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BAG, Urteil vom 13.10.2022 – 2 C 24.21
Beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit bei als Arbeitszeit zu qualifizierenden Pausenzeiten (“Pausen in Bereithaltung”)
Ein Beamter hat Anspruch auf Freizeitausgleich, soweit die ihm gewährten Pausenzeiten in “Bereithaltung” als Arbeitszeit zu qualifizieren sind und hieraus eine dienstliche Inanspruchnahme über die durchschnittlich zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus resultiert. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Hintergrund und Entscheidungsgründe (aus Pressemitteilung Nr. 63/2022 vom 13.10.2022):
Für die insoweit vorzunehmende Abgrenzung ist maßgeblich, ob die im Rahmen einer Pausenzeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie die Möglichkeiten, sich zu entspannen und sich Tätigkeiten nach Wahl zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beschränken. Solche objektiv ganz erheblichen Beschränkungen liegen vor, wenn ein Bundespolizeibeamter anlässlich von Maßnahmen der präventiven oder repressiven Gefahrenabwehr (im vorliegenden Fall Durchsuchungsmaßnahmen und die Vollstreckung eines Haftbefehls) seine ständige Erreichbarkeit verbunden mit der Pflicht zur sofortigen Dienstaufnahme während der ihm gewährten Pausenzeiten sicherstellen muss. In diesem Fall sind die Pausenzeiten als Arbeitszeit zu qualifizieren. Auf den Umfang der tatsächlichen dienstlichen Inanspruchnahme kommt es nicht an. Die Verpflichtung zum Tragen von Einsatzkleidung sowie zum Mitführen von Dienstwaffe und Dienstfahrzeug genügen für sich betrachtet jedoch nicht.
BAG, Beschluss vom 19.10.2022 – 7 ABR 27/21
Fortbestand der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten in einem Betrieb unter fünf
Die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten. Sie wird nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX u.a. in Betrieben mit wenigstens fünf – nicht nur vorübergehend beschäftigten – schwerbehinderten Menschen für eine Amtszeit von regelmäßig vier Jahren gewählt.
Sinkt die Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf, ist das Amt der Schwerbehindertenvertretung nicht vorzeitig beendet.
LAG MV, Urteil vom 26.07.2022 – 5 Sa 284/21
Sittenwidrige Arbeitsvergütung – Tariflohn – Wirtschaftsgebiet
1. Von der Üblichkeit der Tarifvergütung kann ohne weiteres ausgegangen werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen.
2. Wirtschaftsgebiet ist bei ortsgebunden tätigen Unternehmen regelmäßig der räumliche Bereich, in dem die Betriebsstätte liegt und aus dem der wesentliche Teil des Personals stammt.
3. Der räumliche Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages kann über ein bestimmtes Wirtschaftsgebiet hinausgehen.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 26.07.2022 / 5 Sa 284/21
SG Landshut, Urteil vom 18.07.2022 – S 16 AL 135/20
I. Wird das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages gelöst, liegt ein wichtiger Grund i. S. d § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III vor, wenn der Arbeitgeber mit einer objektiv recht- mäßigen betriebsbedingten Kündigung zu dem Zeitpunkt droht, zu dem das Arbeitsverhältnis gelöst wird, und dem Arbeitnehmer die Hinnahme dieser Kündigung nicht zuzumuten ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 12.07.206, Az. B 11a AL 47/05 R).
II. Im Falle einer drohenden, rechtmäßigen Arbeitergeberkündigung zum selben Zeitpunkt kann eine höhere Abfindung, die im Fall eines Aufhebungs vertrages gezahlt wird, ein schützenswertes Interesse darstellen, und zwar auch dann, wenn die Abfindung nicht um mindestens 10 % höher ist als im Falle einer Kündigung.
Quelle → SG Landshut / 18.07.2022 /S 16 AL 135/20
LAG MV, Urteil vom 21.06.2022 – 5 Sa 245/21
Außerordentliche Kündigung wegen Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs – Erforderlichkeit einer Abmahnung
Hat ein Arbeitgeber in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet und nutzt sodann ein Arbeitnehmer das Fahrzeug ohne Erlaubnis mangels Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zum Vorgesetzten, kann es vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich sein, diese Pflichtverletzung abzumahnen.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 5 Sa 245/21
BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 366/21
Die im Rahmen eines allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung ist kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2022, 14 Sa 825/21
Personenbedingte Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen – Referenzzeitraum – 6/2-Schichtsystem – Betriebliches Eingliederungsmanagement – Einvernehmlicher Abschluss
Ein Referenzzeitraum von zwei Jahren vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen kann eine hinreichende Basis der negativen Prognose zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten sein.
Zur Feststellung zu erwartender Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich: Bei Anwendung eines 6/2-Schichtsystems müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten insgesamt 31,5 Arbeitstage jährlich übersteigen.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll (BAG 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 29). Wie der Arbeitnehmer von vornherein die Zustimmung zur Durchführung eines bEM nicht erteilen kann, sodass es überhaupt nicht begonnen wird, so kann das bEM einvernehmlich beendet werden, und zwar unabhängig davon, wie weit es vorangebracht wurde. Es kommt dann darauf an, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden sollte.
LAG MV, Urteil vom 31.05.2022, 5 Sa 258/21
Eingruppierung einer Servicekraft in einer Cafeteria
Die Tätigkeit einer Servicekraft in der Cafeteria einer Klinik stellt, selbst wenn die Beschäftigte über eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens drei Jahren (z. B. Restaurantfachfrau) verfügt, nicht allein deshalb eine Beschäftigung in diesem oder einem diesem verwandten Beruf dar.
In ihrem Ausbildungsberuf beschäftigt ist diejenige Mitarbeiterin, die regelmäßig die wesentlichen zu diesem Berufsbild gehörenden Tätigkeiten auszuüben hat. Es reicht nicht aus, dass die Beschäftigte einzelne Tätigkeiten aus diesem Berufsbild wahrnimmt und es auf begrenzten Teilgebieten zu Überschneidungen kommt.
Die “eingehende Einarbeitung” unterscheidet sich von der “Einarbeitung” durch den Umfang der zur Erledigung der Aufgaben benötigten Kenntnisse und Fertigkeiten. Von einer eingehenden Einarbeitung ist auszugehen, wenn eine nicht oder nicht einschlägig ausgebildete Kraft sich die für die Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten üblicherweise nicht innerhalb weniger Wochen aneignen kann, sondern eine deutlich längere Einarbeitungsphase benötigt.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 31.05.2022 / 5 Sa 258/21
BAG, Urteil vom 30.03.2022, 10 AZR 419/19
Beteiligung an Privatliquidationserlösen – nachgeordnete Ärzte – konkludenter Vertragsschluss – Vertrag zugunsten Dritter
Ist ein nachgeordneter Arzt aufgrund seines mit dem Krankenhausträger geschlossenen Arbeitsvertrags verpflichtet, an den Behandlungen von Privatpatienten des leitenden Arztes mitzuwirken, besteht zwischen leitendem und nachgeordnetem Arzt regelmäßig keine unmittelbare vertragliche Beziehung, aus der sich Ansprüche wegen dessen Mitwirkung ergeben. Sie kann aber durch gesonderte Vereinbarung begründet werden.
Ein Anspruch des nachgeordneten Arztes, an den Privatliquidationserlösen des leitenden Arztes beteiligt zu werden, kann sich aus einer zwischen leitendem und nachgeordnetem Arzt getroffenen Vereinbarung oder aus dem zwischen leitenden Arzt und dem Krankenhausträger geschlossenen Vertrag als echter Vertrag zugunsten Dritter ergeben.
Quelle: Beck-Verlag / FD-ArbR 2022, 450455
LAG Hamm, Urteil vom 17.02.2022, 5 Sa 872/21
Urlaubsanspruch bei mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit; Befristung/Erlöschen des Urlaubsanspruchs, Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers
Bleibt ein Arbeitnehmer auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (im Anschluss an BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 – 27).
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.02.2022, 8 Sa 241/21
Vereinbarung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses bei fehlender Absprache zum Stundenumfang
Wenn keine Teilzeitvereinbarung getroffen wird, ist im Regelfall davon auszugehen, dass im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis vereinbart sein soll (BAG, Urt. v. 21.06.2011 – 9 AZR 236/10-, BeckRS 2011, 76878; Urt. v. 08.10.2008 – 5 AZR 715/07, Rn. 19, BeckRS 2009, 50370).
Gelingt einem Arbeitnehmer der Beweis nicht, die zugewiesene Arbeit geleistet zu haben, muss er das Risiko des Prozessverlustes tragen, wenn sich die sein Begehren tragenden Tatsachen nicht feststellen lassen (BAG, Urt. v. 18.04.2012 – 5 AZR 248/11- Rn. 13 – 15, BeckRS 2012, 70850; u.a.)
Hinweis (Stand 28.08.2022): Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 5 AZN 317/22
Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2022, 18362
LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 03.05.2022, 2 Sa 280/21
Streit zur Angemessenheit von Ausbildungsvergütung ( hier für Kraftfahrzeugmechatroniker
Eine vereinbarte Ausbildungsvergütung die die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20% unterschreitet, ist in der Regel nicht angemessen im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG a.F. (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 07.10.2020 – 6 Sa 39/20).
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2022, 15855
LAG Köln, Beschluss vom 06.05.2022, 9 Ta 18/22
Zur Arbeitnehmereigenschaft eines „freiberuflich“ angestellten Praxisvertreters, der selbst die Steuern und Sozialbeiträge abführen sollte (hier bejaht).
Aus den Gründen:
Die Rechtsprechung hat vielmehr im Rahmen zahlreicher Einzelfallentscheidungen Kriterien zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit im Gesundheitswesen herausgearbeitet. Wichtige Gesichtspunkte sind danach: die freie Zeiteinteilung, der Einsatz eigener Betriebsmittel, eigene Angestellte, das Tragen von unternehmerischem Risiko, sowie die Möglichkeit, aus den erzielten Honoraren eine eigene Altersversorgung aufzubauen (Halbe, Deutsches Ärzteblatt 2021, 1376, 1377).
…
Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen war der Kläger nicht berechtigt, seine Arbeitszeiten frei einzuteilen. Sie waren ihm detailliert einschließlich der Lage und Dauer der Pausen für insgesamt vier Arbeitstage/Woche vorgegeben.
Von Bedeutung ist zudem, dass der Kläger aufgrund der vertraglich festgelegten Arbeitszeiten faktisch nicht die Möglichkeit hatte, in beachtlichem Umfang für weitere Auftraggeber tätig zu sein und dementsprechend werbend am Markt aufzutreten.
Dass der Kläger innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten aufgrund der Abwesenheit der Beklagten seinen medizinischen Auftrag nach eigenem Ermessen gestalten konnte, im Wesentlichen keinen Einzelanweisungen der Beklagten unterlag und IGEL-Verträge und -Rezepte nach eigener Entscheidung ausgegeben bzw. abgeschlossen hatte, liegt an der Eigenart der ärztlichen Praxisvertretung und spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.
Von Bedeutung ist hingegen, dass der Kläger über keine eigenen Betriebsmittel verfügte, sondern die Einrichtungen und Betriebsmittel der Praxis nutzte.
Dass die Parteien keine Regelungen zu Entgeltfortzahlung und Urlaub getroffen haben, ändert an der Unselbstständigkeit der klägerischen Tätigkeit nichts. Denn entsprechende Ansprüche wären die Rechtsfolge einer unselbstständigen Beschäftigung als Arbeitnehmer und könnten nicht umgekehrt den Status des Klägers als Freiberufler begründen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 1/21 R –, Rn. 28 – 29, juris).
Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger eine eigene Berufshaftpflichtversicherung abschließen musste.
Entscheidend für ein Arbeitsverhältnis spricht schließlich, dass der Kläger kein nennenswertes unternehmerisches Risiko trug, wie es für Selbstständige typisch ist…
LAG MV, Urteil vom 05.04.2022, 5 Sa 282/21
Erteilung ordnungsgemäßer Lohnabrechnungen
Im Falle einer Nachzahlung von Arbeitsentgelt kann ein Arbeitnehmer nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht die Berichtigung der bereits erteilten Abrechnungen beanspruchen, sondern nur eine eigene Abrechnung über die Nachzahlung.
Aus der Abrechnung muss erkennbar sein, wie sich das gezahlte Arbeitsentgelt zusammensetzt. Ausschlaggebend ist dabei, welche Gehaltsbestandteile der Arbeitgeber tatsächlich zugrunde gelegt hat. Diese Gehaltsbestandteile sind korrekt auszuweisen. Gehaltsbestandteile dürfen weder zu einer einzigen Summe zusammengefasst noch darf das Gehalt fiktiv in tatsächlich nicht geleistete Bestandteile aufgespalten werden.
LAG MV, Urteil vom 29.03.2022, 2 Sa 2/21
Öffentlicher Dienst – Beschäftigung – Wochenenddienst – Gleichstellung – Schwerbehinderung – behindertengerechter Einsatz – unzulässige Mehrarbeit – Globalantrag
1. § 164 Abs. 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber nicht, wegen der Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den er nach seinem Organisationskonzept nicht benötigt.
2. Soll gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX eine generelle Herausnahme aus der Einteilung zum Wochenenddienst erfolgen, ist Voraussetzung, dass die Behinderung des Arbeitnehmers eine Arbeitszeit erfordert, die so gestaltet ist, dass Wochenenddienste ausgeschlossen sind.
3. Beansprucht ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, nicht mehr zu Wochenenddiensten herangezogen zu werden, muss er darlegen und ggf. beweisen, die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen zu können. Dazu obliegt es ihm vorzutragen, inwieweit sein Leistungsvermögen durch die Auswirkungen der Art und Schwere seiner Behinderung so eingeschränkt ist, dass er die ihm übertragene Sonderform der Arbeit nicht mehr leisten kann.
4. Die Anordnung von Wochenenddiensten ist grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst. Dieses wird durch die Vorschrift des § 207 SGB IX begrenzt. Schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte werden danach auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt und dürfen von ihrem Arbeitgeber nicht zu einer solchen herangezogen werden.
5. Mehrarbeit im Sinne von § 207 SGB IX liegt vor, wenn die werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden oder die Verteilung der Arbeitszeit auf 6 Tage in der Woche überschritten wird.
6. Ein eine Vielzahl von Fallgestaltungen umfassender Antrag (Globalantrag) ist als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn auch Sachverhalte fallen, in denen das Antragsbegehren erfolglos ist.
Quelle → LAG MV / 29.03.2022 / 2 Sa 2/21
LAG MV, Urteil vom 15.03.2022, 5 Sa 122/21
Außerordentliche Kündigung – Kündigungserklärungsfrist – Elternzeit
Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber im Falle von Mutterschutz oder Elternzeit die behördliche Zulässigkeitserklärung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist beantragt hat, gegen die Versagung der Zulässigkeitserklärung rechtzeitig Widerspruch bzw. Klage erhoben hat und sodann die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Wegfall des Zustimmungserfordernisses (Ende des Mutterschutzes oder der Elternzeit) ausspricht.
Aus den Gründen:
Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Nach dieser Vorschrift kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
Hängt der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung von einer Zulässigkeitserklärung nach § 17 Abs. 2 MuSchG oder § 18 Abs. 1 BEEG ab, ist die Kündigungserklärungsfrist eingehalten, wenn innerhalb der Zwei-Wochen-Frist der entsprechende Antrag gestellt worden ist und die Kündigung nach Zustellung des die Kündigung für zulässig erklärenden Bescheides unverzüglich ausgesprochen wird (ErfK/Niemann, 22. Aufl. 2022, § 626 BGB, Rn. 227). Damit wird weder die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB umgangen, wie die Klägerin meint, noch der Sonderkündigungsschutz in der Schwangerschaft bzw. Elternzeit. Vielmehr sind auf diese Weise beide Regelungen in Einklang zu bringen. Es sind sowohl der Sinn und Zweck der Kündigungserklärungsfrist gewahrt, zeitnah Rechtssicherheit zu schaffen, als auch der Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes, während der Schwangerschaft oder Elternzeit vorübergehend einen erhöhten Bestandsschutz zu gewährleisten.
Der behördlichen Zulässigkeitserklärung steht der Wegfall des Zustimmungserfordernisses gleich. Ab Kenntnis der zum Wegfall des Zustimmungserfordernisses führenden Ereignisse ist die Kündigung unverzüglich auszusprechen, d. h. in der Regel am ersten folgenden Arbeitstag (LAG Köln, Urteil vom 21. Januar 2000 – 11 Sa 1195/99 – Rn. 11, juris = NZA-RR 2001, 303; ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, § 7 MuSchG, Rn. 16; Brose/Weth/Volk, Mutterschutzgesetz und Bundeserziehungsgeldgesetz, 9. Auflage 2020, § 17 MuSchG, Rn. 253).
Quelle → LAG MV / 15.03.2022 / 5 Sa 122/21
LAG Berlin-Brandenburg vom 16.03.2022, 23 Sa 1133/21
Keine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrages allein mit Scan der Unterschrift
Für eine wirksame Befristung eines Arbeitsvertrages reicht eine eingescannte Unterschrift nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitsvertrag nur für einige wenige Tage geschlossen worden ist.
Die vereinbarte Befristung sei mangels Einhaltung der gemäß § 14 Absatz 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz zwingend vorgeschriebenen Schriftform unwirksam. Schriftform im Sinne des § 126 Bürgerliches Gesetzbuch erfordere eine eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur. Der vorliegende Scan einer Unterschrift genüge diesen Anforderungen nicht. Bei einer mechanischen Vervielfältigung der Unterschrift, auch durch datenmäßige Vervielfältigung durch Computereinblendung in Form eines Scan liege keine Eigenhändigkeit vor. Den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur genüge ein Scan ebenfalls nicht. Eine etwaige spätere eigenhändige Unterzeichnung des befristeten Vertrages auch durch den Personalverleiher führe nicht zur Wirksamkeit der Befristung. Vielmehr müsse die eigenhändig unterzeichnete Befristungsabrede bei der Klägerin als Erklärungsempfängerin vor Vertragsbeginn vorliegen. Dass die Klägerin diese Praxis in der Vergangenheit hingenommen habe, stehe der jetzt innerhalb der dreiwöchigen Frist nach vorgesehenem Befristungsablauf gemäß § 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz erhobenen Klage nicht entgegen. Die Klägerin verhalte sich mit ihrer Klage nicht treuwidrig, vielmehr sei ein etwaiges arbeitgeberseitiges Vertrauen in eine solche nicht rechtskonforme Praxis nicht schützenswert. Aufgrund der Unwirksamkeit der Befristungsabrede bestehe das Arbeitsverhältnis bis zur Beendigung durch die zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung fort.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.
Quelle → Pressemitteilung AG Berlin Nr. 07/22 vom 13.04.2022
ArbG Köln, Urteil vom 23.03.2022, 18 Ca 6830/21
Fristlose Kündigung bei Vorlage eines gefälschten Impfpasses
Die Arbeitgeberin kann berechtigt sein, in Erfüllung der Verpflichtung zur Kontrolle der Einhaltung von gesetzlichen Infektionsschutzregeln die ihr durch eine Arbeitnehmerin übermittelten Impfdaten mit öffentlich zugänglichen Informationen über Verfügbarkeiten von Impf-Chargen abzugleichen, um einen etwaigen Verstoß gegen die gesetzlichen Regeln über den Zutritt zum Betrieb aufzudecken.
Die Vorlage eines unrichtigen Impfnachweises („gefälschter Impfausweis“) kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
LAG Baden-Württemberg vom 2.2.2022, 19 Sa 63/21
Dienstplan – Bereitschaftsdienst – Rufbereitschaft – Zuschlag – TV-Ärzte/VKA
Nach § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung wird die Lage der Dienste der Ärztinnen und Ärzte in einem Dienstplan geregelt, der spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes aufgestellt wird. Wird die vorstehende Frist nicht eingehalten, so erhöht sich die Bewertung des Bereitschaftsdienstes bzw. wird zusätzlich zum Rufbereitschaftsentgelt ein Zuschlag auf jeden Dienst gezahlt.
Diese Rechtsfolge tritt nicht bereits dann ein, wenn die Dienste entsprechend dem rechtzeitig bekanntgegebenen Dienstplan geleistet werden, aber ein betriebliches Mitbestimmungsverfahren zuvor nicht abgeschlossen wurde und der Betriebsrat bzw. Personalrat auch nicht nachträglich dem Dienstplan zugestimmt hat. Das folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck von § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA, den betroffenen Arbeitskräften Planungssicherheit für ihre außerdienstlichen Aktivitäten zu gewährleisten. Die Zuschlagspflicht ist keine Sanktion für mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.
Quelle → VOLLTEXT / LAG BW / 02.02.2022 / 19 Sa 63/21
BAG, Urteil vom 08.12.2021, 10 AZR 641/19
Ersatzruhetage für auf Werktage fallende Feiertage
Werden Arbeitnehmer an einem auf einen Werktag fallenden Feiertag beschäftigt, müssen sie nach § 11 Abs. 3 Satz 2 ArbZG einen Ersatzruhetag haben. Ein Ersatzruhetag in diesem Sinn ist ein Werktag, an dem der Arbeitnehmer von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr keine Arbeitsleistung erbringt. Ein davon abweichender individueller Zeitraum mit einer Dauer von 24 Stunden genügt nicht.
Quelle → BAG / URTEIL / 08.12.2021 / 10 AZR 641/19
BFH, Urteil vom 03.04.2019, VI R 46/17
Häusliches Arbeitszimmer muss für die Tätigkeit nicht erforderlich sein
Ein Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer setzt nicht voraussetzt, dass das Arbeitszimmer für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Wird der Raum ausschließlich oder nahezu ausschließlich für betriebliche/berufliche Zwecke genutzt, genügt das für den Abzug.
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer können grundsätzlich nicht als Werbungskosten abgezogen werden (§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes). Anders ist dies, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall können Aufwendungen bis zu 1.250 € im Rahmen der Einkommensteuer berücksichtigt werden. Bildet das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung, können die Aufwendungen der Höhe nach unbeschränkt abgezogen werden.
Das Gesetz regelt unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abziehbar sind. Insoweit typisiert das Gesetz die Erforderlichkeit der beruflichen oder betrieblichen Nutzung des Arbeitszimmers für die Fälle, dass kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten Betätigung bildet, ohne den Begriff der Erforderlichkeit zu einer zu überprüfenden Voraussetzung für den Abzug zu machen. Ob der Steuerpflichtige die Arbeiten, für die ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, leicht an einem anderen Ort in der Wohnung – am Küchentisch, im Esszimmer oder in einem anderen Raum – hätte erledigen können, ist deshalb unerheblich.
Quelle: Pressemitteilung des BFH vom 24. März 2022 – Nummer 13/22
LAG Berlin-Brandenburg vom 14.10.2021, 5 Sa 707/21
Arbeitszeitverringerung – Organisationskonzept – Rechtsmissbrauch
1. Es ist rechtsmissbräuchlich, den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit in einem Umfang von nicht einmal 10 % allein deshalb geltend zu machen, damit zukünftig die Einteilung in eine bestimmte Schicht nicht mehr erfolgt.
2. Zu einer Arbeitszeitverringerung entgegenstehenden betrieblichen Gründen bei fehlenden Ersatzkapazitäten.
BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21
Ein Arbeitgeber darf Abschluss eines Aufhebungsvertrages an sofortige Annahme knüpfen
Ein Aufhebungsvertrag kann unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.01.2022 – 10 Sa 1286/21
Bei der Eingruppierung von Lehrerinnen in ein Eingangsamt kommt es auf ihre gesundheitliche Eignung nicht an.
Quelle → VOLLTEXT / LAG BerlinBrandenburg / 10 Sa 1286/21
Hessisches LAG, Beschluss vom 01.02.2022, 19 Ta 507/21
Kündigungsschutzklage eines Geschäftsführers vor dem Arbeitsgericht, wenn …
Wenn ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer anzusehen ist, steht ihm für seine Kündigungsschutzklage der Weg zu den Arbeitsgerichten zur Verfügung.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.2021, 12 Sa 600/21
Betriebsbedingte Kündigung mit Auslandsbezug – Massenentlassung – Betriebsübergang – Sektorzulage
1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden.
4. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).
5. Die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit per Telefax genügt der Schriftform des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.
6. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 – 14 Sa 1225/20, juris).
7. Zur Zahlung einer sog. Sektorzulage aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, deren Höhe und deren prozessualer Geltendmachung im Falle eines streitigen Betriebsübergangs.
LAG Thüringen, Urteil vom 28.04.2021 – 6 Sa 304/18
Höhe der Urlaubsabgeltung – unverschuldete Arbeitsversäumnis
Endet ein Arbeitsverhältnis nach längerer Zeit unverschuldeter Arbeitsversäumnis, bemisst sich die Höhe einer Urlaubsabgeltung nach dem Verdienst der letzten 13 Wochen des Arbeitsverhältnisses, für die ein Anspruch auf Vergütung bestand.
Verschuldet im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG ist eine Arbeitsversäumnis erst bei einem gröblichen Verstoß gegen Verhaltenspflichten, deren Einhaltung von jedem verständigen Menschen im eigenen Interesse, sich selbst nicht zu schädigen, erwartet werden kann.
Hinweis: Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt zum Aktenzeichen 9 AZN 442/21
LAG Hamm, Urteil vom 10.01.2022 – 14 Sa 938/21
(Hier) keine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage
Im Falle eigener Unkenntnis von der Notwendigkeit, innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage zu erheben, kommt eine nachträgliche Zulassung nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete, zuverlässige Stelle wendet und von dort eine für die Fristversäumnis ursächliche unrichtige Auskunft erhält …
Ein Betriebsrat ist nach allgemeiner Auffassung keine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle, so dass dessen unrichtige Auskunft die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht rechtfertigen kann …
Umstritten ist, ob eine Ausnahme besteht, wenn es sich um einen Großbetrieb handelt und der Betriebsrat eine Fachkompetenz aufgrund bestimmter Umstände kundtut …
Mehr (auch zum Meinungsstreit) unter → LAG HAMM / 14 Sa 938/21
LAG Köln, Urteil vom 23.06.2021 – 11 Sa 876/20
Wirksamkeit der Änderungskündigung
Die Änderungskündigung ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen. Das Änderungsangebot muss so konkret gefasst sein, dass es der Arbeitnehmer ohne Weiteres annehmen kann. Ihm muss klar sein, welche Vertragsbedingungen künftig gelten sollen. Nur so kann er eine abgewogene Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots treffen. Er muss von Gesetzes wegen innerhalb der kurzen Frist des § 2 Satz 2 KSchG auf das Vertragsangebot des Arbeitgebers reagieren und sich entscheiden, ob er es ablehnt, ob er es mit oder ohne Vorbehalt annimmt. Schon im Interesse der Rechtssicherheit muss deshalb das Änderungsangebot zweifelsfrei klarstellen, zu welchen Vertragsbedingungen das Arbeitsverhältnis künftig fortbestehen soll. Unklarheiten gehen zulasten des Arbeitgebers. Allerdings genügt ein Änderungsangebot dem Bestimmtheitsgebot auch dann, wenn sich ihm nach Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zweifelsfrei entnehmen lässt, welche Arbeitsbedingungen künftig gelten sollen. Dabei können und müssen auch außerhalb des Kündigungsschreibens liegende, zur Erforschung seines Inhalts geeignete Umstände herangezogen und berücksichtigt werden. Da sich das Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht nur auf die Kündigungserklärung als solche, sondern auch auf das Änderungsangebot erstreckt, ist nach der Ermittlung des vom Erklärenden Gewollten aber zu prüfen, ob dieser Wille in der Urkunde noch einen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Bei formbedürftigen Erklärungen ist nur der Wille beachtlich, der unter Wahrung der vorgeschriebenen Form erklärt worden ist (BAG, Urt. v. 21.05.2019 – 2 AZR 26/19 – m. w. N.).
Die Beklagte hat in ihrem Änderungsangebot nicht ausdrücklich erläutert, wie sich die gesonderte Vergütung für die Teilnahme am Rufbereitschaftsdienst der inneren Medizin gestaltet. Das Änderungsangebot enthält auch keinen Hinweis darauf, dass die Vergütung nach hauseigenen Regelungen erfolgt. Erst Recht ist dem Angebot nicht zu entnehmen, dass eine Anspruchskonkurrenz zwischen dem praktizierten betrieblichen Vergütungssystem, welches auf einer Pauschale aufbaut, die unstreitig nicht mit den Vergütungsregelungen der AVR Caritas übereinstimmt, sowie den Bestimmungen der AVR Caritas im Sinne des Günstigkeitsprinzips aufgelöst wird. Selbst wenn die Klägerin dem Grund nach Kenntnis von der hauseigenen Pauschalregelung hatte, so ist damit noch nicht gesagt, dass ihr die im Jahr 2019 aktuellen Pauschalsätze bekannt waren. Dies ist umso mehr fraglich, da die Auskünfte der Beklagten zur Höhe der Pauschalvergütung in den Schreiben 26.03.2020 und 08.04.2020 widersprüchlich waren.
Zusammenfassend ist daher feststellen, dass das Änderungsangebot mit erheblichen Zweifeln behaftet war und dem Bestimmtheitsgebot nicht genügte.
LAG MV, Urteil vom 19.01.2022, 5 TaBV 8/21
Eingruppierung öffentlicher Dienst – Haustechniker – hochwertige Arbeiten – besonders hochwertige Arbeiten
1. Die Tätigkeit eines Haustechnikers in einem Museum, der sicherheitstechnische Anlagen betreut, kann erhöhte Anforderungen an das Überlegungsvermögen und an das fachliche Geschick stellen, sodass es sich um hochwertige Arbeiten im Sinne der Entgeltgruppe 6 Teil A, Abschnitt I, Ziffer 2 der Entgeltordnung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-V) handelt.
2. Besonders hochwertige Arbeiten im tariflichen Sinne erbringt ein Haustechniker regelmäßig erst dann, wenn die Fachkenntnisse des einschlägigen Ausbildungsberufs für die Tätigkeiten nicht mehr ausreichen, sondern weitergehende, insbesondere fachübergreifende, Kenntnisse nötig sind.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 19.01.2022 / 5 TaBV 8/21
LAG Köln, Urteil vom 24.2.2021 – 11 Sa 555/20
Änderung der auszuübenden Tätigkeit / Hauptabrede
Eine Änderung der auszuübenden Tätigkeit stellt eine Hauptabrede dar, die formfrei erfolgen kann. Einer schriftlichen, von beiden Parteien im Sinne des § 126 BGB unterzeichneten Änderungsvereinbarung bedarf es nicht.
Aus den Gründen:
Eine formbedürftige Nebenabrede liegt hingegen nicht vor, wenn die Abrede den Bestand oder den Umfang der Hauptrechte und Hauptpflichten aus dem Vertragsverhältnis unmittelbar betrifft (BAG, Urt. v. 27.07.2005 – 7 AZR 486/04 – m. w. N.).
Quelle: Beck-Verlage, BeckRS 2021, 44767 beck-online
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.01.2022, 1 Sa 159/21
Anscheinsbeweis – Einwurf-Einschreiben – Kündigung – Zugang
Wird ein Küdigungseinschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger (wie BGH v. 27.9.2016 – II ZR 299/15 – ; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 12.03.2019 – 2 Sa 139/18 – ; LAG Baden-Württemberg v. 28.07.2021 – 4 Sa 68/20; gegen: LAG Rheinland-Pfalz v. 17.09.2019 – 5 Sa 18/13 – ; ArbG Düsseldorf v. 22.02.2019 – 14 Ca 465/19).
BAG, Urteil vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20
Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung
Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der/die erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.
Zu diesen Vorschriften gehört § 165 Satz 1 SGB IX**, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden. Um dieser Bestimmung zu genügen, reicht allein die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit nicht aus.
BAG, Urteil vom 18.11.2021 – 2 AZR 229/21
Hausangestellte – Arbeitgeberstellung von Ehegatten – Maßregelungsverbot
Ein von einem Ehegatten mit einem Arbeitnehmer in Bezug auf den Haushalt der Eheleute begründetes Arbeitsverhältnis führt nicht stets und unabhängig von den konkreten Erklärungen zu einer Mitverpflichtung des anderen Ehegatten als Arbeitgeber.
Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund für die benachteiligende Maßnahme ist. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, ist auf das wesentliche Motiv abzustellen.
Hinweis → Der Senat hat offengelassen, ob die Regelung in § 1357 I BGB die Annahme nahelegt, dass ein Arbeitsverhältnis mit Eheleuten auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Norm stets von einem Ehegatten gekündigt werden kann.
Quelle: NZA 2022, 200
Volltext → BAG / Urteil vom 18.11.2021 / 2 AZR 229/21
ArbG Berlin, Urteil vom 01.04.2021 – 42 Ca 16289/20
Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – so ganz ohne Arztkontakt geht es nun auch nicht
Nach § 3 Absatz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.
Von einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1976 nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Ausstellung keine Untersuchung vorausgegangen ist und mangels Patientenbeziehung auch eine Ferndiagnose ausscheidet ( -, , Urteil vom 11. August 1976 – 5 AZR 422/75BAGE 28, 144-151).
Hintergrund: Der AN hatte über ein Online-Portal ohne telefonischen oder sonstigen persönlichen Arztkontakt und mittels eines online auszufüllenden Fragebogens eine AU-Bescheinigung erhalten (ärztlich auch ausgestellt). Kostenpunkt: 14 EUR.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 41128 / beck-online
BAG, Urteil vom 19.01.2022 – 5 AZR 217/21
Kein gesetzlicher Mindestlohn für Pflichtpraktikum als Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums
Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG* erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität ist staatlich anerkannt. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen wird.
Quelle: Pressemitteilung BAG vom 19.01.2022 / Nr. 1/22
LAG Baden-Württemberg vom 15.12.2021, 2 Sa 11/21
Aufhebungsvertrag – Abfindung – Tod des Arbeitnehmers vor Vertragsschluss
1. Ein Aufhebungsvertrag, in dem sich der Arbeitnehmer zur Aufgabe des Arbeitsplatzes und der Arbeitgeber als Gegenleistung zur Zahlung einer Abfindung verpflichten, kommt ungeachtet des in der Vertragsabschlussphase eingetretenen Todes des Arbeitnehmers auch dann noch zustande, wenn der Arbeitgeber das Angebot des Arbeitnehmers vor dessen Tod bereits erhalten hat, es aber erst nach dem Tod des Arbeitnehmers annimmt. Das gilt auch dann, wenn nach dem Inhalt des Aufhebungsvertrags das Arbeitsverhältnis erst zu einem zukünftigen Zeitpunkt hätte enden sollen.
2. Allerdings verlieren die Erben des Arbeitnehmers infolge dessen Todes den Anspruch auf die vereinbarte Abfindung, weil der Arbeitnehmer bereits zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Aufhebungsvertrags die von ihm geschuldete Leistung (Aufgabe des Arbeitsplatzes) nicht mehr erbringen konnte und infolgedessen auch der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt.
Achtung → Revision ist beim BAG anhängig zum AZ: 5 AZR 17/22
BAG, Urteil vom 18.11.2021, 2 AZR 138/21
Ordentliche Kündigung – betriebliches Eingliederungsmanagement
LAG Hessen, Urteil vom 22.10.2021, 10 Sa 104/21
Entgeltansprüche aus beendetem Arbeitsverhältnis / Dokumentation der Arbeitszeit / Darlegungslast des AN und Beweiserleichterungen?
Aus der in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ( [CCOO] – 14. Mai 2019 – C-55/18NZA 2019, 683) aufgestellten Verpflichtung, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und transparentes System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, folgen zurzeit keine Beweiserleichterungen in einem Überstundenprozess gegen einen privaten Arbeitgeber. Die RL 2003/88/EG hat keine unmittelbare horizontale Wirkung, einer unionsrechtskonformen Auslegung steht die Wortlautgrenze des § 16 Abs. 2 ArbZG entgegen.
Aus § 16 Abs. 2 ArbZG kann der Arbeitnehmer – anders als bei § 21a Abs. 7 ArbZG – keinen allgemeinen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber zur Dokumentation seiner Arbeitszeit herleiten.
Der Arbeitnehmer kommt seiner Darlegungslast nach, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (vgl. ). 26. Juni 2019 – 5 AZR 452/18
Quelle: Beck-Verlag, BeckRS 2021, 51919, beck-online
LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.09.2021, 12 Sa 10/21
Verhaltensbedingte Kündigung – Auflösungsantrag der Arbeitgeberin
1. Auch bei einem im Aufbau befindlichen Betrieb gibt es einen regelmäßigen Beschäftigtenbestand i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG. Steigt die Mitarbeiterzahl innerhalb von sieben Monaten über den Schwellenwert von § 23 Abs. 1 KSchG und kündigt die Arbeitgeberin dann Arbeitnehmern zum Zwecke der Betriebseinschränkung, ist für die Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke maßgeblich. Diese kennzeichnet die regelmäßige Beschäftigtenzahl. Anders ist dies nur dann, wenn von Beginn an geplant war, diese Belegschaftsstärke nur kurz zu überschreiten. Das Kündigungsschutzgesetz findet hingegen – wie hier – Anwendung, wenn es darum geht, den im Aufbau befindlichen aber erreichten und eigentlich beabsichtigten Beschäftigtenstand oberhalb der Grenze von § 23 Abs. 1 KSchG wieder zu reduzieren.
2. Haben Arbeitgeberin und Arbeitnehmer schon jahrelang ohne wesentliche Beanstandungen zusammengearbeitet, so werden regelmäßig Auflösungsgründe von größerem Gewicht erforderlich sein, um die Prognose zu rechtfertigen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist, als wenn es sich um einen Arbeitnehmer ohne erheblichen sozialen Besitzstand handelt, der schon wenige Monate nach Beendigung der Probezeit Auflösungsgründe setzt.
3. Bei der Bemessung der Abfindung ist ein arbeitsleistungsbezogener Bonus anteilig auf das Monatsgehalt umzulegen.
4. Die Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG kann in einem einheitlichen Arbeitsverhältnis in der Regel nur einheitlich festgesetzt werden. Bemessungsgrundlage, d.h. der Monatsverdienst i.S.d. § 10 Abs. 3 KSchG sind die Bezüge, die dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis insgesamt zustehen. Anders ist dies, wenn ein Arbeitnehmer – wie hier – zeitgleich zwei Arbeitsverhältnisse zu zwei verschiedenen Arbeitgeberinnen hat, die nicht als einheitliches Arbeitsverhältnis zu qualifizieren sind und von denen ein Arbeitsverhältnis ruht. Das ruhende Arbeitsverhältnis unterliegt eigenständig der Auflösung gemäß §§ 9, 10 KSchG. Es hat einen eigenen wirtschaftlichen Wert. Der Umstand, dass das ruhende Arbeitsverhältnis zum Auflösungszeitpunkt zunächst hätte “aktiviert” werden müssen, ist bei der Höhe der Abfindung für dieses Arbeitsverhältnis mindernd zu berücksichtigen.
VGH München, Beschluss vom 22.11.2021 – 22 ZB 21.2495
Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst, „Wegezeit“ als Arbeitszeit?
Die Zeit, die ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Rufbereitschaft nach dem Abruf für den Weg zum Einsatzort und zurück aufwendet, ist nicht generell (ohne Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung der Rufbereitschaft) „Arbeitszeit“ im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbzG bzw. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG.
Quelle: BeckRS 2021, 41342, beck-online
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.12.2021, 4 Sa 32/21
Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung – Berechnung des Beginns der Schwangerschaft
Der Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen gem. § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG knüpft am tatsächlichen Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an. Will die Arbeitnehmerin das Vorliegen der Schwangerschaft über eine statistische Wahrscheinlichkeit herleiten, ist dies über einen Anscheinsbeweis möglich, der aber nur bei typischen Geschehensabläufen greifen kann. Ausgehend von einem typischen Geschehensablauf können zur Ermittlung des Zeitpunkts der Konzeption vom ärztlich festgestellten voraussichtlichen Entbindungstermin nur 266 Tage zurückgerechnet werden. Die vom BAG in ständiger Rechtsprechung angewandte Rückrechnung um 280 Tage führt zu Ergebnissen, die mit typischen Schwangerschaftsverläufen nicht in Deckung zu bringen sind.
Quelle → VOLLTEXT / LAG BW / 01.12.2021 / 4 Sa 32/21
BAG, Urteil vom 22.9.2021 – 7 AZR 300/20
Ein Vertrag iSv. § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG kann auch dann für einen kürzeren Zeitraum als die Dauer der Weiterbildungsbefugnis des weiterbildenden Arztes geschlossen werden, wenn zuvor zwischen den Parteien kein auf die Dauer der Weiterbildungsbefugnis befristeter Arbeitsvertrag bestanden hat, sofern bei Vertragsschluss absehbar ist, dass die Weiterbildung innerhalb der in Aussicht genommenen Vertragslaufzeit beendet werden kann.
Quelle → VOLLTEXT / BAG / 22.9.2021 – 7 AZR 300/20
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.08.2021 – 8 Sa 16/21
Arbeitnehmerhaftung – Schadensersatz wegen verweigerter Herausgabe von Passwörtern
1. Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es jedoch einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers. Die Freistellung erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, wobei der Arbeitgeber die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat.
2. Eine Entbehrlichkeit der Freistellungserklärung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger Prokura hatte.
Quelle → BeckRS 2021, 38830, beck-online
LAG MV, Urteil vom 23.11.2021, 5 Sa 88/21
Außerordentliche Kündigung wegen eigenmächtigen Fernbleibens von der Arbeit
1. Ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubsnahme sind geeignet, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu begründen.
2. Ein Arbeitnehmer ist auch dann grundsätzlich nicht berechtigt, sich selbst zu beurlauben oder freizustellen, wenn er möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder eine Freistellung gehabt hätte. Ein solcher Anspruch ist im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes, ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchzusetzen, nicht aber durch eigenmächtiges Handeln.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 23.11.2021 / 5 Sa 88/21
LAG Köln, Urteil vom 02.11.2021 – 4 Sa 290/21
Außerordentliche fristlose Kündigung aufgrund Kopierens und Weitergabe eines Emailanhangs an Dritte
Das Lesen einer offensichtlich an einen anderen Adressaten gerichtete Email sowie das Kopieren und die Weitergabe des Emailanhangs (privater Chatverlauf) an Dritte kann im Einzelfall eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn eine Zugriffsberechtigung auf das Emailkonto für dienstliche Tätigkeiten vorliegt.
Quelle → VOLLTEXT / LAG Köln / 04.11.2021 / 4 Sa 290/21
BAG, Urteil vom 01.07.2021 – 8 AZR 297/20
Entschädigung wegen erfolgloser Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen (?) – Nichteinladen zum Vorstellungsgespräch
Der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, kann die Kausalitätsvermutung nach § 22 AGG nur dann begründen, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang der Einladung zu bewirken.
Ergebnis: kein Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil 01.07.2021, 5 Sa 1573/20
Benachteiligung wegen des Alters – Stellenausschreibung – Start-Up-Unternehmen – Entschädigung
Im Falle eines noch nicht lange bestehenden Startup-Unternehmens hat die Passage in einer Stellenausschreibung, dass ein “junges Team mit flachen Hierarchien” geboten werde, keinen Bezug zum Alter der Mitarbeiter dieses Teams.
Die durchgehende Verwendung der zweiten Person (“dir”,”deine”) in einer Stellenausschreibung ist kein Hinweis darauf, dass jugendliche Personen angesprochen werden, sondern heutzutage eine in vielen großen Unternehmen übliche Art und Weise des vom Alter unabhängigen Ansprechens von Mitarbeitern.
Hiernach liegt kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§§ 1, 7 Absatz 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG) vor, so dass keine Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung gemäß § 15 Absätze 1 und 2 AGG besteht.
ABER
→ Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig beim BAG unter dem AZ: 8 AZN 581/21
LAG Schleswig-Holstein, Urteil 31.08.2021 – 1 Sa 70 ÖD/21
Erforderlichkeit einer Abmahnung – Kündigung – Unpünktlichkeit
1. Kommt ein Arbeitnehmer an drei von vier aufeinander folgenden Arbeitstagen erheblich zu spät oder gar nicht zur Arbeit, kann dies je nach den Umständen des Einzelfalls den Rückschluss auf ein hartnäckiges und uneinsichtiges Fehlverhalten zulassen, sodass er vor Ausspruch einer Kündigung keiner ausdrücklichen Abmahnung mehr bedarf.
2. Eine ordentliche Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn wegen der ersten Verspätung ausdrücklich eine mündliche Abmahnung erteilt wurde, auch wenn das Arbeitsverhältnis bereits mehr als 13 Jahre bestanden hat.
Quelle → VOLLTEXT / ArbG SH / 31.08.2021 / 1 Sa 70 öD/21
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2021 – 3 SaGa 1/21
Wird ein Arbeitnehmer nach Ausspruch einer ordentlichen Kündigung vom Arbeitgeber einseitig freigestellt, so kann der Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung – auch im Wege einer einstweiligen Verfügung – bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verlangen.
Aus den Gründen:
Es ist seit langem anerkannt, dass der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung hat. Dieser verpflichtet den Arbeitgeber nicht nur dazu, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, sondern auch dazu, das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers durch tatsächliche Beschäftigung zu befriedigen.
Eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers ist grundsätzlich nicht zulässig (BAG 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – NZA 1994, 267).
Der Beschäftigungsanspruch muss nur dann zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Das kann etwa der Fall sein beim Wegfall der Vertrauensgrundlage, bei Auftragsmangel oder bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer aus Gründen der Wahrung von Berufsgeheimnissen (BAG 9. April 2014 –10 AZR 637/13 – BAGE 148, 16).
Andererseits kann sich auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse im Einzelfall noch durch besondere Interessen ideeller und materieller Art, etwa Geltung in der Berufswelt, Ausbildung, Erhaltung von Fachkenntnissen usw., verstärken (vgl. BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – a.a.O.).
LAG Hessen, Urteil vom 25.06.2021 – 14 Sa 1403/20
Zahlung einer Sonderprämie nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags
Fällt ein Arbeitnehmer in den durch eine Gesamtzusage begünstigten Adressatenkreis, kann er die dort zugesagte Leistung auch dann beanspruchen, wenn mit ihm zuvor ein Aufhebungsvertrag mit Erledigungsklausel geschlossen wurde. Die Gesamtzusage ist nur nach vom Einzelfall unabhängigen Kriterien auszulegen. Auf den subjektiven Empfängerhorizont des einzelnen Arbeitnehmers wegen nur ihn betreffender Umstände kommt es insoweit nicht an.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 32422
LAG Thüringen, Urteil vom 04.08.2021, 4 Sa 293/19
Betriebsbedingte Kündigung – Darlegungslast – Kündigungsgrund
In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, kann die ansonsten berechtigte Vermutung, die fragliche Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Daran fehlt es, wenn die Entscheidung in ihrer Folge zu einer Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbliebenen Personals führte oder sie lediglich Vorwand dafür ist, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird.
Läuft die unternehmerische Entscheidung auf den Abbau einer Hierarchieebene oder die Streichung eines einzelnen Arbeitsplatzes hinaus verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, muss der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Nur so kann geprüft werden, ob die Entscheidung den dargestellten Voraussetzungen genügt. Der Arbeitgeber muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden können.
Quelle → VOLLTEXT / LAG THÜRINGEN / 04.08.2021 / 4 Sa 293/19
LAG Niedersachsen, Urteil vom 24.02.2021, 17 Sa 890/20
Betriebsbedingte Kündigungen – Insolvenzverfahren – Massenentlassungen – Verstoß gegen Unterrichtungspflicht
Ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
ABER:
Das Bundesarbeitsgerichts hat den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens im Zusammenhang mit der Frage angerufen*, welche Sanktion ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG** nach sich zieht.
→ BAG, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 6 AZR 155/21 (A)
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.07.2021, 21 Sa 1291/20
Äußerungen in einem vertraulichem WhatsApp-Chat sind kein Kündigungsgrund
Zwar sei eine gerichtliche Verwertung der gefallenen Äußerungen im Gerichtsverfahren zulässig. Eine die Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung könne jedoch nicht festgestellt werden, weil eine vertrauliche Kommunikation unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts falle. Um eine solche gehe es hier, da diese in sehr kleinem Kreis mit privaten Handys erfolgt und erkennbar nicht auf Weitergabe an Dritte, sondern auf Vertraulichkeit ausgelegt gewesen sei. Auch eine fehlende Eignung für die Tätigkeit könne allein auf dieser Grundlage nicht festgestellt werden. Besondere Loyalitätspflichten bestünden nicht, weil der Gekündigte als technischer Leiter keine unmittelbaren Betreuungsaufgaben wahrzunehmen habe. Auf das Fehlen des erforderlichen Mindestmaßes an Verfassungstreue, das von Bedeutung sei, wenn man den Verein als Teil des öffentlichen Dienstes betrachte, könne allein aufgrund dieser vertraulichen Äußerungen nicht geschlossen werden.
Und hier noch eine Besonderheit:
Das Landesarbeitsgericht hat – anders als das Arbeitsgericht – das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag des Vereins gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Die Voraussetzungen einer ausnahmsweise möglichen gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses lägen hier vor. Es sei im Sinne des § 9 Kündigungsschutzgesetz keine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zu erwarten
Quelle → PRESSEMITTEILUNG zum Urteil vom 19.07.2021 / 21 Sa 1291/20
BFH, Urteil vom 29.04.2021, VI R 31/18
Bewertung von Arbeitslohn anlässlich von Betriebsveranstaltungen
1. Bei der Bewertung von Arbeitslohn anlässlich einer Betriebsveranstaltung sind alle mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Aufwendungen des Arbeitgebers anzusetzen, ungeachtet dessen, ob sie beim Arbeitnehmer einen Vorteil begründen können.
2. Die danach zu berücksichtigenden Aufwendungen (Gesamtkosten) des Arbeitgebers sind zu gleichen Teilen auf die bei der Betriebsveranstaltung anwesenden Teilnehmer aufzuteilen.
LAG Thüringen, Urteil vom 03.03.2021, 4 Sa 154/19
Außerordentliche Kündigung – Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers – Interessenabwägung
Einzelfall zur Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung aufgrund des Ergebnisses der Interessenabwägung, nach welchem es dem Arbeitgeber zuzumuten gewesen wäre, abzuwarten, ob die vom Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Kündigungszugangs bereits begonnene Therapie einer Alkoholerkrankung erfolgreich ist und zu einer Veränderung des Verhaltens und damit zur Beseitigung der Vertragsstörung geführt hätte.
Quelle → VOLLTEXT / LAG Thüringen / 03.03.2021 / 4 Sa 154/19
ArbG Hagen, Urteil vom 16.02.2021, 4 Ca 1688/20
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers bei den Arbeitszeiten hat seine Grenzen (hier: der Tierschutzgedanke u.a.)
Arbeitgeber müssen bei einer Neufestlegung von Arbeitszeiten stets die Interessen der Beschäftigten angemessen berücksichtigen. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers – hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung und gerade deshalb muss der Arbeitgeber dieses auch ausüben – kann nämlich begrenzt sein.
Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber die vereinbarte Wochenarbeitszeit von 25 Stunden neu verteilt und zwar dergestalt, dass der hier betroffene Fahrer (zur Essensversorgung für Kitas, Schulen, Privathaushalte) am Freitag statt vorher 5 Stunden am Stück (ohne Pause) nun 7 Stunden (mit Pausen) arbeiten sollte. Dafür reduzierten sich die Arbeitszeiten an den anderen 4 Tagen um jeweils 20 Minuten.
Der Arbeitnehmer weigerte sich, weil er nach eigenen Angaben dies aufgrund familiärer Verpflichtungen wie Haushalt, Versorgung des 84-jährigen Schwiegervaters sowie der Betreuung des gemeinsamen Hundes nicht könne.
Das Gericht sah zwar keinen vertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers auf die von ihm beanspruchten Arbeitszeiten, aber der Arbeitgeber habe hier (das ist immer eine Einzelfallentscheidung und -abwägung) sein Ermessen gemäß § 106 GewO i.V.m. § 315 BGB nicht korrekt ausgeübt. Und das Arbeitsgericht machte dies an dem Punkt der Hundebetreuung (wenn auch nur an diesem) und dem Tierschutzgedanken fest. Da die Ehefrau auch eben in Vollzeit arbeitete und auch noch Berufspendlerin war, war nach Ansicht des Gerichts nicht zu akzeptieren, dass der Hund der Familie zumindest eben am Freitag 7 Stunden plus Wegezeiten allein bleibt. Dem Arbeitnehmer sei auch hier nicht zuzumuten, sich dafür um einen Tiersitter oder gar eine Hundepension zu kümmern.
Wörtlich aus den Gründen:
… Nach § 106 Abs.1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsverfassung oder Gesetz festgelegt sind. Fehlt es an einer solchen Festlegung der Lage der Arbeitszeit, ergibt sich der Umfang der arbeitgeberseitigen Weisungsrechte aus § 106 GewO. Die Weisung des Arbeitgebers unterliegt dann einer Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO i.V.m. § 315 Abs.3 BGB (vgl. BAG vom 28.08.2013 – 10 AZR 569/12 – Rn. 20 – zur Bestimmung des Arbeitsortes) …
Und da der Arbeitgeber keine gewichtigen betrieblichen Gründe belegen konnte und zudem auch noch Auslieferungsfahrer für genau die bisherigen Arbeitszeiten des AN gesucht habe, durfte der AG (hier) eben die Arbeitszeiten nicht derart ändern.
Hinweis: Zum VOLLTEXT der vorbennanten Entscheidung des BAG vom 28.08.2013 – 10 AZR 569/12 geht es hier → BAG, Urteil vom 28.08.2013, 10 AZR 569/12
LArbG München, Urteil vom 05.05.2021, 5 Sa 938/20
Ordentliche betriebsbedingte Kündigung einer Reiseleiterin in der Corona-Pandemie – Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen schließen sich aus
Die gleichzeitige Einführung von Kurzarbeit im Betrieb für Mitarbeiter mit den gleichen Aufgaben spricht gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (Anschluss an BAG, 23.02.2012, 2 AZR 548/10). Da für einen Reiseleiter und Stadtführer aufgrund der Covid-Pandemie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 09.04.2020 die Prognose eines dauerhaften Rückgangs des Arbeitsvolumens nicht bestand, war die Kündigung nicht aus dringenden betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
LArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.11.2020, 17 Sa 12/20
Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers bei steuerlicher (Falsch)beratung des AN – Auskunftspflicht
Erteilt ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der die Zahlung einer Abfindung vorsieht, überobligatorisch eine falsche oder unvollständige Auskunft auf eine Frage des Arbeitnehmers zu steuerrechtlichen Aspekten der Abfindungszahlung, haftet er nach § 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB für den durch die schuldhaft erteilte fehlerhafte Auskunft enstandenen Schaden.
Hinsichtlich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt der den Arbeitgeber in Anspruch nehmende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Der Grundsatz, dass eine richtig informierte Partei sich interessengerecht verhält (Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens), greift zugunsten des Arbeitnehmers nicht ein, wenn es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab. Soweit der Bundesgerichtshof die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei der Verletzung von Aufklärungspflichten bei Kapitalanlagen auch dann anwendet, wenn mehr als eine Handlungsalternative bestanden hat, ist diese Rechtsprechung auf von Arbeitgebern erteilte Auskünfte zu steuerrechtlichen Fragen nicht zu übertragen.
ArbG Siegburg, Urteil vom 04.09.2019 – 3 Ca 642/19
Keine fristlose Kündigung bei Mitnahme eines kranken Kindes zur Arbeitsstätte
Eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten liegt vor, wenn eine Arbeitnehmerin ihre erkrankten und betreuungspflichtigen Kinder mit zur Arbeitsstätte nimmt; dies rechtfertigt jedoch keine fristlose Kündigung.
Soweit die Beklagte der Klägerin vorwirft, sie habe ihre (kranken) Kinder mit auf die Tour genommen, was unzulässig sei, mag dieses Vorgehen zwar tatsächlich aus versicherungsrechtlichen Gründen sowie durch die gegebenenfalls dabei bestehende Ansteckungsgefahr problematisch sein; ein Grund für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dadurch jedoch nicht. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung unterstellt und die von der Klägerin behauptete Absprache außer Acht lässt, hätte die Beklagte die Klägerin durch Ausspruch einer Abmahnung auf ihre Pflichtverletzung hinweisen können, um sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Zudem handelt es sich um eine Nebenpflichtverletzung, die nach dem oben Ausgeführten nur durch erschwerende Umstände eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Bei der Klägerin als alleinerziehender Mutter kommt jedoch ganz im Gegensatz hierzu das entlastende Momente hinzu, dass die Mitnahme der Kinder alleine der Ermöglichung der Erfüllung ihrer Hauptpflicht diente und die Alternative hierzu ein Unterlassen der Arbeitsleistung gewesen wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten einzuhaltende Kündigungsfrist nur zwei Wochen betrug. Angesichts dieser geringen Zeitspanne vermag das Gericht nicht zu erkennen, warum deren Einhaltung der Beklagten nicht zumutbar sein soll.
Ergebnis: Abmahnung bzw. ordentliche Kündigung während Probezeit wäre ausreichend (gewesen)
Quelle: NZA-RR 2019, 587
LAG Baden-Württemberg, Urteil 01.10.2020, 17 Sa 1/20
Außerordentlich fristlose Kündigung – Selbstbeurlaubung – Prozessbeschäftigung
Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dies gilt auch dann, wenn der eigenmächtige Urlaubsantritt nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer unwirksamen Kündigung (während einer Prozessbeschäftigung) erfolgt. In diesem Zusammenhang spielt es letztlich keine Rolle, ob sich bei Auslegung der Erklärungen der Parteien zur Prozessbeschäftigung ergibt, dass eine auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart wurde. Einer Abmahnung bedarf es regelmäßig nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung wirkt es sich nicht zugunsten des Arbeitnehmers aus, dass der Urlaubsantrag kurz vor Ablauf des Übertragungszeitraums gestellt wurde. Durch die Rechtsprechung des EuGH vom 6. November 2018 (- C-684/16 -) ist geklärt, dass die Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Ende des Kalenderjahres bzw. den Übertragungszeitraum die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraussetzt.
BAG, Urteil vom 10.02.2015 – 9 AZR 53/14 (F)
Keine Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Wechsel in Teilzeittätigkeit
(und hier der etwas sperrige) Leitsatz:
Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD 2010, derzufolge sich der Urlaubsanspruch bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche entsprechend erhöht oder vermindert, ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie die Anzahl der während einer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubstage mindert.
BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers in vertraulichen Gesprächen zwischen Arbeitskollegen rechtfertigen Kündigung nicht ohne weiteres
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen durch einen Arbeitnehmer in vertraulichen Gesprächen mit Arbeitskollegen rechtfertigen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres. Der Arbeitnehmer darf regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen.
Quelle: FD-ArbR 2010, 303739, beck-online