § 180 Satz 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung nicht, gilt das Dokument gemäß § 8 VwZG erst in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Aus den Gründen:
… handelt es sich bei § 180 Satz 3 ZPO um eine zwingende Zustellungsvorschrift, so dass bei einem Verstoß hiergegen das Schriftstück gemäß § 189 ZPO und § 8 VwZG erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs als zugestellt gilt (vgl. BFH, Großer Senat, NJW 2014, 2524 Rn. 63 ff. mwN; BFH, DStR 2015, 2824 Rn. 17 ff.; BFH, Beschluss vom 15. Mai 2020 – IX B 119/19, juris Rn. 3 mwN; … Lampe in KK-OWiG, 5. Aufl., § 51 Rn. 35; Preisner in BeckOK OWiG, Stand: 1. April 2022, § 3 VwZG Rn. 27).
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.07.2022, VIII R 8/19
Unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Flankenschutzprüfer
1. Die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt.
2. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige der Ortsbesichtigung zustimmt und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vorliegt.
Quelle → VOLLTEXT / BFH / 12.07.2022 / VIII R 8/19
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 28.06.2022, 5 Qs 40/22
Vorläufige Fahrerlaubnisentziehung, dringender Tatverdacht, Verwertungsverbot, unterlassene Belehrung, Fahrzeughalter
Der Halter eines Kraftfahrzeuges ist vor einer polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft im Rahmen von Unfallfluchtermittlungen grundsätzlich als Beschuldigter zu belehren, soweit seine Fahrereigenschaft nicht aufgrund anderer Erkenntnisse ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Durchführung einer sogenannten „informatorischen Befragung“ regelmäßig ermessensfehlerhaft.
Erkenntnisse aus einer polizeilichen Befragung des Halters ohne vorherige Beschuldigtenvernehmung sind in diesem Fall unverwertbar.
Quelle → VOLLTEXT / LG Nürnberg-Fürth / 5 Qs 40/22
VG Göttingen, Urteil vom 21.06.2022, 4 A 79/21
Namensänderung (hier: eines Kindes) wegen seelischer Belastung aufgrund der Namensidentität mit einem Sprachassistenten
Eine seelische Belastung aufgrund der Namensidentität mit einem bekannten Sprachassistenten kann im Einzelfall ein wichtiger Grund i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG darstellen und eine Namensänderung rechtfertigen.
Hinweise:
Zur Abwägung “im Einzelfall” siehe den Volltext (Urteilsgründe) = LINK nachfolgend.
Beantragt wurde hier durch die Kindseltern übrigens nur die Ergänzung des Vornamens durch einen zweiten Vornamen bei Beibehaltung des ersten Vornamens.
Quelle → VOLLTEXT VG Göttingen / 21.06.2022 / 4 A 79/21
OLG Brandenburg vom 13.6.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 149/22
So “sieht” ein elektronisches Dokument aus (und nicht anders) / Fax bleibt Fax
Ein elektronisches Dokument ist ein Text, eine Zahlentabelle, ein Bild oder eine Folge oder Kombination von Texten, Tabellen oder Bildern, die durch Digitalisieren (Umwandlung in einen Binärcode) in Dateiform angelegt oder überführt wurden.
Das Telefax dient indes lediglich der Übermittlung eines vorhandenen Dokuments, welches beim Empfänger erneut in schriftlicher Form vorliegen soll. Deshalb tritt bei diesem Übermittlungsweg die elektronische Speicherung für sich genommen nicht an die Stelle der Schriftform, sondern ist nur ein Durchgangsstadium; das Gericht kann in der Regel erst dann von einem gefaxten Schriftsatz Kenntnis nehmen, wenn er ausgedruckt vorliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 8. Mai 2019 – XII ZB 8/19 -). Dokumente, die im Wege des Telefaxes, insbesondere auch des Computerfaxes, übermittelt werden, zählen deshalb zu den schriftlichen, nicht zu den elektronischen Dokumenten, auch wenn sie elektronisch über das Internet oder ein Web-Interface übertragen werden (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 5 A 327/19 –; OLG Oldenburg a.a.O.).
VG Koblenz, Urteil vom 07.04.2022, 4 K 736/21.KO
Anscheinsbeweis bei Zurechnung einer Verunreinigung von Erdreich durch Kraftstoff
Bei einem Geschehen, bei dem der konkrete Erfolg (Diesel im Erdreich) auf einen Umstand (Abstellen eines vollgetankten Lkws an der verunreinigten Stelle) zurückzuführen ist, ohne dass Alternativabläufe ernsthaft in Betracht kommen, besteht nach den Regeln des Anscheinsbeweises eine Kausalkette zwischen dem Verhalten desjenigen, der den Lkw abgestellt hat, und der Verunreinigung.
Quelle → VOLLTEXT / VG KOBLENZ / 4 K 736/21.KO
BGH, Urteil vom 04.05.2022, XII ZR 64/21
Rückzahlung von Fitness-Studio-Beiträgen bei coronabedingter Schließung
a) Während der Zeit der Schließung eines Fitnessstudios aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie war es dem Betreiber rechtlich unmöglich, dem Nutzungsberechtigten die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit seine vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen. Für den Zeitraum der Schließung hat der Nutzungsberechtigte einen Anspruch auf Rückzahlung der entrichteten Monatsbeiträge, sofern der Betreiber von der “Gutscheinlösung” nach Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB keinen Gebrauch gemacht hat.
b) Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.
c) Bei Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die die gesetzlichen Rechtsfolgen der Unmöglichkeit modifiziert und in ihrem Geltungsbereich die Anwendung des § 313 BGB ausschließt.
d) Der Betreiber eines Fitnessstudios hat deshalb gegen seinen Vertragspartner keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage dahingehend, dass die vereinbarte Vertragslaufzeit um den Zeitraum einer pandemiebedingten Schließung des Fitnessstudios verlängert wird.
LG Frankfurt, Beschluss vom 17.03.2022, 5 UF 184/21
Der “Heiligabend” – 24. Dezember – ist kein Feiertag
Bei Heiligabend handelt es sich jedoch nach § 1 HFeiertagsG v. 29.12.1971 nicht um einen allgemeinen Feiertag. Die in vielen Branchen verbreitete, allerdings nicht gesetzlich fundierte Praxis, diesen Tag als arbeitsfrei zu behandeln, führt angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm nicht zu einer Gleichstellung mit einem gesetzlichen Feiertag oder einem Samstag. Etwas anderes hätte der Gesetzgeber klarstellen müssen, was unterblieben ist, so dass auch für eine Analogie kein Raum ist…
Quelle → VOLLTEXT / OLG FFM / 17.03.2022 / 5 UF 184/21
LG Essen, Beschluss vom 18.2.2022 – 18 O 330/19
Vorlage eines Ausleseprotokolls durch den Fahrzeughersteller
Ein Fahrzeughersteller ist nach §§ 142, 144 ZPO verpflichtet, dem Gericht
das Protokoll ausgelesener Fahrzeugdaten aus der Fahrzeugelektronik auf
entsprechende Anordnung zur Verfügung zu stellen.
Anmerkung: Hintergrund der Entscheidung war Rechtsstreit zwischen der beklagten Vollkaskoversicherung und dem VN wegen einer behaupteten Entwendung seines Fahrzeuges als Versicherungsfall.
Quelle: VRR 2022, 9/2022, Seite 10
BGH, Urteil vom 02.02.2022 – XII ZR 46/21
Schadensersatz wegen Beschädigung der Mietsache / entgangener Gewinn
Ein Tennisspieler kann eine vom vertragsgemäßen Gebrauch nicht gedeckte Beschädigung der Tennishalle, in der er einen Tennisplatz gemietet hat, auch dann zu vertreten haben, wenn ihm kein Verstoß gegen die Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF) angelastet werden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 27. Juni 2018 XII ZR 79/17 NJWRR 2018, 1103).
BVerwG, Urteil vom 10.12.2021 – 5 C 8.20
Ausbildungsförderung (BaföG) bei Überschreiten des Rentenalters
Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG greift dann nicht ein, wenn der Auszubildende bei einem planmäßigen Abschluss der Ausbildung, für die er Ausbildungsförderung beansprucht, bereits das Rentenalter erreicht haben wird.
BGH, Urteil vom 12.11.2021 – V ZR 25/21
Nachbarrecht, Verlegung, Grenzwand vs. Nachbarwand, wesentlicher Bestandteil, Regeln der Technik
a) Eine Nachbarwand kann von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt werden; deshalb darf ein freiliegender Teil in Richtung auf das eigene Grundstück beispielsweise gestrichen, bepflanzt oder zur Verlegung von Leitungen genutzt werden, soweit die Mitbenutzung durch den anderen Nachbarn nicht beeinträchtigt wird.
b) Werden Reihen- oder Doppelhäuser durch einen zweischaligen Wandaufbau, also durch zwei separate Wände geschieden, handelt es sich nicht um eine Nachbarwand, sondern um zwei Grenzwände. Dies gilt auch, wenn die Grundstücksgrenze eine oder beide Wände schneidet und insoweit ein Überbau vorliegt. Für die sachenrechtliche Beurteilung ist zudem unerheblich, ob die Wände in einer solchen Stärke und Ausführung errichtet worden sind, dass sie jeweils für sich genommen den bauordnungsrechtlichen Vorschriften oder anerkannten Regeln der Technik für eine freistehende Gebäudeaußenwand genügen.
LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1.9.2021 – 4 Sa 524/21
Unterschiedliche Vorkehrungen für Zustellungen bei vorübergehender Abwesenheit
1. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Bürger bei vorübergehender Abwesenheit von seiner ständigen Wohnung keine besonderen Vorkehrungen für mögliche Zustellungen zu treffen, wenn es sich um Fälle des ersten Zugangs zum Gericht in Strafbefehls- und Bußgeldverfahren handelt.
ABER →
2. Über Vorkehrungen für Zustellungen, die in späteren Verfahrensabschnitten notwendig werden, sagt diese Rechtssprechung nichts. Hier können, je nach Lage des Falls, die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht andere sein, z.B. dann, wenn jemand nach seinem unentschuldigten Fernbleiben von einer Hauptverhandlung über seinen Rechtsbehelf oder sein Rechtsmittel die alsbaldige Zustellung eines Verwerfungsurteils zu erwarten hat, oder wenn der Bürger im anhängigen Verfahren nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Ladung zu einem neuen Termin auch kurzfristig rechnen muss.
Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2021, 43124, beck-online
FG Düsseldorf, Urteil vom 12.11.2021 – 1 K 2470/14 L
Für Angestellte (von einem Paketdienstleister) gezahlte Verwarngelder sind kein Arbeitslohn (also nicht lohnsteuerpflichtig)
Anmerkung: Entscheidung erging nach Zurückverweisung im Rahmen der zugelassenen Revision.
BSG, Urteil vom 08.12.2021, B 2 U 4/21 R
Wieder eine Home-Office-Entscheidung – direkt vom Bett an den Schreibtisch als versicherter Arbeitsunfall
Ein Beschäftigter, der auf dem morgendlichen erstmaligen Weg vom Bett direkt ins Homeoffice stürzt, ist durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt.
Das Beschreiten der Treppe ins Homeoffice – ohne Frühstück und “ohne was” – diente allein der erstmaligen Arbeitsaufnahme und ist deshalb als Verrichtung im Interesse des Arbeitgebers als Betriebsweg versichert
Quelle ➡ nach Pressemitteilung des BSG vom 08.12.2021
BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, 1 BvR 781/21, 1 BvR 889/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 798/21
Verfassungsbeschwerden betreffend Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Bundesnotbremse“) erfolglos.
Quelle → Pressemitteilung / Bundesverfassungsgericht vom 30.11.2021
OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.01.2021 – 1 U 63/19
Unfall in einer Autowaschanlage: Haftung bei Fahrzeugbeschädigung im Zusammenhang mit einem Bremsen eines Fahrzeugführers zu Vermeidung eines Kontakts mit einem verzögert anfahrenden vorangestellten Fahrzeug
Ein Fahrzeug, das vom Transportband einer Autowaschanlage gezogen wird, befindet sich nicht „im Betrieb“ i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG. Das gilt auch dann, wenn der Fahrer in der Sorge, auf ein vor ihm befindliches Fahrzeug gezogen zu werden, bremst, so dass das Fahrzeug von der Mitnahme des Transportbands rutscht und deshalb durch Betriebseinrichtungen der Waschstraße beschädigt wird. Fährt der vor dem beschädigten Fahrzeug gewaschene PKW verzögert aus der Waschstraße aus, und hat dies dem Bremsvorgang des Fahrers des nachfolgenden PKW ausgelöst, trifft dessen Halter und Fahrer ein nicht unerhebliches Mitverschulden i.S.v. § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB.
Quelle → zum VOLLTEXT geht es HIER
BSG, Urteil vom 27.10.2020, B 1 KR 3/20 R
Krankenversicherung – Genehmigungsfiktion bei Vorfestlegung auf die Selbstbeschaffung
Leitsatz:
Ein Versicherter, der schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse aufgrund einer Genehmigungsfiktion.
Quelle → VOLLTEXT / BSG vom 27.10.2020 / B 1 KR 3/20 R
Siehe hierzu auch und ebenso
BSG, Urteil vom 25.03.2021, B 1 KR 22/20 R
Hat ein Versicherter schon vor Eintritt der Genehmigungsfiktion eigenmächtig das Sachleistungsprinzip infolge Vorfestlegung “verlassen”, ist der Anwendungsbereich des in § 13 Abs. 3a SGB V normierten Systemversagens nicht gegeben.
Quelle → VOLLTEXT / BSG vom 25.03.2021 / B 1 KR 22/20 R
OLG Dresden, Beschluss v. 13.10.2020 – 4 U 1667/20
Kein Mitverschulden durch Beobachtung eines Sylvesterfeuerwerks
Ein Geschädigter, der in der Silvesternacht das Abbrennen von Feuerwerkskörpern durch Gäste einer Silvesterparty beobachtet, muss sich ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn er durch den unsachgemäß gezündeten Feuerwerkskörper eines Dritten verletzt wird.
Quelle → Beck-Verlag, BeckRS 2020, 30178, beck-online
AG Düsseldorf, Urteil vom 03.09.2021 – 37 C 557/20
Aufsichtspflichtverletzung, Familienausflug, Radwegebenutzungspflicht
Ein sorgeberechtigter Elternteil, der veranlasst, dass sein 6jähriges Kind zusammen mit ihm entgegen § 2 Abs. 5 S. 1, 2 StVO einen baulich nicht abgetrennten Radweg benutzt, haftet bei einem Streifschaden an einem parallel verkehrenden Kraftfahrzeug infolge Ausweichens eines auf dem Radweg abgestellten anderen Kraftfahrzeugs gemäß § 832 Abs 1 BGB wegen Verletzung der Aufsichtspflicht.
Quelle → VOLLTEXT / AG DÜSSELDORF / 37 C 557/20
OLG Nürnberg, Beschluss v. 03.03.2021, 13 U 2366/20
Nichteinbeziehung drucktechnisch nahezu unlesbarer allgemeiner Geschäftsbedingungen; keine Haftungsfreistellung bei „Polizeiklausel“ in Pkw-Mietverträgen, wenn diese Folge nicht vertraglich vereinbart ist
Die andere Vertragspartei kann vom Inhalt allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen, wenn diese in einer nur etwa 1 mm kleiner dünner Schrift in hellem Grauton abgedruckt sind, bestehend aus elf Abschnitten und zahlreichen Unterabschnitte, die förmlich auf eine Seite gepresst sind. Drucktechnisch so gestaltete allgemeine Geschäftsbedingungen werden gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht Bestandteil des Vertrags.
Sind allgemeine Geschäftsbedingungen (aufgrund unzureichender Lesbarkeit) nicht Bestandteil eines Vertrags über die Miete eines Kraftfahrzeugs geworden und daher keine Konsequenzen vereinbart für den Verstoß gegen die auf der Vorderseite des Vertrags abgedruckte Verpflichtung, bei jedem Unfall sofort die Polizei hinzuzuziehen, führt auch die (ergänzende) Heranziehung des § 28 Abs. 2 VVG nicht zu einer Haftungsfreistellung des Vermieters (Anschluss an BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 – IV ZR 199/10 -, Rn. 34, juris).
Quelle → VOLLTEXT OLG Nürnberg / 13 U 2366/20
BGH, Urteil vom 28.05.2021, V ZR 24/20
Was ist eigentlich Arglist? Der BGH lässt uns wissen:
a) Bezugspunkt der Arglist in § 444 BGB ist ein konkreter Mangel. Arglist liegt deshalb nur vor, wenn der Verkäufer diesen konkreten Mangel kennt oder zumindest im Sinne eines bedingten Vorsatzes für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Das schließt es aus, ein arglistiges Verschweigen von Mängeln gemäß § 444 BGB durch den Verkäufer allein daraus abzuleiten, dass das Gebäude auf dem verkauften Grundstück teilweise unter Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz errichtet worden ist.
b) Für die Annahme von Arglist genügt es nicht, dass sich dem Verkäufer das Vorliegen aufklärungspflichtiger Tatsachen hätte aufdrängen müssen (Bestätigung von Senat, Urteil vom 12. April 2013 – V ZR 266/11, NJW 2013, 2182).
c) Ein Grundstück ist nicht allein deshalb mangelhaft, weil bei der Errichtung eines auf ihm stehenden Gebäudes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz verstoßen wurde.
AG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.07.2021, 32 C 807/21 (92)
Keine Anwaltshaftung und damit kein Regress des Rechtsschutzversicherers bei umfassender Belehrung über Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels
Hat ein Rechtsanwalt seinen Mandanten nach einem gerichtlich erteilten Hinweis über die beabsichtigte Zurückweisung des eingelegten Rechtsmittels umfassend über die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels belehrt, so haftet er nicht für Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der Mandant dennoch an dem Rechtsmittel festhalten will.
Quelle: Beck-Verlag / FD-VersR 2021, 441181 / beck-online
Volltext → AG Frankfurt a.M. / 32 C 807/21 (92)
OLG Koblenz, Beschluss vom 13.04.2021, 8 U 1596/20
Abfall muss ohne weitere Anhaltspunkte vor dem Entsorgen nicht auf wertvolle Gegenstände (hier: Zahnprothese) untersucht werden
Liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich unter gesammeltem Abfall auch persönliche oder wertvolle Gegenstände befinden, die nicht weggeworfen werden sollen, darf der Abfall ohne vorherige Sichtung entsorgt werden.
Der Senat hat in einem weitergehenden Ansatz bereits eine einfache Fahrlässigkeit der Beklagten verneint. Die Beklagte habe weder gewusst, dass sich unter den benutzten Taschentüchern der in ein Papiertuch gewickelte Zahnersatz befand, noch habe sie dies erkennen können oder müssen, als sie die Taschentücher im „Paket“ aufnahm und in den Kohleofen warf. Es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beklagte die Prothese aufgrund ihres Gewichts hätte bemerken müssen. Auch sei es der Beklagten unter den konkreten Umständen nicht vorzuwerfen, beim Entsorgen die benutzten Taschentücher möglichst wenig berührt zu haben. Sie habe mangels jeden Hinweises auf den Zahnersatz den Abfall nicht sichten müssen. Schließlich begründe auch die Entsorgungsform selbst, das Verbrennen im Ofen, keine Fahrlässigkeit. Hierdurch seien die mit Krankheitserregern belasteten Taschentücher vielmehr effektiv beseitigt und die Keimbelastung verringert bzw. aufgehoben worden.
BGH, Beschluss vom 22.06.2021, VIII ZB 56/20
Anforderung an das anwaltliche Fristenwesen
Die Fristensicherung verlangt von dem Rechtsanwalt bei einem Antrag auf erstmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – auf deren Bewilligung er bei Vorliegen erheblicher Gründe (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) im Allgemeinen vertrauen darf – nicht, dass er sich bereits innerhalb der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht über den Eingang des Fristverlängerungsantrags und über eine Verlängerung dieser Frist erkundigt (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2017 – VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 19; vom 30. Mai 2017 – VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13; vom 18. Januar 2018 – V ZB 166/17, juris Rn. 7; vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 324/20, FamRZ 2021, 446 Rn. 9 f.; st. Rspr.).
OLG Oldenburg, Urteil vom 10.05.2021 – 1 Ws 141/21
Keine Körperverletzung durch Corona-Schnelltest (Rachenabstrich) an Schule
Erlang die Gesundheitsbehörde erst am Morgen des Schultages, an welchem der Schnelltest durchgeführt wurde, Kenntnis davon, dass ein Kind, mit welchem auch der Antragsteller zuvor gemeinsam den Unterricht besucht hatte, positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet worden war, darf die Gesundheitsbehörde nach § 25 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 IfSG den Rachenabstrich bei dem Antragsteller unverzüglich in der Schule durchführen.
Der durchgeführte Rachenabstrich wäre auch bei einer gegebenen Traumatisierung des Antragstellers verhältnismäßig, da im Gegensatz dazu die Schäden, die bei einer weiteren und vor allem ungebremsten Verbreitung des Virus und einem deutlichen Ansteigen der Erkrankungs- und Todeszahlen für eine sehr große Zahl von Menschen zu gewärtigen wären, von deutlich höherem Gewicht sind.
Quelle → Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2021, 12189
Und ein Nachspiel könnte das Ganze gar für die das Gesundheitsattest ausstellende Ärztin auch noch haben, denn (so das OLG wörtlich):
Dem steht auch das vom Antragsteller vorgelegte (undatierte) ärztliche Attest nicht entgegen. Denn der Beweiswert dieses Attestes ist denkbar gering, weil sich dieses fast ausschließlich in der Wiedergabe der vom Antragsteller und seiner Mutter gegenüber der Ärztin mitgeteilten Sach- und Befindlichkeitslage erschöpft, so dass es – den Anfangsverdacht des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB begründend (vgl. Fischer, StGB68, § 278 Rn. 4 m.w.N.) – bereits mehr als fraglich erscheint, wie die ausstellende Fachärztin (für Allgemeinmedizin!) durch einen einzigen Vorstellungstermin des Antragstellers am TT. MM 2020 zur Diagnose einer „schweren psychischen Traumatisierung, depressiven Phasen (anhaltendem Weinen), aggressivem Verhalten, Schlafstörungen, Alpträumen und Unsicherheit“ gelangt sein will, die der Antragsteller „durch die Testung des Gesundheitsamts und das Verhalten der (…) Schule“ erlitten haben soll.
BGH, Urteil vom 15. Juli 2021, III ZR 225/20
Vereinbarung einer Platz-/Reservierungsgebühr für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim auch gegenüber Privatversicherten unzulässig,
da mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und daher unwirksam (15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI).
OLG Celle, Urteil vom 12.05.2021, 14 U 189/20
Enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen Kraftfahrzeugbrand und Betriebsvorgang
Ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen einem Kraftfahrzeugbrand und dem Betriebsvorgang eines Fahrzeugs liegt jedenfalls vor, wenn dieses noch ca. zwei Stunden vor dem Brand gefahren wurde.
Für eine Zurechnung ist nicht erforderlich, dass der klagende Halter gegenüber der beklagten Versicherung beweist, durch welche Betriebseinrichtung der Brand verursacht worden ist. Es reicht aus, dass unstreitig oder bewiesen ist, dass der Brand in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs entstanden ist.
Die beklagte Versicherung könnte aber ihrerseits darlegen und beweisen, dass der Brand von außen herbeigeführt worden ist, was den Zurechnungszusammenhang entfallen ließe.
Quelle → OLG Celle zu Fahrzeugbrand und Haftung nach § 7 StVG
LG Bonn, Urteil vom 31.01.2020, 17 O 323/19
Zugang und Kenntnisnahme von WhatsApp-Nachrichten
1. WhatsApp-Nachrichten sind Erklärungen unter Abwesenden (§ 130 Abs. 1 BGB). Sie gehen dem Empfänger dann zu, wenn sie sein Empfangsgerät erreichen, dort unter normalen Umständen dauerhaft und abrufbar gespeichert werden und der Empfänger diesen Kommunikationsweg grundsätzlich eröffnet hat, indem er schon zuvor mit dem Erklärenden über WhatsApp kommuniziert hatte.
2. Erfolgte zwischen den Parteien bereits im Vorfeld eine Kommunikation über „WhatsApp“, kann dieser Kommunikationskanal auch für zukünftige rechtserhebliche Erklärungen verwendet werden, wenn Textform ausreichend ist.
3. Wird längere Zeit nicht über „WhatsApp“ kommuniziert, bedeutet dies nicht, dass eine Partei diesen weit verbreiteten Kommunikationskanal nicht mehr verwenden will.
4. Die Kenntnisnahme einer WhatsApp-Nachricht durch den Empfänger ist anzunehmen, wenn die Nachricht mit zwei blauen Haken gekennzeichnet ist. Für ihren Zugang ist die Kenntnisnahme aber nicht erforderlich.
Quellen: VuR 2020, 198 und DAR 2020, 519 (Beck-Verlag / beck-online)
Volltext siehe unter → LG BONN / 31.01.2020 / 17 O 323/19
OLG Celle, Urteil vom 19.05.2021, 14 U 129/20
(Kein) Mitverschulden eines elfjährigen, als letztes einer Kindergruppe beim Überqueren einer Straße von einem Fahrzeug erfassten Kindes
Einem elfjährigen Kind kann kein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden,
wenn es beim Überqueren einer Straße,
zusammen mit einer bereits auf der Fahrbahn befindlichen Kindergruppe,
als letztes Kind von einem Fahrzeug erfasst wird,
dessen Fahrer die Kinder wahrgenommen hat und
den Unfall hätte verhindern können.
Neben der Einsichtsfähigkeit gem. § 828 Abs. 3 BGB, deren Fehlen das Kind zu beweisen hat, ist im Rahmen des Verschuldens gem. § 276 Abs. 2 BGB ein objektiver Maßstab anzulegen und zu prüfen, ob das Kind die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dabei sind an ein Kind, gestaffelt nach dem Alter, andere Maßstäbe als an einen Jugendlichen oder einen Erwachsenen anzulegen. Neben dem Alter des Kindes ist dabei auch die konkrete Unfallsituation zu bewerten und zu prüfen, ob Kinder gleichen Alters und gleicher Entwicklungsstufe in der konkreten Situation hätten voraussehen müssen, dass ihr Tun verletzungsträchtig ist und es ihnen möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss ein junger Mensch, der einen schweren Schaden erlitten hat, wegen seines Alters im Verhältnis zu einem älteren Menschen mehr Schmerzensgeld bekommen, weil ersterer noch lange an seinen Verletzungsfolgen zu tragen hat.
Quelle → OLG Celle zu Mitverschulden eines minderjährigen Kindes beim Überqueren einer Straße
BGH, Urteil vom 15.04.2021, I ZZ 134/20
Unlauterer Wettbewerb und Werbung mit Testsiegel / UWG
Das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, eine Werbung mit einem Testergebnis für eine informierte geschäftliche Entscheidung prüfen und insbesondere in den Gesamtzusammenhang des Tests einordnen zu können, hängt nicht von der Intensität der Bewerbung des Testergebnisses, sondern allein davon ab, ob das Testergebnis in der Werbung erkennbar ist.
Für eine zulässige Werbung mit einem Testsiegel ist es erforderlich, dass eine Fundstelle des Tests deutlich erkennbar angegeben wird, die leicht zugänglich ist und eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Test erlaubt, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine einfache Möglichkeit zu eröffnen, den Test selbst zur Kenntnis zu nehmen (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 – I ZR 50/07, GRUR 2010, 248 Rn. 31 – Kamerakauf im Internet).
BGH, Urteil vom 27.04.2021, XI ZR 26/20
AGB = Schweigen ist keine Zustimmung und die Unwirksamkeit von Klauseln, die die Zustimmung des Kunden bei einer Änderung der AGB der Bank fingieren
Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat hat entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank unwirksam sind, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Sonderbedingungen fingieren.
Eine Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung reicht unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verwendungsgegners nicht aus.
Quelle → BGH XI ZR 26/20 Pressemitteilung Nr. 088/2021
Wir werden natürlich weiter berichten, sobald das Urteil im Volltext vorliegt. Und wir sind gespannt, wie die Banken die AGB nun umstellen und den nun sehr eng gewordenen Spielraum “nutzen” werden.
Diese Entscheidung wird aber auch über das Bankenrecht hinaus gravierende Auswirkungen haben.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.01.2021, 11 LA 16/20
Datenschutzrechtliche Verwarnung wegen eines auf einer Fanpage einer Partei bei Facebook veröffentlichten Fotos
Die Veröffentlichung eines Fotos auf einer Fanpage bei Facebook, auf dem Personen identifizierbar sind, stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar, die einer Legitimation nach datenschutzrechtlichen Vorschriften bedarf.
Kann das Ziel einer Datenverarbeitung auch durch die Veröffentlichung anonymisierter Daten erreicht werden, ist eine unanonymisierte Veröffentlichung nicht erforderlich.
Bei einem auf einer Fanpage bei Facebook veröffentlichten Foto, auf dem Personen identifizierbar sind, die in die Veröffentlichung nicht eingewilligt haben, ist im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO zugunsten der betroffenen Personen u.a. zu berücksichtigen, dass eine solche Veröffentlichung aufgrund bestehender Missbrauchsmöglichkeiten sowie aufgrund der großen Reichweite derartiger Netzwerke mit erheblichen Risiken verbunden ist.
Quelle → VOLLTEXT zu OVG Lüneburg 11 LA 16/20
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.10.2020, L 3 U 134/19
Wegeunfall – Abweg – Handlungstendenz – private Verrichtung – Fortbewegungszweck: Sicherung von Schadenersatzansprüchen – keine geringfügige Unterbrechung
Die Unterbrechung der Fortbewegung zum Ort der Tätigkeit zum Zwecke einer privaten Verrichtung unterliegt nicht (mehr) dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz.
Das Zurücklegen einer 100m Wegstrecke entgegengesetzt zur Fahrtrichtung zur Arbeitsstelle, um das Nummernschild eines Unfallverursachers zu fotografieren, stellt keine geringfügige Unterbrechung des Weges zur Arbeitsstätte dar.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 07.10.2020, 1 W 17/20
Ansprüche wegen entdeckter Wertsachen – Goldmünzen und Bargeld auf einem Friedhof – Fundsache und “Finderlohn”?
Wer auf einem Friedhofsgelände Wertsachen (hier: Goldmünzen und Bargeld) entdeckt, die den Umständen nach erst vor kurzem dort versteckt wurden, ist nicht Finder im Sinne der §§ 965 ff. BGB; ebenso wenig handelt es sich um einen Schatzfund gem. § 984 BGB.
Gleiches gilt, wenn ein Mitarbeiter des dort tätig gewordenen Gartenbauunternehmens einen Teil der Wertsachen in Grünabfällen entdeckt, die von dem Friedhof auf das Betriebsgelände verbracht worden waren.
Ein Eigentumserwerb des Entdeckers scheidet in solchen Fällen selbst dann aus, wenn sich ein Empfangsberechtigter nicht ermitteln lässt; eine analoge Anwendung der §§ 973, 984 BGB kommt hier nicht in Betracht.
Ein Anspruch auf Finderlohn ist ebenfalls zu verneinen; § 971 Abs. 1 sowie § 978 Abs. 2 und 3 BGB sind weder unmittelbar einschlägig noch entsprechend anwendbar.
Ergebnis → es handelt sich um keine Fundsache
Quelle → VOLLETX / OLG Oldenburg vom 07.10.2020, 1 W 17/20
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.01.2020, 1 Rb 21 Ss 967/19
Notwendiger Inhalt eines Bußgeldbescheides / Abgrenzungsfunktion
Der Bußgeldbescheid muss nach § 66 Absatz 1 Nr. 3 OWiG unter anderem die Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung, bezeichnen. Wie die Anklage oder der Strafbefehl im Strafverfahren beschreibt und begrenzt der Bußgeldbescheid die Tat im Sinne von § 264 StPO und damit den Prozessgegenstand des Bußgeldverfahrens in persönlicher und sachlicher Hinsicht (BGHSt 23, 280; BeckOK OWiG/Hettenbach OWiG § 71 Rn. 6). Erfüllt der Bußgeldbescheid seine Aufgabe nicht, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung, wobei die Frage, ob der Bußgeldbescheid seiner Abgrenzungsfunktion gerecht wird, allein aus dem Bußgeldbescheid ohne Hilfe anderer Erkenntnisquellen, wie etwa des Akteninhalts, zu beantworten ist (BGH, NJW 1970, 2222; OLG Hamm, Beschl. v. 18.11.2015 – 3 Ss Owi 1218/15, BeckRS 2015, 20268). Der Umfang der im Bußgeldbescheid gebotenen Tatschilderung wird dabei maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift determiniert (OLG Hamm, a.a.O.; BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 65 Rn. 3).
und ebenso:
OLG Bamberg, Beschluss vom 18.11.2015, 3 Ss OWI 1218/15
Ein Bußgeldbescheid muss nach § 66 I Nr. 3 OWiG – ebenso wie der Strafbefehl (§ 409 I 1 StPO), welchem er nachgebildet ist – unter anderem die Tat, die dem Betr. zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung bezeichnen. Neben der sog. Informationsfunktion ist es Aufgabe eines Bußgeldbescheids, den Tatvorwurf in persön-licher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzu-grenzen (sog. Abgrenzungsfunktion). Erfüllt ein Bußgeldbescheid diese Aufgabe nicht, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung (BGHSt 23, 336/338 ff.; OLG Bamberg, Beschl. v. 12.08.2008 – 3 Ss OWi 896/08 = DAR 2009, 155 = OLGSt OWiG § 66 Nr. 11 m.w.N.). Das Verfahren ist in einem solchen Fall einzustellen (§§ 46 I OWiG, 206a StPO).
Seine Abgrenzungsfunktion erfüllt der Bußgeldbescheid in sachlicher Hinsicht nur dann, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll (BGH und OLG Bamberg a.a.O.; vgl. zuletzt u.a. auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.02.2014 – 2 Ss 616/13 = VerkMitt 2014, Nr. 28 = wistra 2014, 285 = VRS 126, 106 [2014] = OLGSt OWiG § 29a Nr. 11; ferner KK/Kurz OWiG 4. Aufl. § 66 Rn. 10, jeweils m.w.N.). Durch welche tatsächlichen Angaben der Tatvorgang hinreichend abgegrenzt wird, lässt sich nicht allgemein sagen, dies ist Sache des Einzelfalls. Die Frage, ob ein Bußgeldbescheid seiner Abgrenzungsfunktion gerecht wird, ist im Gegensatz zur Informationsfunktion allein aus dem Bußgeldbescheid ohne Hilfe anderer Erkenntnisquellen, wie etwa des Akteninhalts zu beantworten (BGH a.a.O.; KK/Kurz a.a.O.).
OLG Koblenz , Beschluss vom 15.12.2020 – 12 U 864/20
30-prozentige Mithaftung wegen Nichtanschnallens bei Alkoholfahrt eines Dritten
Nimmt eine 18-jährige auf dem Rücksitz eines Pkw an einer „Spritztour“ teil, ohne sich anzuschnallen, wobei der Fahrer erheblich alkoholisiert ist und eine äußerst riskante und gefahrträchtige Fahrweise zeigt, setzt sie sich damit „sehenden Auges“ einem erheblichen Unfall- und Verletzungsrisiko aus, so dass ihr im Falle eines nachfolgenden Unfalles, bei dem sie aus dem Fahrzeug herausgeschleudert und – nur dadurch – schwer verletzt wird, ein Mitverschulden in Höhe von 30 % anzulasten ist.
Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2020, 43496
OLG Naumburg, Urteil vom 11.10.2010, 10 U 25/09
Haftung des Halters eines auf einer Gartenparty frei herumlaufenden Hundes
Ein Tierhalter, der auf einer Gartenparty seinen Hund frei herumlaufen lässt, muss davon ausgehen, dass dieser von den Gästen als gänzlich ungefährlich angesehen wird und sich gegebenenfalls auch im Umgang mit Hunden nicht erfahrene Gäste dem Tier annähern. Eine schuldlose Mitverursachung durch den Geschädigten wird im Rahmen der Gefährdungshaftung nicht berücksichtigt. Für ein Mitverschulden muss der Geschädigte gegen Gebote des eigenen Interesses vorwerfbar verstoßen haben (hier verneint).
Bei einem Hund ergibt sich nicht von vornherein die Nutztiereigenschaft, auch nicht wenn er als Wachhund ausgebildet und angeschafft worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, welchem Zweck er objektiv dienstbar gemacht worden ist.
Finanzgericht Thüringen, Urteil vom 25.06.2020 – 1 K 103/20
Keine Steuerermäßigung für haushaltsnahe Handwerkerleistungen bei Reparatur eines privaten Kfz
Unter die 20%-ige Steuerermäßigung für haushaltsnahe Handwerkerleistungen fällt nicht die Reparatur eines privaten Kfz. Haushaltsnahe Handwerkerleistungen sind nur solche, die typischerweise dem Wohnen in einem Haushalt dienen, wie etwa das Malern von Wänden oder die Reparatur der Heizungsanlage. Die Reparatur eines Pkw dient nicht dem Wohnen in einem Haushalt, sondern der Fortbewegung vom oder zum Haushalt.
Quelle → VOLLTEXT / FG THÜRINGEN / 25.06.2020 – 1 K 103/20
OLG Schleswig, Urteil vom 21.06.2007 – 7 U 50/06
Tierhüter, Inhaber einer Reitbeteiligung, Tierhalterhaftung, Schadensverursachung im Rahmen einer Reitbeteiligung
Der Inhaber einer Reitbeteiligung ist für die Zeit der Überlassung des Pferdes an ihn Tierhüter und nicht Tierhalter.
Anforderungen an den jeweiligen Entlastungsbeweis des Tierhalters und des Tierhüters, wenn im Rahmen einer Reitbeteiligung ein Schaden verursacht wird.
BGH, Beschluss vom 27.08.2019, VI ZR 460/17
Richter missversteht den Vortrag einer Partei – und was nun?
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht unter anderem dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und – soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft – in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.11.2019, 1 OLG 2 Ss 77/19
Der Umstand, dass ein im privaten Eigentum stehende und als Privatparkplatz gekennzeichnete Verkehrsfläche aufgrund eines Defektes an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ ist und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wird, genügt zur Begründung der für eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erforderliche Öffentlichkeit der Verkehrsfläche insbesondere dann nicht, wenn die einzelnen Stellplätze vermietet sind.
Aus den Gründen:
Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum steht eine eindeutige, äußerlich manifestierte Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird, entgegen (BGH Beschluss vom 30.01.2013 – 4 StR 527/12, NStZ 2013, 530). Wiederum dem Schutzzweck der Norm entsprechend ist für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, nicht auf dessen inneren Willen, sondern maßgeblich auf die für etwaige Benutzer erkennbaren äußeren Umstände abzustellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.11.1987 – 2 Ss 413/87, NJW 1988, 922; OLG Hamm aaO.).
Die nur gelegentliche (Mit-)Benutzung einer als Privatparkplatz gekennzeichneten Verkehrsfläche durch Unbefugte vermag an der „Nicht-Öffentlichkeit“ ebenso wenig etwas zu ändern, wie die Aufstellung amtlicher Verkehrszeichen auf einem Privatgelände (OLG Rostock, Urteil vom 28. November 2003 – 1 Ss 131/03 I 79/03, juris Rn. 11 mwN.). Selbst das Fehlen von Absperrmaßnahmen rechtfertigt nicht stets die Annahme, eine deutlich von öffentlichen Wegen abgegrenzte private Fläche stehe der Allgemeinheit uneingeschränkt zur Verfügung (Blum aaO., 368). Anderes gilt nur, wenn die Verkehrsfläche trotz vorhandener Hinweise auf eine Nutzungsbeschränkung durch entgegengesetzte längere Übung praktisch jedermann zugänglich und dies nach außen hin auch erkennbar geworden ist (Geppert aaO. § 142, Rn. 14). Entscheidend ist also, ob die vom Verfügungsberechtigten geduldete Mitnutzung durch Unberechtigte lediglich gelegentlich stattfindet oder ob die Nutzung aufgrund längerer Übung praktisch durch jedermann erfolgte und es sich quasi „eingebürgert“ hatte, dass die Parkfläche entgegen ihrer Kennzeichnung als Privatparkplatz auch durch einen größeren unbestimmten Personenkreis in Gebrauch genommen wird (Blum aaO.).
OLG München, Urteil vom 20.12.2019, 10 U 3110/17
Sturz eines Fahrgastes beim Anfahren eines Linienbusses
Der Fahrer eines Linienbusses, der seinen Fahrplan einzuhalten hat, darf darauf vertrauen, dass die Fahrgäste ihrer Verpflichtung, sich stets einen festen Halt zu verschaffen, nachkommen. Es ist allein Sache des Fahrgastes, für einen sicheren Halt zu sorgen und so eine Sturzgefahr zu vermeiden.
Der Busfahrer braucht sich selbst vor dem Anfahrvorgang nur dann zu vergewissern, ob ein Fahrgast Platz oder Halt im Wagen gefunden hat, wenn eine erkennbare schwere Behinderung des Fahrgastes ihm die Überlegung aufdrängte, dass dieser andernfalls beim Anfahren stürzen werde.
Ein Fahrgast muss damit rechnen, dass bei der Fahrt ruckartige Bewegungen des Verkehrsmittels auftreten können, die seine Standsicherheit beeinträchtigen. Er ist deshalb selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen einer Straßenbahn oder eines Linienbusses nicht zu Fall kommt und muss sich gegen plötzliche Bewegungen Absicherung verschaffen. Der Fahrgast muss in diesem Zusammenhang durchaus auch jederzeit mit einem scharfen Bremsen des Verkehrsmittels rechnen.
OVG Koblenz, Beschluss vom 02.04.2020, 2 A 11539/19.OVG
Kein Anspruch eines Lehrers auf Beseitigung von Fotos aus Schuljahrbuch
Ein Lehrer, der sich bei einem Fototermin in der Schule freiwillig mit Schulklassen hat ablichten lassen, hat keinen Anspruch auf Entfernung der im Jahrbuch der Schule veröffentlichten Bilder.
Nach dem Kunsturhebergesetz bedürfe es keiner Einwilligung in die Veröffentlichung der Fotos im Jahrbuch der Schule, weil diese Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte seien. Dies ergebe sich aus der dafür erforderlichen Abwägung der wechselseitigen Interessen. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe auch bei Veranstaltungen von regionaler oder lokaler Bedeutung. Eine solche Bedeutung hätten die Jahrbücher mit den Klassenfotos für die Angehörigen der Schule. Demgegenüber seien die Rechte des Klägers nur geringfügig beeinträchtigt worden. Er sei im dienstlichen Bereich in einer völlig unverfänglichen, gestellten Situation aufgenommen worden und die Bilder seien in keiner Weise unvorteilhaft oder ehrverletzend. Selbst wenn eine Einwilligung erforderlich gewesen sein sollte, wäre diese aber auch zumindest konkludent erteilt worden, weil der Kläger sich mit den beiden Schülergruppen habe ablichten lassen. Er habe gewusst oder jedenfalls wissen müssen, dass die Schule derartige Klassenfotos bereits in der Vergangenheit für Jahrbücher verwendet habe. Es stelle ein widersprüchliches Verhalten dar, die Veröffentlichung von Fotos einerseits strikt abzulehnen und sich andererseits auf Fotos ablichten zu lassen, die offensichtlich dem Zweck der Veröffentlichung dienten.
Quelle: OVG Koblenz Schuljahrbuch und Lehrerfoto
OLG München, Urteil v. 19.05.2021,7 U 2338/20
Kein Mitverschulden bei Rad”verlust”, wenn “Nutzer” die Radmuttern – trotz Werkstatthinweises – nicht nach einer Fahrstrecke von 50 km prüft
OLG München hebt das Urlaub des LG München vom 09.04.2020 – 10 O 3894/17 (Mithaftung bejaht) auf!
Aus den Gründen (zum regelmäßig verwendeten Werkstatthinweis):
Daran ändert auch der in der Rechnung laut Anl. B 1 enthaltene Hinweis auf die Notwendigkeit eines Nachziehens der Radmuttern nach 50 Kilometern zurückgelegter Fahrtstrecke nichts. Denn auch dies würde einen vernünftigen Menschen in Anbetracht eines aus technischer Sicht nicht erforderlichen Nachziehens der Radmuttern nicht zu einer Kontrolle veranlassen. Im Übrigen kann die Werkstatt als Werkunternehmer auch nicht durch einen bloßen Hinweis – in welcher Form auch immer -, der nicht Vertragsbestandteil wurde, faktisch die Kontrolle des Erfolgs ihrer Werkleistung auf den Besteller delegieren, der damit zur Vermeidung eines Mitverschuldens gezwungen wäre, die Ordnungsmäßigkeit der Werkleistung (nach der Abnahme) nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls selbst tätig zu werden, um die mangelhafte Werkleistung des Unternehmers nachzubessern. Der Senat teilt insoweit nicht die ohne Begründung vom OLG Düsseldorf vertretene Auffassung, wonach (allerdings bei einem anderen Kfz-Bauteil) das unterlassene Nachziehen von Schrauben trotz fehlender technischer Notwendigkeit ein Mitverschulden des Bestellers begründe, wenn der Werkunternehmer den Besteller vorher hierauf hingewiesen habe (Urteil vom 23.09.2005 – I-23 U 16/05, Rdnr. 9).
Quelle → OLG München kein Mitverschulden bei Radverlust nach Radwechsel
OLG Zweibrücken vom 11.11.2019, 1 OLG 2 Ss 77/19
(Privat)parkplatz als öffentlicher oder nicht öffentlicher Verkehrsraum – das ist hier die Frage
Der Umstand, dass ein im privaten Eigentum stehende und als Privatparkplatz gekennzeichnete Verkehrsfläche aufgrund eines Defektes an der Schrankenanlage „faktisch für die Öffentlichkeit zugänglich“ ist und dies vom Verfügungsberechtigten geduldet wird, genügt zur Begründung der für eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erforderlichen Öffentlichkeit der Verkehrsfläche insbesondere dann nicht, wenn die einzelnen Stellplätze vermietet sind.
BSG, Urteil vom 30.1.2020,B 2 U 19/18 R
Kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz auf dem Weg vom Homeoffice zur Kita
Wenn ein im Homeoffice beschäftigter Arbeitnehmer sein Kind von zu Hause in die Kita bringt und dabei einen Unfall erleidet, liegt kein versicherter Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII vor.
Quelle: ArbRAktuell 2020, 96, beck-online
BSG, Urteil vom 27.11.2018, B 2 U 28/17 R
(Möglicher) Versicherungsschutz im Home-Office („Betriebsweg“)
Der Versicherungsschutz gemäß § 8 SGB VII umfasst auch Unfallereignisse auf Wegen innerhalb des häuslichen Bereichs, wenn der Beschäftigte diesen Weg aus betrieblichen Gründen zurücklegt.
Hinweis:
Aber der Gang in die Küche oder den HWR zum Getränkeholen ist wiederum aus dem Versicherungsschutz “raus”, ebenso der Gang zur Toilette, auf den Balkon zum Luftholen oder für die Zigarette.
Quelle: FD-SozVR 2019, 415582, beck-online
BVerfG, Beschluss vom 20.02.2020 – 1 BvR 1975/18
Verfahrenskostenhilfe auch bei lückenhaft ausgefülltem Antrag
Prozesskostenhilfe (PKH) und Verfahrenskostenhilfe (VKH) dürfen nicht abgelehnt werden, wenn zwar das Antragsformular lückenhaft ausgefüllt ist, die Lücken aber durch beigefügte Unterlagen geschlossen werden. Gleiches gilt für eine Bezugnahme auf Erklärungen in einem früheren Rechtszug, wenn dabei klargestellt wird, dass sich die Verhältnisse nicht verändert haben.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.07.2020, 11 LA 104/19
Bei der Übermittlung von personenbezogenen Daten per Fax muss die Behörde zur Gewährleistung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen Sicherungsvorkehrungen treffen. Welches Schutzniveau dabei einzuhalten ist, richtet sich nach der Sensibilität und Bedeutung der zu übermittelnden Daten, den potentiellen Gefahren bei der Faxübermittlung, dem Grad der Schutzbedürftigkeit des Betroffenen und dem mit den Sicherungsmaßnahmen verbundenen Aufwand.
BGH, Urteil vom 18. September 2020 – V ZR 28/20
Grunddienstbarkeit und ein Gehrecht umfasst auch Fahrrecht
Das durch eine Grunddienstbarkeit gesicherte Recht, ein Grundstück „als Übergang zu benutzen“ berechtigt auch dazu, dieses mit einem Kraftfahrzeug zu überqueren; etwas anderes gilt nur dann, wenn sich eine Beschränkung in eindeutiger Weise aus den bei der Auslegung der Grundbucheintragung berücksichtigungsfähigen Umstände ergibt.
OVG Berlin-Brandenburg vom 28.03.2017, OVG 6 B 70.15
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kontrolle des Handgepäcks
Aus den Gründen:
Die bundespolizeiliche Maßnahme, mit der dem Kläger untersagt wurde, 272 g Büffelmozzarella, 155 g Nordseekrabbensalat und 140 g Flensburger Fördetopf im Handgepäck zu transportieren, war rechtmäßig
Quelle → zum VOLLTEXT geht es HIER LANG
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.08.2020, L 11 VG 7/20
Vertrauen auf Postbeförderungszeiten im Normalfall – Aufgabe eines Einschreibens an einem Sonntag – Brieftransport während der Corona-Pandemie
Bedient sich ein Beteiligter der Deutschen Post AG, so darf er regelmäßig darauf vertrauen, dass diese die von ihr für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten einhält. Bei normalen Postlaufzeiten darf nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich mit einem Eingang am folgenden Werktag nach der Aufgabe zur Post gerechnet werden.
Müssen die Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 Prozent am ersten und zu 95 Prozent bis zum zweiten auf die Einlieferung folgenden Werktag ausliefern. Wer seine Postsendung an einem Sonntag aufgibt, kann sich auf diese Regelung nicht verlassen.
Ob auch im Fall eines Einschreibens grundsätzlich mit einem Eingang am folgenden Werktag nach der Aufgabe zur Post gerechnet werden darf, kann hier dahinstehen.
Berichte über einen unzuverlässigen Brieftransport während oder aufgrund der Corona-Pandemie gab es offenbar nicht. Beteiligte konnten demnach auf normale Postbeförderungszeiten auch in Zeiten von Corona vertrauen.
Um eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist aus gesundheitlichen Gründen begründen zu können, muss eine Erkrankung so schwer sein, dass der Beteiligte selbst nicht handeln kann und auch zur Beauftragung eines Dritten nicht in der Lage ist.
Quelle → Volltext → LSG BB L 11 VG 7/20
AG Zeitz, Beschluss v. 27.02.2018, 13 OWi 724 Js 200466/18
Pflicht zur Vorführung eines nicht genutzten zugelassenen Fahrzeugs
Auch ein nicht genutztes zugelassenes Kraftfahrzeug muss nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zur Hauptuntersuchung vorgeführt werden.
Da hilft auch das Abstellen auf einem Privatgrundstück – ungenutzt – nichts.
Quelle → VOLLTEXT / DIREKT-LINK
VG München, Urteil v. 13.04.2016 – M 7 K 15.4795
Kostenerhebung nach Abschleppmaßnahme
Kraftfahrzeuge, die in einem als Feuerwehranfahrtszone ausgewiesenen Halteverbotsbereich geparkt sind, dürfen sofort, ohne Einhaltung einer Wartezeit, und ohne dass es auf eine konkrete Behinderung ankommt, abgeschleppt werden.
LG Rostock, Urteil vom 10.08.2018, 1 S 198/17
Haftung aus der Betriebsgefahr eines abgestellten KFZ für ein in Brand geratenes Nachbar-KFZ
Der Brand des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges mit dem Kennzeichen……., welches seinerseits das neben diesem Fahrzeug parkende Fahrzeug des Klägers mit dem Kennzeichen ……… in Brand gesetzt hat, ist “bei dem Betrieb” dieses Fahrzeuges i.S. § 7 Abs. 1 StVG entstanden.
Das Haftungsmerkmal “bei dem Betrieb” ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den KFZ-Verkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem KFZ ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das KFZ mitgeprägt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2007 – VI ZR 210/06 –, juris). Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals “bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs” entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines KFZ – erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird; ein Schaden ist demgemäß bereits dann “bei dem Betrieb” eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl. BGH a.a.O). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. BGH aaO). An einem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will. Für eine Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des KFZ steht. Erforderlich ist, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Fahrzeuges zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (vgl. BGH aaO).
Vorliegend wurde das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug mit dem Kennzeichen ……….ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte 433 UJs 13128/16 StA Rostock am 03.09.2016 gegen ca. 16:30 Uhr in einer Parktasche des Baumschulenweges in Rostock Höhe Hausnummern 1-5 abgestellt. Bei Eintreffen der Polizeibeamten gegen 17:06 Uhr brannte diese Fahrzeug “in voller Ausdehnung”. Eine Passantin hatte danach gegen 17:00 Uhr Rauch wahrgenommen, der unter der Motorhaube im Bereich des Kühlergrills oberhalb der Kennzeichentafel hervorkam.
Bei diesem Sachverhalt hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass der Brand durch einen Dritten verursacht worden ist. Hierfür fehlen jegliche belastbaren Anhaltspunkte. Es muss vielmehr eine Selbstentzündung vorgelegen haben, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeuges stand. Insoweit kann dahinstehen, ob ein solcher zeitlicher Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeuges dann zu verneinen ist, wenn sich der Brand mehrere Stunden nach dem Abstellen des Kraftfahrzeuges ereignet, weil dann keine Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs mehr tätig und der Motor nicht mehr warm ist (bei sieben oder acht Stunden verneinend: LG Köln, Urteil vom 05. Oktober 2017 – 2 O 372/16 –, juris).
Hier ist der Brand zeitlich so unmittelbar nach Abstellen des Fahrzeuges entstanden, dass eine Fremdverursachung des Brandes ausgeschlossen ist.
BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98
Die berühmte “Nikolaus”-Entscheidung des BVerfG
Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Quelle → VOLLTEXT / BVerfG / 06.12.2005 / 1 BvR 347/98
… wird weiter dann “konkretisiert” im Jahre 2017 durch:
BVerfG, Beschluss vom 11.04.2017 – 1 BvR 452/17
Verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Krankenversorgung erfordert eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage
Quelle → VOLLTEXT / BVerfG / 11.04.2017 / 1 BvR 452/17
OLG Bremen, Beschluss vom 20.06.2014 – 1 W 19/14
„Waldmeister“ als zulässiger Vorname – wohl kaum!
Den Eltern obliegt die Sorge für die Person des Kindes. Das umfasst auch das Recht, dem Kind einen Vornamen zu geben. Diesem Recht sind Grenzen gesetzt. Es kann kein Vorname gewählt werden, der die naheliegende Gefahr begründet, dass er den Namensträger der Lächerlichkeit preisgeben wird. So verhält es sich bei der Wahl des Vornamens „Waldmeister“.
Quelle: NJW-RR 2014, 1156
LSG Bayern, Urteil vom 11.12.2007 – L 3 U 159/05
Wegeunfall – alkoholisierter Fußgänger – BAK von 2,00 Promille – Heimweg von der Arbeit
Ein Fußgänger, der mit einer BAK von 2,00 Promille seinen Heimweg auf der falschen Fahrbahnseite fortsetzte und dabei verunglückte, steht gem § 8 Abs 2 Nr 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn mangels Vorliegens alkoholtypischen Fehlverhaltens nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Alkoholisierung eine wesentliche Mitursache für den Verkehrsunfall darstellte.
Quelle: BeckRS 2009, 51014 / beck-online
LAG Hamm, Urteil vom 21.02.2008 – 8 Sa 1736/07
Die Abfassung eines Urteils in Reimform stellt jedenfalls dann einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften dar, wenn hierdurch eine der Parteien in ihrer Würde verletzt und das Ansehen der staatlichen Gerichte beeinträchtigt wird. Der Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit wird durch die so umschriebenen Grenzen des Verfahrensrechts begrenzt.
Und wer noch nachlesen möchte, was denn hier in der 1. Instanz am Arbeitsgericht Detmold so gereimt wurde, dem sei ein Blick empfohlen:
→ Urteil im Volltext bei OPENJUR
Hier nur ein kurzer Auszug:
Auch wenn’s der Klägerin missfällt: es gibt für sie kein Schmerzensgeld; denn der Beklagte durfte hier sich äußern, wie er’s tat. Dafür gilt dies hier nur in den Verfahren – sonst darf er auch nichts offenbaren.
Er hat – um auf den Punkt zu kommen – insoweit etwas wahrgenommen, was der, der die Gesetze kennt „berechtigtes Interesse“ nennt. (vgl. § 193 StGB.) Zwar könnte man zu Recht hier fragen:
darf man denn einfach etwas sagen, wenn man es nur von anderen hört und dies wen es betrifft empört? Besteht nicht wenigstens die Pflicht, dass man sich informiert und nicht leichtfertig irgendwas verbreitet, was anderen Verdruss bereitet?
Dass der Beklagte so ganz „locker“ erfand das Treiben auf dem Hocker, er also nicht aus Zeugenmunde erfuhr die „sexuelle Kunde“, hat selbst die Klägerin nicht erklärt. So war es ihm auch nicht verwehrt die Kunde für sich selbst zu nützen, hierauf die Kündigung zu stützen.
ArbG Detmold, Urteil vom 23.08.2007 – 3 Ca 842/07
AG München, Urteil vom 27.11.2007, 315 C 37424/06
Schadensersatz bei Beschädigung von Kunstwerken und Denkmälern – Abzug neu für alt
Steht fest, dass eine 40 Jahre alte Säule aus Tuffstein vor ihrer unfallbedingten Beschädigung in ihrer Gesamtheit keinerlei Verwitterungsspuren aufzeigte und selbst die Patina in den Gesteinsspuren und Löchern zu keinen Verwitterungsspuren führte, so ist, wenn die Säule infolge der unfallbedingten Beschädigung ersetzt werden musste, ein Abzug neu für alt mangels messbarer Vermögensmehrung nicht gerechtfertigt.
Quelle: NJW 2008, 767