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ArbG Mannheim, Urteil vom 9.7.2021, 12 Ca 28/21
Zuschläge für Bereitschafts- und Rufdienste ohne fristgerecht aufgestellten Dienstplan – Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) – Aufstellen eines Dienstplans – mitbestimmter Dienstplan – Tarifauslegung
Leitsätze
1. Ein Dienstplan ist „aufgestellt“ im Sinne von § 10 Abs. 11 Satz 1 Tarifvertrag für Ärztin-nen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA), wenn ein verbindlicher Dienstplan vorliegt. Für den Fall, dass in dem Betrieb ein Betriebsrat gewählt ist, bedeutet dies, dass ein mitbestimmter Dienstplan vorliegen muss.
2. Liegt einen Monat vor dem jeweiligen Planungszeitraum kein verbindlicher, gegebenenfalls mitbestimmter Dienstplan vor, entstehen Ansprüche auf Zuschläge für Bereitschafts- und Rufdienste nach § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA. Weitere Voraussetzungen enthält § 10 Abs. 11 Satz 2 TV-Ärzte/VKA nicht; insbesondere ist es nicht relevant, ob die Ärztinnen und Ärzte letztlich so arbeiten, wie in einem unverbindlichen Dienstplan vorgesehen.
Quelle → VOLLTEXT / ArbG Mannheim / 09.07.2021 / 12 Ca 28/21
LAG Köln, Urteil vom 08.09.2021, 3 Sa 224/21
(Keine) nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage – Voraussetzungen des § 5 KSchG
Eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage der Klägerin gemäß § 5 KSchG kommt nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen der vorgenannten Vorschrift offensichtlich nicht vorliegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin – wie von § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG verlangt – trotz Anwendung aller ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG zu erheben. Denn die Klägerin hat jedenfalls den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nicht innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG gestellt.
Maßgeblich für diese Frist ist nach der gesetzlichen Vorgabe der Zeitpunkt der Behebung des Hindernisses. Das ist vorliegend der Zeitpunkt zu dem die Klägerin erstmals Kenntnis vom verspäteten Klageeingang hatte. Dabei ist ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO die Kenntnis ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2013 – 6 AZR 49/12, EzA § 102 BetrVG 2001, Nr. 29; KR/Kreft, 12. Aufl., § 5 KSchG Rn. 100).
ArbG Hamburg, Urteil vom 24.11.2021, 27 Ca 208/21
Kündigung ohne vorherige Abmahnung wegen Coronatest-Verweigerung unwirksam
Aus den Gründen:
Im Ergebnis ist die streitgegenständliche Kündigung nach Auffassung der Kammer unwirksam, weil sie trotz mehrfacher Weigerung des Klägers, die von der Beklagten bereitgestellten Corona-Schnelltests durchzuführen, nicht als letztes Mittel erforderlich war, um den Kläger zur Vertragstreue zu bewirken. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ließ sich für die Kammer dagegen eine vorherige Abmahnung des Klägers nicht mit Sicherheit feststellen („non liquet“). Die Beklagte, die insoweit die Beweislast trägt, war somit nicht berechtigt, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist sogleich zu kündigen.
Eine Kündigung kommt unter Beachtung des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes auch bei Störungen im Leistungs- und Verhaltensbereich nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Dabei ist als mildere Reaktion insbesondere die Abmahnung anzusehen, die dann als alternative Gestaltungsmittel anzusehen ist, wenn schon sie geeignet ist, den mit der Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (vgl. BAG, Urt. v. 10.06.2010, Az: 2 AZR 541/09). Dementsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG bei Vertragspflichtverletzungen, die auf einem steuerbaren Verhalten beruhen, generell davon auszugehen, dass bereits die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses das künftige Verhalten des Arbeitnehmers positiv beeinflussen wird. Ordentliche und außerordentliche Vertragspflichtverletzungen setzen daher regelmäßig eine vergebliche Abmahnung mit entsprechender Warnfunktion voraus, die zudem der Objektivierung einer negativen Prognose dient (vgl. BAG, a.a.O., m.w.N.).
Im konkreten Fall war eine Abmahnung des Klägers nicht von vornherein entbehrlich. Das gilt schon deswegen, weil auch die Beklagte grundsätzlich nicht ausschließen konnte, dass der Kläger für den Fall der Androhung von Konsequenzen für den Bestand seines Arbeitsverhältnisses seine Verweigerungshaltung überdacht und die bereitgestellten Corona-Schnelltests zukünftig durchgeführt hätte.
Anmerkung: Die Entscheidung behandelte einen Vorfall im Juni 2021, als noch keine Pflicht für Tests am Arbeitsplatz existierte.
Ergebnis: Die Anordnung der Testpflicht war zulässig, eine Abmahnung des Klägers aber nicht zu beweisen und daher die Kündigung unwirksam.
Quelle → VOLLETXT unter Eingabe des Aktenzeichens 27 Ca 208/21
LAG Köln, Urteil vom 2.6.2021 – 6 Sa 1247/20
Massenentlassungsanzeige und fehlende Unterschrift – Kündigung wird dadurch nicht unwirksam
Das Fehlen einer Unterschrift unter der Massenentlassungsanzeige führt nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung nach § 134 BGB. Mit dem Wort “schriftlich” in § 17 Abs. 2 KSchG ist nicht die Schriftform im Sine des § 126 BGB gemeint. Die Textform reicht aus.
BAG, Urteil vom 30.11.2021, 9 AZR 225/21
“Kurzarbeit Null” verringert Urlaubsanspruch
Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen.
Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage.
Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, ist die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).*
Dies gilt entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.
* Rechtsprechung des Senats vgl. BAG 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 – (Sonderurlaub); vgl. 24. September 2019 – 9 AZR 481/18 – (Altersteilzeit) → diese beiden Entscheidungen siehe hier nachfolgend
Quelle → Pressemitteilung des BAG vom 30.11.2021
BAG, Urteil vom 19.03.2019, 9 AZR 406/17
Gesetzlicher Urlaubsanspruch – Sonderurlaub
1. Bei einem unterjährigen Wechsel der Anzahl der Arbeitstage in der Kalenderwoche ist der Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen.
2. Für Zeiten des unbezahlten Sonderurlaubs besteht grundsätzlich kein gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub. Der Zeitraum des unbezahlten Sonderurlaubs ist bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs regelmäßig mit „null“ Arbeitstagen in Ansatz zu bringen.
Quelle → VOLLTEXT / BAG / 19.03.2019 / 9 AZR 406/17
BAG, Urteil vom 24.09.2019 – 9 AZR 481/18
Kein Urlaubsanspruch in der Freistellungsphase der Altersteilzeit
1. Der gesetzliche Urlaubsanspruch für den Zeitraum der Altersteilzeit ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG jahresbezogen nach der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht zu berechnen.
2. Mit der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen, treffen die Arbeitsvertragsparteien eine Vereinbarung über die Verteilung der Arbeitszeit für den Gesamtzeitraum der Altersteilzeit, die den Arbeitnehmer allein in der Arbeitsphase zur Arbeitsleistung verpflichtet und ihn in der Freistellungsphase von vornherein von der Arbeitspflicht entbindet.
3. Einem Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindet, steht mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Erholungsurlaub zu. Vollzieht sich der Wechsel von der Arbeits- zur Freistellungsphase im Verlauf des Kalenderjahres, ist der gesetzliche Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten entsprechend der vertraglich vorgesehenen Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht zu berechnen.
BAG, Urteil vom 10.11.2021, 5 AZR 334/21
Arbeitgeber muss Fahrradlieferanten Fahrrad und Mobiltelefon als notwendige Arbeitsmittel zur Verfügung stellen.
Fahrradlieferanten (sogenannte „Rider“), die Speisen und Getränke ausliefern und ihre Aufträge über eine Smartphone-App erhalten, haben Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen die für die Ausübung ihrer Tätigkeit essentiellen Arbeitsmittel zur Verfügung stellt. Dazu gehören ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon.
Von diesem Grundsatz können vertraglich Abweichungen vereinbart werden. Geschieht dies in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers, sind diese nur dann wirksam, wenn dem Arbeitnehmer für die Nutzung des eigenen Fahrrads und Mobiltelefons eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung zusagt wird.
BAG, Urteil vom 15.06.2021, 9 AZR 217/20
Beschäftigungsanspruch – unternehmerische Entscheidung – Wegfall der Beschäftigung infolge Umorganisation – Missbrauchskontrolle
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gemäß §§ 611a, 613 iVm. § 242 BGB setzt neben einer arbeitsvertraglichen Verbindung der Parteien voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiegt. Der Anspruch kann ausgeschlossen sein, wenn eine Beschäftigung des Arbeitnehmers, zB wegen Auftragsmangels oder einer Umorganisation, die auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht, nicht (mehr) möglich ist.
Ein Arbeitgeber verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er an einer rechtmäßigen unternehmerischen Entscheidung festhält, deren Umsetzung zur Unmöglichkeit einer vertragsgemäßen Beschäftigung des Arbeitnehmers führt. In diesem Fall kommt ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach § 275 Abs. 4 iVm. § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 BGB wegen unterlassener Beschäftigung nicht in Betracht.
Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf Rückgängigmachung einer Organisationsänderung, die zum Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes geführt hat.
Die unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall geführt hat, ist nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen und ist, mit Ausnahme sachwidriger, missbräuchlicher oder willkürlicher Maßnahmen, vom Arbeitnehmer hinzunehmen.
Quelle → Beck-Verlag / FD-ArbR 2021, 443333 und BeckRS 2021, 30977
Volltext → BAG / Urteil vom 15.06.2021 / 9 AZR 217/20
LAG MV, Urteil vom 05.10.2021, 5 Sa 22/21
Wartezeitkündigung – Personalratsanhörung – Probezeit nur “pro forma”
Aus einer arbeitgeberseitigen Äußerung im Vorstellungsgespräch oder bei Arbeitsantritt, dass eine Probezeit nur “pro forma” vereinbart werde oder sei, lässt sich regelmäßig kein Verzicht des Arbeitgebers auf die erleichterten Kündigungsmöglichkeiten während der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes herleiten.
Stützt der Arbeitgeber eine Wartezeitkündigung allein auf Werturteile, wie zum Beispiel mangelnde Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten, genügt es, dem Personalrat diese Einschätzung mitzuteilen. Die diesem subjektiven Werturteil evtl. zugrundeliegende Tatsachenelemente muss der Arbeitgeber nicht angeben. Es reicht aus, wenn er dem Personalrat lediglich das Werturteil als Ergebnis seines Entscheidungsprozesses mitteilt.
Quelle → VOLLTEXT / Urteil vom 05.10.2021 / 5 Sa 22/21
LAG MV, Urteil vom 14.09.2021, 2 Sa 26/21
Pauschalvergütungsabrede für Überstunden – Vertragsauslegung
Eine arbeitsvertraglich vereinbarte Abrede, dass die Leistung von 10 Überstunden pro Monat mit der vereinbarten Vergütung abgegolten ist, entfaltet Wirksamkeit.
Eine derartige Klausel ist weder überraschend (§ 305 c BGB) noch benachteiligt sie den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB).
Sie unterliegt als Hauptleistungsabrede keiner weiteren Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 3 BGB).
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 14.09.2021 / 2 Sa 26/21
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.08.2021, 8 Sa 361/20
Außerordentliche Kündigung – Arbeitszeitbetrug – Interessenabwägung – Abmahnungserfordernis – Kündigungsgrund “an sich”?
1. Bei der Betrachtung eines Sachverhaltes, der ohne seine besonderen Umstände „an sich“ einen typischerweise wichtigen Kündigungsgrund darstellt, ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
2. Die Nichteinhaltung von vorgegebenen Arbeitszeiten oder auch die Verrichtung von Privattätigkeiten während der Arbeitszeit können an sich einen wichtigen Grund i.S.d. § 626I BGB darstellen.
3. Kein auch nur „an sich“ geeigneten Kündigungsgrund liegt in der Buchung der Gebäckkosten für die Veranstaltung. Als Abteilungsleiter steht dem Arbeitnehmer gerade auch ein Spielraum bei der Organisation der Führung der Abteilung zu, der sich vorliegend in diesem Verhalten nicht als überschritten darstellt.
Leitsätze → Beck-Verlag / FD-ArbR 2021, 442920, beck-online
Quelle → VOLLTEXT / LAG Rheinland-Pfalz / 8 Sa 361/20
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.09.2021 – I Sa 299/20
Kündigung wegen alkoholbedingten Entzugs der Fahrerlaubnis / Erfordernis einer Abmahnung / Milderes Mittel gegenüber einer Beendigungskündigung?
Ist das Führen eines KFZ zwar nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag, stellt die alkoholbedingte Entziehung der Fahrerlaubnis einen an sich geeigneten Grund für eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung dar.
Bietet der Arbeitnehmer vor Zugang der Kündigung an, die Zeit bis zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis durch Beschäftigung eines Fahrers auf eigene Kosten und Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu überbrücken und ist dem Arbeitgeber dies zumutbar, kommt eine solche Möglichkeit als milderes Mittel gegenüber einer Beendigungskündigung in Betracht.
Verstößt ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vorneherein entbehrlich.
Quelle → VOLLTEXT / Urteil vom 06.09.2021 – I Sa 299/20
BAG, Urteil vom 21.09.2021, 3 AZR 147/21
Anspruch auf betriebliche Altersversorgung – Wirksamkeit einer Altersklausel in einer Versorgungsordnung
Arbeitgeber können Beschäftigte, die erst nach dem 55. Lebensjahr ins Arbeitsverhältnis eingetreten sind, wirksam durch eine Versorgungsregelung von Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge aussschließen. Dies stellt 1. keine ungerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters und 2. auch nicht wegen des weiblichen Geschlechts dar.
Die in der Versorgungsregelung vorgesehene Altersgrenze ist nicht als unzulässige Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Vielmehr ist sie nach § 10 AGG ge-rechtfertigt und zwar auch unter Berücksichtigung der Anhebung der Regelaltersgrenze auf die Vollendung des 67. Lebensjahres nach § 35 Satz 2 SGB VI. Mit der Altersgrenze wird ein legitimes Ziel verfolgt, sie ist angemessen und erforderlich.
Die gewählte Altersgrenze führt auch nicht zu einer unzulässigen mittelbaren Benachteiligung von Frauen wegen ihres Geschlechts, so dass daraus ebenfalls keine Unangemessenheit abgeleitet werden kann. Ein durchschnittliches Erwerbsleben dauert ungefähr 40 Jahre und der durch die Altersgrenze betroffene Teil eines solchen Erwerbslebens darf nicht unangemessen lang sein. Nach den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung lagen im Jahr 2019 den Versicherungsrenten in der Bundesrepublik Deutschland durchschnittlich 39,0 Versicherungsjahre zugrunde. Bei den Frauen belief sich diese Zahl auf 36,5, bei den Männern auf 41,9 Versicherungsjahre. Dieser Unterschied ist nicht so groß, dass Frauen durch die Auswirkungen der Altersgrenze unangemessen benachteiligt sind.
Quelle → Pressemitteilung des BAG vom 21.09.2021 / Nr. 26/21
LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.4.2021, 2 Sa 216/20
Ordentliche Kündigung / Erforderlichkeit einer Abmahnung (milderes Mittel) / Rücksichtnahmepflicht
Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken.
Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen ist.
Quelle: Beck-Verlag / beck-online / BeckRS 2021, 27021
EuGH, Urteil vom 09.09.2021, C-107/19
Pausen mit Präsenzpflicht – Ruhezeit oder doch Arbeitszeit / zur Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG
Nach alledem ist … Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause, in der er, wenn nötig, binnen zwei Minuten einsatzbereit sein muss, als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen.
Zur Abgrenzung hier aus den Urteilsgründen:
… dass unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fallen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 37).
… dass eine Bereitschaftszeit, in der ein Arbeitnehmer in Anbetracht der ihm eingeräumten sachgerechten Frist für die Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeiten seine persönlichen und sozialen Aktivitäten planen kann, a priori keine „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 ist.
Umgekehrt ist eine Bereitschaftszeit, in der die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt, grundsätzlich in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie anzusehen, da der Arbeitnehmer in diesem Fall in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen…
Quelle → VOLLTEXT / EuGH / C-107/19
LAG MV, Urteil vom 23.07.2021, 3 Sa 28/21
Anrechnung von faktorisierten Rufbereitschaftszeiten auf die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit
Wenn – wie vorliegend unstreitig – die Ableistung von Rufbereitschaften zum Berufsbild des betroffenen Arbeitnehmers gehört, so kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts nach § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 106 GewO grundsätzlich im Rahmen der vereinbarten arbeitsvertraglichen Arbeitszeit auch die Ableistung von Rufbereitschaften anordnen, auch wenn dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist (BAG vom 25.04.2007 – 6 AZR 799/06 – juris, RdNr 16; BAG vom 16.10.2013 – 10 AZR 9/13 – juris, RdNr 23, 24; jeweils m. w. N.).
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / Urteil vom 23.07.2021 / 3 Sa 28/21
ArbG Bremen-Bremerhaven vom 11.3.2021 – 3 Ga 302/21
Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung / Rücknahme der Freistellung
Dem Arbeitnehmer im ungekündigten Arbeitsverhältnis kommt ein Anspruch nicht nur auf Zahlung der Vergütung, sondern auch auf tatsächliche Beschäftigung zu. Im bestehenden Arbeitsverhältnis gilt dies allerdings dann nicht, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, etwa bei Wegfall der Vertrauensgrundlage, bei Auftragsmangel oder bei einem demnächst zur Konkurrenz abwandernden Arbeitnehmer aus Gründen der Wahrung von Betriebsgeheimnissen.
Grundsätzlich besteht kein Anspruch gerade auf bestimmte Tätigkeiten, es sei denn, dass dies ausdrücklich zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart ist. Die vertragliche Verpflichtung zur Arbeitsleistung ist in der Regel durch den Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig bestimmt.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 10222 / beck-online
Niedersachsen, Urteil vom 04.05.2021, 11 Sa 1180/20
(Keine) Entfernung einer Abmahnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Es wird an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgehalten, wonach der Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht besteht.
Datenschutzrechtliche Änderungen im Zusammenhang mit der DSGVO führen jedenfalls bei in Papierform geführten Personalakte zu keiner Änderung der Rechtslage (entgegen LAG Sachen-Anhalt vom 23.11.2018, 5 Sa 7/17).
Quelle → Volltext / LAG Niedersachsen / 11 Sa 1180/20
Hinweis → Das LAG Sachsen-Anhalt bejaht indes einen datenschutzrechtlichen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung nach Ende des Arbeitsverhältnisses (so LAG Sachsen-Anhalt 23.11.18, 5 Sa 7/17, NZA-RR 109, 335).
Quelle (hierzu) → Volltext / LAG Sachsen-Anhalt / 5 Sa 7/17
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.06.2021, 3 SA 37 ÖD/21
Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung – Benachteiligung wegen des Geschlechts – Gendersternchen
Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht.
Ziel des Gendersternchens ist es, niemanden zu diskriminieren und die Vielfalt der Geschlechter deutlich zu machen.
Die Verwendung der Formulierung „schwerbehinderte Bewerber*innen“ an Stelle der Formulierung „schwerbehinderte Menschen“ stellt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar.
Quelle → LAG SH / Urteil vom 22.06.2021 / 3 SA 37ÖD/21
LArbG München, Urteil v. 15.07.2021 – 3 Sa 188/21
Zeugnis, Schlussformel, Verhaltens- und Leistungsbewertung, Bedauernsformel
Eine Arbeitnehmerin, deren Leistung und Verhalten im Endzeugnis mit “gut” bewertet worden ist, hat keinen Anspruch auf Bescheinigung des Bedauerns über ihr Ausscheiden, schon gar nicht auf die Steigerung “wir bedauern sehr”.
Es besteht kein Anspruch darauf, dass (gute) Wünsche für die private Zukunft in die Schlussformel eines Endzeugnisses aufgenommen werden.
Quelle → VOLLTEXT / LAG München / 3 Sa 188/21
BAG, Urteil vom 27.04.2021, 9 AZR 262/20
Arbeitszeugnis – Beurteilung in Tabellenform
Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO regelmäßig nicht dadurch, dass er Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilt. Die zur Erreichung des Zeugniszwecks erforderlichen individuellen Hervorhebungen und Differenzierungen in der Beurteilung lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen.
Quelle → VOLLTEXT / BAG / 9 AZR 262/20
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.05.2021 – 6 Sa 359/20
Wirksamkeit einer Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB zur fristlosen Kündigung kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attestes der Arbeit fernbleibt und sich Lohnfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt.
Wenn nach allgemeiner Meinung schon der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann, so kann es erst recht keinem Zweifel unterliegen, dass ein Arbeitnehmer, der nachgewiesenermaßen seine Krankheit nur vortäuscht, dadurch eine schwere Vertragsverletzung begeht, die je nach den Umständen des Einzelfalls eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Der Arbeitnehmer wird hier regelmäßig sogar einen vollendeten Betrug begangen haben, denn durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat er den Arbeitgeber unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu veranlasst, ihm unberechtigterweise Lohnfortzahlung zu gewähren (2 AZR 154/93 – Rn. 32, mwN, vgl. 26. August 1993 – 11. November 2015 -7 Sa 672/14 – Rn. 72, jeweils zitiert nach juris).
Quelle → Beck-Verlag / BeckRS 2021, 21599 / beck-online
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.03.2021 – 5 Sa 278/20
Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung
Da eine Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Dies ist nicht gegeben, wenn die Entscheidung nur ein Vorwand dafür ist, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (vgl. 2 AZR 867/11). 20.12.2012 –
Quelle → Beck-Verlag / BeckRS 2021, 21587 / beck-online
LArbG Nürnberg, Urteil v. 19.05.2021 – 4 Sa 423/20
Arbeitszeit, Sonderzahlung, Arbeitszeitkonto, Freistellung, Zeitguthaben, Fortzahlung, Minusstunden
1. Befinden sich auf dem Arbeitszeitkonto des Arbeitnehmers bei seinem Ausscheiden noch Minusstunden, darf der Arbeitgeber Entgelt hierfür nur kürzen bzw. zurückfordern, wenn dies arbeitsvertraglich vereinbart ist.
2. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und haben die Parteien in einem Vergleich Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Einbringung der Minusstunden genommen. Dies geht zu Lasten des Arbeitgebers.
3. Eine Klausel im Vergleich, die besagt, dass die Freistellung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und etwaige Zeitguthaben erfolgt, ist ohne Vorliegen weiterer Anhaltspunkte dahingehend zu verstehen, dass auch eventueller Streit über den Stand des Arbeitszeitkontos beseitigt werden soll und auch Minusstunden nicht mehr geltend gemacht werden können.
LArbG München, Urteil v. 05.05.2021 – 5 Sa 938/20
Ordentliche betriebsbedingte Kündigung einer Reiseleiterin in der Corona-Pandemie / Einführung von Kurzarbeit spricht gegen dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs
Die gleichzeitige Einführung von Kurzarbeit im Betrieb für Mitarbeiter mit den gleichen Aufgaben spricht gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (Anschluss an BAG, 23.02.2012, 2 AZR 548/10). Da für einen Reiseleiter und Stadtführer aufgrund der Covid-Pandemie zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 09.04.2020 die Prognose eines dauerhaften Rückgangs des Arbeitsvolumens nicht bestand, war die Kündigung nicht aus dringenden betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
Quelle → LArbG München / 05.05.2021 / 5 Sa 938/20
LAG MV, Urteil vom 27.04.2021 – 2 Sa 153/20
Außerordentliche Kündigung – Beleidigung – Bedrohung – Abmahnungserfordernis
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen Kündigungsgründe “an sich” dar. Der Arbeitnehmer kann sich nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Abs. 1 GG berufen.
Im groben Maße unsachliche Angriffe, die unter anderem zur Untergrabung der Position des Vorgesetzten oder Arbeitgebers führen, muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen.
Einer Abmahnung bedarf es unter anderem dann nicht, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.
Es kommt nicht darauf an, ob ein Straftatbestand erfüllt ist. Ausschlaggebend ist allein das Vorliegen einer Pflichtverletzung und die Frage, ob ein Arbeitgeber diese hinzunehmen hat.
Quelle → VOLLTEXT / LAG MV / 2 Sa 153/20
BayOLG, Beschluss vom 22.01.2020, 201 ObOwi 2474/19
Unerlaubte Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers aus Sicht des Ordnungswidrigkeitenrechts
Die Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus bei demselben Entleiher stellt auch dann ordnungswidriges Verhalten des Verleihers nach §§ 1 Abs. 1b Satz 1, 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG dar, wenn der Leiharbeitnehmer eine Festhalteerklärung abgegeben hat. Diese führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b 2.HS. AÜG lediglich dazu, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für die Dauer von maximal weiteren 18 Monaten (zivilrechtlich) wirksam bleibt.
Die in § 1 Abs. 1b AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten greift weder in unzulässiger Weise in die Grundrechte von Verleihern nach Art. 12 Abs. 1 GG ein noch steht ihrer Wirksamkeit die Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit des Verleihers (Art. 49, 56 AEUV) entgegen.
Beruht die gleichzeitige (weitere) Überlassung mehrerer Leiharbeitnehmer an denselben Entleiher auf einem einheitlichen Tatentschluss, so liegt die Annahme von Tateinheit i. S. d. § 19 OWiG nahe.
FG Hessen, Urteil vom 27.07.2021, 10 K 1597/20
Ermäßigte Besteuerung einer Abfindung im Rahmen einer Sprinterklausel
Eine zusätzliche Abfindung für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Wahrnehmung einer sogenannten Sprinterklausel ist ermäßigt zu besteuern.
Die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses erfolgt regelmäßig (auch) im Interesse des Arbeitgebers. Eine im Gegenzug gezahlte Abfindung ist daher in der Regel als Entschädigung ermäßigt zu besteuern.
Dies gilt grundsätzlich auch für eine (zusätzliche) Abfindung, die für die (vorzeitige) Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Wahrnehmung einer sogenannten Sprinterklausel gezahlt wird. Denn in diesem Fall kann die Kündigung durch den Arbeitnehmer nicht separat, sondern nur im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses insgesamt betrachtet werden.
Hinweis: Eine Arbeitnehmerabfindung aus einem Aufhebungsvertrag wird stets nur nach der Fünftel-Regelung – und damit ermäßigt – versteuert. Nach der – rechtskräftigen – Entscheidung des FG Hessen ist dies dann auch anzuwenden auf eine Abfindung über die Sprinterklausel.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 6.3.2019, 4 Sa 73/18
Zusammenhängender Urlaub – halbe bzw. Bruchteile von Urlaubstagen
1. Der Urlaub ist gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG zusammenhängend zu gewähren. Jedenfalls ein Urlaubswunsch, der auf eine Zerstückelung und Atomisierung des Urlaubs in Kleinstraten gerichtet ist, muss nicht erfüllt werden. Eine solche Urlaubsgewährung wäre nicht geeignet, die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zu erfüllen.
2. Das BUrlG kennt keinen Rechtsanspruch auf halbe Urlaubstage oder sonstige Bruchteile von Urlaubstagen.
3. Von obigen Grundsätzen kann für die Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden.
Quelle → LArbG Baden-Württemberg / 6.3.2019 / 4 Sa 73/18
BAG, Urteil vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13
Beschäftigungsanspruch – Nachtdienstuntauglichkeit einer Krankenschwester – Weiterbeschäftigungsanspruch (bejaht)
Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.
Wird die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber mit dieser Einschränkung angeboten, handelt es sich um ein ordnungsgemäßes Angebot iSd. §§ 294, 295 BGB.
Quelle → VOLLTEXT / BAG / 10 AZR 637/13
BAG, Urteil vom 31.3.2021 – 5 AZR 197/20
Überzahltes Entgelt – Verfall des Rückzahlungsanspruchs
Den Arbeitgeber trifft keine Obliegenheit, immer dann, wenn der Arbeitnehmer nach vorangegangener, sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1, 2 EFZG erneut arbeitsunfähig erkrankt, von sich aus Auskünfte über das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung einzuholen, um ggf. im Anschluss gegenüber dem Arbeitnehmer einen Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall innerhalb geltender Ausschlussfristen beziffern zu können. Die Annahme einer solchen Erkundigungspflicht zur Ausfüllung des Begriffs der „Fälligkeit“ i.S.e. Ausschlussfrist ist weder nach dem Zweck der Verfallfrist geboten noch kann sie aus der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hergeleitet werden, die im Entgeltfortzahlungsprozess hinsichtlich einer behaupteten Fortsetzungserkrankung gilt.
Eine Obliegenheit des Arbeitgebers zur Wahrung einer Ausschlussfrist über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung Erkundigungen einzuholen, kann allenfalls in Betracht kommen, wenn er – neben dem Wissen um die Tatsache, dass der Arbeitnehmer nach vorangegangener sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Zeiträume des § 3 I 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG erneut arbeitsunfähig erkrankt ist – Kenntnis von Umständen hat, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die neuerliche Krankheit des Arbeitnehmers auf denselben Krankheitsursachen wie eine vorausgehende Erkrankung beruht, durch die der Entgeltfortzahlungszeitraum bereits erschöpft ist.
LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021, 8 Sa 798/20
Fristlose Kündigung wegen Küssens gegen den Willen der Kollegin
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. etwa BAG 13.12.2018 -2 AZR 370/18-mwN).
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (vgl. etwa BAG 06.08.1987-2 AZR 226/87-mwN), hier also die Beklagte.
Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein wichtiger Grund für die ausgesprochene Kündigung vor. Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht unter zutreffender Würdigung des gesamten Sachverhalts, insbesondere des Ergebnisses der Beweisaufnahme festgestellt. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung. Das Berufungsgericht schließt sich vollinhaltlich der überzeugenden Begründung des Arbeitsgerichts an.
Wer auf einer dienstlich veranlassten Reise eine Arbeitskollegin gegen ihren Willen zu küssen versucht und küsst, verletzt – unabhängig von der Strafbarkeit der Tat wegen sexueller Belästigung – seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Absatz 2 BGB), in erheblicher Weise. Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
Quelle → LAG Köln 8 Sa 798/20 Volltext
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.03.2021, 6 Sa 284/20
Kündigung, fristlos, außerordentlich, Berufskraftfahrer, Trunkenheitsfahrt, Wiederholungsgefahr
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (2 AZR 569/14 – Rn. 46; 22.10.2015 – 6 AZR 471/15 – Rn. 30). 20.10.2016 –
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 9983
LAG München, Beschluss vom 08.07.2020, 3 Ta 165/20
Bewilligung von PKH bei insolventem Arbeitgeber
Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber nach Erhebung der Kündigungsschutzklage involvent und das Hauptsachverfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen geworden ist.
BAG, Beschluss vom 12.01.2021, 2 AZN 724/20
Außerordentliche Kündigung – Nachschieben von Kündigungsgründen – Kündigungserklärungsfrist – “Blanko”-Kündigung
Es ist ohne Bedeutung, ob zwischen den bei Kündigungsausspruch schon bekannten und den erst nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang besteht.
§ 626 Abs. 2 BGB bildet weder in direkter noch in entsprechender Anwendung eine Schranke für das Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Zugang der betreffenden außerordentlichen Kündigung bereits objektiv vorlagen, aber dem Kündigungsberechtigten seinerzeit noch nicht bekannt waren.
Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Grund, auf den die Kündigung zunächst gestützt wurde, bei ihrem Zugang noch nicht verfristet war.
Die Kündigung kann grundsätzlich sogar „blanko“ erklärt worden sein.
Quelle: Beck-Verlag / BeckRS 2021, 2313
Volltext → BAG zur Blanko-Kündigung / 2 AZN 724/20
BSG, Verfahrensinfo zu B 2 U 4/21 R (anhängig)
Homeoffice und Treppensturz / Unfallversicherungsschutz
Folgende Fragestellung liegt dem BSG zur Beantwortung vor:
Steht ein Arbeitnehmer, der morgens auf dem Weg von seinen privaten Wohnräumen zur (erstmaligen) Arbeitsaufnahme in seinem Homeoffice auf der innerhäusigen Treppe verunglückt, gemäß § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII (Betriebsweg) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung?
Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2020, L 17 U 487/19 meint: Sturz auf dem Weg zum heimischen Arbeitsplatz ist kein Arbeitsunfall
BAG, Urteil vom 26.11.2020 – 8 AZR 58/20
Arbeitsvertrag – Verfallklausel – Haftung wegen Vorsatzes
1. Eine Ausschlussklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder vorformulierten Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der ausnahmslos alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht binnen bestimmter Fristen geltend gemacht und eingeklagt werden, erfasst grundsätzlich alle wechselseitigen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben und damit auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Vertragsverletzung und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung.
2. Eine solche Verfallklausel ist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig.
3. Der Arbeitgeber als Verwender muss die Klausel unabhängig davon, ob in dem Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB zudem eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt und ob die Klausel darüber hinaus ggf. aus anderen Gründen nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam ist, nicht nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen.
Folgende Klausel im Arbeitsvertrag war verfahrensgegenständlich:
§ 13 Verfallfristen
Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind binnen einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Fall der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Ausschlussfrist von einem Monat einzuklagen.
Quelle → BAG zur Verfallklausel ausnahmslos aller Ansprüche
ArbG Köln, Urteil vom 15.4.2021, 8 Ca 7334/20
Covid19-Pandemie / Corona-Quarantäne / Kündigung
Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne des Arbeitnehmers zum Zwecke des Infektionsschutzes aufgrund der Covid19-Pandemie ist auch außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes regelmäßig rechtsunwirksam.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund des verzögerten Eingangs einer schriftlichen behördlichen Bestätigung der Quarantäne diese bezweifelt und den Arbeitnehmer insofern der Drucksituation aussetzt, entweder gegen die behördliche Quarantäne zu verstoßen oder aber seinen Arbeitsplatz zu verlieren.
LAG Schleswig-Holstein vom 26.01.2021, 1 Sa 241 öD/20
Befristetes Arbeitsverhältnis – sachlicher Grund – Eigenart der Arbeitsleistung – Führungskraft – unselbständiger Annexvertrag
Die herausgehobene Position eines Arbeitnehmers im Rahmen der Organisation eines Unternehmens und die sich daraus ergebenden Befugnisse können nicht die Befristung des Arbeitsverhältnisses wegen der Eigenart der Arbeitsleistung rechtfertigen.
Quelle → LAG Schleswig vom 26.01.2021 – 1 Sa 241 öD/20
BAG, Urteil vom 31. März 2021 – 5 AZR 292/20
Vergütung von Umkleide-, Rüst- und Wegezeiten eines Wachpolizisten
Das An- und Ablegen einer auf Weisung des Arbeitgebers während der Tätigkeit als Wachpolizist zu tragenden Uniform und persönlichen Schutzausrüstung nebst Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht nutzt, sondern sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet.
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.02.2021, 5 SA 206/20
Nachtarbeitszuschlag – Zuschlagshöhe – Differenzierung – Nachtarbeit – Nachtschichtarbeit – Tarifauslegung – Kraftfahrzeuggewerb
Die Festlegung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge im Manteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 18.06.2013 in der Fassung vom 06.07.2017, der für regelmäßige Nachtarbeit mit mindestens 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 10 % und für unregelmäßige Nachtarbeit bei weniger als 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 25 % vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Ob, in welchem Umfang und in welcher Weise besondere Belastungen bestimmter Beschäftigtengruppen kompensiert werden sollen, unterliegt der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen.
Nachtarbeit belastet die Gesundheit der Arbeitnehmer und erschwert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Tarifvertragsparteien überschreiten den ihnen zustehenden, grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum nicht, wenn sie durch unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge ein 5-Tage-Schichtmodell fördern, um den Arbeitnehmern eine bessere Planbarkeit des Familienlebens und ihrer Freizeitaktivitäten zu ermöglichen.
Quelle → LAG MV vom 23.02.2021 / 5 Sa 206/20
ArbG Hamburg, Urteil vom 24.11.2020, 25 Ca 455/19
Anspruch auf Jahressonderzahlung aus Konzernbetriebsvereinbarung – Unwirksamkeit einer Stichtagsklausel – Beginn des Laufs einer tariflichen Ausschlussfrist
Ob es sich bei einer in einer Betriebsvereinbarung zugesagten Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt handelt, ist durch Auslegung der entsprechenden Betriebsvereinbarung zu ermitteln, welche grundsätzlich – wie bei Gesetzen und Tarifverträgen – objektiv, ausgehend vom Wortlaut, dem Gesamtzusammenhang und der Systematik der Regelungen zu erfolgen hat.
Sofern es sich bei der zugesagten Jahressonderzahlung um Arbeitsentgelt handelt, kann der Bezug nicht unter die auflösende Bedingung des Bestehens eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag nach Ablauf des Leistungszeitraums gestellt werden.
Bestimmt eine tarifliche Ausschlussfrist, dass nach der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle beiderseitigen Ansprüche binnen zwei Wochen schriftlich geltend zu machen und binnen weiterer vier Wochen klageweise zu verfolgen sind, so bedeutet das für solche Ansprüche, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen oder beziffert werden können, dass der Lauf der Ausschlussfrist erst beginnt, wenn die Ansprüche fällig und bezifferbar geworden sind (BAG, Urteil vom 17.10.1974 – 3 AZR 4/74).
Volltext → Jahressonderzahlung als Arbeitsentgelt?
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2020, 1 SA 72/20
Unentschuldigtes Fehlen an einem Arbeitstag / Kündigung und Kündigungsfrist / Probezeit
Fehlt ein Arbeitnehmer an einem einzigen Tag seines Arbeitsverhältnisses unentschuldigt, rechtfertigt das in der Regel nicht die fristlose Kündigung. Auch in diesem Fall sind eine Arbeitsaufforderung und eine Abmahnung in der Regel erforderlich. Das gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst zwei Tage bestanden hat.
Die Parteien des Arbeitsvertrags können die gesetzliche Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) nicht auf eine Woche abkürzen. Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien gemäß § 622 Abs. 4 BGB zu einer Abänderung befugt sind, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz.
Quelle → LAG SH Kündigung bei unentschuldigtem Fehlen an einem Arbeitstag
LAG Niedersachsen, Urteil vom 24.02.2021, 17 Sa 890/20
Betriebsbedingte Kündigungen – Insolvenzverfahren – Verstoß gegen Unterrichtungspflicht – Verstoß gegen Zuleitungspflicht bei Massenentlassungsanzeige
Ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Volltext → LAG Niedersachen zur Massenentlassungsanzeige
LAG Hamm, Urteil vom 29.1.2021, 1 Sa 954/20
Unwirksamkeit einer Rückzahlungsklausel für Weiterbildung bei personenbedingter Kündigung des Arbeitnehmers
Eine Rückzahlungsklausel in einer Fortbildungsvereinbarung muss, um nicht unangemessen benachteiligend i. S. d. § 307 I BGB zu sein, deshalb u. a. vorsehen, dass die Rückzahlungsverpflichtung auch dann entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis aus nicht vom Arbeitnehmer zu vertretenden personenbedingten Gründen, die bis zum Ablauf der Bleibedauer anhalten, vom Arbeitnehmer durch Ausspruch einer Kündigung oder aufgrund einer aus diesen Gründen geschlossenen Auflösungsvereinbarung beendet wird.
Ist der Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen bis zum Ablauf der Bleibefrist nicht mehr in der Lage, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, hat er es auch nicht mehr in der Hand, den berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers zu entsprechen, die in die Fortbildung getätigten Investitionen nutzen zu können. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer trotzdem an das Arbeitsverhältnis zu binden, lässt sich nicht an seinem Interesse an einer möglichst langfristigen Nutzung der einmal getätigten Investition festmachen.
Quelle → Volltext LAG Hamm
LAG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2020, 12 SaGa 15/20
Kündigungsvorwurf und äußerungsrechtlicher Unterlassungsanspruch
Wird der gegenüber dem Arbeitnehmer erhobene Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht in der Betriebsöffentlichkeit grob übertrieben und inhaltlich falsch dargestellt – Vorwurf der Fälschung aller Kundendaten, von denen ca. 10.000 existieren, wenn “nur” 107 Fälschungen behauptet werden – kann der Arbeitnehmer die Unterlassung genau dieser Äußerung, d.h. der Fälschung aller Kundendaten, in der Betriebsöffentlichkeit verlangen.
Quelle → Volltext LAG Düsseldorf
BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 21/18 R
Tankgutscheine und Werbeeinnahmen statt Arbeitslohn sind beitragspflichtig – beitragspflichtiges Arbeitsentgelt – Nettolohnoptimierung – Tankgutscheine – Entgelte für die Bereitstellung von Werbeflächen
Sowohl die Tankgutscheine als auch die Werbeflächenentgelte sind beitragspflichtiges Arbeitsentgelt iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Hierunter fallen alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Einnahmen sind alle geldwerten Vorteile, der einem versicherten Beschäftigten in ursächlichem Zusammenhang mit seiner Beschäftigung zufließen.
Im Zuge der Vereinbarung eines Lohnverzichts traten die vertraglich als “neue Gehaltsanteile” bezeichneten Tankgutscheine und die Werbeeinnahmen teilweise an die Stelle des ursprünglichen Bruttolohns und glichen den Verzicht teilweise aus. Sie sind damit als teilweises Surrogat für den Entgeltverzicht geleistet worden. Aus diesem Grund sind die Tankgutscheine auch nicht über § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SvEV von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt ausgenommen. Denn sie wurden nicht “zusätzlich” zum Lohn oder Gehalt gewährt, sondern als integraler Bestandteil der vereinbarten neuen Vergütung. Als Geldsurrogat waren die auf einen bestimmten Betrag begrenzten Tankgutscheine keine Sachbezüge, die bei Unterschreitung der steuerlichen Bagatellgrenze beitragsfrei wären.
Die Werbeflächenentgelte wurden ungeachtet der Rechtsnatur ihrer vertraglichen Grundlage “im Zusammenhang” mit der Beschäftigung erzielt. Auch sie wurden als “neue Gehaltsanteile” im Gegenzug zum Lohnverzicht vereinbart und damit als Surrogat für den Lohnverzicht nicht “zusätzlich” gewährt.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.10.2020, 9 Sa 508/20
Vertragsstrafe – Arbeitsentgelt – Arbeitszeit – Transparenzgebot – unangemessene Benachteiligung – Paketzusteller
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in einem Arbeitsvertrag ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wenn als Vertragsstrafe das Entgelt für zwei Wochen bzw. einem Monat vorgesehen ist, aber mangels Vereinbarung einer bestimmten Arbeitszeit oder eines festen wöchentlichen oder monatlichen Entgelts nicht feststeht, welches Entgelt auf diesen Zeitraum entfällt. Bei einer solchen Regelung ist bei Vertragsabschluss nicht hinreichend klar, welcher Betrag ggf. anfällt.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.5.2019, 10 Sa 52/18
Verhaltensbedingte Kündigung – Verstoß gegen Anzeigepflichten im Krankheitsfall – fortdauernde Erkrankung – Interessenabwägung
Auch bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer nach § 5 EFZG verpflichtet, dies gegenüber seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Ein etwaiger Verstoß durch den Arbeitnehmer im Falle einer fortdauernden Erkrankung wiegt jedoch im Regelfall weniger schwer als eine fehlende oder verspätet erfolgte Anzeige bei der erstmaligen Erkrankung. Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung ist dies bei der im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.
Quelle → Volltext LAG BW 10 Sa 52/18
BAG, Urteil vom vom 20.11.2019, 5 AZR 578/18
Arbeitszeitkonto – Freizeitausgleich – Freistellung in gerichtlichem Vergleich
Einbeziehung von Überstunden in die Freistellungsvereinbarung muss in einem Vergleich eindeutig erkennbar sein.
Volltext → BAG . Urteil vom 20.11.2019 . 5 AZR 578/18
Arbeitsgericht Köln, 09.10.2013, 3 Ca 1819/13
Advent, Advent… wer hat denn hier die betriebliche Weihnachtsfeier “verpennt”…
da hat doch ein Kölner Unternehmen seine zur Weihnachtsfeier erschienenen Mitarbeiter (und auch eben nur diese) mit einem “I-Pad” beschenkt. Zweck des Ganzen war, dass sich dies im Unternehmen herumsprechen sollte und in der Zukunft doch mehr Mitarbeiter zu den Weihnachtsfeiern kommen.
Geklagt hatte nun ein Mitarbeiter, der eben nicht erschienen war. Dieser hatte gemeint, er müsse auch genauso bedacht werden, weil es sich ja schließlich um eine “Gratifikation” bzw. “Sonderleistung” handeln würde.
Die Richter des Arbeitsgerichtes Köln verweigerten dem Kläger den Anspruch auf “Gleichbehandlung”. Die Richter vertraten die Auffassung, dass es hier vollkommen legitim sei, nur die zu beschenken, die auch zur Weihnachtsfeier kommen. Im Urteil liest sich dann der schöne Satz:
“Nur der, der kommt, kommt auch in den Genuss dessen, was es dort gibt.” … und hier gab es nun eben ein I-Pad.
Und weiter liest man dann:
“Aus welchen Gründen Mitarbeiter kommen oder nicht kommen, spielt keine Rolle.”
Vielleicht ein bisschen bitter für den Kläger, dass er selber wegen Krankheit fehlte und es ihm damit nicht anders ging als denjenigen, die einfach nicht kommen wollten.
Quelle → VOLLTEXT / ArbG Köln / 09.10.2013 / 3 Ca 1819/13
BAG, Urteil vom 20.10.2016, 6 AZR 471/15
Die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin kann die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Berufskraftfahrers auch dann rechtfertigen, wenn nicht feststeht, dass seine Fahrtüchtigkeit bei von ihm durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war.
BAG, Urteil vom 14.06.2017, 7 AZR 597/15
hier: Befristung – Arzt in der Weiterbildung – inhaltlich und zeitlich strukturierte Weiterbildung
Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) liegt ein die Befristung eines Arbeitsvertrags rechtfertigender sachlicher Grund ua. vor, wenn die Beschäftigung des Arztes der zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zum Facharzt oder dem Erwerb einer Anerkennung für einen Schwerpunkt dient. Voraussetzung für eine Befristung nach § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG ist, dass die beabsichtigte Weiterbildung die Beschäftigung des Arztes prägt. Dabei ist nach allgemeinen befristungsrechtlichen Grundsätzen auf die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Planungen und Prognosen abzustellen, die der Arbeitgeber im Prozess anhand konkreter Tatsachen darzulegen hat. Dazu ist anzugeben, welches Weiterbildungsziel mit welchem nach der anwendbaren Weiterbildungsordnung vorgegebenen Weiterbildungsbedarf für den befristet beschäftigten Arzt angestrebt wurde, und jedenfalls grob umrissen darzustellen, welche erforderlichen Weiterbildungsinhalte in welchem zeitlichen Rahmen vermittelt werden sollten. Ein schriftlicher detaillierter Weiterbildungsplan ist ebenso wenig erforderlich wie die Aufnahme eines solchen Plans in die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien.
Die Klägerin ist Fachärztin für Innere Medizin. Im Juni 2012 schlossen die Parteien einen nach dem ÄArbVtrG für die Zeit vom 1. Juli 2012 bis zum 30. Juni 2014 befristeten Arbeitsvertrag zum Erwerb der Anerkennung für den Schwerpunkt „Gastroenterologie“. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung zum 30. Juni 2014 geltend gemacht.
Die Klage hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts – ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht – Erfolg. Nach dem Vorbringen der Beklagten war nicht erkennbar, ob im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung die Prognose gerechtfertigt war, dass eine zeitlich und inhaltlich strukturierte Weiterbildung die Beschäftigung der Klägerin prägen würde.
EuGH, Urteil vom 21.02.2018, C-518/15
Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit
Die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und während deren er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten, ist als „Arbeitszeit“ anzusehen.
LAG Köln, Urteil vom 12.01.2018, 4 Sa 290/17
Erkrankung während eines Arbeitstages, Beweiswert AU-Bescheinigung
Ein Arbeitnehmer, der während eines Arbeitstages erkrankt, erhält für den gesamten Arbeitstag die Vergütung gemäß § 611 BGB und keine Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 EFZG (BAG, Urteil vom 26.02.2003 – 5 AZHR 112/02 –).
Verlässt ein Arbeitnehmer nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten unter Hinweis auf eine Erkrankung seinen Arbeitsplatz, so kann dies allein den hohen Beweiswert der anschließend ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttern.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.08.2018 – 26 Sa 1151/17
Anforderungen an die Vortragslast bei einer Mindestlohnklage
Verlangt eine klagende Partei Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen, hat sie darzulegen und – im Bestreitensfall – zu beweisen, dass sie Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt. Die klagende Partei genügt ihrer Darlegungslast, indem sie vorträgt, sie habe sich zur rechten Zeit am rechten Ort bereitgehalten, um Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers zu befolgen.
Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern.
Deshalb hat er im Einzelnen vorzutragen, welche Arbeiten er zugewiesen hat und ob die klagende Partei den Weisungen nachgekommen ist. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden (vgl. BAG 18. April 2012 – 5 AZR 248/11, Rn. 14).
Werden in einem Taxi sog. Verfügungszeiten, d.h. Zeiten von der Übernahme des Fahrzeugs bis zur Abgabe, technisch erfasst, ist es danach zunächst ausreichend, wenn seitens der klagenden Partei diese Zeiten angegeben werden.
Die Anforderungen an die Vortragslast des Arbeitgebers richten sich nach der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und den konkreten betrieblichen Abläufen.
BGH, Urteil vom 11.10.2018, VII ZR 298/17
Die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz ( §§ 1 ff. KSchG ), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ( § 3 EntgeltFG ) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer ( § 28e SGB IV , § 41a EStG ) finden unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind, und führen nicht zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 134 BGB.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2018 – 17 Sa 562/18
Beharrliche Arbeitsverweigerung – Zuweisung von Telearbeit – fristlose Kündigung
Der Arbeitgeber ist nicht allein aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts berechtigt, dem Arbeitnehmer Telearbeit zuzuweisen.
Wenn es sich um die in Aussicht genommene Telearbeit handeln sollte, konnte die Beklagte diese dem Kläger – wie ausgeführt – nicht einseitig zuweisen. Eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung bestand für den Kläger insoweit nicht und er hatte sich deshalb auch nicht auf eine derartige Tätigkeit vorzubereiten. Die Beklagte kann mit anderen Worten nicht verlangen, dass der Kläger nach der Schließung der Betriebsstätte eine angebotene Beschäftigungsmöglichkeit auch wahrnimmt, solange er zu dieser Tätigkeit nicht aufgrund seines Arbeitsvertrags verpflichtet ist. Bis zu einer einvernehmlichen Änderung der Arbeitsbedingungen bzw. einer vertragsgemäßen Zuweisung einer neuen Tätigkeit ist der Kläger nach der Betriebsschließung nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und kann deshalb eine Arbeit auch nicht beharrlich verweigern.
ArbG Aachen, Urteil vom 21.02.2019, 1 Ca 1909/18
Arbeitgeber können das Tragen von Gelnägeln aus Hygienegründen untersagen
Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht umfasst auch sonstige Maßnahmen, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen.
Greift der Arbeitgeber zu solchen sonstigen Maßnahmen, muss er die Grenzen billigen Ermessens wahren, indem er die wesentlichen Umstände des Falls abwägt und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt.
Eine sonstige Maßnahme im vorgenannten Sinne kann z.B. eine Dienstanweisung zur Gestaltung der Fingernägel bei Helferinnen und Helfern im Sozialen Dienst während der Arbeitszeit sein.
Und:
Im konkreten Fall wurde die Wirksamkeit eines Verbots von u.a. lackierten Fingernägeln und Gelnägeln bejaht wegen vorrangiger Interessen der Arbeitgeberin als Trägerin eines Altenheims am Schutz der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner.
BAG, Urteil vom 19.5.2015, 9 AZR 725/13
Kürzung des Urlaubs wegen Elternzeit
Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.
Die Vorschrift regelt die Kürzung des nach dem Ende der Elternzeit zustehenden Urlaubs, also eines bestehenden oder entstehenden Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers. Die Kürzungsmöglichkeit entfällt, wenn das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit beendet wird. Eine rückwirkende Kürzung des vor der Elternzeit erfüllten Urlaubsanspruchs und eine Rückforderung des gezahlten Urlaubsentgelts sieht § 17 Abs. 4 BEEG in diesem Fall nicht vor. Daraus wird deutlich, dass es sich bei der Verrechnungsmöglichkeit gerade nicht um ein Gestaltungsrecht mit Rückwirkung handelt, sondern um die Befugnis, bestehenden oder künftig entstehenden Urlaub zu kürzen.
Arbeitsgericht Kiel, Urteil vom 18.04.2013 – 5 Ca 80b/13
Das Arbeitszeugnis und der Smiley 😉
Ein Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein Zeugnis ohne Geheimzeichen. Ein Smiley in der Unterschrift mit heruntergezogenem Mundwinkel enthält eine negative Aussage des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer, die der Arbeitnehmer nicht hinnehmen muss.
Ein Arbeitnehmer hat (eben) Anspruch darauf, dass der Beklagte das Zeugnis des Klägers mit einer Unterschrift unterzeichnet, die keinen negativen Eindruck beim potentiellen Arbeitgeber erweckt.
Das Zeugnis darf keine Merkmale enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Mit einer Unterschrift, die im ersten Buchstaben einen Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln enthält, wird eine negative Aussage des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer getroffen. Der Beklagte hat diverse Unterschriften vorgelegt, in denen er mit einem lachenden Smiley unterzeichnet hat und hat sich darauf berufen, dass dies seine “normale” Unterschrift sei. Demgemäß hat der Beklagte mit seiner Unterschrift in der Form zu unterzeichnen, wie sie von ihm im Rechtsverkehr gebraucht wird. Da er sich darauf berufen hat, dass dies eine Unterschrift ist, die im ersten Buchstaben einen lachenden Smiley enthält, ist er dazu zu verurteilen, diesen lachenden Smiley ebenfalls in die Unterschrift unter das Zeugnis des Klägers zu setzen.
Quelle: IWW / Quellenmaterial/id/191356
LAG Nürnberg, Urteil v. 31.01.2020 – 4 Sa 179/19
Zweckbefristung des Arbeitsverhältnisses entgegen § 1 Abs. 2 HS 2 ÄArbVtrG
Vereinbaren die Vertragsparteien im Rahmen des § 1 ÄArbVtrG entgegen der Regelung in § 1 Abs. 2 HS 2 ÄArbVtrG keine kalendermäßige Befristung, sondern eine vom Bestehen der Facharztprüfung abhängige Zweckbefristung, wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, 17 Sa 8/20
Außerordentlich fristlose Kündigung wegen Datenlöschung in erheblichem Umfang
Löscht ein Arbeitnehmer im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem der Arbeitgeber den Wunsch äußerte, sich vom Arbeitnehmer trennen zu wollen, vom Server des Arbeitgebers Daten in erheblichem Umfang (hier: 7,48 GB), nachdem er sich von einer Mitarbeiterin (Einkäuferin) mit den Worten “man sieht sich immer zweimal im Leben” verabschiedet hatte, rechtfertigt dies die außerordentlich fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Quelle: → LAG BW 17 Sa 8/20
BAG, Urteil vom 01.12.2020 – 9 AZR 102/20
Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“
Die tatsächliche Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit deren Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann ergeben, dass die rechtliche Beziehung als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist.
Quelle → Pressemitteilung Nr. 43 des BAG
LAG Berlin-Brandenburg vom 28.08.2012, 19 Sa 306/12
Kündigung wegen betriebsärztlicher Sicherheitsbedenken nach Cannabiskonsum – Beteiligung des Personalrats – Weiterbeschäftigungsanspruch
1. Ist der Personalrat ordnungs- und fristgemäß mit Sachgründen gegen die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorgegangen, hat der Arbeitgeber das Einigungsverfahren gemäß §§ 80 ff. PersVG BE 2004 einzuleiten.
2. Der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens besteht nicht, wenn überwiegende und schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.
Der regelmäßige Konsum von Cannabis beeinträchtigt die Eignung eines Arbeitnehmers, als Gleisbauer mit Sicherungsaufgaben im laufenden Straßenbahnbetrieb tätig zu werden, wenn die Betriebsärzte bei diesem entsprechend den bei dem Arbeitgeber geltenden Sicherheitsrichtlinien Sicherheitsbedenken, gesundheitliche Bedenken und eine eingeschränkte Tauglichkeit festgestellt haben. Über diese betriebsärztlichen Feststellungen und Untersuchungsergebnisse kann sich der Arbeitgeber schon deswegen nicht hinweg setzen, da er ebenfalls an die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien und die Festlegungen der Betriebsärzte gebunden ist. Jedenfalls ist der Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, im Rahmen des Fürsorgeprinzips darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsaufgaben nur dann durchführt, wenn aus arbeitsmedizinischer Sicht feststeht, dass er weder für sich noch für andere Personen ein Sicherheitsrisiko darstellt.
ArbG Berlin, Urteil vom 05.10.2012, 28 Ca 10243/12
Weisungsrecht des Arbeitgebers bei Arbeitszeitänderung – angemessene Ankündigungsfrist – Androhung einer Krankheit als Druckmittel
1. Hat der Arbeitgeber sein Recht auf Konkretisierung der zeitlichen Lage des Arbeitseinsatzes eines Teilzeitbeschäftigten (§ 106 Satz 1 GewO) per Dienstplan ausgeübt (hier: Einteilung zum Spätdienst), so kann er von seiner diesbezüglichen Leistungsbestimmung nicht ohne Rücksicht auf dessen Belange wieder einseitig abrücken (hier: Schichttausch zum Frühdienst).
Er hat dem Adressaten gegenüber insbesondere eine den Umständen nach angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten.
2. Für die Bemessung dieser Frist kann im Grundsatz auf die Regelung des § 12 Abs. 2 TzBfG (vier Tage im voraus) zurückgegriffen werden.
Ist der Adressat hiernach nicht verpflichtet, der geänderten Anordnung des Arbeitgebers Folge zu leisten, so kann dieser die Weigerung auch dann nicht mit fristloser Kündigung beantworten, wenn der Adressat ihm bei Aufrechterhaltung des Änderungswunschs die “Krankschreibung” in Aussicht gestellt hat.
LAG Köln, Urteil vom 19.11.2009, 7 Sa 879/09
Privatnutzung von Dienst-Kfz; Leichenwagen
Der arbeitsvertragliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf Überlassung eines dienstlichen Kfz zur auch privaten Nutzung kann nicht dadurch erfüllt werden, dass ihm sein Arbeitgeber, ein Bestattungsunternehmer, einen Leichenwagen zur Verfügung stellt.