→ → → → → → →
Wie ist das eigentlich mit der Arbeitnehmerhaftung?
Es stellt sich nicht ganz selten die Frage, wann und ggfls. wie ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber für von ihm verursachte Schäden haftet, z.B. nach einem verschuldeten Unfall mit dem Dienstwagen.
Also dann hier mal ein paar Entscheidungen, die sicherlich Licht ins Dunkel bringen:
BAG, Urteil vom 27.09.1994, GS 1/89
Die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung gelten für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn diese Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind.
Die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung bei allen Arbeiten, die durch den Betrieb veranlaßt sind, folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 254 BGB.
Die Ersatzpflicht des Schädigers ist nach § 254 Abs. 1 BGB beschränkt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Die Verpflichtung zum Schadenersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes hängt dann von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Über den Wortlaut des § 254 BGB hinaus wird diese Vorschrift auch dann angewandt, wenn den Geschädigten zwar kein Verschulden trifft, er für den entstandenen Schaden aber aufgrund einer von ihm zu vertretenden Sach- oder Betriebsgefahr mitverantwortlich ist, wenn er also bei der Entstehung des Schadens in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Dabei ist anerkannt, daß sich eine nach Abwägung der Umstände im Einzelfall abgestimmte Schadensteilung zwischen der vollen Haftung des Schädigers und seiner vollen Entlastung bewegen kann (BGH BGHZ 52, 166, 168; BGH BGHZ 63, 189, 194).
Diese Rechtsgrundsätze gelten auch im Arbeitsverhältnis und führen zu einer Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung.
Und für alles Weitere empfehlen wir ein Studium der Urteilsgründe.
BAG, Urteil vom 18.01.2011, 7 Sa 802/10
Nach den damit anwendbaren Grundsätzen über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung hängt die Haftung desselben im Einzelfall entscheidend davon ab, welcher Verschuldensgrad ihm zur Last zu legen ist.
In Fällen der Arbeitnehmerhaftung muss sich das Verschulden nach der Rechtsprechung des Senats (grundlegend 18. April 2002 – 8 AZR 348/01 – BAGE 101, 107 = AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 122 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr. 70) nicht nur auf die Pflichtverletzung, sondern auch auf den Eintritt eines Schadens beziehen.
Und auch hier lohnt ein Blick in die Urteilsgründe, wie denn das BAG den Einzelfall eingeordnet hat.
ArbG Magdeburg, Urteil vom 07.12.2016, 11 Ca 1707/16
Haftung des Arbeitnehmers für die Beschädigung des Dienstfahrzeugs beim Ausparken
1. Ein Arbeitnehmer handelt grob fahrlässig, wenn er mit seinem Dienstfahrzeug rückwärtsfährt, ohne sich zu vergewissern, ob der Fahrweg hinter ihm frei ist. Es ist eine Selbstverständlichkeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen, ob der rückwärtige Fahrweg ungehindert befahren werden kann. Rückwärtsfahren ist auf Grund der eingeschränkten Sichtverhältnisse mit besonderen Gefahren verbunden. Dies gilt insbesondere für einen Kastenwagen wie den Renault Kangoo. Daher ist es zwingend erforderlich, sich vor der Fahrt zu vergewissern, dass der rückwärtige Fahrweg frei von Hindernissen ist. Notfalls muss der Arbeitnehmer noch einmal aussteigen, wenn er bemerkt, dass er aus einer Parklücke nur rückwärts herausfahren kann. Gegebenenfalls muss er sich durch einen Beifahrer herauswinken lassen. Ist der Fahrer allein, muss er notfalls einen Passanten bitten, ihm beim Rückwärtsfahren durch Handzeichen zu helfen.
2. Macht der Arbeitgeber nur seinen Selbstbehalt im Rahmen einer Vollkaskoversicherung in Höhe von 300 Euro geltend, muss der Arbeitnehmer den Schaden in dieser Höhe ersetzen. Dieser Betrag ist nicht so hoch, dass eine Haftungserleichterung geboten ist.
LAG Hessen, Urteil vom 27.05.2008, 12 Sa 1288/07
Schuldhaft verursachter Verkehrsunfall mit einem Dienstfahrzeug – Regress der Versicherung – Maßstab der groben Fahrlässigkeit bei einem Rotlichtverstoß
Aus den Gründen (zur interessanten Bewertung von – grober – Fahrlässigkeit):
Der Maßstab der groben Fahrlässigkeit, wie vom Arbeitsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umschrieben, setzt voraus, dass sich eine schwerwiegende Zuwiderhandlung wie das Überfahren einer roten Ampel subjektiv als unentschuldbares Fehlverhalten erweist, es z.B. auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurückgeht (OLG Frankfurt 11.05.2001 – 24 U 231/99 -; BGH 29.01.2003 – IV ZR 173/01 -).
Dies mag regelmäßig bei einem Rotlichtverstoß während der Teilnahme am rollenden Verkehr angenommen werden. Hier steht außer Frage, dass die gesamte Aufmerksamkeit uneingeschränkt und dauernd der Beobachtung der Verkehrssituation zu gelten hat und die gleichzeitige Ablenkung durch die Beschäftigung mit anderen Dingen als grob leichtsinnig oder nachlässig gewertet werden kann. Diese Bewertung des Pflichtverstoßes könnte auf die gegebene Situation nur dann ohne weiteres übertragen werden, wenn der Beklagte, ohne sich in irgendeiner Weise der Verkehrssituation zu vergewissern, lediglich auf ein vernommenes Hupzeichen angefahren wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat er, aufgeschreckt durch das Hupzeichen, weiter wahrgenommen, dass die Autos in der Spur rechts neben ihm losfuhren und dass, wenn auch fälschlich, die Ampelanlage am rechten Fahrbahnrand auch für den Geradeausverkehr Grün anzeigte. Der Grund für die Verursachung des Unfalls liegt also letztlich in einer Fehlwahrnehmung des Beklagten, nachdem er durch das Suchen eines Musiksenders abgelenkt war und durch ein Hupzeichen aufgeschreckt wurde. Fast jeder Autofahrer hat eine solche Situation schon einmal erlebt. Es ist ein Erfahrungswert und eine Eigenart menschlichen Verhaltens, dass in solchen Situationen, obwohl eigentlich angezeigt, nicht besonnen reagiert und vor der nächsten Handlung zunächst in Ruhe die Umgebung und die Situation geprüft werden, sondern dass das Hupen und Anfahren anderer Verkehrsteilnehmer inneren Druck und Unruhe erzeugen – wie beim Ertapptwerden bei einem Fehlverhalten -, die eher zu eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit 8nd überhasteten Reaktionen (Mitzieheffekt) führen. So ist zwar zu konstatieren, dass der Beklagte sich, nachdem er durch das Suchen eines Radiosenders die Verkehrssituation an der Kreuzung nicht mehr wahrnahm, vor dem Anfahren sorgfältig die Verkehrsverhältnisse hätte prüfen müssen. Dass er dies unterlassen hat und eine überhastete Reaktion zu einer Falschwahrnehmung führte, stellt aus den ausgeführten Überlegungen nur ein einfach, aber kein grob fahrlässiges Verhalten dar.
LAG Köln, Urteil vom 27.01.2011, 7 Sa 802/10
Hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, für Schäden, die ein Arbeitnehmer in Ausübung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit verursacht hat, eine Versicherung in Anspruch zu nehmen, so gebietet es die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht, hiervon vorrangig Gebrauch zu machen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus Arbeitnehmerhaftung kommt dann grundsätzlich nur für solche Schäden in Betracht, für die die vorhandene Versicherung nicht eintritt oder für die diese ihrerseits Regress beim Arbeitnehmer nehmen könnte.
ArbG Siegburg, Urteil vom 11.04.2019, 1 Ca 1225/18
Haftung des Arbeitnehmers für Unfall wegen nicht ordnungsgemäß angezogener Handbremse
Das Verhalten des Beklagten erfüllt den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz nahe liegen und im gegebenen Fall Jedem hätten einleuchten müssen. Im Unterschied zum objektiven Maßstab bei einfacher Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Dazu gehört, ob die Gefahr erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war. Weiter ist zu berücksichtigen, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (BAG NJW 2003, 377).
Danach gilt hier: Die Straße, auf der der Beklagte den Transporter abgestellt hatte, ist relativ stark abschüssig (Gefälle ca. 10%). Das Abstellen eines Fahrzeuges auf einer derart abschüssigen Straße birgt eine erhebliche Unfallgefahr, sodass sich jedem aufdrängen muss, dass besondere Sicherungsmaßnahmen gegen das Abrollen zu treffen sind. Schon nach dem Vortrag des Beklagten war das auch für ihn erkennbar, denn er behauptet ja gerade, sowohl die Handbremse maximal angezogen als auch einen Gang eingelegt zu haben.
Ein Augenblicksversagen liegt nicht vor. Zwar können subjektive Besonderheiten im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen, grobe Fahrlässigkeit kann aber gerade nicht deshalb verneint werden, weil der Handelnde nur für einen Augenblick versagte, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (BAG NJW 1999, 966).
Umstände, die das Unterlassen der Sicherungsmaßnahmen vorliegend unter dem Gesichtspunkt des Augenblickversagens grob fahrlässig erscheinen lassen, hat der Beklagte nicht vorgetragen. Der Abrollunfall ereignete sich gegen 12:30 Uhr und damit ca. 4 Stunden nach Beginn seiner Tätigkeit. Wenn der Transporter zu diesem Zeitpunkt noch voll beladen gewesen wäre, was der Beklagte mit der Klageerwiderung behauptet, kann zum Zeitpunkt des Unfallereignisses an diesem Tag noch nicht besonders häufig ein Abstellen des Fahrzeuges und Sichern erforderlich gewesen sein. Doch selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, ist ein Augenblicksversagen nicht anzunehmen, denn aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich nicht, dass er durch äußere Umstände abgelenkt gewesen wäre und er deshalb den Routinehandgriff vergessen hätte.
Eine Haftungsbeschränkung, die zur einer Reduzierung des Haftungsbetrages führen würde, kommt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht in Betracht. In der Regel haftet der Arbeitnehmer auch nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in vollem Umfang (BAG NZA 1994, 1083). Zwar sind auch bei gröbster Fahrlässigkeit Haftungserleichterungen nicht ausgeschlossen (BAG NZA 2011, 345). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Tarifvertragsparteien eine Beschränkung der Schadenshaftung für den Fall grober Fahrlässigkeit bereits vorgesehen haben. Nach § 12 Abs.2 MTV-E. ist die Haftung auf maximal drei Bruttomonatsverdienste beschränkt. Als angemessen wird in der juristischen Literatur eine Grenze von zwei bis drei Bruttomonatsverdiensten angesehen (vgl. Fuchs/Baumgärtner in BeckOK BGB, § 611 a Rn 75).